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Der Marone – Der Obiahhandel

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 28

Der Obiahhandel

Einige Zeit lang nach dem Weggang Cynthyas war niemand im Tempel des Obi, mit Ausnahme der stummen Gottheiten, da sein Priester seine Jüngerin über den See fuhr.

Dieser kehrte jedoch in wenigen Minuten allein zurück, nachdem er die Mulattin verlassen hatte, die auf den Felsen hinaufstieg und nach Willkommenberg zurückkehrte.

Es war klar, dass der Besuch der Mulattin ihm große Freude gemacht hatte. Selbst bei dem schwachen Licht der äußerst rohen Lampe vermochte man bei seiner Rückkehr in die Hütte aus seinem wilden Gesicht ganz deutlich den Ausdruck einer dämonischen Freude zu erkennen.

»Einer tot!«, rief er frohlockend, »der andere liegt auf dem Sterbebett, und der Dritte nun, der Letzte, aber der Schlimmste von allen – ha, ha, ha! – er soll bald die Rache Chakras, des Myalmannes fühlen!«

Dreimal erschallte hierauf das wilde, wahnsinnige Lachen unter den weithin ausgebreiteten Ästen der großen Ceiba und hallte von den das Teufelsloch umfassenden Felsen wieder. Es erschreckte sogar die Bewohner des düsteren Sees, und zugleich mit dem Echo wurde durch die Schlucht das Geschrei des Kranichs und der durchdringende Ruf des Waldibis vernommen.

Diese Töne waren kaum erstorben, als ein anderer von ganz verschiedenem Charakter vom Felsen herab gehört wurde. Er glich einem Schrei, oder er war vielmehr, als ob jemand auf den Fingern pfiff.

Der Mann, der dies tat, musste auf dem Felsen, und zwar gerade oberhalb der Hütte sein.

Chakra war darüber nicht sehr verwundert. Er wusste, es sei ein verabredetes und von dem Gast, den er erwartete, gegebenes Zeichen.

»Das ist der alte Jude!«, murmelte er, nahm die Rumflasche und verbarg sie unter der Bettstelle. »Da steh’ du nur, bis ich dich wieder brauche«, fügte er hinzu und richtete diese Worte vertrauensvoll an den Gegenstand seiner innigen Verehrung.

»Nun der Negerhändler! Für den habe ich Neuigkeiten, die sollen ihm wie eine alte Kopfeidechse in die Gedärme fahren! Horch, da pfeift er schon wieder!«

Dieser letzte Ausruf bezog sich auf die Wiederholung des früheren Zeichens weiter die Höhle hinunter, da der Pfeifende längs des Randes der großen Höhle näher zum Schlund hingegangen war.

Ein dritter Ruf kam dann von der Stelle, wo die einzige Möglichkeit zum Niedersteigen mit Hilfe der Baumstämme war. Er zeigte Chakra an, dass sein Besucher schon auf ihn wartete.

Ohne weiteren Aufschub kehrte der grimmige Fährmann, grimmiger vielleicht als selbst Charon, zu seinem Nachen zurück und ruderte mit ihm abermals über den See.

Ganz zur selben Zeit stieg ein Mann mühsam durch die verwickelten Schlingpflanzen den Felsen hinunter und stand bei der Ankunft des Nachens halb verborgen zwischen den Büschen unten am Rand des Sees bereit, in ihm Platz zu nehmen. Der Mond beschien einen blauen Leibrock mit blanken Knöpfen, einen braunen Biberhut und darunter eine weiße Nachtmütze, glanzlose Stulpenstiefel, eine große grüne Brille und einen großen Regenschirm.

Chakra hatte durchaus nicht nötig, die scharfen israelischen Züge des Mannes zu betrachten, um zu wissen, wer er sei.

Jakob Jessuron war einer früheren Verabredung zufolge hier, und der Myalmann kannte auch seine Absichten bei seinem Herkommen ganz genau.

Eine besondere Begrüßung fand gar nicht statt.

Lediglich, als der Jude sich von einem Baumast etwas heftig in den Nachen schwingen wollte, sagte Chakra: »Setzen Sie sich leise hin, Herr Jakob, und stoßen Sie den Kahn nicht den Strom hinunter. Ich muss mich schon anstrengen, dass er nicht dahin treibt, und dass wir nicht beide zu Schaden kommen.«

»Sei meiner Seele gnädig! Was sagt Ihr da?«, erwiderte der Jude, sah ängstlich nach dem Schlund hin und schauderte, als er das Toben und Brausen des Wassers zwischen den düsteren Felsen gewahrte. »Wahrhaftig, ich wusste nicht, dass es gefährlich sei. Fürchtet nichts, Schakra, ich will leicht sein wie eine Feder.«

Mit diesen Worten warf der Jude seinen Regenschirm zuerst in den Nachen und glitt selbst mit solcher Behändigkeit und Leichtigkeit in das Vorderteil desselben, als setzte er sich auf einen Korb mit Eiern.

Als der Fährmann seine Ladung sicher eingenommen hatte, ruderte er zu dem Ankerplatz zurück, befestigte seinen Nachen wie vorher und führte seinen Besucher das Tal hinauf, der Hütte zu.

Als er in den Tempel des Obi eintrat, zeigte Jessuron, ganz verschieden von der Verehrerin des Obi, die ihn erst kurz zuvor verlassen hatte, durchaus keine Furcht oder Verwunderung über seine phantastischen Zierraten. Es war klar, er war kein wirklicher Verehrer des Obi, aber schon früher in seinem Tempel gewesen.

Er setzte sich sofort ohne alle Umstände auf die Bambusbettstelle, stieß ein tiefes Ach aus, das wahrscheinlich seine Zufriedenheit ausdrücken sollte, und zog aus seiner großen Tasche einen glänzenden Gegenstand, der sich beim Lampenlicht als eine Flasche erwies, und zwar, wie das Etikett mit symbolischen Trauben zeigte, als eine Flasche mit Cognac.

Der bei dem Anblick der Cognacflasche ausgestoßene Ruf des Myalmannes bewies wohl zur Genüge seine Zufriedenheit mit dieser Art, die Zusammenkunft zu eröffnen.

»Habt Ihr ein Glas unter Euren Sachen?«, fragte der Jude und sah sich in der Hütte um.

»Nein, aber das wird’s schon tun«, antwortete der schwarze Wirt und reichte ihm eine kleine Kalabasse mit einem Henkel.

»Das Getränk lässt sich aus allem trinken. Ich habe es von Captain Showler auf seiner letzten Reise. Versucht’s einmal, guter Schakra, bevor wir das Geschäft beginnen.«

Ein Grunzen des Negers gab sofort seine Einwilligung zu diesem Vorschlag zu erkennen.

»Humm!«, stieß er dann aus, nachdem er das für ihn in die Kalabasse gegossene begierig hinuntergestürzt hatte.

»Ah, das ist gut!«, sagte der Jude, indem er eine gleiche Portion von dem Cognac schluckte, dann aber die Flasche samt Kalabasse zur Seite setzte.

Die beiden seltsamen Männer, doch auch beide listig und verschlagen, begannen nach diesen Vorbereitungen nun miteinander ihre eigentliche Unterhaltung. Der Jude fing zuerst zu reden an.

»Ich habe Neuigkeiten für Euch,« sagte er, »sonderbare Neuigkeiten, wenn Ihr sie noch nicht gehört habt, Schakra. Wer, glaubt Ihr wohl, dass er tot ist?«

»Hm«, rief der Myalmann aus und sein Auge leuchtete dabei in wilder Freude strahlend auf. »Ist er tot? Wirklich?«

»Wer? Ich habe ja nichts gesagt«, versetzte der Jude, dessen Züge einen Ausdruck von angenommener Verwunderung ausdrückten. »Aber richtig«, fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort. »Ihr wusstet, dass er krank war, Ihr wusstet, dass der Richter Bailey krank war und nicht wohl wieder besser würden konnte. Nun, der arme Mann ist tot und jetzt schon im Sarg.  Gestern ist er gestorben.«

Ein langes und stark betontes Humm! war die einzige von dem Myalmann erteilte Antwort. Dieser Ausruf drückte gerade keine besondere Betrübnis darüber aus, sondern im Gegenteil verriet er durch seine eigentümliche Betonung mehr Genugtuung, als Worte vielleicht ausgedrückt hätten.

»Es ist doch sonderbar«, fuhr der Koppelhalter im selben Ton angenommener Einfalt fort. »So kurze Zeit erst, nachdem Herr Ridgely gestorben ist. Zwei von den drei Richtern, die über Euch zu Gericht gesessen haben, guter Schakra! Es ist wirklich, als ob die Vorsehung eine Hand darin hätte, wirklich!«

»Oder auch wahrscheinlicher der Teufel!«, versetzte Chakra mit bedeutungsvollem Blick.

»So, Gott oder der Deibel, der eine oder der andere. Nun, Schakra, Ihr habt auf alle Fälle Eure Rache, wer auch immer dabei geholfen hat. Zwei von Euren Feinden können Euch nichts mehr anhaben, und was den Dritten betrifft, so …«

»Wird er mir auch nicht so sehr lange mehr schaden, hoffe ich«, unterbrach ihn der Neger mit bedeutungsvollem Grinsen.

»Was Ihr da sagt«, rief der Jude mit ernster und tiefer Stimme aus. »Habt Ihr was gehört? Hat das Mädchen Euch hier besucht?«

»Alles mit ihr ist Ordnung, Herr Jakob.«

»Gut, sie ist also hier gewesen?«

»Gerade weggegangen, vor einer Viertelstunde.«

»Und sie sagt, sie will Euch helfen, den Obiahzauber?«

»Habt keine Angst, sie wird das alles tun. Obis Zauber ruht auf ihr, der treibt sie, alles zu tun, ah, alles auf der Welt, ganz gewiss. Obis Gewalt über das Mädchen ist unbegrenzt.«

»Ja, ja«, stimmte der Jude zu, »ich weiß das alles. Und wenn Obi allein nicht wirksam und mächtig genug sein sollte«, fügte er listig lächelnd hinzu, »dann, guter Schakra, habt Ihr einen Trank. Ich weiß es, Ihr habt einen Trank, der eben so mächtig ist wie Obi oder irgendein anderer von Euren Göttern.«

Hier wurde ein Blick geheimen Einverständnisses zwischen den beiden gewechselt.

»Wie lange braucht Euer Zauber, um vollkommen zu sein?«, fragte der Koppelhalter nach einigem Stillschweigen, während dessen er einige Berechnungen anzustellen schien.

»Das«, erwiderte der Neger, »hängt ganz von den Umständen ab, in, welcher Zeit es verlangt wird, dass der Zauber wirken soll. Wird es verlangt, so kann Chakra es wohl machen, dass der stärkste Mann in drei Tagen nicht mehr in seinen Schuhen steht. In drei Stunden kann er es auch, aber das ist zu schnell. Ein Zauber von drei Stunden ist zu schnell. Das ist keine Obiaharbeit mehr, das sieht ganz nach Gift aus.«

»Gift, ja, ja, das ist wahr.«

»Drei Tage ist zu kurz, drei Wochen ist die rechte Zeit. Dann wirkt der Zauber ganz wie ein Typhusfieber und niemand schöpft dabei Verdacht.«

»Drei Wochen, sagt Ihr? Und keine Symptome, die Aufsehen oder Verdacht erregen? Seid Ihr gewiss, dass das auch genug ist? Erinnert Euch, der Kustos ist ein starker, kräftiger Mann.«

»Das ist alles gleich. Wenn er auch noch so stark und kräftig ist, in der Zeit wird er schwach und hinfällig! Aber das weiß jeder, Obi tut nichts umsonst, Herr Jakob! Bei Negern ist das etwas anderes. Neger sind nur schwarze Leute. Allein bei Weißen wirkt Obi nur, wenn er bezahlt wird.«

»Ja, ja, das ist nur billig und recht. Obi muss bezahlt werden. Darum sagt mir, guter Schakra, sagt mir nur gleich, wie viel kostet ein Zauber dieser Art in barem Geld?«

»Wenn Obi selbst kein Interesse bei der Anwendung des Zaubers hat, so muss er hundert gute Pfund haben. Wenn er aber selbst ein Interesse daran hat, so ist das verschieden, dann muss er fünfzig Pfund haben.«

»Fünfzig Pfund! Das ist doch wohl zu viel Geld, guter Schakra! In diesem besonderen Fall hat Obi wörtlich ein eigenes Interesse, mehr noch als jeder andere. Er hat einen Feind und will Rache. Ist das nicht richtig, guter Schakra?«

»Das ist ganz richtig, Chakra will es nicht leugnen. Aber gerade nur deshalb willigt Obi ein, den Zauber für fünfzig Pfund auszuführen. Obis Feind ist der große Bucra, und der ist stark und kräftig, wie Ihr selbst gesagt habt. Es ist deshalb sehr schwer, ihn zu verzaubern. Jeder andere Myalmann würde volle hundert Pfund nehmen. Aber kein anderer würde es überhaupt nur unternehmen, kein anderer hat die Macht dazu, nur der alte Chakra allein.«

»Sprecht nicht mehr vom Preis. Fünfzig Pfund soll er sein? Hier ist die Hälfte gleich.« Der Versucher drückte mit diesen Worten einen Beutel mit Geld in die bereits ausgestreckte Hand des Obiahmannes. »Alles, was ich dafür verlange, ist, dass Ihr in drei Wochen die andere Hälfte bekommt. Dann wollen wir uns beide über den Kustos Vaughan freuen, denn ich habe ebenso gut meine Rache hier zu üben, wie Ihr selbst, Schakra.«

»Genug gesprochen, Herr Jakob! Noch ehe drei Tage vergangen sind, soll der Zauber ihn fassen. Kehrt hier in die Höhle in der vierten Nacht nach dieser zurück und Ihr sollt hören, wie der Zauber wirkt. Humm!«

Die Kalabasse wurde jetzt wieder in Bewegung gesetzt, der Cognac noch einmal probiert, und dann verließen beide die Hütte und traten wieder ins Freie.

Der Priester des Obi führte seinen Mitverschwörer über den See, kehrte dann zu seinem Tempel zurück und setzte sich, um mit Muße das zu sich zu nehmen, was noch in der Cognacflasche übrig geblieben war.

»Humm!«, stieß er in einer zwischen zwei kräftigen und lang andauernden Zügen aus der Flasche entstandenen Pause aus. »Der alte schlaue Jude hat den Chakra zum Narren, hat den Teufel selbst zum Narren! Weiß nicht, wofür er Rache haben will. Nun, was kümmert’s mich! Ich will Rache nehmen, und, beim großen Accompong! Ich habe Ursache, sie zu nehmen! Wenn dies Mädchen sich lau erweist, wie die anderen – und sie muss lau sein – dann, in drei Wochen, wird der große, dicke Buckra, der stolze Richter, der mich zum Jumbéfelsen verurteilt hat – Custos rotulorum, wie sie ihn nennen – dann wird er nicht mehr Fleisch auf seinen Knochen haben, als das Skelett, das sie für das meine hielten. Und dann, wenn er tot ist, ha, wird die Tochter der Quasheba, die vor zwanzig Jahren die Liebe des Koromantis wegen des gelben Maronen verschmähte, wird diese kleine Quasheba in den Armen Chakras, des Myalmannes, schlafen! Humm!«

Wie der Priester des Obi diese schreckliche Erwartung mit der größten Zuversicht aussprach, flammte ein düsteres unheimliches Feuer in seinen eingesunkenen, tiefliegenden Augen, und seine großen weißen Zähne zeigten sich bei einem frohlockenden Gelächter, das so grässlich klang, als ob der Böse selbst über einen fürchterlichen Anschlag jubelnd lache.

Nun wurden die Cognacflasche als auch die Rumbuddel wiederholt eine nach der anderen probiert, bis der kräftige Körper des Koromantis dem noch kräftigerem Geist des Alkohols unterlag und er zuletzt, während er die schrecklichen Verwünschungen und Drohungen ausstieß, bewusstlos auf den Boden fiel.

Da lag er nun beim Licht der nur schwach flimmernden Schmalzlampe wie ein hässlicher, abschreckender Satyr, den Bacchus mit einem zornigen Stoß auf die Erde niedergeworfen hat.