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Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas 04

Mythen-und-Sagen-der-IndianerUnätsi

Unätsi war das schönste Mädchen unter den Wyandot-Indianerinnen. Alle jungen Männer dieses Stammes machten ihr daher auch fleißig den Hof, doch keiner davon konnte sich einer besonderen Begünstigung rühmen. Die heiratslustigen Jünglinge beriefen daher eine heimliche Versammlung ein, um über die Art und Weise zu konferieren, wie Unätsi zu einer bestimmten Erklärung zu zwingen sei. Nach langem Debattieren wurde dann beschlossen: erstens, dass jeder von ihnen seine Bewerbungen einzustellen habe, und zweitens, dass ihr alter Häuptling beredet werden sollte, die schöne Jungfrau zu freien.

Der letzte Beschluss gefiel dem alten Häuptling außerordentlich. Gleich bemalte er sich mit den schönsten Farben und nahm seine besten Waffen zur Hand, als ob er in einen gefährlichen Krieg zöge. Aber er marschierte sichtlich doch nur halb so freudig, als ob er der Kriegstrommel folgte oder dem fliehenden Feind nachjagte. Der Gang kam ihn offenbar recht hart an. Aber der erste Tag des Liebäugelns und Scharmierens noch härter. Am zweiten Tag wurde es ihm schon bedeutend leichter ums Herz, und am dritten schwor er sogar bei Homendisu und Dairschuuruno, der liebenswürdigen Unätsi jeden Wunsch zu erfüllen, den sie an ihn richten würde.

Das war denn gerade, was die Schöne wollte. Sie nahm ihn daher auch gleich beim Wort und befahl ihm, ihr in Bälde den Skalp eines bestimmten Seneca-Häuptlings zu bringen, den sie bitter hasste.

Nun bereute der verliebte Wyandothäuptling seine Voreiligkeit zu spät und suchte sie mit dem ganzen Aufwand seines Rednertalents und der untertänigsten Liebenswürdigkeit, deren er fähig war, zu bewegen, doch um alles in der Welt davon abzustehen, denn jener Häuptling sei sein bester und intimster Freund, sie seien zusammen aufgewachsen, hätten zusammen gegessen, getrunken und sich in ihrem Leben noch nie beleidigt. Einen solchen Freund könne er unmöglich umbringen.

Aber er stieß auf taube Ohren. Das Einzige, was Unätsi erwiderte, war, dass, wenn er nicht bei allen Leuten seines Stammes als unverschämter Lügenhund ausgeschrien werden wolle, er schleunigst sein Versprechen erfüllen müsse.

Und er erfüllte es auch. Gegen Abend schlich er sich ungesehen in die Hütte seines Freundes und skalpierte ihn. Doch als er den erschütternden Skalpruf ertönen ließ, wurde er von einigen schnellfüßigen Seneca ergriffen und ebenfalls skalpiert. Darauf entspann sich zwischen beiden Stämmen ein dreißigjähriger Krieg, der damit endete, dass die Wyandots fliehen und ihre Frauen und Kinder größtenteils zurücklassen mussten, die dem unbarmherzigen Tomahawk und dem Skalpiermesser der Seneca zum Opfer fielen.

Auch Unätsi teilte dieses Schicksal.

Quelle:

  • Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas, Jena 1871