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Der Welt-Detektiv Band 6

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Detektiv Schaper – Falsches Geld – 10. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Erster Teil
Falsches Geld
10. Kapitel
Wie Fritz Schaper den Spieß umkehrte

Ernesto Sagnali hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Es war nicht nur das schwere Gewitter gewesen, das ihm den Schlaf geraubt hatte. Jetzt, da der schurkische Plan, bei dem Horst-Günther so gut wie freiwillig eine Hauptrolle übernommen hatte, kurz vor der Vollendung stand, waren in des Italieners Seele Gewissensqualen erwacht, die von Stunde zu Stunde wuchsen und schließlich sein Herz mit wildem Abscheu vor sich selbst erfüllten. Er fand keinen Schlummer. Mit offenen Augen lag er da und lauschte auf das Toben des Unwetters. Stunde auf Stunde verrann. Längst war der Tag heraufgezogen, längst war der Himmel wieder klar geworden. Draußen wurde es heller und heller. Noch immer kehrte Merwinski nicht zurück. Auch das begann Sagnali zu beunruhigen. Er sann und sann. Wenn er nur einen einzigen Ausweg gewusst hätte, nur eine Möglichkeit, sich noch im letzten Moment freizumachen von diesem, seinem Gefährten, der seine Charakterschwäche nur zu klug ausgenutzt und ihn in verbrecherische Wagnisse verstrickt hatte, vor deren Folgen ihm jetzt graute.

Müde, körperlich und geistig wie zerschlagen, erhob er sich. Dumpf brütend saß er der Schwester am Kaffeetisch gegenüber. Wo nur Merwinski blieb? Ob ihm etwas zugestoßen war? Dann läutete es. Die Arbeiterinnen kamen. Das Tagewerk begann. Ruhelos schritt Sagnali von einem Zimmer in das andere. Nirgends litt es ihn lange. Eine beklemmende Angst wie vor einem unaufhaltsam sich nähernden Verhängnis presste sein Herz zusammen. Allen Ernstes dachte er daran, zu fliehen, irgendwohin, wo ihn niemand kannte. Nur entgehen wollte er dem, was die nächsten Tage bringen mussten: dem letzten großen Streich, der ihm das Geld verschaffen sollte, um als selbständig schaffender Künstler weiterleben zu können. Früher, da hatte er sich noch in diesem Gedanken berauscht, da hatte sein Ehrgeiz nach Ruhm und Anerkennung sein Gewissen immer wieder zum Schweigen gebracht. Jetzt … jetzt sah er die Zukunft anders vor sich liegen. Er war erwacht. Und dieses Erwachen hatte die Liebe bewirkt, die Liebe zu einem Mädchen, das er in einem Augenblick der Leidenschaft an sich gerissen und von dessen reinen Lippen er Seligkeit getrunken hatte.

Wieder läutete die Flurglocke. Der Briefträger war es. Und dann saß Ernesto Sagnali ganz verstört in seinem Schreibsessel und las Maximiliane von Molnars Antwort auf seinen Absagebrief.

Feste, klare Schriftzüge waren es, aus deren Linienführung die ganze starke, energische Persönlichkeit sprach.

»Seit Langem habe ich es mir angewöhnt, eine wichtige Entscheidung erst zu treffen, nachdem ich mir diese reiflich überlegt habe. Du willst mich aufgeben, weil, wie du schriebst, du meiner unwürdig wärest, weil deine Vergangenheit nicht so beschaffen wäre, dass du die Zukunft mit einer Frau, das du ebenso sehr achtest wie liebst, teilen könntest. Mir scheint, dass irgendeine Schuld deine Seele bedrückt. Welcher Art diese Schuld aber auch sei: Ich traue dir Verfehlungen, die nicht durch ehrliche Reue und ein ferneres, nur dem Guten geweihtes Leben gesühnt werden könnten, nicht zu. Damals, als ich dich zum ersten Mal sprach, fiel mir ja gleich ein besonderer Ausdruck in deinen Augen auf, etwas Schwermütiges, Trostloses. Ich sagte mir sofort, dass dein Leben nicht glatt dahingeflossen sein könnte. Dann erzähltest du von deinen künstlerischen Enttäuschungen, von deinem Unbefriedigtsein in deinem jetzigen Beruf. Durch alles, was du sprachst, klang jedoch mehr als nur die Äußerungen einer verbitterten Seele hindurch. Es lag darin das Klingen von Herzenssaiten, die nur edle Töne geben, Töne, die vielleicht für einige Zeit verstummen, aber nie ganz ersterben können. Mit einem Wort: Ich glaube an dich, Ernesto, und weil ich es tue, gebe ich dich nicht auf. Ich will als treue Kameradin zu dir stehen, komme was kommen mag. Weise mich nicht zurück! Ich will den guten Kern deines Ichs wieder zur Entfaltung bringen – weil ich Dich liebe, Ernesto! Professor Neuber ist gestern verreist. Ich werde die Dienstboten für den morgigen Vormittag beurlauben. Wir werden ganz ungestört sein. Ich warte auf dich, auf deine Beichte.

Maximiliane.«

Lange saß der Italiener regungslos da. Den Kopf hatte er in die Hände gestützt, die halb sein Gesicht bedeckten. Bisweilen ging es wie ein Beben durch seinen Körper. Als er sich dann erhob, schimmerten seine Augen feucht. Um seinen Mund aber lagerte ein Zug unerschütterlicher Entschlossenheit.

Eine Stunde später, gegen zehn Uhr vormittags, machte er sich auf den Weg zu Maximiliane. Merwinski war noch immer nicht zurückgekehrt. Sagnali dachte daran kaum mehr. Diese Vergangenheit, die der Name Merwinski für ihn bedeutete, lag endgültig hinter ihm.

Der freundliche Leser muss uns nochmals zurück in das alte Gebäude in der Wendelholzgasse begleiten.

Merwinski hatte den beiden in dem gemauerten Schacht eingeschlossenen Freunden noch ein spöttisches »Angenehmen Zeitvertreib, meine Herren!« zugerufen und wollte eben die Falltür wieder schließen, als Schaper sich nochmals aufs Bitten verlegte und dabei die Befürchtung aussprach, jener würde sie vielleicht hier vergessen, und sie müssten dann elend umkommen.

Worauf der ehemalige Chemiker beinahe ärgerlich hinabrief: »Ich bin kein Mörder, zum Donner! Ihr seid aber auch Memmen! Verhaltet euch still und ich lasse euch morgen bestimmt heraus.«

»Oh – wir werden keinen Laut von uns geben, Herr, darauf können Sie sich verlassen«, versicherte Schaper weinerlichen Tones. »Nur haben Sie Erbarmen mit unseren Familien und übergeben Sie uns nicht der Polizei!«

Merwinski, der nun ganz sicher ein paar ganz harmlose Gelegenheitsdiebe vor sich zu haben glaubte, lachte ironisch.

»Werde mich hüten! Bin selbst kein Freund der Uniformierten«, sagte er gutgelaunt. »Im Übrigen möchte ich euch davon abraten, irgendwelche Befreiungsversuche zu machen. Es gibt nur einen Ausgang aus eurem festen Verlies. Und der ist hier durch die Falltür, die für euch nicht erreichbar ist. Oder aber ihr müsstet gerade die Fähigkeit besitzen, an einer glatten Steinwand wie eine Eidechse hinaufzulaufen. Und nun adios, verehrte Freunde, lasst euch die Zeit nicht lang werden.«

Die Falltür schnappte ein, Schritte erklangen, die schwächer und schwächer wurden.

Wie elektrisiert sprang der Detektiv empor. Das Licht der Lampe blitzte auf und beleuchtete den Deckel dieser feuchtkalten Gruft, der mit einem einfachen, aus einem schweren Gewicht und einer Kette, die über drei Räder lief, bestehenden Mechanismus versehen war, der die Falltür stets sofort in ihre alte Lage, in der sie sich in die Dielen des Korridors einschmiegte, zurückschnellen ließ. Dieses Gewicht war es, worauf Schaper seine Hoffnung setzte.

Im Augenblick hatten die beiden ihre Jacketts ausgezogen und je einen Ärmel derselben zusammengeknotet. So besaßen sie eine Art Strick, der eine ziemliche Länge hatte. Dann nahm Bornemann die kleine Lampe in die Hand, beugte sich vornüber und ließ den geschmeidigen Detektiv an sich hochklettern. Bald stand dieser aufrecht auf den Schultern des anderen. Aber noch immer trennte ihn ein Abstand von fast einem halben Meter von dem Gewicht, das nahe der Wand vielleicht ebenso tief von der Falltür herabhing.

»Ordentlich feststehen – ich wage den Sprung!«, rief Schaper mit unterdrückter Stimme.

Im nächsten Moment hatte er sich auch schon von den Schultern Bornemanns abgeschnellt und mit beiden Händen die Kette des Eisengewichtes umklammert. Sie hielt, trotzdem sie arg verrostet war, auch diese neue Last aus.

Nun hatten die beiden Gefangenen gewonnenes Spiel. Dicht unter der Decke war ein starker Eisenhaken mit einer Rolle in die Mauer eingelassen. Über diese Rolle lief das zweite Ende der Kette durch eine Öffnung weiter und endete wahrscheinlich in dem Korridor hinter jener Biegung, hinter der Merwinski gelauert hatte, bis seine Opfer sich auf der Falltür befanden, deren Verschluss er dann durch einen Ruck an der Kette ausgelöst haben musste. Um diesen Haken schlang Schaper nun die beiden zusammengebundenen Jacketts, klammerte sich daran fest, erst mit einer, dann der anderen Hand, und ließ die Kette los. Da er nun auch mit den Füßen an diesem provisorischen Tau Kletterschluss nehmen konnte, hatte er die rechte Hand frei und vermochte die Falltür, wenn auch erst nach einiger Anstrengung, ein Stück herabzuziehen. Bald gelang es ihm auch, den Rand des Dielenbelags des Korridors zu erfassen. Dank seiner turnerischen Geschicklichkeit  zwängte er sich schließlich auch durch den Spalt nach oben – in die Freiheit. Hinter ihm schloss sich der Deckel dieser Menschenfalle wieder mit leisem Rasseln.

Jetzt erst, als er schnell in die Vorhalle schlüpfen wollte, um dort die Rückkehr Merwinskis zu erwarten, der inzwischen sicherlich die Banknoten aus ihrem Versteck hervorholte, merkte der Detektiv, dass er sich bei dem Sturz in das Verlies das linke Bein doch böse beschädigt haben musste. Vorhin, bei seinem meisterhaften Turnkunststück, war ihm der Schmerz in der Aufregung entgangen. Nur hinkend vermochte er sich bis an die Haustür zu schleppen, wo er sich, die entsicherte Pistole in der Hand, gegen die Mauer lehnte und gespannt in die Dunkelheit hinaushorchte.

Merwinskis Nahen kündigte sich durch tappende Schritte, die im Obergeschoss des Hauses laut wurden, bereits wenige Sekunden später an.

Jetzt erschien zunächst oben auf der Treppe, die Schaper gerade vor sich hatte, ein heller Lichtschein. Der Detektiv drückte sich, so tief er konnte, in die Türnische hinein. Trotzdem musste Merwinski ihn, wenn er zufällig dorthin sah, schon von Weitem bemerken, zumal seine Azetylenlaterne eine erhebliche Leuchtkraft besaß, während für Schaper sowohl die Gestalt als auch das Gesicht seines Gegners stets im Dunkeln blieb. Mithin war die Situation für den Detektiv recht unangenehm. Ihm lag sehr viel daran, dass er den Chemiker erst aus möglichst kurzer Entfernung anrief, damit dieser ihm nicht noch im letzten Augenblick entschlüpfen konnte. Diese Entfernung aber richtig abmessen – darin lag ja gerade die Schwierigkeit, weil er nie wissen konnte, ob der andere ihn nicht schon bemerkt hatte.

Inzwischen war Merwinski oben auf der Treppe erschienen. Schaper sah sofort, dass jener die Laterne heruntergeschraubt hatte, wohl aus Furcht, das Licht könne von draußen her beobachtet werden.

Gemächlich kam der Chemiker die laut knarrende Treppe herab. Am Fuß der Treppe machte er halt und schien zu überlegen. Noch war der Detektiv sicher, dass er von seinem Feind bisher nicht erspäht worden war. Dazu brannte die Laterne zu niedrig.

Dieser Augenblick, wo Merwinski so unschlüssig dastand, schien Schaper der geeignetste.

Mit einem mächtigen Satz, wobei sein Bein ihm freilich geradezu wahnsinnige Schmerzen bereitete, sprang er vorwärts, den Revolver in der erhobenen Rechten haltend.

»Rühren Sie kein Glied, oder ich knalle Sie nieder wie einen tollen Hund!«

Er brüllte es förmlich heraus, um den Überfallenen noch mehr einzuschüchtern. Aber dieses Schreckmittel versagte. Ein Donnerschlag, wohl der Schwerste des Gewitters, ließ das Haus in seinen Grundfesten erbeben und verschlang auch die ernstgemeinte Drohung.

Schaper selbst, halb betäubt durch die Plötzlichkeit dieser furchtbaren elektrischen Entladung, verpasste den richtigen Zeitpunkt, seinem Gegner zuvorzukommen. Merwinski, der fraglos über eiserne Nerven verfügte, hatte beim Anblick der auf ihn einstürmenden Gestalt blitzschnell seinen linken Arm erhoben. Das Aufleuchten eines Schusses – dicht am Ohr des Detektivs sauste das Geschoss vorüber.

Aber unmittelbar darauf ertönte auch schon eine zweite Detonation, noch bevor der Chemiker Zeit fand, den Zeigefinger abermals um den Abzug seiner Waffe zu krümmen.

Die Wirkung folgte augenblicklich. Merwinski ließ beide Arme sinken, Laterne und Revolver entfielen seinen Händen und er selbst sank kraftlos mit ächzendem Laut in sich zusammen. Schwer schlug sein Kopf auf die Fliesen der Vorhalle auf, seine Beine streckten sich wie im Krampf. Dann lag er regungslos da.

Schon hatte der Detektiv die Laterne ergriffen und kniete neben ihm. Aber ein einziger Blick auf die kleine, nur wenig blutende Einschussöffnung, die gerade in der Herzgegend saß, sagte Schaper auch, dass Merwinski nicht nur ohnmächtig war. Dieses Leben musste in der nächsten Sekunde entfliehen, falls es nicht überhaupt schon geendet hatte.

Mit einem Gefühl stillen Grauens, in das sich bittere Selbstvorwürfe mischten, beobachtete Schaper die Veränderung in den Gesichtszügen des Mannes, der nun starr und stumm vor ihm lag. Merwinskis weit aufgerissene Augen verloren den Glanz. Wie ein Schleier legte es sich über die Pupillen. Leichenblässe überzog die Wangen, das ganze Antlitz wurde schmaler, spitzer. Kein Zweifel mehr. Die Kugel hatte nur zu gut getroffen. Der Chemiker war tot.

Langsam erhob der Detektiv sich und hinkte zurück zu jener Stelle des Korridors, die vorhin ihm und Bornemann so verderblich geworden war. Weiter schritt er den Gang entlang, um die Biegung herum. Bald hatte er gefunden, was er suchte. Unter einem der vorspringenden Fensterbretter entdeckte er einen eisernen Ring, der etwas in die Mauer eingelassen war. Als er letzt daran zog, ließ sich der Ring ein ganzes Stück herauszerren. An ihm war eine eiserne Kette befestigt, die nun sichtbar wurde. Noch ein Ruck, ein deutliches Schnappen wie das Einschlagen eines Hakens in die Kettenglieder, und der Ring ließ sich nicht weiter bewegen.

Der Detektiv ging zur Falltür zurück und trat vorsichtig mit einem Fuß darauf. Sie gab nach. Schaper stützte sich nun auf die Hände und setzte sich auf den Dielenboden nieder, indem er gleichzeitig die bewegliche Holzklappe noch mehr herabdrückte, bis er zu Bornemann hinabschauen konnte.

Nachdem er diesen von dem Vorgefallenen kurz verständigt hatte, sannen sie auf ein Mittel, um den jungen Millionär aus dem Verlies zu befreien.

»Es wird nicht anders gehen«, meinte Schaper. »Ich muss versuchen, ob ich nicht das Längsstück des Treppengeländers, das mir vorhin schon recht wackelig vorkam, losbrechen kann.«

Dies gelang nach einiger Anstrengung tatsächlich. Der Detektiv vermied bei dieser Arbeit ängstlich, nach dem Toten hinzusehen, der mit gläsernen Augen in die Höhe starrte.

Für den körperlich wenig geschickten Bornemann war es nicht leicht, mithilfe dieser primitiven Kletterstange so weit emporzuklimmen, bis Schaper seine Hände ergreifen und ihn vollends emporziehen konnte.

»Merwinski ist also wirklich tot?«, war seine erste Frage.

Der Detektiv nickte nur.

Dann zogen sie ihre Jacketts, die Schaper glücklich von dem Haken heruntergeangelt hatte, wieder an und verließen das einsame Gebäude, in dem sich soeben ein schreckliches Drama abgespielt hatte. Bornemann warf beim Passieren der Vorhalle nur einen scheuen Blick auf die Leiche Merwinskis. Diese Nacht hatte ihm gezeigt, dass seines Freundes von vielen für so romantisch gehaltener Beruf doch Gefahren barg, von denen sich die Uneingeweihten so leicht nichts träumen ließen.