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Die Macht der Drei – Teil 1

Hans-DominikHans Dominik, 1872 in Zwickau geboren und 1945 nach den verheerenden Kriegswirren in Berlin gestorben, war der wohl bekannteste und meist gelesene deutsche Autor von Science Fiction Romanen. Seine Arbeiten wurden seinerzeit der Trivialliteratur zugeordnet, unterlagen in vielen Teilen Kürzungen, Abänderungen und Streichungen. Doch dürfen wir heute nicht vergessen, dass die Werke des Autors Hans Dominik dem Zeitgeist jener Zeit entsprachen. Aus diesem Grund möchten wir seine Romane nicht bereinigen, sondern sie nach und nach, soweit es uns möglich ist, unseren Lesern zugänglich machen, wie sie der Autor geschrieben hat. Den Auftakt bildet sein 1922 geschriebener utopisch-wissenschaftlicher Roman Die Macht der Drei.

Während die internationalen Spannungen sich immer mehr verschärfen, gelingt es drei Männern, einem Schweden, einem Inder und einem Deutschen, sich in den Besitz einer epochemachenden Erfindung zu setzen. Von ihrem verborgenen Standort aus vermögen sie so gut wie jeden Punkt der Erde zu übersehen und zu erreichen. Ihr telenergetischer Strahler liefert hochkonzentrierte Atomenergie, sodass über den Ozean hinweg Brände ausgelöst, Häuser zerstört, Waffenlager unbrauchbar gemacht werden können. Die Drei sind entschlossen, mit Hilfe des wunderbaren Apparates den Ausbruch des bevorstehenden Krieges zu verhindern.

Ein atemberaubender Kampf im Kraftfeld der Politik setzt ein. Es geht jedoch nicht nur um die Erfindung. Der mit hypnotischen Fähigkeiten begabte ebenbürtige Gegner der Drei in Amerika versucht die Verlobte des Deutschen an sich zu fesseln. Für sein dämonisches Spiel ist ihm kein Einsatz zu hoch.

Am Ende stellt sich heraus, dass nur die Weisheit des Inders über Mittel gebietet, die entfesselten Gewalten zu bändigen.


Die-Macht-der-DreiHans Dominik
Die Macht der Drei

Das Mysterium von Sing-Sing! Spezialtelegramm: »Sing-Sing, 16. Juni, 6 Uhr morgens. Dreimal auf dem elektrischen Stuhl! Dreimal versagte der Strom! Beim dritten Male zerbrach die Maschine. Der Delinquent unversehrt.«

Gellend schrien die New-Yorker Zeitungsboys die einzelnen Stichworte der Sensationsnachricht den Tausenden und aber Tausenden von Menschen in die Ohren, die in der achten Morgenstunde des Junitages von den überfüllten Fährbooten ans Land geworfen wurden und den Schächten der Untergrundbahnen entquollen, um an ihre Arbeitsstätten zu eilen. Fast jeder aus der tausendköpfigen Menge griff in die Tasche, um für ein Fünfcentstück eines der druckfeuchten Blätter zu erstehen und auf der Straße oder im Lift die außergewöhnliche Nachricht zu überfliegen.

Nur die wenigsten in der großstädtischen Menge hatten eine Ahnung davon, dass an diesem Tage weit draußen im Zuchthaus des Staates New York eine Elektrokution auf die sechste Morgenstunde angesetzt war. Solche Hinrichtungen interessierten das New Yorker Publikum nur, wenn berühmte Anwälte monatelange um das Leben des Verurteilten gekämpft hatten oder wenn bei der Hinrichtung etwas schiefging.

Es geschah wohl gelegentlich, dass ein Delinquent lange Viertelstunden hindurch mit dem Strom bearbeitet werden musste, bis er endlich für das Seziermesser der Ärzte reif war. Und auch unter dem Messer war dann bisweilen der eine oder andere wieder röchelnd erwacht.

Aber die Yankees niemals allzu viel Aufhebens von solchen Vorkommnissen gemacht. Schon damals nicht, als das Land noch von Präsidenten geleitet wurde, die man alle vier Jahre neu wählte. Viel weniger jetzt, wo es unter der eisernen Faust des Präsident-Diktators Cyrus Stonard stand. Unter der Faust jenes Cyrus Stonard, der nach dem ersten verlorenen Krieg gegen Japan den Aufstand des bolschewistisch gesinnten Ostens gegen den bürgerlichen Westen mit eiserner Strenge niedergeschlagen und dann den zweiten Krieg gegen Japan siegreich durchgeführt hatte. Die uneingeschränkten Vollmachten des Präsident-Diktators nötigten auch die amerikanischen Zeitungen zu einiger Zurückhaltung in allen die Regierung und Regierungsmaßnahmen betreffenden Notizen.

Etwas Besonderes musste passiert sein, wenn die sämtlichen New Yorker Zeitungen diesem Ergebnis übereinstimmend ihre erste Seite widmeten und mit der Ausgabe von Extrablättern fortfuhren. Noch ehe die letzten Exemplare der eben erschienen Ausgabe ihre Käufer gefunden hatten, stürmte eine neue Schar von Zeitungsboys mit der nächsten Ausgabe der Morgenblätter den Broadway entlang.

Das Rätsel von Sing-Sing! Sing-Sing, 6 Uhr 25 Minuten. Elektrische Station von Sing-Sing zerstört. Der Verurteilte heißt Logg Sar. Herkunft unbekannt. Kein amerikanischer Bürger! Zum Tode verurteilt wegen versuchter Sprengung einer Schleuse am Panamakanal!

Sing-Sing, 6 Uhr 42 Minuten. Der Verurteilte entflohen! Die Riemen, mit denen er an den Stuhl gefesselt war, zerschnitten!

Sing-Sing, 6 Uhr 50 Minuten. Ein Zeuge als Komplice! Allem Anschein nach ist der Delinquent mit Hilfe eines der zwölf Zeugen der Elektrokution entflohen.

Sing-Sing, 7 Uhr. Letzte Nachrichten aus Sing-Sing. Im Auto entflohen! Ein unglaubliches Stück! Durch Augenzeugen festgestellt, dass der Delinquent, kenntlich durch seinen Hinrichtungsanzug, in Begleitung des Zeugen Williams in ein vor dem Tor stehendes Auto gestiegen. Fuhren in rasender Fahrt davon. Jede Spur fehlt. Gefängnisverwaltung und Polizei ratlos.

Mit kurzem scharfem Ruck blieb ein Auto stehen, das in den Broadway an der Straßenecke einbog, wo das Flat Iron Building seinen grotesken Bau in den Äther reckt. Der Insasse des Wagens riss einem der Boys das zweite Extrablatt aus der Hand und durchflog es, während das Auto in der Richtung zur Polizeizentrale weiterrollte. Ein nervöses Zucken lief über die Züge des Lesenden. Es war ein Mann von unbestimmtem Alter. Einer jener menschlichen Zeitlosen, von denen man nicht sagen kann, ob sie vierzig oder sechzig Jahre alt sind.

Vor dem Gebäude der Polizeizentrale hielt der Wagen. Noch ehe er völlig stand, sprang der Insasse hinaus und eilte über den Bürgersteig der Eingangspforte zu. Seine Kleidung war offensichtlich in einem erstklassigen Atelier gefertigt. Doch hatten alle Künste des Schneiders nicht vermocht, Unzulänglichkeiten der Natur vollständig zu korrigieren. Ein scharfer Beobachter musste bemerken, dass die rechte Schulter ein wenig zu hoch, die linke Hüfte etwas nach innen gedrückt war, dass das linke Bein beim Gehen leicht schleifte.

Er trat durch die Pforte. Hastig kreuzte er die verzweigten Korridore, bis ihm an einer doppelten Tür ein Policeman in den Weg trat. Der typische sechs Fuß lange Irländer mit Gummiknüppel und Filzhelm.

»Hallo, Sir! Wohin?«

Ein unwilliges Murren war die Antwort des eilig Weiterschreitenden.

»Stopp, Sir!«

Breit und massig schob der irische Riese sich ihm in den Weg und hob den Gummiknüppel in nicht misszuverstehender Weise.

Heftig riss der Besucher eine Karte aus seiner Tasche und übergab sie dem Beamten.

»Zum Chef, sofort!«

Mehr noch als das herrisch gesprochene Wort veranlasste der funkelnde Blick den Policeman, mit großer Höflichkeit die Tür zu öffnen und den Fremden in ein saalartiges Anmeldezimmer zu geleiten.
Edward F. Glossin, medicinae doctor stand auf dem Kärtchen, das der Diener dem Polizeipräsidenten MacMorland auf den Schreibtisch legte. Der Träger des Namens musste ein Mann von Bedeutung sein. Kaum hatte der Präsident einen Blick auf die Karte geworfen, als er sich erhob, aus der Tür eilte und den Angemeldeten in sein Privatkabinett geleitete.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor?«

»Haben Sie Bericht aus Sing-Sing?«

»Nur, was die Zeitungen melden.«

»Bieten Sie alles auf, um der Entflohenen habhaft zu werden. Wenn die Polizeiflieger nicht ausreichen, requirieren Sie Armeeflieger! Ihre Vollmacht langt doch für die Requisition?«

»Jawohl, Herr Doktor.«

»Die Flüchtigen müssen vor Einbruch der Dunkelheit gefasst sein. Das Staatsinteresse erfordert es. Sie haften dafür.«

»Ich tue, was ich kann.« Der Polizeichef war durch den ungewöhnlich barschen Ton des Besuchers verletzt, und dies Gefühl klang aus seiner Antwort heraus.

Dr. Glossin runzelte die Stirn. Antworten, die nach Widerspruch und Verklausulierungen klangen, waren nicht nach seinem Geschmack.

»Hoffentlich entspricht Ihr Können unseren Erwartungen. Sonst … müsste man sich nach einem Mann umsehen, der noch mehr kann. Lassen Sie nach Sing-Sing telefonieren! Professor Curtis soll hierherkommen, Ihnen in meiner Gegenwart Bericht über die Vorgänge erstatten.«

Der Polizeipräsident ergriff den Apparat und ließ die Verbindung herstellen.

»Wann kann Curtis hier sein?«

»In fünfzehn Minuten.«

Dr. Glossin strich sich über die hohe Stirn und durch das volle, kaum von einem grauen Faden durchzogene dunkle Haupthaar, das glatt nach hinten gestrichen war.

»Ich möchte bis dahin allein bleiben. Könnte ich …«

»Sehr wohl, Herr Doktor. Wenn ich bitten darf …«

Der Präsident öffnete die Tür zu einem kleinen Kabinett und ließ Dr. Glossin eintreten.

»Danke, Herr Polizeipräsident … Dass ich es nicht vergesse! 200.000 Dollar Belohnung dem, der die Flüchtlinge zurückbringt. Lebendig oder tot!«

»200.000…?« Mac Morland trat erstaunt einen Schritt zurück.

»200.000, Herr Präsident! Genau, wie ich sagte. Anschläge mit der Belohnung in allen Städten!«

Der Polizeipräsident zog sich zurück. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als plötzlich alle Straffheit aus den Zügen Dr. Glossins wich und einem erregten, sorgenden Ausdruck Platz machte. Mit einem leichten Stöhnen ließ er sich in einen Sessel fallen und bedeckte mit der Rechten die Augen, während die Linke nervös über das narbige Leder der Lehne glitt. Wie unter einem inneren Zwang kamen abgerissene Worte halb geflüstert und stoßweise von seinen Lippen.

»Stehen die Toten wieder auf? … Bursfelds Sohn! Kein Zweifel daran … Wer rettete ihn …? Wer war dieser Williams? Der Vater selbst …? Nur der besäße die Macht, ihn zu retten. Er war es sicher nicht … Die Riegel des Tower sind fester als die von Sing-Sing … Wer wüsste noch um die geheimnisvolle Macht? … Ah, Jane …! Sie könnte es offenbaren. Der Versuch muss gemacht werden. Unmöglich, jetzt noch nach Trenton zu fahren. Ich muss bis zum Abend warten … Ein unerträglicher Gedanke. Acht Stunden in Ungewissheit …«

Nervös fuhr Glossin empor und warf einen Blick auf seine Chronometer.

»Ruhe, Ruhe! Noch zehn Minuten für mich.«

Einem kleinen Glasröhrchen entnahm er sorgfältig abgezählt zwei winzige weiße Pillen und verschluckte sie. Beinahe momentan wich die nervöse Spannung aus seinen gequälten Zügen und machte einer friedlichen Ruhe Platz. Seine Gedanken wanderten rückwärts. Bilder aus einer ein Menschenalter zurückliegenden Vergangenheit zogen plastisch an seinem Geist vorüber … Die großen Bahnbauten damals in Mesopotamien im ersten Jahrzehnt nach dem Weltkrieg. Ein kleines Landhaus am Ausläufer der Berge … Eine blonde Frau in weißem Kleid mit einem spielenden Knaben im Arm … Wie lange, wie unendlich lange war das her, dass er, Gerhard Bursfeld, den ehemaligen deutschen Ingenieuroffizier, aus seinem kurdischen Zufluchtsort hervorgelockt und für die mesopotamischen Bahn- und Bewässerungsbauten gewonnen hatte. Damals, als Hände und Köpfe im Zweistromland knapp waren.
Gerhard Bursfeld war dem Ruf zu solcher Arbeit gern gefolgt. Mit ihm kamen sein junger Knabe und sein blondes Weib Rokaja Bursfeld, die schöne Tochter eines kurdischen Häuptlings und einer zirkassischen Mutter.
Ein glückliches Leben begann. Bis Gerhard Bursfeld die große gefährliche Erfindung machte. Bis Edward Glossin, in Liebe zu der blonden Frau entbrannt, den Freund und seine Erfindung an die Regierung verriet … Gerhard Bursfeld verschwand hinter den Mauern des Towers. Sein Weib entfloh mit dem dreijährigen Knaben. In die Berge nach Nordosten. Ihre Spur war verloren. Und Edward Glossin war der betrogene Betrüger. Mit ein paar tausend Pfund speiste ihn die englische Regierung für ein Geheimnis ab, dessen Wert ihm unermesslich schien …
Die Züge des Träumers nahmen wieder die frühere Spannung an. Der Klang einer elektrischen Glocke ertönte. Der Doktor erhob sich und ging straff aufgerichtet in das Kabinett des Polizeichefs.
Kurz begrüßte er den Ankömmling Professor Curtis aus Sing-Sing und fragte: »Wie ist es möglich gewesen, dass die Apparatur versagte?«

Stockend und nervös gab der Professor seinen Bericht.

»Uns allen ganz unbegreiflich! Auf 5 Uhr 30 Minuten war die Elektrokution des Raubmörders Woodburne angesetzt. Sie ging glatt vonstatten. Um 5 Uhr 40 Minuten lag der Delinquent bereits auf dem Seziertisch. Die Maschine wurde stillgesetzt und um 5 Uhr 55 Minuten wieder angelassen. Punkt 6 Uhr brachte man den zweiten Delinquenten und schnallte ihn auf den Stuhl. Er trug den vorschriftsmäßigen Hinrichtungsanzug mit dem Schlitz im rechten Beinkleid. Die Elektrode wurde ihm um den Oberschenkel gelegt. Zwei Minuten nach sechs senkte sich die Kupferhaube auf seinen Kopf. Im Hinrichtungsraum stand der Gefängnisinspektor mit den zwölf vom Gesetz vorgeschriebenen Zeugen. Der Elektriker des Gefängnisses hatte seinen Platz an der Schalttafel, den Augen des Delinquenten verborgen. 6 Uhr 3 Minuten schlug er auf einen Wink des Sheriffs den Schalthebel ein …
Ich will gleich bemerken, dass dies die letzte zuverlässige Zeitangabe aus Sing-Sing ist. Um 6 Uhr 3 Minuten sind alle Uhren in der Anstalt mit magnetisierten Eisenteilen stehengeblieben. Die weiteren Zeitangaben in den Meldungen stammen vom New Yorker Telegrafenamt …«

Dr. Glossin wippte nervös mit einem Fuß. Der Professor fuhr fort.

»In dem Augenblick, in dem der Elektriker den Strom auf den Delinquenten schaltete, blieb die Dynamomaschine, wie von einer Riesenfaust gepackt, plötzlich stehen und hielt gleichzeitig auch die mit ihr gekuppelte Dampfturbine fest. Mit ungeheurer Gewalt strömte der Frischdampf aus dem Kessel gegen die stillstehenden Turbinenschaufeln. Es war höchste Zeit, dass der Maschinenwärter zusprang und den Dampf abstellte.
Währenddessen saß der Delinquent ruhig auf dem Stuhl und zeigte keine Spur einer Stromwirkung. Erst später ist mir das eigenartige Verhalten des Verurteilten wieder in die Erinnerung gekommen. Er schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben, aber sobald er in den Hinrichtungsraum geführt wurde, kehrte eine leise Röte in seine bis dahin todblassen Züge zurück. Als die Maschine das erste Mal versagte, glaubte ich die Spur eines befriedigten Lächelns auf seinen Zügen zu bemerken. Gerade so, als ob er diesen für uns alle so überraschenden Zwischenfall erwartet habe.
Als die Maschine zum zweiten Mal angelassen wurde, verstärkte sich diese rätselhafte Heiterkeit. Er verfolgte unsere Arbeiten, als ob sich für ihn nur um ein wissenschaftliches Experiment handle.
Beim dritten Mal kam das Unglück. Die Maschinisten hatten die Turbine auf höchste Tourenzahl gebracht. Sie lief mit dreitausend Umdrehungen, und die elektrische Spannung stand fünfzig Prozent über der vorgeschriebenen Höhe. Es gab einen Ruck. Die Achse zwischen Dynamo und Turbine zerbrach. Die Turbine, plötzlich ohne Last, ging durch. Ihre Schaufelräder zerrissen unter der ins Ungeheure gesteigerten Zentrifugalkraft. Der Kesselfrischdampf quirlte und jagte die Trümmer unter gräulichem Schleifen und Kreischen durch die Abdampfleitung in den Kondensator. Als der Dampf abgestellt war, fühlten wir alle, dass wir haarscharf am Tod vorbeigegangen waren …«

Der Polizeichef flüsterte ein paar Worte mit dem Doktor. Dann fragte er den Professor: »Haben Sie eine wissenschaftliche Erklärung für die Vorgänge?«

»Nein, Herr! Jede Erklärung, die sich beweisen ließe, fehlt. Höchstens eine Vermutung. Die Magnetisierung sämtlicher Uhren deutet darauf hin, dass in den kritischen Minuten ein elektromagnetischer Wirbelsturm von unerhörter Heftigkeit durch die Räume von Sing-Sing gegangen ist. Es müssen äußerst starke elektromagnetische Felder im freien Raum aufgetreten sein. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass sogar die einzelnen Windungen der großen Stahlfelder in der Zentraluhr vollständig magnetisch zusammengebacken sind. Ein fürchterliches elektromagnetisches Gewitter muss wohl stattgefunden haben. Aber damit wissen wir wenig mehr.«

Eine Handbewegung des Doktors unterbrach die wissenschaftlichen Erörterungen des Professors.

»Wie war die Flucht möglich?«

Der Bericht darüber war lückenhaft. »Als die Turbine im Nebenraum explodierte, suchten alle Anwesenden unwillkürlich Deckung. Ein Teil warf sich zu Boden. Ein Teil flüchtete hinter die Schalttafel. Einige Minuten dauerte das nervenzerreißende Heulen und Quirlen der Trümmerstücke in der Dampfleitung. Als endlich der Dampf abgestellt und Ruhe eingetreten war, merkte man, dass der Delinquent verschwunden war. Die starken Ochsenlederriemen, die ihn hielten, waren nicht aufgeschnallt, sondern mit einem scharfen Messer durchschnitten. Die Flucht muss in wenigen Sekunden ausgeführt worden sein. Erst zehn Minuten später wurde es bemerkt, dass auch einer der Zeugen fehlte.«
Das war alles, was Professor Curtis berichten konnte.

Dr. Glossin zog die Uhr.

»Ich muss leider weiter! Leben Sie wohl, Herr Professor.« Er trat, vom Polizeichef begleitet, auf den Gang.

»Wenden Sie alle Maßnahmen an, die Ihnen zweckmäßig erscheinen. In spätestens drei Stunden erwarte ich Meldung, wie es möglich war, dass ein falscher Zeuge der Elektrokution beiwohnte. Geben Sie telefonischen Bericht! Wellenlänge der Regierungsflugzeuge! Ich gehe nach Washington.«

Ein Läuten des Telefons im Zimmer des Präsidenten rief diesen hinweg. Unwillkürlich trat Dr. Glossin mit ihm in den Raum zurück.

»Vielleicht eine gute Nachricht?«

Der Präsident ergriff den Hörer. Erstaunen und Spannung malten sich auf seinem Gesicht. Auch Dr. Glossin trat näher.

»Was ist?«

»Ein Militärflugzeug verschwunden. R F. c. 1 vom Ankerplatz entführt.«

»Weiter, weiter!«

Der Doktor stampfte auf den Boden.

»Wer war es?«

Er drang auf den Präsidenten ein, als wollte er ihm den Hörer aus der Hand reißen. MacMorland hatte seine Ruhe wiedergefunden. Kurz und knapp klangen seine Befehle in den Trichter.

»Der Staatssekretär des Krieges ist benachrichtigt? … Gut! So wird von dort aus die Verfolgung geleitet werden. Wie sehen die Täter aus? … Hat man irgendwelche Vermutungen? … Wie? Was? … Englische Agenten? Sind das leere Redensarten oder hat man Anhaltspunkte? … Was sagen Sie? Allgemeine Meinung? … Redensarten! Die Herren Chopper und Watkins werden gleich herauskommen und die Nachforschungen leiten. Ihren Anordnungen ist Folge zu leisten!«

Der Präsident eilte zum Schreibtisch, warf ein paar Zeilen aufs Papier und übergab sie seinem Sekretär. Dann wandte er sich seinen Besuchern zu.

»Ein ereignisreicher Morgen! Innerhalb weniger Stunden zwei Vorfälle, wie sie mir in meiner langen Dienstzeit noch nicht vorgekommen sind … Die Meinung, dass die Engländer dahinterstecken, scheint mir nicht ganz unbegründet zu sein. R. F. c. 1 ist der neueste Typ der Rapid Flyers. Erst vor wenigen Wochen ist es geglückt, durch eine besondere Verbesserung die Geschwindigkeit auf 1000 Kilometer in der Stunde zu bringen. R. F. c. heißt die verbesserte Type. c. 1 ist das erste Exemplar der Type. Ich hörte, dass es erst vor drei Tagen in Dienst gestellt wurde. Die nächsten Exemplare brauchen noch Tage, um für den Probeflug fertig zu werden. Der Gedanke, dass die englische Regierung sich das erste Exemplar angeeignet hat, liegt natürlich sehr nahe … Es sei denn …«

»Was meinen Sie, Herr Präsident?«

Die Stimme Glossins verriet seine Erregung.

»Es sei denn, dass …« Mac Morland sprach langsam, wie tastend, »… dass ein Zusammenhang zwischen der Entführung des Flugzeuges und der Flucht jenes Logg Sar bestände. Was meinen Sie, Herr Professor?«

»Ich bin versucht, das Letztere für das Richtige zu halten. Es ist ausgeschlossen, mit gewöhnlichen Mitteln eine Maschine wie R. F. c. 1 von dem streng bewachten Flugplatz am helllichten Tage zu entführen.«

»Was ist Ihre Meinung, Herr Doktor?«

»Ich … ich übersehe die ganze Sachlage zu wenig. Trotzdem, Herr Präsident, werden Sie guttun, sich umgehend mit dem Kriegsamt in Verbindung zu setzen und Ihre Maßnahmen für beide Fälle im Einvernehmen und engsten Zusammenwirken mit diesem zu treffen. Guten Morgen, meine Herren.«