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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 25

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 25

Die Belagerten behaupten wohl das Feld, müssen doch wieder flüchten und endlich signalisieren sie ein fremdes Schiff

Sie hatten die kleine Garnison verlassen, als die Feinde an zwei verschiedenen Stellen über die Palisaden sprangen und damit auch den Sieg schon vollkommen errungen zu haben glaubten. Die Belagerten wussten aber auch recht gut, dass sie, wenn hier bewältigt, jedenfalls verloren wären und gut mit Waffen versehen. Da jeder von ihnen eine zweite geladene Flinte neben sich liegen hatte, warfen sie sich trotzig und keck dem eingedrungenen Feind entgegen, der sich hier ganz unerwarteter Weise noch einmal vom Feuergewehr begrüßt und zurückgetrieben sah. Drei von den fünf fielen von den Kugeln, der Vierte von Pulo-Pulos Kolbenschlag, als er eben einen Stoß mit seiner Lanze nach ihm führen wollte, der Fünfte entging mit knapper Not den nach ihm geführten Stößen der beiden Malaien. Aber andere folgten nach. Die Besatzung mit einen inneren Feind beschäftigt, behielt keine Zeit die Palisaden zu bewachen. Pulo-Pulo sah sich plötzlich von zwei anderen, über die Palisaden gesprungenen Kriegern angegriffen, während ein dritter, dicht hinter ihm sich über die scharfe Brustwehr hob und mit dem Kris zwischen den Zähnen sich eben herüberschwingen wollte, als ihn ein Schlag von außen auf den Schädel traf. Der Kris entglitt seinen Zähnen, fiel in die Einfriedigung nieder und mit schwerem Fall stürzte der Körper des Bewusstlosen nach, während sein lautes fröhliches Hurrah! – der den Bewohnern der Küste nur zu wohl bekannte Schlachtruf der Europäer – die Feinde mit einem panischen Schrecken erfüllte, den Herzen der Belagerten neue Hoffnung gab.

Es war Fritz, der mit dem scharfen Ruder als Waffe eben zur rechten Zeit kam, um dem Kampf eine neue und für die Bedrängten heilvolle Wendung zu geben, denn die Sumatraner, durch den fremden Laut getäuscht und hier noch einen neuen Feind fürchtend, wo sie schon mit dem alten alle Hände voll zu tun hatten, suchten nach allen Richtungen hin das Freie zu gewinnen, um nicht umzingelt und gefangen zu werden. Pulo-Pulo selber stand im Anfang erstaunt und überrascht und glaubte in der Tat, ebenso gut wie die Feinde, dass ihnen wunderbarerweise eine neue Verstärkung durch irgendeinen glücklichen Zufall gekommen wäre. An den jungen Deutschen, den er für tot hielt, hatte er gar nicht mehr gedacht.

Fritz, der jetzt wohl einsah, wie sie nur der Überraschung diese auch nur augenblickliche Rettung dankten und einem zweiten Angriff, dem sie doch jedenfalls wieder ausgesetzt sein mussten, schwerlich mehr würden begegnen können, sammelte die kleine Horde, die eifrig beschäftigt war, die abgeschossenen Gewehre wieder so rasch als möglich zu laden, unter dem Baum, sagte ihnen, dass er ein Kanu in der Mündung des Baches liegen habe, forderte sie auf, ihm dorthin mit allem, was sie tragen könnten, so rasch wie möglich zu folgen. Aber wohin? Gleichviel, nur fort von dieser Küste, wo sie, einmal entdeckt, nicht hoffen durften, dem Tod oder der Gefangenschaft zu entgehen. Schlimmeres konnte ihnen draußen in See auch nicht begegnen und nun bot ihnen das so unerwartet gefundene Boot wenigstens noch Aussicht auf Rettung.

Außerdem hatten sie auch Verwundete, Xuning war von einer Lanze durch die Schulter, der eine Malaie von einem Kris durch den linken Arm und in die Seite gestochen. Beide fühlten sich schon so ermattet, dass, als die erste Aufregung des Kampfes vorüber war, der Chinese ohnmächtig wurde und der Malaie sich ebenfalls im Schmerz seiner Wunden unter den Baum legte.

Es war also keine Zeit weiter zu verlieren, hätten die Sumatranen in diesem Augenblick einen neuen Angriff versucht. Die kleine Besatzung würde ihnen nicht länger haben widerstehen können. Pulo-Pulo kam auch rasch zu einem Entschluss, die Palisaden an einer Stelle, die sie zum Aus- und Eingang bestimmt hatten. Aus dem Boden hebend, dass die Passage frei wurde, griff er den bewusstlosen Chinesen auf und folgte dem jungen Europäer, der sich mit so viel Kokosnüssen belud, wie er nur tragen konnte, zu dem nicht fernen Kanu. Der Malaie wurde von dem anderen unterstützt und Tji-kandi bildete den Nachtrab mit einem Korb voll saftiger Früchte. Die Verwundeten erst einmal an Bord, kehrten alle noch einmal rasch und heimlich zum Lager zurück, noch einiges an Proviant und Waffen mitzunehmen. Aber sie rafften nur in ängstlicher Hast zusammen, was ihnen am nächsten lag. Von dem wilden Feind bedroht, wussten sie nicht, ob er nicht vielleicht schon den nächsten Moment aufs Neue über sie hereinbräche und ihnen den letzten Ausweg zur Flucht abschnitt. Erst im Boot und draußen in offener Bay, von der nach nördlich setzenden Strömung rasch am Strand hinauf, weiter und weiter von ihren Feinden fortgeführt, fühlten sie sich gerettet, beruhigt und arbeiteten mit etwas langsameren, regelmäßigen Ruderschlägen der offenen See zu, wo sie allein hoffen durften, ein Schiff zu treffen, das sie der Todesgefahr, in der sie tagelang geschwebt hatten, entzöge.

Und nicht eines Augenblicks Rast gönnten sie sich dabei, denn im Osten dämmerte schon der Tag. Wurden sie vom Ufer aus noch entdeckt, so blieben sie immer der Gefahr ausgesetzt, von den erbitterten Feinden verfolgt und eingeholt zu werden. Als die Sonne endlich über dem blitzenden Meeresspiegel emporstieg, und das Land schon in ziemlicher Ferne hinter ihnen lag, auch kein einziges Boot, dem Ufer zu, erkennbar war, da erst atmeten sie frei auf. Die Gefahr, der sie allerdings noch immer mit dem schwergeladenen Boot einer nur etwas höher gehenden See gegenüber ausgesetzt blieben – ja die Möglichkeit sogar, dass sie irgendeinem anderen Seeräuber in die Hände fallen könnten, däuchte ihnen gegen den gewissen Tod, dem sie erst in dieser Nacht entgangen waren, viel zu unbedeutend, ihre Herzen mit Sorge zu füllen.

Einer aber war bei ihnen am Bord, dem die freie Luft hier draußen und der sonnige Himmel, wenig mehr nützen sollte. Xuning, der Chinese war, nachdem er wieder zu sich gekommen, im Anfang wenigstens so viel Kraft und Besinnung behalten hatte, seinen Platz vorn im Boot einzunehmen, um den Rudernden nicht im Weg zu sein, kränker und kränker geworden. Tji-kandi, der einige Kunde in der Wundarznei seines Landes hatte, schüttelte gar ernst mit dem Kopf und behauptete, die Lanzenspitze wäre vergiftet gewesen. Dabei brannte die Sonne heißer und heißer auf ihre Häupter nieder, der Verwundete fing an zu fantasieren und warf sich ein paar Mal so heftig herum, dass er das kleine Boot in Gefahr brachte. Aber seine Kräfte erschlafften bald, eine Stunde später konnte er die Arme und selbst den Kopf nicht mehr heben. Fritz bog sich über ihn, ihm noch etwas Kokosmilch einzuflößen, wenn auch seine Lippen in Fieberhitze glühten, er vermochte die Labung nicht mehr einzuziehen.

Eine Zeitlang lag er ganz still und regungslos, nur das leise Röcheln seiner Brust verriet, dass er noch atmete. Die Schulter war ihm dabei hoch und dick angeschwollen, das Antlitz mit Blut unterlaufen. Auf einmal schien es fast, als ob er seine Besinnung wieder gewönne. Er wollte sich aufrichten und die Blicke flogen wirr und ängstlich von einem zum anderen und dann über die öde Fläche des Meeres. Aber es war das nur ein Moment, der letzte Kampf des endenden Lebens mit dem Tod. Als er wieder zurücksank auf sein Lager, streckte er sich, heftete die Augen starr und gläsern an den blauen Himmelsdom, der mit seinem sonnigen Licht zum letzten Mal auf ihn hernieder gelächelt hatte – er war tot.

Die kleine Mannschaft saß still und traurig, die Ruder eingezogen, bei der Leiche. Wieder war einer aus ihrer Mitte geschieden und der Tod schien Opfer nach Opfer zu fordern in langsamer aber sicherer Reihenfolge.

Auch der Malaie war recht krank geworden und in düsterem Schweigen starrten die Männer vor sich nieder, denn wie lange noch und sie alle deckte vielleicht die helle Flut. Aber nicht sinnen und grübeln durften sie lang, wo der Augenblick Taten von ihnen verlangte.

»Hebt den Leichnam über Bord!«, sagte Pulo-Pulo mit leiser, aber doch von jedem verstandener Stimme. »Wir haben nichts an seine Füße zu binden, Allah möge ihm sanfte Ruhe geben. Hinüber mit ihm.«

Tji-kandi und Fritz, denen das Wort galt, hoben schweigend den Körper auf den Rand des Bootes. Der Malaie hielt dort einen Augenblick, zuerst ein leises Gebet zu murmeln. Auch das Herz des jungen Europäers war voll zum Zerspringen und sein Auge haftete in brünstigem Gebet am blauen klaren Himmel. Ein Christ und ein Mohammedaner beteten für die Seele ihres heidnischen Kameraden. Keiner von ihnen dachte daran, dass Gott einen Unterschied machen könne zwischen ihnen. Das Unglück bringt uns überhaupt einander näher. Weit in der fremden Welt draußen, von den Wundern des Allmächtigen umgeben, denken wir nur an den allliebenden Vater da oben und es fällt uns nicht ein, dass er einen Unterschied zwischen seinen Kindern machen könne, weil sich die einen nach Osten, die anderen nach Westen neigen, um zu ihm zu beten – sind doch alle seine Kinder.

Nachdem das kurze Gebet beendet war, ließen die beiden den Körper langsam ins Wasser nieder – aber sie schauten sich nicht wieder nach ihm um – sie hatten kein Gewicht an seine Füße zu binden und wussten, dass er oben treiben würde, den Fischen eine sichere und willkommene Beute. Auch Pulo-Pulo hob das Ruder aus dem Wasser und neigte das Haupt, als das Kanu langsam an dem Körper vorbeistrich. Dann aber, mit Macht sich in die Ruder legend, arbeiteten die vier Männer aus Leibeskräften hinweg, um aus der Nähe der Leiche zu kommen.

Damit sollte auch, wie es schien, ihre Not ein Ende erreicht haben, denn von da an waltete ein günstigerer Stern über ihrer Bahn. Mit ruhigem Wetter ihren Kurs getrost in das weite Meer hinein verfolgend, ruderten sie trotz der Hitze unverdrossen bis Abend weiter, als Pulo-Pulo plötzlich in die Höhe sprang und mit freudigem Ruf ein Segel kündete. Er hatte sich nicht geirrt, zwar noch weit entfernt, aber wie sich kaum mehr verkennen ließ, in ziemlich gerader Richtung auf sie zuhaltend, trat bald immer deutlicher das hohe Mastwerk eines europäischen oder amerikanischen Schiffes hervor. Aber der Wind schlief fast ganz ein und die Nacht brach an und noch war es immer nicht nah genug, den Rumpf von ihrem Kanu aus zu erkennen. Also durften sie auch gar nicht hoffen, von dort aus gesehen zu werden. Gleich nach Sonnenuntergang frischte aber die Brise wieder auf, und Pulo-Pulo nahm eines der noch nicht gebrauchten trockenen Ruder, brach es in Stücke und einen Teil zuspitzend, begann er damit, indem er sein ganzes Gewicht in den Druck legte, den anderen rasch zu reiben. Nach wenigen Minuten schon stieg ein leichter Rauch auf und der geriebene Teil des Holzes färbte sich schwarz und nach zehn Minuten etwa begann das durch das Reihen entstandene feine Holzmehl sich, zu entzünden und zu glühen. Ein Stück Kokosbast, das der Malaie als Gürtel um den Leib trug, fing rasch daran Feuer. Es war nun leichte Mühe, etwas fein gespaltenes Holz damit zu heller Flamme zu bringen.

Dies Feuer unterhielten sie jetzt vorsichtig, bis sie an dem helleren Horizont die Umrisse des ganzen Schiffes klar und deutlich entdeckten und fachten dann die Flamme durch aufgelegte dünne Späne, aus dem anderen Ruder wie einem der Lanzenschäfte gespalten, an, dass sie hoch aufloderte. Zu gleicher Zeit vereinigten sie ihre Stimmen zu einem lauten Ruf und schossen mehrfach ihre Gewehre ab, wenn auch der Wind von dem Schiff herwehte und sie kaum hoffen durften, dort an Bord wirklich gehört zu werden.

Das Feuer war gesehen worden. Einer der Leute an Bord, der in die Wanten stieg, um dort aufgehangene Wäsche herunter zu nehmen, hatte den lichten Schein bemerkt und es dem Kapitän gemeldet. Dieser traute jedoch im Anfang nicht recht – es konnten auch feindliche Prahus sein, die mit ihren langen aber scharfschießenden Kanonen oft schon größeren Schiffen gefährlich geworden waren und luvte eher noch ein wenig weiter in den Wind an, mehr Seeraum zu bekommen. Der aufsteigende Mond beleuchtete aber das Wasser schon genug, um auf die kurze Entfernung hin das einzelne Boot erkennen zu lassen. Noch näher kommend vernahmen sie sogar die Schüsse und Rufe.

Jetzt fiel der Bug vor dem Wind ab, dem auf dem Wasser hell funkelnden Licht gerade entgegen. Vorn auf dem Bugspriet stand ein Matrose zum Ausschauen, dem Steuernden zuzurufen, wenn sie zu nah herangelaufen wären oder er sonst eine Gefahr bemerkte. In Lee waren mehrere von den Leuten postiert, dem Boot oder Floß, was es sein mochte, beim Passieren ein Tau zuzuwerfen. Dicht hinan gekommen ließ der Kapitän seine Vorsegel back brassen.

Jetzt waren sie da – die Taue flogen aus und wurden von jubelnd danach ausgestreckten Armen gefasst und festgehalten. Wenige Sekunden später lag das kleine Boot in Lee vom Schiff. Eines der Taue wurde um den Leib des verwundeten Malaien gelegt, um diesen an Bord zu heben. Als Pulo-Pulo das letzte Tau aus dem Kanu den zu ihm niedersteigenden Matrosen hinaufgereicht, löste er die Taue und kletterte nun selber an Bord. Als die Rahen wieder herumflogen, das Schiff gegen den Wind aufluvte und sich die Segel füllten, blieb das Kanu in seinem Fahrwasser zurück. Nur die im Bug desselben noch lodernde Flamme, die bereits seine Seitenwände ergriffen hatte, glühte noch wie ein matter, auf dem Wasser schwimmender Stern zu ihnen herüber, bis auch dieser in Nacht und Dunkelheit verschwand.