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Gold – Kapitel 5.1

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 5 Teil 1
Ein Abend in San Francisco

Die Nacht brach an, und wie sich in jenen Ländern gleich nach Sonnenuntergang die Dunkelheit rasch und fast plötzlich auf die Erde legt, so unterbrach sie auch hier das geschäftige Treiben der Menge. Die Karren verschwanden. Die Lastträger, die, meist mit ihrem eigenen Gepäck, durch die Straßen gekeucht waren, brachten ihre Bürden unter, so gut das in der Eile ging. Die hell erleuchteten Spielsalons der Plaza sandten ihren vollen strahlenden Glanz durch die geöffneten Türen aus ins Freie. Lockten sie mit diesem doch nun mehr Menschen heran als in dem hellen Tageslicht, wo die meisten überdies andere Beschäftigung hatten. Jetzt war fast jeder frei, und in die zurückgeschlagenen Zelte und geöffneten Pforten strömten Scharen von Menschen.

Das Parkerhaus, das zu jener Zeit den geräumigsten und bestdekorierten Saal aufwies, strahlte besonders in heller, lichter Pracht. Um sämtliche Spieltische, deren jeder Einzelne eine enorme Pacht zahlen musste, drängten sich Leute, und hier galt weder Rang noch Stand – nur Gold.

Wieder kreischten dazu oben auf dem Orchester die Violinen, schmetterten die Trompeten und donnerten die Pauken. Durch den weiten, menschengefüllten Saal lief das dumpfe Murmeln der Menge, klang der Laut der springenden Münzen, und tönte manchmal der gellende Jubelschrei eines glücklichen Spielers oder der lästerliche Fluch eines Verlierenden. Zuweilen knallte auch ein Champagnerpfropf dazwischen – leicht gewonnenes Geld musste auch leicht vergeudet werden – und die Gläser der Zechenden klirrten zusammen. Aber den Gang des Spieles konnte das nicht unterbrechen, und den alten abgefeimten Spielern war das sogar ein angenehmer Ton. Die Leute, die dort ihr Geld verprassten, glaubten, sie hätten es gewonnen, und doch war es nur geborgt, denn in einer Stunde brachten sie es, den Feuerwein in ihren Adern, gewiss mit Zins und Zinseszins an die Bank zurück.

Mitten durch diese Tische, weder das Spiel noch den Saal selber weiter eines Blickes würdigend, drängte sich ein Mann. Schon die Hast, mit der er es tat, fiel hier um so mehr auf, da niemand Eile hatte. Man war hier eben hereingekommen, den Abend zu verbringen, und Schritt für Schritt, alle Augenblicke an einer oder der anderen Stelle Halt machend, wogte der Menschenschwarm im Saal auf und ab. Wer da schneller vorwärts wollte als die Übrigen, musste natürlich die ganze Ordnung stören.

»Hallo«, brummte ein Mann in einer blauen Bluse, den der Eilige etwas derb zur Seite geschoben hatte, indem er sich mehr erstaunt als ärgerlich nach ihm umsah. »Na, du wirst dein Geld doch in diesem verbrannten Nest noch früh genug loswerden, dass du in solcher Hast danach rennst. Was der Narr läuft!«

»Hat sich gewiss neuen Barvorrat geholt«, warf ein anderer lachend ein – ein Bursche, der einem Strauchdieb weit ähnlicher sah als einem ehrlichen Menschen. »Wenn er zurückkommt, geht er langsamer – er ist noch grün.«

»Je früher sie ihm dann die Flaumfedern ausrupfen, desto besser«, sagte der in der Bluse und drehte sich wieder einem der nächsten Tische zu, das Spiel zu beobachten.

Der Fremde hörte wahrscheinlich diese Bemerkungen gar nicht, oder wenn, so achtete er ihrer nicht, denn unaufhaltsam drängte er vorwärts. Sein ängstlich dabei umherschweifender Blick schien irgendjemanden im Saal zu suchen.

»Hier, Sir, hier ist der Platz, Ihre Taschen voll Gold zu gewinnen!«, rief ihn wohl hier und da einmal ein gerade nicht beschäftigter Spieler von einem oder dem anderen Tische an, konnte ihn aber nicht aufhalten, bis er plötzlich den, welchen er suchte, an einer Säule lehnend entdeckte und sich nun rasch zu ihm hinarbeitete.

»Siftly!«, rief er dabei, als er die Schulter des Mannes berührte. »Ich habe ihn gefunden!«

»Heda, Hetson?«, sagte der Amerikaner, sich langsam nach ihm umdrehend. »Mensch, was hast du? Du siehst ja leichenbleich aus!«

»Er ist da«, war die einzige Antwort, die er bekam.

Der junge Mann wandte scheu den Kopf, als ob er das gefürchtete Schreckbild schon auf seinen Fersen glaube.

»Er? Wer?«, fragte aber sein Freund ruhig, der andere Sachen im Kopf und die vorige Mitteilung des Mannes schon wieder vergessen hatte.

»Charles Golway!«, flüsterte da Hetson in sein Ohr, und sah ihn mit einem Blick an, als ob er sein Todesurteil von ihm erwarte.

»Charles Golway?«, wiederholte erstaunt der Amerikaner. »Ah, der Bräutigam?«

»Pst, um Gotteswillen!«, bat Hetson und drückte seinen Arm.

»Ach, sei kein Tor«, entgegnete der aber lachend. »Wer kennt hier den Burschen oder deine tollen Grillen, und wenn man sie kennen würde, wer kümmerte sich darum? Komm, lass den sein, wo er will, und setze dich. Der Tisch hier hat heute Abend schmähliches Unglück, und ich glaube, du hättest keine bessere Stunde wählen können, dich von heute Nachmittag her zu revanchieren.«

»Lass mich um Gotteswillen mit deinem Spiel«, bat aber Hetson, seinen Arm nur fester fassend. »Was soll ich tun? Gib mir deinen Rat.«

»Und wenn ich dir ihn gebe, befolgst du ihn doch nicht.«

»Versuch’s!«

»Gut – das aber ist auch mein letztes Wort in der langweiligen Geschichte. Lass ihn laufen und kümmere dich so wenig um Charles Golway in San Francisco oder Kalifornien, als ob Charles Golway auf dem Mond säße.«

»Du weißt nicht »Ich weiß genug, um dich ernsthaft zu bitten, dir alle solche albernen Ideen aus dem Kopf zu schlagen. Kommt er dir in den Weg und merkst du, dass er mit deiner Frau anbändeln will, so schieß ihn über den Haufen. Weshalb läuft der Narr hinter dem Weib eines anderen Mannes drein. Ist er aber nur aus Zufall hierhergekommen?«

»Aus Zufall?«, unterbrach ihn rasch und bitter der Unglückliche. »Er ist uns von Valparaiso aus direkt gefolgt.«

»Bon Valparaiso aus? Ich glaubte, du hättest ihn auf eine australische Fährte gebracht?«

»Er muss jedenfalls die Wahrheit erfahren haben«, stöhnte Hetson. »Und schon diese Hast bestätigt meinen schlimmsten Verdacht. Das Schiff, mit dem er angekommen, ist drei Tage später von Valparaiso ausgelaufen wie wir selber, aber schon vorgestern, also zwei Tage früher als wir hier eingetroffen.«

»Sein Schiss wird besser gesegelt sein als das Eure«, brummte der Amerikaner. »Aber wir vergeuden kostbare Zeit hier mit reinem Unsinn. Willst du spielen?«

»Lass mich mit deinem Spiel zufrieden«, sagte abwehrend der junge Mann. »Ich habe es nie geliebt und bin jetzt wahrlich nicht in der Stimmung, es zu beginnen. Hilf mir lieber den Fremden hier in diesem Gewirr einer Stadt aufsuchen.«

»Dass ich ein Narr wäre«, entgegnete Siftly lachend. »Wenn du dich mit nichts Besserem beschäftigen willst, kann dir das natürlich niemand verwehren. Mir aber erlaube meine Zeit nützlicher anzuwenden.«

Damit drehte er dem Freund den Rücken und wandte sich einem der anderen Tische zu, während Hetson, sich selber überlassen, allein zurückblieb. Hier aber hatte er keine Ruhe, und mit einem scheuen Blick über seine nächste Umgebung, drängte er der hinteren Saaltür zu, seine Frau im oberen Teil des Hauses aufzusuchen.

Er fand sie allein, in der noch dunklen Stube mit gefalteten Händen auf ihrem Bett sitzen. Wusste sie, dass ihr früherer Bräutigam angekommen war?

Hatte sie ihn vielleicht schon gesehen – gesprochen? Hetson wagte den Gedanken nicht auszudenken und trat nach kurzem Gruß an das Fenster und sah auf den dunklen Platz hinab.

»Hetson«, fragte da die Frau mit leiser Stimme. »Fehlt dir etwas?«

»Mir? – nein – warum?«

»Du bist so still. Ist dir etwas Unangenehmes begegnet?«

»Nicht dass ich wüsste, Kind«, sagte Hetson, das Herz jedoch zum Zerspringen voll. »Aber du bist noch im Dunkeln? Warst du allein?«

»Unser Schiffsarzt, der alte wackere Doktor Rascher, war den Nachmittag auf kurze Zeit bei mir«, sagte die Frau, indem sie zu dem Tisch ging und eine dort stehende Kerze anzündete. »Ich freue mich, dass wir ihn im Haus haben. Hier in dem wilden fremden Leben gewinnt ein Freund doppelten Wert.«

»Du fühlst dich nicht wohl hier?«

»Wohl?«, seufzte die Frau und warf einen wehmütig lächelnden Blick in dem kleinen Gemach umher, in dem ihr Gepäck noch wild und unordentlich umhergestreut stand. Befand sich doch nicht einmal ein Möbelstück darin, selbst nur das Notwendigste unterzubringen. Ein großes Bett, ein Tisch und zwei Stühle bildeten das ganze Ameublement. Alles schien von neuen, kaum gehobelten Brettern nur erst frisch und notdürftig zusammengefügt. Von Tapeten war dabei keine Spur. Nicht einmal für die Fensterrahmen oder Türen hatte man bisher Zeit gehabt, diese anzustreichen. Decke, Dielen und Wände bestanden ebenfalls nur aus nacktem Tannenholz, gegen das der Mahagonitisch und die beiden Stühle aus Kirschbaum eben nicht freundlich abstachen.

»Wie kann man sich hier wohlfühlen, Frank. Und dazu der ununterbrochene wilde und wüste Lärm, das ewige Türenschlagen, bei dem jedes Mal das ganze Haus zittert und die Fensterscheiben klirren – das Rennen der Leute in den Gängen, als ob sie fortwährend irgendein geschehenes oder gefürchtetes Unglück in Aufregung hielte. Ich wollte, wir wären nicht nach Kalifornien gegangen.«

Der Mann erwiderte kein Wort. Er war zum Tisch getreten und hielt Stirn und Augen mit seiner rechten Hand bedeckt. Als die Frau aber zu ihm aufschaute, konnte ihr die Blässe nicht entgehen, die seine Züge überzogen hatte.

In plötzlicher Angst seinen Arm ergreifend, rief sie rasch: »Um Gott, Frank, du bist krank. Dein Antlitz ist totenbleich. Was ist geschehen?«

»Nichts, mein Herz«, sagte leise der Mann. »Ich bin nur müde vom vielen Umherlaufen. Aber du hast recht, der Aufenthalt hier in diesem eingezwängten, ungemütlichen Raum kann dir nicht angenehm, ja muss dir unerträglich sein. Scheint er doch selbst schlimmer noch als der an Bord, und doch befinden wir uns hier in dem größten und wohnlichsten Gebäude der ganzen Stadt. Je eher wir also San Francisco verlassen, desto besser, und ich will schon morgen Anstalten dazu treffen.«

Die Frau hatte die Worte kaum gehört, denn ihr Blick hing noch immer an den verstörten Zügen des Gatten, dessen Aufregung ihr kein Geheimnis bleiben konnte.

»Sage mir, was du hast, Frank«, flüsterte sie, sich leise an ihn schmiegend. »Dir ist etwas geschehen, du magst es leugnen, wie du willst. Ich sehe es an deinem ganzen Wesen, an dem Zittern deiner Glieder. Vertraue es mir, bei meiner Liebe zu dir beschwöre ich dich und lass mich nicht, mit dieser freudlosen Außenwelt, noch fürchten müssen, dass ich auch dein Vertrauen verscherzt habe.«

Hetson ließ seine Hand langsam sinken und blickte einen Moment scharf und forschend in die Augen seiner Frau. So treu und unschuldig schauten ihn diese aber an. Sie konnte nicht falsch sein – konnte nicht – noch nicht wenigstens – um die Nähe des früheren Geliebten wissen. Aber sollte er selber ihr nun sagen, dass er angekommen, dass er da sei? War es nicht möglich, dass sie ihm doch noch entgehen, doch noch die sicheren Berge erreichen konnten, ehe der Verfolger auf ihre Spur kam?

Frank …«, bat die Frau, »was hast du? Was bewegt dich? Sind es die alten Träume und Sorgen, die dir den Sinn trüben? Ich hoffe nicht. Hab ich nicht alles getan, was in meinen Kräften stand, dir zu beweisen, wie die Vergangenheit tot für mich ist, und ich nur dir gehöre nur Dir gehören kann? Bin ich nicht selber in dieses abgelegene Land gefolgt. Verlangst du einen stärkeren Beweis meiner Liebe?«

»Abgelegen?«, flüsterte Hetson verstört vor sich hin. »Nicht abgelegen genug, dass jener Unglückselige nicht hierher den Weg finden sollte.«

»Glaube das nicht«, bat aber tröstend die Frau.

»So wie ich Charles kenne, glaube ich überzeugt zu sein, dass er jeden Versuch, mich wiederzusehen, aufgeben wird, sobald er nur erst erfahren hat, dass ich eines anderen Frau bin.«

»Charles«, zischte Hetson durch die zusammengebissenen Zähne vor sich hin.

»Stört dich der Name, Frank?«, bat die Frau leise, indem sie ihren Kopf an seine Schulter legte.

»Denke, wie lange ich seiner nur unter dem Namen gedacht, dass mir der andere fast fremd geworden ist. Aber auch das will ich vermeiden, und gebe Gott, dass nicht einmal Mister Golway mehr zwischen uns genannt zu werden braucht.«

»Ich glaube dir, ich glaube dir«, flüsterte erregt der Mann, »aber er selber wird dafür sorgen, dass das nicht geschieht. Du traust ihm zu viel Edelmut, zu viel Kraft der Entsagung zu.«

»Nein, Frank, gewiss nicht«, sagte zuversichtlich die Frau. »Wenn du dich nur selber dieser trüben unseligen Gedanken entsagen könntest, würdest du auch wieder froh und heiter werden. Mutwilliger hat sich noch niemand das Leben verbittert als du selbst, und während du …«

»Mutwilliger?«, unterbrach sie der Gatte, indem er sich rasch und heftig emporrichtete. »Mutwilliger sagst du? Glaubst du, das Schreckgespenst, das mich die ganze lange Reise über gequält hat, gehöre nur der Fantasie, gehöre nur meiner kranken, überspannten Einbildungskraft an, wie du mich immer glauben machen wolltest? Er ist hier.«

»Wer, Frank, um Gotteswillen wer?«, fragte die Frau zu Tode erschreckt.

»Wer? Dein Charles, wenn du denn wirklich noch nichts von seiner Anwesenheit weißt. Er ist dir gefolgt – zu welchem anderen Zweck, als dich mir abtrünnig zu machen?«

»Es ist nicht möglich«, hauchte die Frau, und trat erblassend einen Schritt zurück.

»Nicht möglich?«, wiederholte Hetson mit fest aufeinandergebissenen Zähnen. »Und doch kann ich dir das Schiff nennen, mit dem er drei Tage später als wir selber von Valparaiso ab- und uns nachgefahren ist. Er hat sich nicht einmal Zeit genommen, in Chile von der langen Reise zu rasten, und die erste Gelegenheit benutzt, seine Pläne durchzusetzen.«

Die Frau erwiderte kein Wort, sondern barg erschüttert das Antlitz für einen Augenblick in den Händen. Es war aber auch nur ein Augenblick, denn rasch richtete sie sich wieder empor und rief: »Und wenn er hier wäre, Frank, hast du so wenig Vertrauen zu deiner Frau, dass du dir solche Sorgen, solchen Kummer machst?«

»Es war deine erste Liebe«, flüsterte scheu der Mann. »Nur wenige Stunden lagen dazwischen, und er fand dich noch frei – frei, deine Hand dem zu geben, zu dem dich dein Herz zog. Ich selber bin dir solcher Art nur aufgedrungen – in blindem Zufall angetraut. Ich weiß, dass ich ein Gut halte, das nicht mein gehört und – bin nicht imstande, es wieder aufzugeben.«

Der Mann war außer sich, und in dem Gefühl des furchtbarsten Schmerzes, der ihm die Brust durchzuckte, warf er sich auf das Bett und barg sein Antlitz im Kissen.

Die Frau war starr und regungslos in ihrer Stellung geblieben, ihm nur mit den Augen folgend. Glitten denn nicht vor ihrem inneren Blick nun all die alten, mit Gewalt fast unterdrückten Bilder vorüber, die er mit törichtem Leichtsinn selbst zu neuem Leben weckte?

Ja – sie hatte jenen ersten Freund ihrer Jugend geliebt – geliebt mit aller Kraft, deren ihr starkes Herz fähig war, und jener erste Augenblick, in dem sie erfuhr, dass er noch lebe, dass er nicht für sie verloren gewesen, und sie nur durch ihr eigenes am Altar gesprochenes »Ja« für immer unwiederbringlich von ihm geschieden sei, stand in dem Moment mit neuer furchtbarer Schärfe vor ihrer Seele. Aber Hetson war ihr Gatte.

Freiwillig hatte sie ihm die Hand gereicht. Sie wusste, mit welcher treuen, innigen Liebe er an ihr hing. Als sie die Hand fest und krampfhaft auf ihr Herz drückte, drängte sie auch das letzte fremde Gefühl zurück, das dort noch vielleicht zwischen ihr und dem Gatten gestanden hatte.

Leise, als fürchte sie ihren eigenen Schritt zu hören, trat sie zu dem Bett, auf dem der Gatte saß. Leise legte sie ihren Arm um seinen Nacken und flüsterte: »Frank!«

Er antwortete ihr durch nichts wie das stärkere Zittern seiner Glieder.

»Frank«, wiederholte sie – und das Wort war nur wie ein Hauch, der sein Ohr kaum streifte, aber doch bis in seine innerste Seele drang. »Frank, sei ein Mann. Wenn auch mein Herz an dem früheren Geliebten hing, wenn auch meine Jugendträume nur an seiner Seite ihr Glück zu finden glaubte, so ist das nun vorbei. Ich bin deine Frau, und bei allem, was dir und mir heilig ist, schwör ich dir, dass jetzt kein anderer Gedanke mir die Brust erfüllt, als dich dem Leben, dich mir wiedergeben zu sehen. Was früher war, es existiert nicht mehr. Seit jener Stunde, wo ich dein Eigen wurde, hat ein neues Dasein für mich begonnen. Als ich deinen Namen annahm, will ich mir nun auch deine Liebe für ewige Zeit erhalten. Glaubst du mir jetzt?«

»Jenny … meine süße … liebe Jenny!«, rief da der Mann, seinen Arm um sie schlagend.

Es ist gut, dass du dich mir gegenüber endlich ausgesprochen hast, fuhr die Frau fort. Jener innere Gram hätte dir sonst in seiner furchtbaren heimlichen Kraft das Herz zernagt, ohne dass ich imstande gewesen wäre, dir zu helfen. Jetzt, da du alles, was dir die Brust bedrückte, mir gegenüber ausgeschüttet hast, kann ich auch frei zu dir sprechen, können wir uns verständigen, und alles … alles wird nun gut werden.«

»Und jener … Charles?«, flüsterte Hetson so scheu, als ob er selber fürchte, das Wort nur auszusprechen.

»Wenn er uns wirklich begegnen sollte, wird er die Stellung achten, in der er jetzt mich findet – muss er sie achten, oder er verdiente nicht auch nur den Schatten der Gefühle, die ich einst für ihn gehegt habe. Bist du nun beruhigt?«

Hetsons Arm umschlang sie fester. Und wie sie sich über ihn bog und ihre Lippen seine Stirn berührten, löste sich der starre Schmerz des Mannes in lindernde Tränen auf. Er weinte, wie er je in seiner Kinderzeit geweint hatte. Über ihn gebeugt, sein Haupt in ihren Armen haltend, stand die Frau.