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Der bayerische Hiesel – Teil 3

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Hiesels erste Liebe

Ignatz Stettner, der Taufpate des Hiesel, damals der reichste Bauer in Kissing, saß mit seiner jüngeren Tochter Marie, – die ältere hatte schon vor einem Jahre einen benachbarten Gerichtshalter geheiratet, – und mit den Knechten und Mägden am Tisch, um die Mittagskost einzunehmen, als Hiesel mit einem freundlichen Gruß in die Stube trat.

Marie schrie laut auf vor Freude, als sie den hübschen Hiesel wieder sah, sprang auf ihn zu, reichte ihm die Hand und wäre ihm gar um den Hals gefallen, hätte sie sich nicht vor dem Vater geschämt.

Hiesel musste sogleich Platz nehmen und mit den Übrigen essen, wobei er Gelegenheit fand, sein bisheriges Leben zu erzählen. Er äußerte den Wunsch, nunmehr in seinem Heimatort zu dienen, bis er Gelegenheit finden würde, seiner Neigung zu Folge, als Forst- und Jagdgehilfe in Fürstlich-Augsburg’sche Dienste zu treten.

Stettner trug ihm wiederholt an, als Knecht bei ihm zu dienen, und versprach ihm guten Lohn und eine freundliche Behandlung, wie sie nur der eigene Sohn verlangen könnte.

Hiesel schlug gleich ein, brachte seine Sachen in die obere Kammer und nahm sich noch in derselben Stunde des ihm angewiesenen Geschäftes mit solchem Fleiß an, dass ihm Stettner auf die Schulter klopfte, und zu ihm sagte: »Du gefällst mir, Hiesel. Wenn du so fortfährst, wie du jetzt beginnst, so kommen wir sobald nicht auseinander.«

Wie konnte Hiesel, der feurige, stolze Hiesel, sich entschließen, als Knecht gemeine Dienste zu verrichten, anstatt alle Jäger in der ganzen Gegend aufzusuchen und ihnen als Gehilfe sich anzutragen?

So wird mancher von meinen geneigten Lesern im Stillen bei sich denken. Freilich ist dieser Schritt so unerwartet, dass man mit Recht darüber staunen muss. Allein was hat die Liebe nicht schon alles getan! Die schöne Marie, nun schon eine aufgeblühte Jungfrau, hatte dieses Wunder so plötzlich bewirkt. Hiesel trat in das Haus, nur um im Vorbeigehen einen Besuch zu machen. Allein kaum hatte er das schöne Mädchen gesehen, als sein Vorsatz schon schwächer wurde. Die liebreiche Aufnahme des Vaters sowie die wiedererwachte Neigung Maries, welch sie ihm so herzlich bezeigte, änderten alles. Für sie, die von ihm so heiß Geliebte, hätte er in diesem Augenblick allen Freuden der Welt entsagt. Dass er aber seine Liebe vor der Hand geheim halten müsse, sah er wohl gleich ein. Der geringste Argwohn wäre das Grab seiner schönsten Hoffnungen geworden.

Am nächsten Morgen, es war gerade Sonntag, ging er mit Marie, geputzt so gut er es vermochte, in die Kirche. Da rissen die Bauern und Dorfmädchen ganz gewaltig die Augen auf, als sie das schöne Paar erblickten. Marie bildete sich nicht wenig auf ihren Begleiter ein.

Nach dem Abendgebet gingen beide auf den einsamen Kirchhof, um die Gräber seiner teuren Eltern zu besuchen.

Hiesel kniete nieder, betete andächtig einige Vaterunser und weinte in schmerzlicher Erinnerung an die Verlorenen so bitterlich, dass Marie ihn nicht zu trösten vermochte und endlich ihre Tränen mit den seinen vermischte.

Hier schlossen beide den Bund der Liebe und schworen auf das hölzerne Kreuz einen heiligen Eid, auf dieser Welt nie einander zu verlassen und treu und innig sich zu lieben, bis Gott dereinst sie trennen würde. Da rauschten die halb verwelkten Totenkränze, welche die gute Marie immer wieder, ihres Hiesels eingedenk, mit frischen getauscht hatte. Es war ihnen, als ob sie tief aus dem Grab ein segnendes »Amen« vernommen hätten.

Mit dem aufrichtigen Vorsatz, ein schuldloses Leben zu führen, verließ Hiesel an Maries Seite den Friedhof. Sein guter Engel ging an seiner Seite. O wäre dieser gute Engel nie von ihm gewichen, er hätte ein braver Mann werden können. Reiche Keime des Guten lagen in seinem Herzen, unter einer frommen Pflege hätten sie zu edlen Früchten werden können. Aber ach! Im Buch des Schicksals stand es anders geschrieben, und ich werde Freveltaten von ihm noch schildern müssen, wovon in diesem Augenblick kein menschliches Herz auch nur zu träumen gewagt hätte.

Hiesel verrichtete nun täglich seine Arbeit mit dem größten Fleiß, mit Pünktlichkeit und Treue, sodass Stettner mit ihm überaus zufrieden war. Diese ruhige Tätigkeit kam jedoch nur aus dem Herzen des Hiesel, nicht aus seiner Neigung. Seine Marie war sein Ein und Alles, ihr opferte er gerne alle seine Leidenschaften.

Fünf Jahre dauerte dieses Verhältnis. Hiesel war ein ehrlicher Jüngling, der sich ein Gewissen daraus gemacht hätte, den Seelenfrieden des tugendhaften Mädchens zu trüben. Er vertröstete sich auf eine bessere Zeit, wo er dem Vater alles entdecken und um seine Einwilligung zur Heirat bitten wollte.

Stettner war aber nicht so dumm, dass er nicht die Liebe der beiden Leutchen längst schon hätte bemerken sollen. Er ließ sie nie aus den Augen und beobachtete sie oft, wenn sie es gerade am wenigsten vermuteten. Doch freute es ihn herzlich, dass Hiesel sich kein unrechtes Wort erlaubte. Schon entwarf er Pläne für die Zukunft dis liebenden Paares, als ein unglücklicher Abend der ganzen Sache ein Ende machte.

Hiesel hatte an einem Sonntagnachmittag, da ihn der alte Stettner mit einem Päckchen Geld zu seinem Schwiegersohn, dem Gerichtshalter, schickte, in einem Landwirtshaus eingekehrt und sich zum Spielen verleiten lassen, wobei er vier Kronentaler verlor.

Umkehren und dem Stettner seinen Fehler gestehen, anerbieten, das Fehlende nach und nach an seinem Lohn abziehen zu lassen, dies gab weder das falsche Ehrgefühl noch die Furcht zu, seiner Marie zu missfallen. Auch wollte er das Geld zur rechten Zeit dem Gerichtshalter einliefern. Der Wirt, dem er sein Wort gab, ihn am anderen Sonntag wieder zu bezahlen, lieh dem Hiesel auf sein ehrliches Gesicht die fehlenden vier Kronentaler, und dieser besorgte den erhaltenen Auftrag.

Drei Jäger waren es, die ihm das Geld abgewonnen und sich überdies lustig über ihn machten, so zwar, dass er sie ohne die Verwendung des Wirtes vielleicht erwürgt hätte, und dieser Umstand, besonders erst nach den widrigen Folgen, die er hatte, trugen nicht wenig dazu bei, ihn mit einem unauslöschlichen Hass gegen alle Jäger zu erfüllen.

Als er wieder nach Hause kam, war er bei Weitem nicht so munter wie sonst, sondern ließ den Kopf hängen, wie einer, den eine schwere Sorge drückt. Vergebens bat ihn Marie, ihr zu sagen, was er auf dem Herzen habe. Er gab vor, dass er sich nach einem eigenen Herd und nach ihrem Besitz sehne, der Mangel an naher Aussicht jedoch auf dem einsamen Weg ihm die heitere Laune raubte.

Marie tröstete ihn so gut sie es vermochte. Als nun aber der Freitag herannahte, und er noch nicht wusste, womit er den Wirt bezahlen sollte, als überdies ein zur Schranne fahrender Bauer aus jenem Ort, den er sehr gut kannte, ihm erzählte, der Wirt habe nach Hiesels Entfernung geäußert, dass er seinen Kopf an eine Maß Bier wetten wolle, Hiesel werde am Sonntag ganz gewiss bezahlen, da wurde die Ehrliebe lebendig in ihm, und er beschloss, um jeden Preis Wort zu halten.

Der Mond schien hell durch die kühle Herbstnacht, als Hiesel gegen Mitternacht seinen Stutzen ergriff, die gestrickte Jagdtasche umhing und sich aus dem Kämmerlein über die knarrende Holztreppe leise hinabschlich, neben seinem alten Bekannten, dem freundlich wedelnden Hofhund vorbei durch den Gemüsegarten schlich und einem in der Nähe gelegenen herrschaftlichen Waldrevier zueilte.

Weit und breit kannte er alle Jagdplätze. Je tiefer Hiesel in den Wald drang, desto unheimlicher wurde es ihm zumute. Das Herz schlug ihm stärker als gewöhnlich, doch seine Arme zitterten nicht. Indem er auf eine Blöße hinaustrat, dünkte es ihn, als sehe er am gegenüberliegenden Waldsaum, kaum 150 Schritte entfernt, eine weiße Gestalt mit ehrwürdigem Antlitz drohend die Hand gegen ihn erheben und dann im Gebüsch verschwinden. Sein alter Vater war’s! Das scharfe Auge des Hiesel erkannte augenblicklich die teuren Züge, die jedoch von zürnendem Ernst getrübt schienen. Im Innersten erschüttert wollte Hiesel der väterlichen Warnung folgen und sein Vorhaben aufgeben, als plötzlich ein stattlicher Hirsch aus dem Gebüsch brach. Hiesel schoss, und mit durchbohrtem Herzen stürzte das edle Tier tot zu Boden.

Eine halbe Stunde seitwärts stand die Hütte eines Bauers, der den Wildschützen ihre Beute abkaufte. Hiesel holte ihn aus dem Bett, führte ihn zur Stelle, strich das Geld ein und eilte nach Hause, wo er sich unbemerkt wieder zur Ruhe legte.

Am anderen Nachmittage erschien ein Gerichtsdiener in Kissing, welcher auf herrschaftliche Requisition im ganzen Dorf eine Hausuntersuchung hielt, aber nichts fand.

Hiesel war so klug, nicht bloß den Stutzen und die Jagdtasche, sondern auch das erhaltene Geld so zu verstecken, dass es niemand finden konnte. In Stettners Haus verweilte er am längsten, da er den größten Verdacht auf Hiesel hatte.

Ein Handwerksbursche, der in einem Getreidefeld dicht an dem Wege, auf welchem Hiesel zurückkehrte, übernachtete, wurde durch den Schuss aufgeweckt, sah später den Hiesel vorübereilen und beschrieb ihn dem Gerichtsdiener, welchem er begegnete, auf dessen Erkundigung vom Kopf bis zu den Füßen. Dieser konnte jedoch aus Mangel an hinreichendem Beweis kein gerichtliches Einschreiten gegen Hiesel veranlassen.

Am Sonntag erschien Hiesel bei seinem Gläubiger, den er dankend bezahlte.

»Hab’ ich es nicht vorausgesagt, dass der brave Hiesel richtig bezahlen werde?«, rief der Wirt den Gästen zu, unter welchen auch die drei Jäger saßen, mit denen Hiesel gespielt hatte.

Da antwortete einer unter ihnen: »Eine saubere Bezahlung mit dem Geld, das er für einen gestohlenen Hirsch bekommen hat!«

Seine beiden Kameraden stimmten lachend mit ein und äußerten: »Ein Wilddieb kann leicht zahlen!«

Alle Augen waren auf Hiesel gerichtet, der vor Wut erbleichte, sogleich den Nächsten der drei Jäger an der Gurgel packte und hinauswarf, den ersten Sprecher aber nebst seinem Kameraden mit einem abgetretenen Stuhlbein so durchprügelte, dass sie ohne ein Zeichen des Lebens von sich zu geben auf dem Boden lagen.

Niemand wagte es, den Jägern gegen den Rasenden beizustehen, und niemand hatte Lust dazu, da sie als Streitsucher und liederliche Menschen in der ganzen Gegend verhasst waren. Dem Wirt allein gelang es, den wütenden Hiesel zu besänftigen, der sonst alle drei gewiss noch ermordet hätte. Er gab ihm selbst noch eine weite Strecke das Geleit und versicherte ihn, gerne als Zeuge für ihn bei Gericht zu erscheinen, im Falle es nötig sein sollte.

Am anderen Morgen erzählte Hiesel bei der Morgensuppe dem Stettner den ganzen Vorfall, ohne jedoch zu sagen, auf welchem Wege er die Mittel zur Bezahlung erhalten habe. Es sei erspartes Geld, versicherte er, und früher wollte er über die widrige Geschichte lieber schweigen, als vielleicht vor den Augen des Stettner in einem schlechten Licht zu stehen. Stettner schüttelte, die schlimmen Folgen voraussehend, den Kopf, und Marie weinte stille Tränen, als plötzlich ein Kommando Husaren, welche damals in Friedberg auf Werbung lag, vor der Hütte hielt und nach Hiesel fragte, den sie zum Landgericht bringen sollten.

Marie schrie laut auf in ihrer Herzensangst und umklammerte weinend den Hals des Geliebten.

Dieser aber machte sich mit sanfter Bitte los, trat ruhig und gefasst vor die Tür und sagte: »Hier bin ich, meiner Unschuld bewusst, folge ich Ihnen gerne zum Gericht!«

Der Abschied war kurz, aber rührend.

»Sei ruhig, liebe Marie«, tröstete sie Hiesel. »Das Gericht wird meine Verantwortung hören und mich lossprechen. Morgen bin ich wieder bei dir!«

Dem alten Stettner die Hand drückend, schritt er rasch zwischen den Husaren durch das Dörfchen, dessen Bewohner ihm lange teilnehmend mit ihren Blicken und besten Wünschen folgten.

 

***

 

Könnte ich euch, liebe Leser, die zahlreichen Opfer des Spieles aufzählen, wie gerne würdet ihr auf immer dem Spiel entsagen! Das Spiel tötet die kostbare Zeit, die zu etwas Nützlichem könnte verwendet werden, beunruhiget das Gemüt, leert die Taschen, führt zu Zank und Hader, zu Raufereien, Feinde schaffen, oft zu Mord und Tod, und zerstört die Gesundheit.

Auch das Hauswesen geht dabei rückwärts, und sehr oft ganz zugrunde. Der Spieler denkt an nichts mehr, als an das Spiel. Er vernachlässigt die Arbeit und die Kindererziehung, verleitet zum Fluchen, zum Trinken und zu jeder Sünde.

Ihr seht, wohin das Spiel den Hiesel gebracht hat. Es war sein erster Schritt zum Verderben. Schon dass er fremdes, anvertrautes Geld, das jedem heilig sein sollte, angriff, beging er ein Verbrechen. Um es zu ersetzen, machte er sich eines zweiten Verbrechens schuldig, indem er ein Wildschütz wurde, und wenig fehlte, so hätte er auch noch einen Mord auf seine Seele geladen.

Es ist ein großer Irrtum, wenn ihr glaubt, Gott habe das Wild für jedermann erschaffen, und jeder dürfe das Wild als sein Eigentum betrachten. Alles, was auf der Welt an lebendigem und liegendem Gut sich befindet, hat seinen Eigentümer, und niemand darf an fremdem Eigentum sich vergreifen. Gewiss wäre es euch auch nicht recht, wenn ihr einen Wald mit Hirschen und anderen Tieren hättet, und es schösse euch jemand die Hirsche weg.

Meidet also das Spiel und achtet fremdes Eigentum! Bleibt ehrlich, und ihr könnt in häuslichem Frieden leben! Warum folgte der verblendete Hiesel nicht der warnenden Erscheinung seines Vaters! War auch diese Erscheinung nur in seinem aufgeregten Gemüt, so hätte er sie doch als eine mahnende Stimme seines Gewissens beachten sollen.