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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Der Flüchtling

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 30

Der Flüchtling

Bis jetzt hatte der junge Engländer nichts getan, um seine Gegenwart zu erkennen zu geben. Nun war er im Begriff, hinabzusteigen und dem Jäger zu seiner Tat, die ihn mit Bewunderung erfüllt, Glück zu wünschen. Indes bestimmte ihn eine gewisse Neugierde, da, wo er sich befand, noch länger zu verweilen, und so beobachtete er den glücklichen Jäger am Fuß des Baumes noch länger.

Um das Mindeste zu sagen, war die Erscheinung des Jägers jedenfalls malerisch, vor allem in den Augen des mit westindischen Kostümen unbekannten Engländers. Aber außer dem malerischen Anzug lag auch noch etwas Besonderes in dem Gesicht des Mannes, das einen tiefen Eindruck auf jeden dasselbe Betrachtenden machen musste.

Dieser Eindruck war auch entschieden ein günstiger, obwohl das Gesicht keineswegs das eines weißen Mannes war. Eben so wenig war es aber auch das eines Schwarzen, noch von der gelblichen Bildung eines Mulatten. Ein wenig weißer war es allerdings als das des Letzteren, und doch nicht ganz so weiß wie die Haut eines Quadronen, obgleich es, wie dies auch bei Quadronen gefunden wird, einen roten Anflug auf den Wangen besaß. Diese Färbung der Wangen hauptsächlich, zusammen mit wohlgebildeten glänzenden und Funken sprühenden Augen verlieh dem Gesicht einen höchst lieblichen angenehmen Ausdruck.

Der Mann war offenbar noch jung. Herbert Vaughan hätte ihn von demselben Alter gehalten, wie er selbst, ohne gerade sehr fehlzugehen. In der Größe, im Wuchs und in der Gestalt war fast gar keine Verschiedenheit unter ihnen. Dagegen war auch nicht die mindeste Ähnlichkeit im Haar, in der Gesichtsfarbe und in den Gesichtszügen selbst. Während das Gesicht des jungen Engländers länglich war, das des westindischen Jägers vollkommen rund, wobei ihm ein bedeutend hervortretendes und wohlgebildetes Kinn jeden etwaigen Ausdruck des Schwächlichen benahm. Im Gegenteil war Festigkeit ein entschiedener Zug des ganzen Gesichtes, während der kühne, schwellende Nacken ein offenbares physisches Zeichen ungebeugten Mutes verriet.

Seine Gesichtsfarbe verkündete eine Mischung von afrikanischem Blut mit kaukasischem, was auch noch durch die leicht gekräuselten, pechschwarzen, seinen Kopf dicht bedeckenden Haarlocken bestätigt wurde. Diese reichen Locken wurden teilweise durch einen Kopfputz zusammengehalten, den Herbert Vaughan mit geringerer Verwunderung in einem orientalischen Land erblickt haben würde, denn beim ersten Ansehen hielt er es für einen Turban. Bei näherer Betrachtung erschien er freilich als ein prächtiges Kopfweh, das Madrastuch, das künstlich um die Stirn gefaltet wird, sodass es zierlich aus dem Scheitel mit dem Knoten ein wenig auf einer Seite sitzt. Es war eine Art Netz, kein Turban.

Die übrigen von dem jungen Jäger getragenen Kleidungsstücke waren ein Rock oder ein Hemd von himmelblauem Baumwollzeug, nach Art einer Bluse angefertigt; dann ein Unterhemd von feinem, weißen Leinen, auf der Brust in Falten gelegt und offen; Beinkleider von demselben Stoff wie der Rock und gelbe Stiefeln von halb gegerbtem Kuhleder. Auch trug er Gurte und Riemen über den Schultern, die sich alle auf der Brust kreuzten.

An den beiden Riemen zur rechten Seite hingen ein Pulverhorn und eine lederne Schießtasche. Auf derselben Seite hing noch eine große kalebassene Feldflasche, die mit einem starken Netzwerk aus Waldweidenruten umflochten war, um sie vor Beschädigung zu schützen. Unter dem linken Arm befand sich ein geschnitztes und gekrümmtes Kuhhorn, offenbar nicht für Pulver bestimmt, da es an beiden Enden offen war. Unter diesem noch, an der Hüfte, hing eine schwarze, lederne Scheide, der Behälter für den langen Degen, noch triefend von dem Blut des erlegten Ebers.

Diese Waffe war die Machete, halb Schwert, halb Jagdmesser, die mit ihrer geraden, kurzen Klinge und ihrem Heft von grauem Horn in jeder Hütte des spanischen Amerika von Kalifornien bis zum Feuerland gefunden wird. Selbst wo die Spanier gewesen, doch nun nicht mehr waren, wie auf Jamaika, konnte man überall die Machete in den Händen des Jägers und des Bauers sehen, ein Überbleibsel der früheren Eroberer der Insel.

 

***

 

Bis zu dem Augenblick, wo der Eber tot am Boden lag, war der Jäger mit dem Netz auf dem Kopf zu sehr beschäftigt gewesen, um Zeit zu haben, noch nach etwas anderem zu sehen. Erst nachdem er seinen Gegner erlegt hatte, vermochte er, aufrecht stehend, sich genauer umzublicken.

Sofort fiel sein Auge auf das Gewehr des jungen Engländers und dann auf die weißen Stücke Palmkohl, wovon der Eber gefressen hatte.

»Haha!«, rief er aus, noch immer nach Luft schnappend, mit höchst verwundertem Blick. »Eine Flinte! Und wessen? Irgendein flüchtiger Sklave, der seines Herrn Vogelflinte gestohlen hatte? Nichts wahrscheinlicher als dies. Aber warum hat er die Flinte zurückgelassen? Und was hat ihn nur von hier verscheucht? Sicherlich nicht der Eber! Er muss schon fortgegangen sein, bevor das Tier hierher gedrungen war. Caramba! Eine reichere Beute als das Schwein. Wenn ich es nur vorher erblickt hätte! Nach welcher Richtung er wohl entflohen ist? Horch, was ist das? Der Flüchtling! Ja, ja, er ist es! Er kommt wegen seiner Flinte zurück. Caramba! Das ist ein unverhofftes Glück, so früh am Morgen, ein Sklavenfang, eine Beute!«

Als der Jäger die letzten Worte in schnellster Weise ausgestoßen hatte, schlich er mit leisem Tritt zwischen die beiden, dem Seidenwollbaum als Strebepfeiler dienenden Wurzelausläufe. Hier stellte er sich in den äußersten Winkel, wo sie zusammenliefen, und blieb vollkommen still, als wolle er jemanden erwarten, der auf den Baum zu schritt.

Von seinem Baumast sah Herbert sich nach dem so angekündigten Ankömmling um und erblickte ihn mit größtem Erstaunen, nicht über sein Äußeres, das hatte er erwartet, sondern über die Haltung, in der er vorwärts schritt, und über das wilde Aussehen des Menschen.

Ein junger Mann von kupferroter Farbe, mit schlichtem schwarzen Haar, in der höchsten Verwirrung und in Zotteln über sein Gesicht hängend, als ob es ihm zuvor jemand hätte ausreißen wollen. Sein Gesicht selbst, ungeachtet seiner hellbraunen Farbe ein wirklich schönes, schien ganz frisch zerfleischt und zerfetzt, und sein ganzer übriger Körper trug ebenfalls die Spuren unmenschlicher Misshandlungen! Das grobe, seine Schultern bedeckende Baumwollhemd war überall mit Blut befleckt, und über seinen Rücken zogen sich lange dunkelrote Streifen hin, die wie die Spuren einer im Blut getränkten Peitsche aussahen.

Das Hemd war seine einzige Bekleidung, vollkommen alles, womit er bekleidet war. Kopf, Hals, Beine und Füße waren ganz unbedeckt.

Die Haltung, in der er vorwärts kam, war eben so eigentümlich, wie seine Kleidung. Als Herbert ihn zuerst gewahrte, kroch er auf Händen und Knien, bewegte sich aber mit ziemlicher Schnelle vorwärts. Dies ließ vermuten, dass er mehr deshalb kroch, um verborgen zu sein, als weil er unfähig schien, aufrecht zu gehen.

Dies wurde auch sogleich dadurch bestätigt, dass der junge Mann, als er die Lichtung erreichte, sich auf seine Füße erhob und nach der Ceiba, wenn auch mit niedergebogenem Körper, hinlief.

Was konnte er da wollen?

Wollte er den großen Baum als einen sicheren Zufluchtsort vor gefährlichen Verfolgern erreichen? Herbert vermutete so.

Der Jäger dagegen glaubte, er käme der Flinte wegen zurück, da er keine Ahnung davon haben konnte, dass der wirkliche Eigentümer derselben sich gerade über seinem Kopf befand.

In geringer Zeit hatte der Flüchtling, denn alles bezeichnete ihn als solchen, den Fuß des Baumes erreicht.

»Halt!«, schrie der Jäger, der nun aus seinem Versteck hervortrat und sich dem neu Angekommenen entgegenstellte. »Ein Flüchtling und mein Gefangener!«

Der Flüchtling fiel auf die Knie nieder, kreuzte seine Arme über die Brust und stieß einige Worte in einer fremden Sprache aus, unter denen Herbert das Wort Allah zu unterscheiden vermochte.

Sein Einfänger schien ebenfalls über die Bedeutung der ausgesprochenen Worte in Ungewissheit zu sein, allein die ganze Haltung des Sprechenden wie der Ausdruck auf seinem Gesicht konnte schwerlich missdeutet werden: Es war ein Anruf um Gnade.

»Caramba!«, rief der Jäger aus, beugte sich vorüber und sah einen Augenblick auf die Brust des Flüchtlings, auf der die Buchstaben J. J. deutlich eingebrannt waren.

»Mit der Tätowierung auf der Haut bin ich nicht verwundert, dass du deinem Herrn Fersengeld gegeben hast. Armer Teufel! Sie haben dich auf dem Rücken noch viel schändlicher tätowiert.«

Als er dies sagte, wobei er mehr zu sich selbst als zu dem vor ihm Knieenden redete, streckte der Jäger seine Hand aus, hob das Hemd von den Schultern des Flüchtlings und sah eine Zeit lang auf seinen nackten Rücken. Die Haut war mit roten Striemen bedeckt, die sich einander wie auf einem anatomischen Kupferstich kreuzten.

»Gott der Christen!«, rief der gelbe Jäger mit offenbarem Zorn bei dem Anblick aus, »ist das dein Gesetz, dann gib mir den Fetisch meiner afrikanischen Vorfahren wieder. Doch nein«, fügte er nach einer Pause hinzu. »J. J. ist kein Christ, er kümmert sich um keinen Gott.«

Das Selbstgespräch des Jägers wurde hier durch eine zweite in derselben unbekannten Sprache vorgebrachte Anrede des Flehenden unterbrochen.

Diesmal bedeuteten seine Mienen und Gebärden, wie sehr wohl zu sehen war, einen Anruf um Schutz, gegen einen zu erwartenden Feind, denn die mitleidigen Blicke seines Ergreifers hatten augenscheinlich das Vertrauen des Flüchtlings gewonnen.

»Die sind hinter dir her, ganz unbezweifelt«, sagte der Jäger. »Nun wohl, lass sie nur kommen, wer auch immer deine Verfolger sein mögen. Diesmal haben sie die Gelegenheit versäumt, und die Beute gehört mir; nicht ihnen. Armer Teufel! Wahrlich, es widersteht mir, dich auszuliefern, und wäre es nicht wegen des Gesetzes, das mich bindet, ich wollte wahrhaftig ihre lumpige Belohnung verschmähen. Horch, da kommen sie schon! Hunde, bei meiner Seele! Das Gebell und Geheul der Bluthunde! Ha, ha, hat diese schändlichen Menschenjäger von Batabano! Ich weiß es wohl, der alte Jessuron hat sie im Sold. Hier, mein armer Bursche, hier hinein!«

Der Jäger führte und zog den Flüchtling über den Körper des wilden Ebers hin und stellte ihn zwischen die beiden Strebepfeiler der Ceiba. »Stell dich nur ganz in den Winkel«, fuhr er fort, »lass mich die Vorderseite bewachen. Hier ist dein Gewehr, ich sehe, es ist geladen. Hoffentlich verstehst du, es zu gebrauchen! Gib nicht eher Feuer, bis du sicher bist, zu treffen. Wir brauchen gewiss Hieb und Schuss, um uns vor diesen spanischen Hunden zu retten, die keinen Unterschied zwischen dir und mir machen werden. Caramba! Da kommen sie schon!«

Diese Worte waren kaum den Lippen des Redenden entflohen, als zwei große Hunde mit entsetzlichem Geheul aus dem Gebüsch an der entgegengesetzten Seite der Lichtung hervorbrachen, unbezweifelt auf der Fährte des Flüchtlings.

Die dunkelrote Farbe ihrer Mäuler bezeugte, dass sie mit Blut geködert waren. Dies angetrocknete, dunkle Blut machte die weißen, gewaltigen Fangzähne in ihren Kinnladen noch viel furchtbarer.

Sie waren halb Jagdhunde, halb Bullenbeißer und verfolgten nun als gut gezogene Hunde die frische Spur.

Freilich konnte kaum eine Spur frischer sein als die des gepeitschten Flüchtlings, und in wenigen Augenblicken, nachdem sie die Lichtung betraten, waren die Hunde auch schon bei der Ceiba, der dreieckigen Kammer gegenüber, worin der Flüchtling und sein Beschützer standen.

Diese Hunde besitzen nicht den Instinkt der Selbsterhaltung, nur den, aufzuspüren und dann zu zerstören.

Ohne sich mit Heulen und Bellen aufzuhalten, ohne selbst etwas langsamer zu laufen, schossen beide vorwärts und stürzten sich mit einem mächtigen Sprung vorwärts auf die vermeinten Gegenstände ihrer Verfolgung.

Der Erste spießte sich selbst auf der ausgestreckten Machete des gelben Jägers auf, und wie das Tier zur Erde fiel, stieß es das letzte Geheul aus.

Der andere Hund sprang auf den nackten Flüchtling und erhielt den ganzen Inhalt der Vogelflinte. Obgleich das Gewehr nur mit kleinem Vogelhagel geladen war, so war die Wirkung bei der großen Nähe doch die einer Kugel, und der zweite Hund sank leblos zur Seite seines Gefährten hin.