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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – Seguin, der Skalpjäger

Die-SkalpjägerThomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Erster Teil
Achtes Kapitel
Seguin, der Skalpjäger

Ich habe das Vergnügen gehabt, auf dem Schlachtfeld verwundet zu werden. Ich sage das Vergnügen. Unter gewissen Umständen sind Wunden ein Genuss. Man ist auf einer Bahre an einen sicheren Ort gebracht worden, ein Adjutant wirft sich von seinem schäumenden Pferd und verkündet, dass der Feind in voller Flucht ist, und befreit einen dadurch von der Besorgnis, von einem schnurrbärtigen Lanciere durchbohrt zu werden. Ein freundlicher Wundarzt beugt sich über einen und sagt, nachdem er eine Zeitlang an der Wunde umher gefühlt hat, dass sie nur eine Ritze ist und in ein paar Wochen wieder gut sein wird. Dann kommen Visionen von Ruhm – dem Ruhm der Armeeliste – die gegenwärtigen Schmerzen werden über der Betrachtung künftiger Triumphe – der Gratulationen von Freunden – vielleicht dem Lächeln eines Wesens, welches uns teurer als alle ist – vergessen. Von solchen Erwartungen getröstet, sinkt man auf sein raues Lager und lächelt über einen Schuss durch den Schenkel oder einen Säbelhieb über den Arm.

Ich habe diese Empfindungen gehabt. Wie ganz anders waren die Gefühle, welche mich erfüllten, während ich unter der von dem Stahl des Mörders erzeugten Wunde litt.

Meine erste Besorgnis betraf die Tiefe meiner Wunde. War sie tödlich? Dies ist gewöhnlich die erste Frage, welche sich der Mensch vorlegt, nachdem er entdeckt, dass er einen Schuss oder Stich erhalten hat. Der Verwundete kann sie nicht immer selbst beantworten. Sein Lebensblut kann bei jedem Pulsschlag aus der Arterie spritzen, während der Schmerz, welchen er eigentlich fühlt, nicht größer ist, als ein Nadelstich.

Als ich in die Fonda kam, sank ich erschöpft auf mein Bett. St. Vrain schlitzte mein Jagdhemd von der Kapuze bis zum Saum auf und begann meine Wunde zu untersuchen. Ich konnte das Gesicht meines hinter mir stehenden Freundes nicht sehen und wartete mit Ungeduld.

»Ist sie tief?«, fragte ich.

»Weder so tief wie ein Ziehbrunnen noch so breit wie ein Wagengleis«, war die Antwort. »Sie sind vollkommen sicher, alter Junge, wofür Sie Gott danken können und nicht dem Mann, der jenes Messer führte, denn der Bursche hat offenbar beabsichtigt, Sie abzufertigen. Es ist der Schnitt eines spanischen Messers und klafft verteufelt. Bei Gott Haller, Sie waren nahe am Auslöschen! Noch ein Zoll, und das Rückgrat wäre getroffen worden. Aber Sie sind sicher, sage ich – hier. Godé, einen Schwamm!«

»Sacré«, murmelte Godé mit einem echt gallischen Schnurren, als er ihm den nassen Schwamm überreichte.

Hierauf fühlte ich die kalte Nässe. Dann wurde eine Quantität weicher, roher Baumwolle – das beste Pflaster, das sie erhalten konnten – über die Wunde gelegt und mit Leukoplast befestigt. Ein geschickter Arzt hätte nicht mehr tun können.

»Fest wie eine Auster«, fügte St. Vrain hinzu, als er die letzte Nadel einsteckte und mich in bequeme Lage versetzte. »Was hat aber das Spektakel angefangen, und wie sind Sie dazugekommen, eine solche Figur zu spielen? Ich war, Gott sei Dank, ausgegangen.«

»Haben Sie den sonderbar aussehenden Mann bemerkt?«

»Den mit der purpurnen Manga?«

»Ja, ja!«

»Ho, kein Wunder, dass Sie sagen: den sonderbar aussehenden Mann. Er ist noch seltsamer, als er aussieht. Ich habe ihn gesehen und kenne ihn, und vielleicht könnte kein Zweiter von denen, die im Zimmer sind, das sagen. Ja, es gab noch einen«, fuhr St. Vrain mit einem eigentümlichen Lächeln fort, »aber was ihn dorthin geführt haben kann, ist mir unerklärlich. Armijo konnte ihn nicht sehen. Aber … fahren Sie fort.«

Ich erzählte St. Vrain mein ganzes Gespräch mit dem Fremden und die Ereignisse, welche zum Ende des Fandango geführt hatten.

»Es ist sonderbar – sehr sonderbar. Was zum Geier konnte er mit ihrem Pferd wollen? Zweihundert Meilen, und er bietet tausend Dollar?«

»Enfant de garce, Capitain (Godé hatte mich seit meinem Ritt stets Captain genannt). Wenn Monsieur zweihundert Meilen weit kommen und mille Dollars zahlen will, so muss er Moro sehr gern haben; bei Gar! Une grande passion pour le cheval! Pourquoi – warum will er ihn nicht sehr wohlfeil, warum stiehlt er ihn nicht?«

Ich erschrak bei diesen Worten und warf einen Blick auf St. Vrain.

»Mit Erlaubnis des Captain werde ich das Tier koschen«, fuhr der Kanadier fort, indem er auf die Tür zuschritt.

»Sie brauchen sich keine Mühe zu geben, alter Nordwester, soweit es jenen Herrn betrifft. Er wird Ihr Pferd nicht stehlen – obgleich das kein Grund ist, weshalb Sie Ihre Absicht nicht ausführen und das Tier koschen sollten. Es gibt Diebe genug in Santa Fe, um die Pferde eines ganzen Regiments zu stehlen. Sie werden am besten tun, es hier an der Tür zu befestigen.«

Nachdem Godé Santa Fe und seine Bewohner in ein weit wärmeres Klima, als das kanadische, gewünscht hatte, verfügte er sich nach der Tür und verschwand.

»Wer ist es?«, fragte ich, »der Mann, welcher so vieles rätselhafte an sich zu haben scheint?«

»O, wenn Sie es nur wüssten! Ich werde Ihnen später einige merkwürdige Geschichten erzählen. Diese Nacht aber nicht, Sie bedürfen keiner Aufregung mehr. Er ist der famose Seguin – der Skalpjäger.«

»Der Skalpjäger!«

»Ja. Sie haben ohne Zweifel von ihm gehört. Wenigstens würde dies der Fall sein, wenn Sie viel im Gebirge gewesen wären.«

»Ich habe von ihm gehört. – Der höllische Schurke – der Schlächter unschuldiger …!«

Eine dunkle Gestalt bewegte sich an der Wand. Es war der Schatten eines Menschen. Ich blickte auf – Seguin stand vor mir!

St. Vrain hatte sich, als er eintrat, abgewendet und stand an dem Fenster, aus dem er blickte.

Ich war im Begriff, meiner Tirade die apostrophische Form zu geben und zu gleicher Zeit dem Mann zu befehlen, dass er mir aus den Augen gehen solle. Aber ein gewisses Etwas in seinem Blick bewog mich, stumm zu bleiben. Ich wusste nicht, ob er gehört oder verstanden hatte, auf wem sich meine schmähenden Bezeichnungen bezogen, aber in seinem Benehmen war nichts, was verraten hätte, dass dies der Fall gewesen wäre. Ich bemerkte nur dieselbe Miene, welche mich zuerst angezogen hatte – denselben Ausdruck tiefer Trauer.

Konnte dieser Mann, der verhärtete herzlose Bösewicht, von dem ich so viel gehört, der Urheber so vieler Schandtaten sein?

»Sir«, sagte er, als er sah, dass ich stumm blieb. »Ich bedaure sehr, was Ihnen widerfahren ist. Ich war die unwillkürliche Ursache Ihres Unfalls. Ist Ihre Wunde schwer?«

»Nein«, antwortete ich mit einer Trockenheit, welche ihn einigermaßen aus der Fassung zu bringen schien.

»Das freut mich«, fuhr er nach einer Pause fort; »ich bin gekommen, um Ihnen für Ihre großmütige Einmischung zu danken. Ich verlasse Santa Fe in zehn Minuten, ich muss Ihnen Lebewohl sagen.«

Er streckte seine Hand gegen mich aus. Ich murmelte: »Leben Sie wohl!« Ohne aber seine Hand zu nehmen. Die Geschichten blutdürstiger Grausamkeit, welche mit dem Namen des Mannes verbunden wurden, kamen mir in den Sinn, und ich fühlte Abscheu vor ihm.

Sein Arm blieb in seiner ausgestreckten Haltung, während ein seltsamer Ausdruck über sich sein Gesicht zu stehlen begann, als er sah, dass ich zauderte.

»Ich kann Ihre Hand nicht nehmen«, sagte ich endlich.

»Und warum nicht?«, fragte er mit sanftem Ton.

»Ei, sie ist rot – rot! Hinweg, Sir – hinweg!«

Er heftete seine Augen mit einem wehmütigen Blick auf mich. Es war kein Funken von Zorn darin zu erkennen. Er zog seine Hand unter die Falten seiner Manga, stieß einen tiefen Seufzer aus, wendete sich ab und schritt langsam aus dem Zimmer.

St. Vrain, der sich gegen das Ende dieser Szene umgewendet hatte, schritt zu der Tür und blieb dort stehen, indem er ihm nachblickte. Ich konnte den Mexikaner von meinem Lager aus durch den viereckigen Patio schreiten sehen. Er hatte sich eng in seine Manga gehüllt und schritt in einer Haltung, welche die tiefe Niedergeschlagenheit verriet, davon. Im nächsten Augenblick wurde er mir unsichtbar, da er durch den Saguan auf die Straße hinaus geschritten war.

»Der Mann hat etwas wahrhaft Geheimnisvolles an sich. Sagen Sie mir, St. Vrain …«

»Pst! Sehen Sie dorthin«, unterbrach mich mein Freund, indem er durch die offene Tür deutete.

Ich blickte in das Mondlicht hinaus. Drei Menschengestalten bewegten sich an der Mauer hin zum Eingang des Patio. Ihre hohe, eigentümliche Haltung und die Geräuschlosigkeit ihres Schritts überzeugten mich, dass sie Indianer waren. Im nächsten Augenblick waren sie in dem dunklen Schatten des Saguan verschwunden.

»Wer sind sie?«, fragte ich.

»Schlimmere Feinde des armen Seguin, als Sie es sein würden, wenn Sie ihn besser kennen. Er tut mir leid, wenn jene hungrigen Falken ihn im Dunkeln einholen. Aber nein, er verdient eine Warnung und eine hilfreiche Hand, wenn es nottut. Bleiben Sie kühl, Harry, ich bin augenblicklich wieder hier.«

Hierauf verließ mich St. Vrain, und ich konnte kurz darauf seine leichte Gestalt hastig dem Tor zuschreiten sehen.

Ich lag von Reflexionen über die Seltsamkeit der Ereignisse, welche sich um mich zuzutragen schienen, erfüllt da. Ich war etwas peinlich bewegt. Ich hatte die Gefühle eines Mannes verwundet, von dem mir kein Leid widerfahren war, und für welchen mein Freund offenbar hohe Achtung hegte.

Ein eisenbeschlagener Huf erschallte auf den Steinen vor dem Haus. Es war Godé mit meinem Pferd, und im nächsten Augenblick hörte ich ihn einen Piquetpfahl in das Pflaster hämmern.

Kurz darauf kehrte St. Vrain zurück.

»Nun«, fragte ich, »was ist Ihnen widerfahren?«

»Er ist ein Wiesel, welches nie schläft. Er hatte sein Pferd bestiegen, ehe sie ihn einholten, und war sehr bald aus ihrem Bereich.«

»Können sie ihm aber nicht zu Pferd folgen?«

»Das ist nicht wahrscheinlich. Ich möchte dafür bürgen, dass er nicht weit von hier Kameraden hat. Armijo – und er war es, der jene Schurken auf seine Fährte geschickt hat – besitzt keine Streitmacht, die ihm zu folgen wagte, wenn er in das wilde Gebirge hinauskommt. Für ihn ist nichts zu fürchten, sobald er über die Häuser hinaus ist.«

»Aber, lieber St. Vrain, sagen Sie mir, was Sie von diesem eigentümlichen Mann wissen. Ich bin sehr neugierig.«

»Nicht heute Nacht, Harry, nicht heute Nacht. Ich wünsche Ihnen weiter keine Aufregung zu verursachen, und überdies habe ich Grund, Sie jetzt zu verlassen. Auf Morgen denn – gute Nacht.«

Und mit diesen Worten überließ mein quecksilberner Freund mich und Godé einer ruhelosen Nacht.