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Der Marone – Die schadhaften Hosen

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 11

Die schadhaften Hosen

Smythje war dem Führer gefolgt, den ihm der Räuberhauptmann mitgegeben hatte, und quälte sich in trüber Stimmung nach Hause.

Wie verschieden war sein verzagtes, niedergeschlagenes Aussehen von dem modisch gestyltem Jäger von heute Morgen!

Die Vergangenheit drückte ihn eigentlich nicht so sehr schwer, denn er hatte sich über keine wirklich körperlichen Schädigungen zu beklagen. Der seinem schönen Kleid zugefügte Schaden sowie das Geld, was er unter die vermeintlichen Räuber verteilt hatte, waren für einen reichen Mann, wie er es war, wahre Kleinigkeiten. Darüber quälte er sich nicht, noch galt seine Sorge überhaupt der Vergangenheit. Nein, diese war lediglich auf die Zukunft, auf etwas, was noch vor ihm lag, gerichtet.

Und was mochte diese Sorge nur sein? Jedenfalls war es nicht mehr die Unannehmlichkeit, mit einem leeren Wildbretkorb zurückkehren zu müssen, sondern ganz allein der Verdruss, den er erwartete, wenn er sich zu Willkommenberg in dem jämmerlichen Zustand sehen lassen müsste, in den ihn sein Abenteuer versetzt hatte.

Nun, wo er dem Hause näher kam, sah er sogar noch spaßhafter und lächerlicher aus, als wie er die muntere Bande im Walde verlassen hatte, denn dem starken Regen war eine starke Sonnenhitze gefolgt und diese hatte durch ihre Einwirkung auf die Überbleibsel seiner durchnässten rehledernen Hosen diese so zusammengezogen, dass die abgeschnittenen Ränder bis zur Mitte der Schenkel hinaufgezogen waren, und auf diese Weise einen großen Teil von den dünnen und etwas schiefen Beinen bis zu den Stiefeln herab vollkommen bloß ließen.

Trotz aller Eitelkeit auf sein Äußeres wusste Smythje doch ganz wohl, dass es mit seinen Beinen nur schlecht bestellt war. Diese waren unbedingt nur spärlich ausgerüstet. Deshalb hatte er schon lange die Mode hessischer Stiefel vermieden, wohl die anmutigste aller Fußbekleidungen, wenn man die Sandalen ausnimmt. Aber Smythje liebte sie nicht, wie jeder mit Storchbeinen Gesegnete, und trug sie deshalb gar nicht.

Ebenso hasste er die engen Hosen, die gleichfalls seinen schwachen Teil zur Schau stellten.

Dieser Widerwillen hatte ihn unbedingt auf die früher bereits beschriebene Neuerung an seinem Jagdanzug geführt, die sich aber bei der letzten Gelegenheit als ein entschiedener Missgriff herausgestellt hatte.

Wären die rehledernen Enden auf der Stelle geblieben, wo er sie abgeschnitten hatte, man würde kaum etwas Besonderes bemerkt haben, jedenfalls nichts Lächerliches. Sie hätten dann den Hosen der schottischen Hochländer geglichen oder auch weiten bockledernen, die einem Jäger ganz vortrefflich stehen. Doch zusammengeschrumpft, wie jetzt, und dadurch die schiefe, skelettartige Gestalt der Beine des Cockney vollkommen zur Schau stellend, machten sie ihn zum schönen Ideal eines spindelbeinigen Nussknackers.

Smythje war sich dessen so ziemlich bewusst und hätte jetzt gern jeden zum Buchhalter auf seinem Gut gemacht, der ihm ein Paar Pantalons verschafft hätte. Denn nur diese hatte er nötig, da sein übriger Anzug, wenn auch bedeutend verschlechtert, seit dem er am Morgen ausgegangen, noch ganz gut, jedenfalls aber nicht lächerlich war. Die Beinkleider allein sahen geradezu lächerlich aus.

Dies war es, was er fürchtete. Ein leerer Jagdkorb, ein höchst unangenehmes Abenteuer, das damit geendet hatte, ihn in einen so lächerlichen Zustand zu versetzen, wahrlich, seine Lage war höchst unangenehm, ja erschreckend. Wie sollte er in diesem Zustand nur vor seinen Freunden zu Willkommenberg erscheinen? Um Herrn Vaughan kümmerte er sich nicht viel, aber Fräulein Vaughan, Käthchen – ach, Käthchen! Wie sollte er seinen Zustand vor ihr verbergen? Das war das Geheimnis seiner Unruhe und seiner Besorgnis, seines voraussichtlichen Verdrusses.

Sollte es möglich sein, das Haus zu erreichen und sich ungesehen in seine Schlafkammer hineinzuschleichen? Was für Aussicht war dafür da, dass dies gelingen könnte?

In der Tat, keine sehr große. Willkommenberg, wie alle Herrenhäuser auf Jamaika, war wie ein Vogelbauer, nach allen Seiten hin offen. Deshalb lag es auch außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, dass er unbemerkt ins Haus kommen könnte.

Aber er konnte es doch versuchen und auf dem Erfolg dieses Versuches beruhte seine einzige Hoffnung. O, das große, einzig der eifersüchtigen Juno bekannte Geheimnis, sich unsichtbar zu machen, was würde Smythje jetzt nicht dafür gegeben haben, hätte er nur für zehn Minuten die karthagischen Wolken mieten können!

Doch wenn es auch durchaus nicht wahrscheinlich für ihn war, mit dem Nimbus der Juno ausgerüstet zu werden, so war doch jedenfalls die Möglichkeit vorhanden, sich unter dem Schatten der Nacht zu verbergen. Wenn die Finsternis eingetreten war, konnte er vielleicht ungesehen sowohl ins Haus als auch in seine Kammer gelangen und so der unangenehmen und so sehr gefürchteten Bloßstellung entgehen.

Smythje stand still, sah nach dem Führer, sah nach der Sonne und zuletzt auf seine nackten Knie, die in der Tat sehr schwach geworden waren. Willkommenberg war in Sicht, der Führer im Begriff, ihn zu verlassen, und deshalb war er, was er auch immer tun mochte, gewiss, ohne weitere Zeugen zu sein.

Gerade nun beurlaubte der Marone sich von ihm, und Smythje war sich selbst überlassen.

Noch einmal blickte er nach der Sonne und zog seine Uhr zurate. In zwei Stunden musste die Sonne untergehen, die kurze Dämmerung würde ihm genügen, um dem Haus ganz nahe zu kommen. In den ersten Augenblicken der Finsternis, noch ehe Licht angesteckt wurde, könnte er dann unbemerkt ins Haus eintreten oder jedenfalls würde sein Zustand nicht vollständig bemerkt werden.

Der Plan war ausführbar, Smythje entschloss sich, ihn zu befolgen, legte sich im Dickicht nieder und wartete den Untergang der Sonne ab.

Er zählte die Stunden und Minuten, er horchte auf die aus dem Negerdorf hervordringenden Töne, er beobachtete die Vögel mit den glänzenden Flügeln, die in den Zweigen über seinem Kopf umherflogen und beneidete ihnen ihr vollständiges Gefieder.

Ungeachtet mancher seltenen Anblicke und sanften ihn erreichenden Töne verliefen die zwei in dem geheimen Schlupfwinkel verbrachten Stunden keineswegs angenehm, da die Unruhe über den Erfolg seines Planes ihm allen Sinn für den Genuss an der schönen ihn umgebenden Naturszene raubte.

Endlich aber rückte die Zeit zum Handeln heran.

Die Sonne sank hinter dem entgegengesetzten Bergrücken hinunter, dort, wo Schloss Montagu liegt, sein eigener Besitz. Die Dämmerung war bereits wie eine Purpurgardine sanft auf das Tal von Willkommenberg hinab gezogen. Nun war es Zeit, um aufzubrechen.

Smythje erhob sich, sah sich zuvor noch etwas um und ging dann in Richtung Willkommenberg.

So viel wie möglich hielt er sich noch immer im Schutz des Waldes. Dies vermochte er leicht zu tun, da die Pimenthaine, die das Wohnhaus umgaben, sich an jener Seite bis an die Gebüsche hinab erstreckten.

Bereits war er an dem zu seiner Rechten liegenden Dorf vorübergegangen, ohne bemerkt worden zu sein, und erreichte auch unbemerkt die Ebene, auf der das Haus stand.

Doch damit war die Gefahr für ihn noch nicht vorüber. Der gefährliche Boden lag vor ihm und musste noch überschritten werden. Dies war der offene, freie Platz vor dem Haus, denn er kam von vorne.

Es war bereits ziemlich dunkel und niemand, wenigstens so viel er sehen konnte, war weder auf dem Treppenabsatz noch in den Fenstern der großen Halle zu gewahren. So weit ging alles gut.

Nur noch ein rascher Gang die Treppe hinauf zu der offenen Tür und dann zu seinem Zimmer, wo Thoms ihn bald mit einem passenden Anzug versehen würde.

Nun begann er eiligst den kurzen Weg zurückzulegen und hatte auch bereits die Hälfte des offenen freien Platzes durchschritten, als plötzlich eine Volksgruppe mit brennenden Fackeln aus dem Hintergrund des Hauses heraustrat.

Es waren die Bediensteten des Hauses und einige Feldarbeiter von der Pflanzung mit Herrn Trusty, dem Aufseher, an ihrer Spitze.

Man hätte immerhin glauben können, dass sie allesamt sich zu einer feierlichen Prozession begeben wollten, aber sie stürzten in größter Hast vorwärts, Quashie voran, und dies schien doch eine ganz andere Absicht anzudeuten.

Smythje ahnte ihre Absichten sogleich, sie sollten nach ihm selbst suchen!

Dies erfüllte ihn mit Verzweiflung. Die Fackelträger waren ihm zuvorgekommen. Sie waren bereits auf dem Vorplatz. Der Glanz ihrer großen Fackeln beleuchtete jeden Gegenstand so deutlich, als ob plötzlich eine neue Sonne hoch am Himmel stände.

Smythje war sofort stehen geblieben. Gern hätte er sich in die Büsche zurückgezogen und dort das Weggehen der Fackelträger abgewartet, aber er fürchtete, dass sein Rückzug sofort ihre Blicke auf ihn ziehen würde, und dann würde alles verloren und sein Abenteuer in der unangenehmen Weise beendet sein.

Anstatt des Rückzuges blieb er daher stehen, starr und unbeweglich, wie festgenagelt.

In diesem Augenblick erschienen oben auf der Treppe zwei Gestalten, welche in dem hellen Glanz leicht als der Pflanzer und seine Tochter zu erkennen waren. Das Mädchen Yola war hinter ihnen. Herr Vaughan war herausgekommen, um noch einige Anordnungen in Bezug auf die Suche zu geben.

Alle drei standen neben der Fackelträgergruppe und auf diese Weise Smythje, wenn auch etwas entfernter, gegenüber.

Gerade als der Pflanzer den Mund zur Rede öffnen wollte, unterbrach ihn ein plötzlicher Schrei Yolas, der von seiner Tochter wiederholt wurde. Die scharfen Augen des Fellahmädchens waren auf Smythje gefallen, dessen leichenblasses Gesicht bei dem Fackellicht fast ganz den Gesichtern der Statuen glich, die auf dem Platz verstreut standen.

Smythje war nämlich noch halb im Gebüsch, und da das Mädchen wusste, dass dort gar keine Statue stand, so hatte die unerwartete Erscheinung ihren Aufschrei veranlasst.

Alle Augen waren sofort der Stelle zugewandt, und die Fackelträger, mit Trusty an ihrer Spitze, stürzten sich auf die vermeintliche Bildsäule.

Nun war keine Aussicht mehr, zu entrinnen. Der unglückliche Jäger wurde entdeckt und ins helle Licht gebracht, in den Bereich aller Blicke, und darunter auch die seiner geliebten Dame. Anstatt ein aufrichtiges Mitgefühl für seinen trübseligen Zustand zu empfinden, glänzten ihre Augen vielmehr von satirischem Vergnügen.

Das war freilich ein schreckliches Missgeschick, in einem solchen Zustand gesehen zu werden. Smythje, der sich so schnell wie möglich durch die Ansammlung drängte, verlor keine Zeit, sich der Beobachtung zu entziehen und sich in seine Kammer zu begeben, wo er bei den tröstlichen Ermutigungen des mitfühlenden Thoms bald wieder so ausgerüstet wurde, um sich zeigen zu können.