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Der Welt-Detektiv Band 6

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Im fernen Westen – Der junge Auswanderer 6

Der junge Auswanderer
Kapitel 6

Freundliche Begegnungen vonseiten der Herren Holz und Gosport und ihrer Hausgenossen und Dienstboten waren gar nichts seltenes. Da Alfred Richter mittlerweile alle Wege und Stege in der ganzen Umgegend der beiden Ranches kennengelernt hatte, so traf er nicht nur häufig mit Mister Gosport und dessen Angehörigen auf seinen Ritten zusammen, sondern war auch ein häufiger Gast auf Gosports Ranch, auch wenn ihn nicht gerade Geschäfte dorthin führten. Die beiden Ranches hielten gute Nachbarschaft, und so war der heitere, frische, wackere junge Mann immer ein gern gesehener Gast in Gosports Haus. Dick und andere, welche viel draußen waren, hatten auch schon längst bemerkt, dass beinahe jedes Mal, wenn Miss Emmy in Geschäften oder zum Vergnügen ausritt, auch Alfred sich sein Pferd sattelte, und dass die Pfade der beiden jungen Leute, wenn diese auch in ganz entgegengesetzten Himmelsrichtungen ausgeritten waren, doch sicher an irgendeinem Punkt sich kreuzten, und dass Alfred in solchen Fällen es immer für seine Pflicht hielt, das hübsche junge Mädchen sicher zu ihrem Haus zurückzugeleiten. Derartige Fälle kamen so oft war, dass auch Squire Gosport darum wissen musste, um so mehr, da die beiden jungen Leute gar kein Hehl daraus machten, und da es seinen Dienstleuten nicht entgangen war. So war die Sache wahrscheinlich auch Herrn Holz bekannt, und weil keinerlei Bemerkungen darüber gemacht wurden, so hatte man allen Grund, anzunehmen, dass diese Begegnungen auch den beiden Familienoberhäuptern nicht unwillkommen waren. Eines schönen Abends, als Alfred wieder einmal Miss Emmy nach Hause geleitet hatte und mit der Familie Gosport beim Abendbrot saß, kam die Rede auch auf die Indianer, weil in der jüngsten Zeit einige Diebstähle an Schafen und Kälbern vorgekommen waren. Herr Gosport, welcher aus seiner Abneigung gegen die Rothäute kein Hehl machte, meinte, er würde gern eine ganze Sektion, nämlich 160 Acres, von seiner Farm hergeben, wenn er so viele von den roten Halunken darauf begraben dürfte, als nur in einen Korral gehen würden.

»Aber die Ute sind doch nicht so schlimm, Vater«, sagte Emmy. »Ich bin überzeugt, Cuervo meint es gut mit uns …«

»Hol der Geier die ganze Bande!«, rief Gosport, in welchem das Vorurteil, das von dem Leben eines Farmers auf der Grenze unzertrennlich ist, zu tiefe Wurzeln geschlagen hatte. »Die einen sind nur minder schlimm als die anderen, aber die besten von ihnen verdienen im glücklichsten Fall eine Kugel.«

»Cuervo war heute Nachmittag hier und bettelte um einen eisernen Topf«, sagte Frau Gosport. »Aber ehe ich ihm noch einen auswählen konnte, wurde er von einem der jungen Burschen seines Stammes geholt.«

»In der Tat, ich glaubte ihn zu sehen, als ich heute nach Andrew Jackson City hinüberritt«, bemerkte Alfred. »Als ich aber die Anhöhe hinaufgeritten war, sah ich ihn nirgends mehr und glaubte mich getäuscht und einen alten Baumstumpf für seinen Körper gehalten zu haben.«

»Sie haben sich doch vielleicht nicht getäuscht, Fred«, erwiderte Gosport. »Der Teufel mag diesen braunen Spitzbuben trauen, – sie sind bald hier, bald da, wie die Raben, und er kann sich doch dort herumgetrieben und auf Sie gelauert und sich dann wieder versteckt haben, als Sie kamen.«

»Nicht doch! Herr Richter hat gewiss nichts von Cuervo zu fürchten«, sagte Emmy. »Cuervo scheint ihm sehr zugetan zu sein und es gut mit ihm meinen.«

»Ja, das tut er in der Tat, und es ist auch sein Schaden nicht«, entgegnete Alfred lachend. »Wenn ich irgendetwas von ihm fürchte, so sind es eher Cuervos allzu stürmische Freundschaftsbeteuerungen, die mir immer ein halbes Pfund Pulver und einige Pfunde Schrot kosten. Wie seltsam es auch erscheinen mag, der alte Bursche erweist mir immer ein besonderes Vertrauen, besonders wenn er irgendetwas bedarf.«

»Nun ja, darin liegt das ganze Geheimnis«, sagte Gosport.

»Sie sind für Cuervo nützlich, und deshalb dürfen Sie sich auf ihn verlassen. Ich gebe dies zu, obwohl er ein Indianer ist. Es ist überhaupt sonderbar, aber wahr, wenn die Indianer oder Mexikaner einmal eine Art Zuneigung für jemanden gefasst haben, so suchen sie ihm in jeder Weise dienstbar und nützlich zu sein.«

»Cuervo und seinesgleichen sind mir in vielen Stücken lieber als mancher Weiße. Man weiß doch, woran man mit ihnen ist«, sagte Alfred. »Aber da sind einige Weiße, denen ich nichts Gutes zutraue, zum Beispiel unser Postmeister Greenwood. Das ist ein Bursche, dem ich nicht über den Weg traue. Ich war heute bei ihm, um nach Briefen zu fragen. Sein Betragen erschien mir ordentlich verdächtig.«

»Was haben Sie denn gegen den Mann?«, fragte Gosport.

»Er war sehr unfreundlich, Vater«, entgegnete Emmy, »und sein Betragen war wirklich sehr auffallend. Zunächst fanden wir, als wir auf den Shanty zuritten, wo er sein Amt ausübt, die Tür geschlossen vor. Wir pochten und wären danach wieder weggeritten, wenn wir nicht im Herreiten ein Gesicht am Fenster gesehen und bemerkt hätten, wie die Tür rasch geschlossen wurde. Wir pochten also nochmals …«

»Und stärker«, ergänzte Alfred.

»Ja, noch lauter«, fuhr Emmy lächelnd fort, »und endlich öffnete Greenwood die Tür, aber mit einem Gesicht wie ein Gespenst. Und er behielt die Tür in der Hand, während er auf der Schwelle stand, als ob er uns gar nicht hineinlassen wollte, was auch gar nicht in unserer Absicht gelegen hatte. Und als wir nach Briefen fragten, antwortete er uns so barsch und brummig, dass wir es nicht verstehen konnten, und schlug uns die Tür vor der Nase zu.«

»Das hat der Schnaps getan«, sagte Gosport. »Der Kerl säuft, wie ich schon längst bemerkt habe, und ist nun beinahe ganz herunter.«

»Das mag wohl sein«, meinte Alfred. »Aber er erschien mir eher bestürzt als betrunken.«

»Schnaps! Nur der Schnaps!«, sagte Herr Gosport in einem so zuversichtlichen Ton der Überzeugung, dass ihm niemand zu widersprechen wagte und das Gespräch eine andere Wendung nahm. Es war um vieles später wie sonst, als Alfred sich endlich auf den Heimweg machte. Die Nacht war ziemlich klar, denn der Mond stand im ersten Viertel. Der Weg war aber unserem jungen Freund so bekannt, dass er ihn auch in der finstersten Nacht gefunden hätte. Er war kaum den Abhang hinuntergeritten und über die Furt gesetzt, als plötzlich zu seinem Erstaunen und auch zu seinem Schreck drei dunkle Reitergestalten aus dem Schatten heraus in den Mondschein und auf ihn zuritten. Er sah nun, dass es Indianer waren, und dass sie sich teilten und zwei auf seine rechte, einer auf seine linke Seite ritt. Über dieses Gebaren ernstlich erschrocken, hielt Alfred augenblicklich sein Pferd an und zog seinen Revolver.

Seine Bewegung wurde verstanden, denn eine tiefe Kehlstimme, welche er sogleich erkannte, rief. »Nicht schießen! lndianos amigos! Ich bin Cuervo. Nicht schießen!«

In der nächsten Minute war der befreundete Ute an seiner Seite, drückte ihm die Hand und erbot sich, ihn bis zur Ranch zu begleiten. Während Cuervo neben Alfred ritt, hielten sich dessen beide Gefährten zur Linken Alfreds. Cuervo erzählte ihm ausführlich eine Geschichte, welche von wilden Indianern und Hinterhalten handelte. Da aber Cuervo vorzugsweise spanische Worte gebrauchte, so verstand Alfred ihn nicht ganz und begriff nur so viel, dass der Ute ihn vor einer Gefahr warnte und sich ihm zum Begleiter anbot. Als die vier Reiter wieder auf die Höhe gekommen waren und den starken, halben Weg nach Holz’ Ranch zurückgelegt hatten, mochten die Indianer bemerken, dass ihre Begleitung dem jungen Deutschen nicht angenehm war, denn sie ritten auseinander, verbreiteten sich querfeldein, ritten noch einige Hundert Schritte mit ihm, boten ihm dann gute Nacht und waren bald im Dunkel der Prärie verschwunden. Ihr plötzliches Auftauchen und Wiederverschwinden war Alfred so seltsam erschienen, dass er nicht umhin konnte, es Onkel Holz bei der Heimkehr zu erzählen.

»Sonderbar!«, sagte Herr Holz nachdenklich. »Wenn es irgendein anderer Indianer gewesen wäre, würde es mir weniger auffallen und ich würde es dem Branntwein zuschreiben. Aber bei Cuervo ist es ein anderes. Wer waren denn seine beiden Begleiter?«

»Es waren Cuervos Söhne«, sagte Alfred.

»O, ich kenne sie«, meinte Holz. »Sind ein paar tüchtige Jungen für Indianer. Allein ich kann mir nicht denken, was Cuervo veranlasste, bei Nacht so weit von seinem Lager wegzureiten. Ist doch sonst gar nicht die Art der Indianer! Die Sache gefällt mir nicht«, setzte er kopfschüttelnd hinzu und brach ab.

Zwei oder drei Tage später war Alfred zu einem kleinen Tal in der Prärie geritten, um einen geeigneten Platz für einen Korral auszuwählen, welcher dort errichtet werden sollte. Er hatte bald einen solchen gefunden, stieg ab und schritt einen Raum ab, dessen vier Ecken er durch eingeschlagene Pfähle markierte. Er hatte eben den dritten Pfahl eingeschlagen, als ihm sein Beil entfiel und er sich rasch danach bückte. In diesem Augenblick fiel ein Schuss, er hörte eine Kugel pfeifen, und das Ende des Pfahls, welchen er über der Schulter trug, flog ihm in Splittern um den Kopf. Er richtete sich schnell auf und sah aus einem kleinen Gebüsch, kaum sechzig Schritte von ihm entfernt, ein Rauchwölkchen aufsteigen, das vom abgefeuerten Schuss herrührte.

»Ein Überfall!«, murmelte er, sprang hinter sein Pferd, das in der Nähe stand, riss die Doppelflinte vom Sattelknopf und schickte einen wohlgezielten Schuss groben Schrotes mitten in den Busch hinein. Er sah den Busch rauschen, als wenn sich jemand darin bewege. Da er aber allein war und nicht wusste, wie viele Feinde in dem Busch steckten, so hielt er es für das Beste, so schnell wie möglich wieder zu laden, sich in den Sattel zu schwingen und etwas zurückzureiten, um den Busch außerhalb der Schussweite zu beobachten. Währenddessen aber sprang ein Indianer aus dem Busch heraus und verschwand im benachbarten Dickicht, ohne von Alfred bemerkt worden zu sein. Kaum war er auf der Höhe der Talböschung, so hörte er Hufschlag und sah Miss Emmy auf ihrem Goldfuchs herangaloppieren. Sie winkte ihm von Weitem und zeigte ihm ihren Revolver.

»Was gibt es, Fred? Haben Sie geschossen?«, rief sie beinahe ängstlich.

Er nickte, war im Nu bei ihr und teilte ihr sein Abenteuer mit.

»Das waren sicher Indianer. Kommen Sie! Wir müssen die Sache näher untersuchen!«, sagte das mutige Mädchen und sprengte am Rande der Böschung hin.

»Dort! Dort!«, rief sie plötzlich und deutete auf den Saum des Dickichts, wo ein Mann mit einem breitkrempigen Hut auf dem Kopf und einer rot und blau gestreiften Serape am Rande des Chaparral erschienen war, aber beim Anblick der Reiterin sich rasch wieder in die Büsche schlug. Auch Alfred hatte ihn gesehen, aber sein Gesicht nicht zu erkennen vermocht. Es schienen also doch mehrere Feinde zu sein. Alfred und Emmy ritten nun ins Tal hinunter, wo Alfred seinen vierten Pfosten spitzte und einschlug, während Emmy mit seiner Doppelflinte in der Hand Wache hielt. Es blieb aber alles ruhig, und so führte Alfred sein Pferd am Zügel, den Revolver in der Hand, und ging auf das Gebüsch zu, um dieses zu untersuchen. Es war niemand mehr da, aber abgeschossene und abgeknickte Zweige und Blutspritzer auf dem Laub und die Fährten von Mokassins in dem niedergetretenen Gras verrieten deutlich genug, dass hier ein tückischer Indianer gekauert und geschossen hatte und ebenfalls getroffen worden war.

»Kommen Sie, Miss Emmy! Sie sollen sich meinethalben keiner Gefahr aussetzen, denn es sind jedenfalls der Schurken mehrere«, sagte Alfred, auf das Pferd steigend. »Wir wollen zum anderen Tale hinüberreiten, wo Texas Dick mit einigen Leuten einen Schafkorral errichtet. Wir wollen ihm den Vorfall erzählen!«

Und damit ritten sie über die Hügelwelle davon.

Der Mann in der blau und rot gestreiften Serape aber hatte sich mittlerweile durch das Dickicht gezwängt, bis er auf der anderen Seite desselben war, wo sein Pferd stand. Hier schwang er sich in den Sattel und ritt in der Richtung der paar Häuser davon, welche wir mit dem pomphaften Namen Andrew Jackson City haben benennen hören. Etwa tausend Schritt davon zog er sein Pferd in ein Gebüsch, band es an und machte sich auf den Weg zu den Häusern, aber in der heimlichsten Weise, indem er sich bald hinter Büschen oder in Einsenkungen versteckte, damit ihn ja niemand sehe. Auch sein Gewehr und seine Serape hatte er im Busch zurückgelassen. Endlich erreichte er die Häuser, ohne jemand zu sehen oder gesehen zu werden, stieg über einen Zaun hinter dem Posthaus, trat in die offene Hintertür desselben ein, schloss diese leise hinter sich und trat dann ebenso geräuschlos in die vordere Stube, wo ein Mann am Tisch saß. Dieser sprang erschrocken auf und griff nach einer langen Sattelpistole, die neben ihm an der Wand hing, ließ aber die Hand sinken, als er den Eintretenden erkannte.

»Zum Geier, Squire Tony, was müsst Ihr mich so zu erschrecken?«, sagte er ärgerlich.

»Hat nichts zu sagen, Greenwood! Ich komme in Geschäften und habe Eile«, versetzte Tony.

»Habt Ihr? Und was gibt es denn?«, fragte Greenwood, der Postmeister. »Seid so gut und lasst mich mit Euren Geschäften in Ruhe. Ich habe mich um Euretwillen schon zu sehr bloßgestellt und will nichts mehr damit zu schaffen haben. Ich habe mehr von Euren dummen Streichen gesehen als von Eurem Geld. Ich mach’ nicht mehr mit. Ich weiß, was Ihr wollt. Ihr wollt den jungen Deutschen, der seit zwei Jahren bei Squire Holz ist, auf die Seite schaffen, und da mache ich nicht mit. Ihr wisst, ich habe schon genug für Euch getan, als ich vor mehr als zwei Jahren die Briefe des alten Holz öffnete und Euch zu lesen gab, und auch die Briefe des deutschen Jungen. Ihr wisst, wenn dies an den Tag kommt, man mich mindestens fortjagt, aber eher auspeitscht, teert und federt. Ich will nicht meine Haut für Euch zu Markte tragen. Ihr sagt, Ihr habt den Jungen in New York und in Kansas City getroffen? Warum seid Ihr ihm nicht dort auf den Leib gerückt? Und jetzt kommt Ihr, nach zwei Jahren, hierher und wollt ihn hier beiseiteschaffen, wo ihn jedermann kennt und liebt? Das ist dumm, Squire Tony, und das beweist nur, dass Ihr nicht den rechten Mut habt …«

»Halt’s Maul, alte Schnapspulle, und lasst uns von Geschäften reden!«, rief Tony unwillig; »ich brauche Euer Predigen nicht!«

»Redet meinethalben«, sagte Greenwood mürrisch.

Und nun teilte Tony dem Postmeister einen ausführlichen Plan leise mit, und dieser schien ihm soweit einzuleuchten, dass er schließlich erklärte: »Das kann glücken, und den Boten will ich stellen. Ich habe just den rechten Mann dafür. Verlasst Euch auf mich, Squire Tony!«