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Der Marone – Cynthia im Weg

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 1

Cynthia im Weg

Das Herz des jungen Maronen, obwohl von Natur kühn und unerschrocken, fühlte sich doch etwas von Furcht beengt. Er hatte den Myalmann von Willkommenberg nur dem Ansehen nach gekannt, musste ihn aber gleich wieder erkennen, denn einmal gesehen, konnte man Chakra schwerlich wieder vergessen.

Cubina hatte, wie jeder andere, meilenweit in der Runde von der gegen den Koromantis eingeleiteten Untersuchung wie von seiner Verurteilung zur Ausstellung auf dem Jumbéfelsen gehört. Die besondere Art der Hinrichtung, der grausame Richterspruch selbst, die Berühmtheit des Ortes, wo der Verurteilte die letzten qualvollen Stunden seines elenden Daseins verbringen sollte, all dies zusammen, machte seinen Tod viel bekannter als sein Leben, und nur äußerst wenige auf der westlichen Seite der Insel hatten nicht von dem Myalmann zu Willkommenberg gehört und von der sonderbaren Strafart, die ihm von der Gerechtigkeit für seine Verbrechen auferlegt worden war.

Wie alle anderen, so hielt auch Cubina ihn für tot. Kein Wunder daher, dass das Herz des Maronen einen Augenblick bebte, als er Chakra in einem Nachen über die ruhige stille Oberfläche des Sees rudern sah.

Unter allen Umständen war die Erscheinung des Koromantis gerade nicht geeignet, besonderes Zutrauen bei dem ihn Erblickenden zu erwecken, doch jetzt, so gänzlich unerwartet und wie durch Zauberei geschaffen, erregte sie bei dem Maronen doch noch ein etwas stärkeres Gefühl als der bloßen Verwunderung, und einige Augenblicke stand er wirklich ein wenig zitternd am Abhang.

Dann erinnerte er sich aber bald der von seinem Leutnant gemachten Angaben, die Quaco eidlich erhärten wollte.

Quaco, der, wie die meisten seiner Farbe, aufs Festeste an den Teufel, den Jumbé und alle möglichen Arten von bösen Geistern glaubte, hatte die Erscheinung, die er gesehen, für Chakras Geist gehalten und hatte bei dem ihm von diesem Anblick urplötzlich eingejagten Schrecken, anstatt einen Versuch zu machen, die Erscheinung zu verfolgen und zu untersuchen, ob sie Fleisch und Blut oder bloß leere Luft sei, seine letzte Kraft angewandt, um so schnell wie möglich davon zu kommen, indem er den Geist des Myalmannes in dieser Weise als unumschränkten Beherrscher der ganzen Umgegend zurückließ.

Cubina, der nicht so abergläubisch war, vermochte nur einen kurzen Augenblick von dem Gedanken an einen Geist erfüllt zu werden, das bereits Quaco begegnete, zusammen mit der Gegenwart des Koppelhalters und seiner Genossin, unbedingt für einen bestimmten Zweck, führte ihn zu dem Schluss, dass das, was er jetzt im Nachen sah, nicht der Geist des Chakra, sondern der wirkliche Chakra sei.

Wie der Koromantis dazu kam, noch zu leben und sich zu bewegen, musste dem Maronen allerdings unbegreiflich sein. Allein Cubina besaß viel Scharfsinn, und die Gegenwart des Juden, offenbar schon längst mit dem wiedererweckten Zauberer in Verbindung stehend, trug zur Erklärung des Geheimnisses der Auferstehung bei.

Vorläufig damit zufrieden, dass er Chakra wirklich gesehen hatte, stellte er sich jetzt so hin, dass es ihm möglich wurde, alle Bewegungen, sowohl die des Mannes im Nachen als auch die der beiden anderen, die ihn über den kleinen See herüber gerufen hatten, vollständig zu beobachten.

Jetzt hatte er den Nachen aus dem Gesicht verloren, er war unter die Büsche unten am Rand des Felsen geglitten, wo er von oben nicht zu sehen war.

Stimmen drangen nun von unten herauf, die von Cubina wohl vernommen, aber doch nicht deutlich gehört und verstanden werden konnten.

Drei verschiedene Stimmen vermochte er jetzt deutlich zu unterscheiden, die Chakras, die des Juden und von Zeit zu Zeit auch den scharfen Diskant der Sklavin Cynthia.

Er neigte das Ohr und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit, in der Hoffnung zu hören, was sie sprachen. Nur zuweilen vermochte er wirklich ein Wort zu verstehen, allein trotz aller Anstrengung konnte er doch von der eigentlichen Unterredung nichts Wesentliches erfassen.

Diese dauerte auch nur kurze Zeit, denn das Sprechen hörte auf und es erfolgte nun eine kurze Stille, wonach der kleine Nachen wieder auf dem Wasserspiegel des Sees erschien. Jetzt waren aber nur zwei Personen im Nachen, Chakra und der Jude. Cynthia war am Felsenrand geblieben. Cubina bemerkte dies zu seinem Bedauern, denn dieser Umstand musste den Plan vereiteln, den er plötzlich gefasst hatte, nämlich dem Myalmann in sein Lager selbst zu folgen. Dies war seine Absicht, um sich mit dem Zufluchtsort und Versteck des merkwürdigen Flüchtlings sofort vollständig bekannt zu machen.

Dass sein Zufluchtsort im Teufelsloch war, das war freilich keineswegs mehr zweifelhaft und so vermochte der Marone ihn auf alle Fälle gewiss aufzuspüren. Unter anderen Umständen würde diese Gewissheit ihm einstweilen hinreichend genügt haben, allein jetzt, wo er den Juden über den See gesetzt sah, glaubte er schließen zu dürfen, dass dieser und Chakra wahrscheinlich im Begriff standen, irgendeinen schrecklichen und abscheulichen Anschlag zu beraten, den er vielleicht, wenn er ihnen sofort nachfolgte, zu belauschen und dann gar zu vereiteln imstande sein mochte.

Der Marone kannte die Schwierigkeit, in das Teufelsloch hinab zu steigen, recht gut. Cubina wusste auch, dass dazu nur ein einziger Weg zwischen den Büschen und Schlinggewächsen vorhanden war, gerade auf der Stelle an der Felsenwand, wo er sich jetzt befand. Er war früher schon einmal auf der Jagd hier hinuntergestiegen, war über den See geschwommen und hatte das Walddickicht in der Höhlung durchforscht. Zu jener Zeit war Chakra noch nicht hingerichtet gewesen, und der Jäger hatte auf dem ganzen einsamen Weg nicht die geringste Spur menschlichen Daseins aufgefunden.

Deshalb wusste er auch, dass er dem Nachen hätte schwimmend nachfolgen können, allein jetzt, wo Cynthia den Weg versperrte, war es eine reine Unmöglichkeit für ihn, das Wasser unbemerkt zu erreichen. So konnte er nur auf dem Felsen bleiben und ihre Rückkehr abwarten.

Noch dachte er darüber nach, was er eigentlich tun solle, als er von unten her ein raschelndes Geräusch vernahm. Dies wurde von jemandem gemacht, der sich zwischen den an der Felsenwand wachsenden Büschen bewegte.

Er ergriff einen nahen Ast, hielt sich an ihm fest und beugte sich über den Abhang. Jetzt erblickte er zwischen dem Laubwerk deutlich den mit einem Tuch umwundenen Kopf Cynthias, die von Baum zu Baum auf der früher bereits erwähnten Treppe die Felsenwand hinaufkletterte.

Ohne Zögern wandte er sich in das Gebüsch zur Seite des Fußpfades zurück, duckte sich nieder, um sich zu verbergen, und erwartete so, was die Sklavin beabsichtige. Vielleicht hatte sie bereits ihre Aufgabe für diese Nacht erfüllt und wollte jetzt nach Hause zurückkehren.

Diese Vermutung stellte sich als ganz richtig heraus und war auch ganz nach dem Wunsch Cubinas. Die Mulattin, nachdem sie den Kamm der Felsenwand erreicht hatte, stand nun einen kurzen Augenblick still, um einen Korb, den sie mit heraufgebracht hatte und aus dessen halb geöffnetem Deckel der Hals einer Flasche hervorsah, anders auf ihren Arm zu hängen. Dann, nachdem dies geschehen war, schlug sie den in tiefem Schatten liegenden Waldpfad ein und verschwand bald gänzlich.

Sofort, nachdem sie vorübergegangen war, glitt der vollkommen unbemerkt gebliebene Marone still den Rand der Felsenwand hinab und ließ sich leise an der erwähnten Treppe hinunter. Das war tatsächlich für ihn nicht schwierig, und nach wenigen Augenblicken hatte er den Rand des kleinen Sees erreicht.

Hier hielt er inne, um sich davon zu überzeugen, ob der Nachen schon am anderen Ufer angelangt und ob seine Inhaber dort bereits ausgestiegen seien.

Nachdem er hiermit einen Augenblick verbracht, scharf um sich gesehen und genau gehorcht hatte, um sich zu überzeugen, ob das Ufer drüben bereits von Menschen leer sei, ließ er sich mit Behändigkeit ins Wasser hinab und schwamm dem anderen Ufer zu.

Nur ungefähr zwei Drittel der Oberfläche des Sees waren vom Mond erhellt, auf den übrigen Teil desselben warf der Felsen einen dunklen Schatten. Innerhalb dieses Schattens hielt sich Cubina vorsichtig, schwamm ohne alles Geräusch und langte glücklich am jenseitigen Ufer an, ohne bemerkt zu werden.

Unter den hohen Bäumen, die den oberen Teil des Gewässers beschatteten, war es eben so dunkel, als ob gar kein Mondlicht vorhanden sei. Nur auf die Mitte des Sees selbst und hier und da durch eine Öffnung des dichten Urwaldes vermochten die Mondstrahlen zu dringen. Sonst herrschte überall Dunkelheit.

Cubina vermutete, dass von dem Ankerplatz des Nachens ein Fußpfad irgendwohin führen müsse, und versuchte deshalb diesen zuerst aufzufinden. Bald fand er auch den leeren Nachen unter einem großen Baum festgebunden liegen.

Die von dem offenen Wasser her eindringende Helle des Mondlichts zeigte ihm deutlich genug den ins Unterholz führenden Pfad, und ohne Zeit zu verlieren, verfolgte er diesen sofort.

Vorsichtig und leise wie eine Katze schlich er hin. Zuweilen blieb er stehen, um aufmerksam zu horchen, allein er vermochte nur das Rauschen des Wasserfalls zu vernehmen, dem er sich nun näherte.

Auf dem Raum vor dem Wasserfall standen die Bäume etwas lichter. Diesen Platz erreichte der Marone bald.

Als er am Rand derselben angekommen war, hielt er an, um vorsichtig um sich zu spähen.

Nur einen kurzen Augenblick brauchte er hier zu verweilen. Licht blitzte ihm durch eine Art Gitter entgegen. Es war die Bambustür der Obiahütte. Auch Stimmen drangen durch die Stäbe hindurch.

Da drinnen befanden sich die beiden Männer, die er wo möglich zu belauschen beabsichtigte.

Im nächsten Augenblick schon hatte sich Cubina unter den großen Baumwollbaum dicht an der Eingangstür der Hütte geschlichen.