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Der Welt-Detektiv Band 6

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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 2

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 2

Wehmütig sah Alexander Wilmot zu der Heimatküste zurück, als das Schiff unter schwerem Segeldruck sich von ihr entfernte. Er blieb auf der Hütte und sah zum Land hinüber, dessen Umrisse mit jedem Augenblick unbestimmter wurden.

»Werde ich die Heimat wiedersehen? Kehre ich zurück oder werden meine Gebeine in Afrika bleiben, vielleicht in der Wüste bleichend? Und wenn ich zurückkehre, werde ich meinen alten Oheim noch lebend antreffen oder wird er infolge der Last seiner Jahre abgerufen sein?«

Als das Land nicht mehr sichtbar war, wandte er sich ab und bemerkte neben sich einen jungen Mann gleichen Alters, welcher gleichfalls in Träumereien verloren zu der Heimatküste starrte. Da er beim Umwenden den Fremden anstieß, entschuldigte er sich, und dies gab Anlass zu einem Gespräch.

»Ich glaube Sir«, sagte der andere, ein großer, schlanker Jüngling von dunkler Gesichtsfarbe, »dass wir beide den ähnlichen Gedanken trugen, als wir von der Heimatküste Abschied nahmen. Jeder Engländer tut dies, wohl auch jeder, der sein Vaterland liebt, welchem Volk er auch angehören mag. Wir finden dies Gefühl bei den Wilden ebenso ausgeprägt wie bei den Kulturvölkern. Es ist überall vorhanden, ja ich möchte wohl sagen, es steigt noch tiefer hinab bis zu den Tieren, welche gleichfalls ihren Wohnplatz lieben und demselben treu bleiben.«

»Sie haben recht«, versetzte Alexander, »doch ist es bei den Tieren nur Anhänglichkeit an die Ortsverhältnisse, während bei den Menschen hoffentlich wohl von edleren, größeren Empfindungen gesprochen werden kann.«

»Aber doch auch nur, weil wir entsprechend höher begabt sind. Das ist vermutlich nicht Ihre erste Reife?«, fuhr der Fremde fort.

»Doch«, erwiderte Alexander, »seit gestern bin ich zum ersten Mal außerhalb der Grenze Englands und an Bord eines Schiffes.«

»Das wundert mich«, bemerkte sein Gefährte, »denn alle übrigen Passagiere leiden bereits an der Seekrankheit, während nur wir beide wohlbehalten auf Deck sind. Ich konnte daher nur vermuten, dass Sie schon früher auf See gewesen seien!«

»Ich fühlte mich allerdings gestern Abend etwas schwindlig«, erwiderte Alexander, »aber bei dieser herrlichen Morgenluft verspüre ich keinerlei unangenehme Empfindung. Ich hörte auch sagen, dass es Leute gibt, die von der Seekrankheit ausgeschlossen sind.« »Nur wenige, und es scheint, dass Sie zu diesen Glücklichen gehören. Ich für mein Teil kenne den unangenehmen Zustand dieser Krankheit leider genau. Das Frühstück wird übrigens bald serviert. Werden Sie etwas genießen können?«

»Ich denke doch, ein wenig – wenn auch nicht viel, eine Tasse Tee oder Kaffee«, erwiderte Alexander. »Ich kann nicht behaupten, dass ich großen Appetit hätte. Wie nennt man den Vogel, der dort über das Wasser hinstreicht?«

»Es ist ein Sturmvogel. Seine Anwesenheit verkündet das Eintreten rauen Windes.«

»Dann hätte er fortbleiben können«, sagte Alexander lachend, denn bei rauem Wetter wird natürlich das Schiff zu schwanken anfangen, und die jetzige schaukelnde Bewegung genügt mir für mein Teil vollständig.«

»Ich glaube, dass, wenn Sie auch nur mit geringem Appetit jetzt ein wenig Frühstück einnehmen, Sie über das bekannte Unwohlsein bald hinwegkommen«, versetzte der Fremde.

»Haben wir viele Passagiere an Bord?«

»Neun oder zehn, also nur eine kleine Anzahl, zum Verdruss des Kapitäns, der über das schlechte Geschäft klagt. Es sind meist Frauen und Kinder, auch ein Gentleman vom Kap ist da, der lange in der Kolonie wohnte und jetzt zurückkehrt. Ich habe mich bereits mit ihm unterhalten. Es ist ein sehr gebildeter Herr! Doch da kommt die Bedienung, um uns mitzuteilen, dass das Frühstück bereit ist.«

Der junge Mann, mit welchem Alexander Wilmot sprach, hieß Swinton. Er war leidlich vermögend, hatte sich keinen bestimmten Beruf erwählt, sondern zog aus, um seinem Studium und den Wissenschaften zu leben. Er war auf dem Weg zum Kap der Guten Hoffnung und hatte sich kein weiteres Ziel gesteckt, als die Produkte jenes Landes zu studieren, und zwar diese wissenschaftlichen Untersuchungen in größerem Maße festzustellen, als es ihm bisher möglich gewesen war.

Noch ehe das Schiff in Madeira anlegte und dort drei Tage haltmachte, um Wein und Proviant aufzunehmen, hatte sich bereits zwischen Alexander und Herrn Swinton ein vertrauliches Verhältnis gebildet, obgleich niemand von ihnen wusste, warum er zum Kap reiste. Beide waren zu zartfühlend, um Fragen zu stellen, und jeder wartete deshalb, bis einer aus freiem Antrieb seine Gründe vorbrachte.

Wie bereits erwähnt, befanden sich noch andere Passagiere an Bord, darunter ein Gentleman, der in Kapstadt wohnte und dort einen einträglichen Regierungsposten bekleidete. Er war ein Mann von ungefähr sechzig Jahren, hatte ein wohlwollendes und gewinnendes Äußeres.

Alexander entdeckte, als er in Madeira seine Empfehlungsbriefe begutachtete, dass sich auch einer an diesen Herrn darunter befand. Er übergab Mr. Fairburn den Brief, der sich nun mit ihm auf vertraglichen Fuß stellte und Anlass nahm, sich für das Wohlergehen Alexanders besonders zu interessieren. Mr. Fairburn glaubte aus dem Empfehlungsschreiben den Schluss ziehen zu dürfen, Alexander über den Grund der Kapreise befragen zu dürfen, denn er hatte aus dem Brief ersehen, dass er der Erbe Sir Charles Wilmot war und daher nicht als Spekulant oder Auswanderer in die Fremde zog. Alexander nahm auch keinen Anstoß, sich Mr. Fairburn voll und ganz anzuvertrauen, der ihm für den Zweck seiner Reise doch wesentliche Hilfe leisten konnte.

Die übrigen Passagiere waren drei junge Damen, die zu ihren Verwandten nach Indien reisten und eine ältere Dame, die mit ihren beiden Töchtern zu ihrem Gatten, einem Obersten in der bengalischen Armee reiste. Es waren reizende, unterhaltende Damen. Besonders die beiden jungen Mädchen waren äußerst lebhaft, unterhaltend und vergnügt, sodass die Kajüte des Surprise bald eine anziehende und vertrauliche Gesellschaft barg. Bald nach der Abreise von Madeira trat herrliches Wetter ein. Jeder tat sein Möglichstes, um die Fahrt so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Zeltdecken wurden ausgebreitet, die Stühle herbeigeholt, und der größte Teil des Tages auf dem Halbdeck und auf der Hütte des Schiffes verbracht, welches mehrere Wochen vor den Passatwinden abwärts lief, weil der Kapitän nach Rio wollte, um dort für den Rest der Reise neuen Proviant aufzunehmen.

Als eines Morgens Alexander Wilmot und Mr. Fairburn zusammensaßen, sagte der Erstere: »Sie haben wohl schon viele Jahre auf dem Kap zugebracht, Mr. Fairburn?«

»Ja. Ich wurde, als ich nach Indien zurückkehrte, gefangen genommen und blieb ein Jahr in Kapstadt, welches damals noch den Holländern gehörte. Man wollte mich als Gefangenen nach Holland schicken. Ich wurde in der Saldanha Bay an Bord eines Schiffes gebracht, das von den Engländern gekapert wurde. Nachdem später die Engländer das Kap erobert hatten, bot man mir wegen meiner Ortskenntnisse, die ich durch meinen langen Aufenthalt erworben hatte, eine gute Stellung an. Als die Kolonie später wieder an Holland kam, kehrte ich nach England zurück. Nach der zweiten Wegnahme wurde mir mein alter Posten wieder übertragen und ich bin seitdem immer auf dem Kap geblieben.«

»Dann sind Sie wohl mit der Geschichte der Kolonie sehr vertraut?«

»Ja, und wenn Sie es wünschen, mache ich mir eine Freude daraus, sie Ihnen in Kürze mitzuteilen.«

»Es würde mir allerdings ein großes Vergnügen fein, denn ich muss gestehen, dass ich nur wenig davon weiß, und dieses wenige nur Reisebeschreibungen verdanke, die ich hastig gelesen habe.«

»Ich glaube, es war im Jahre 1672, als Holland den Entschluss fasste, an dem Kap eine Niederlassung zu gründen. Die Eingeborenen, welche den Strich um die Kapstadt bewohnten, waren die Khoikhoi, ein sanftes, friedliebendes Volk, das nur vom Ertrag seines Viehs lebte. Den Ackerbau kannten sie nicht, sondern besaßen nur große Herden Hornvieh, Schafe und Ziegen, mit denen sie die ausgedehnten Weidegründe des Landes bestrichen. Die Geschichte der Gründung einer Kolonie ist, wie ich fürchte, fast bei allen die gleiche. Man fängt damit an, sich zuerst das Wohlwollen des Volkes zu verschaffen. Wenn man dann festen Fuß im Lande gewonnen hat, behandelt man die Eingeborenen barbarisch und ungerecht.

Die Khoikhoi, die sich schnell durch freundliches Benehmen und Geschenke gewinnen ließen, hielten es für unverfänglich, wenn Fremde einen kleinen Teil ihres ausgedehnten Gebietes besaßen, und gaben deshalb bereitwillig zur Gründung einer Kolonie ihre Zustimmung. Sie kosteten damals in ihrem Leben zum ersten Mal das, was ihnen später Verderben und Sklaverei brachte – nämlich den Tabak und den Branntwein. Man beschenkte das arme Volk mit diesen Giften, bis sie eine Leidenschaft dafür gewonnen hatten und jetzt willig ein Glas Branntwein oder eine Pfeife Tabak für einen Ochsen eintauschten. So wurden nun die Kolonisten täglich reicher, während die Khoikhoi völlig verarmten.

Die Kolonie vergrößerte sich schnell, bis sie endlich stark genug war, dass der Gouverneur sich ohne Weiteres so großer Ländereien bemächtigen konnte, als die Regierung zu behalten und zu vergeben wünschte. Die Khoikhoi machten nun die grausame Entdeckung, dass ihnen nicht nur das Vieh, sondern auch die Mittel, sich selbst zu ernähren, entrissen waren. Zuletzt hatten sie nichts mehr als ihre Leidenschaft für Tabak und Branntwein. Da sie das Land ihrer Väter nicht verlassen wollten und keinen anderen Ausweg fanden, um sich die ersehnten, berauschenden Getränke zu verschaffen, verkauften sie sich an die weißen Kolonisten und begnügten sich damit, die Herden, welche vordem ihr Eigentum gewesen waren, zu hüten und zu den Weidegründen des Landes zu führen, das sie von ihren Vorfahren geerbt hatten.«

»Sie wurden also Sklaven?«, fragte Alexander.

»Nein, man behandelte sie weit schlechter, aber dennoch waren sie niemals Sklaven. Dies ist ein Punkt, auf den ich besonders aufmerksam machen möchte. Sie wurden eine Art Feudaleigentum der Holländer, sahen sich genötigt, sich zu verdingen und für einen Lohn zu arbeiten, den sie selten oder nie erhielten, und wurden der härtesten und grausamsten Behandlung ausgefetzt, ohne jemals dafür Genugtuung erhalten zu können. Aber sie wurden nie verkauft oder verhandelt wie Sklaven, welche später von Ostafrika und von Madagaskar eingeführt wurden. Die Lage des Sklaven war deshalb weit besser, denn es lag im Interesse der Eigentümer, das Leben eines Geschöpfes, für das sie zwei oder dreihundert Reichstaler bezahlt hatten, nie zu gefährden oder zu vernichten, während der holländische Bauer oder Pflanzer einen Khoikhoi für absolut nichts einsetzte. Musste das Vieh an Orten gehütet werden, wo es viele Löwen gab, so erhielt nicht ein Sklave, sondern der Khoikhoi dieses Amt, da dieser nichts kostete, und sich leicht wieder ersetzen ließ. Das Leben eines Eingeborenen wurde völlig wertlos, und es unterliegt keinem Zweifel, dass sich die Pflanzer nichts daraus machten, einen Khoikhoi wegen des geringsten Versehens ohne Weiteres niederzuschießen.«

»Entsetzlich!« Und das alles hat die holländische Regierung geduldet?«

»Sie konnten es wohl nicht ohne Weiteres ändern und mussten deshalb ein Auge zudrücken. Die Verbrecher waren eben außerhalb ihres Bereiches.

Die holländische Regierung bemächtigte sich des ganzen Landes, das den Khoikhoi gehörte, und verteilte es an ihre Untertanen, die jetzt Viehzüchter wurden und ungeheure Herden besaßen, auch bepflanzten sie den Boden in der Nähe ihrer Wohnungen. Mit der Ausdehnung der Kolonie steigerte sich naturgemäß auch die Nachfrage nach Land und zuletzt war der gesamte nutzbare Boden bis an das Land der Xhosa hin von Holländern besetzt. Es wurden nun auch nicht alle Khoikhoi-Stämme zu Leibeigenen, denn einige trieben ihr Vieh aus dem Bereich der Holländer bis an die Grenze des Xhosalandes, während andere, ihres Eigentums beraubt, die Ebene verließen und ins Gebirge zogen, wo sie von der Jagd und vom Raub lebten. Letzteren erhielten den Namen Buschmänner, den sie heute noch führen. Sie lebten in großer Armut, vegetierten in Höhlen, waren stets dem Hunger preisgegeben und verringerten sich bald zu einem sehr kleinen Stamm, der sich nie wieder erholen konnte.

Die holländischen Buren oder Pflanzer, welche im Innern, fern von Kapstadt lebten, hatte mit vielen Feinden zu kämpfen, vom Löwen bis zum Schakal herunter, die ihre Herden verwüsteten, und vor allem mit den räuberischen Buschmännern. Sie zogen deshalb nie ohne ihr Gewehr aus und wurden so ein derbes, mutiges und kräftiges Geschlecht, das sich gut auf den Gebrauch der Feuerwaffen verstand, aber zugleich grausam und habgierig war. Die tyrannische Gewalt über die Sklaven und Khoikhoi wirkte entsittlichend und machte sie gleichsam zu Bluthunden. Der Sitz der Regierung war zu fern, als dass deren Macht sie hätte erreichen können. Die Buren boten ihr daher Trotz, kannten keine anderen Gesetze und überhaupt keine Oberherrlichkeit als ihren eigenen Willen und machten sich offen jedweden Verbrechens schuldig, ohne sich um die Entdeckung zu kümmern.«

»Ich habe allerdings oft von der furchtbaren Grausamkeit der Buren gelesen, habe aber niemals gedacht, dass es so schlimm sei.«

»Die Quelle lag in dem größten Fluch, den die Menschheit kennt – in der Sklaverei, denn nichts wirkt so entsittlichend. Die Buren wurden von Kind auf in der Ansicht erzogen, ein Khoikhoi, ein Buschmann oder Xhosa sei nicht besser als ein Tier und müsse demgemäß behandelt werden. Sie schreckten vielleicht vor dem Gedanken zurück, einen Weißen zu ermorden, übten aber unter den armen Eingeborenen das Gemetzel im großen Stil und fanden nichts Arges dabei.

Doch die Damen kommen jetzt herauf, und ich will abbrechen und Ihre Geduld für heute nicht weiter in Anspruch nehmen. Schließen wir also damit, was ich den ersten Teil meiner kleinen Geschichte der Kapkolonie nennen möchte.«

 

***

 

Alexander Wilmot hatte die Bekanntschaft mit Mr. Swinton so gepflegt, dass sie bald sehr vertraut wurden. Ihre Unterhaltung drehte sich meist um Swintons Lieblingsstudium, die Naturgeschichte.

»Ich muss gestehen, dass ich in diesen Fach völlig unwissend bin«, bemerkte Alexander eines Tages, »obschon ich weiß, dass sie dem Forscher hohes Interesse bieten muss. Wenn ich die Museen besuchte, habe ich oft gewünscht, jemanden bei mir zu haben, der mir alles erklären könnte, was ich nicht verstand. Das Studium der Naturgeschichte muss eine gewaltige Aufgabe sein, wenn man es bis ins Kleinste erforschen will. Allein schon die Botanik, die Mineralogie, die Geologie bedeuten das Universum und sind doch nur ein Teil vom Ganzen.«

»Gewiss«, versetzte Mr. Swinton lachend, »und diese drei sind gerade die interessantesten Zweige. Dann kommt noch die Zoologie mit ihren betreffenden Unterabteilungen. Ornithologie für die Vögel, Entomologie für die Insekten, Chronologie für die Muscheln, Ichthyologie für die Fische – alles harte Namen, die wohl einen jungen Anfänger einschüchtern können. Ich versichere Ihnen jedoch, dass sich die allgemeine Kenntnis bald erlernen lässt, die völlig zureicht, Interesse zu erwecken und stets Unterhaltungen zu bieten.«

»Des Menschen bestes Studium ist der Mensch, sagt der Dichter«, bemerkte Alexander lachend.

»Wenn man den Mensch studieren will, so hat man es nur mit seinen Inkonsequenzen, mit den Verirrungen vom rechten Pfad zu tun, welche in seinem freien Willen bedingt sind. Der Naturforscher trifft jedoch überall auf den ordnenden Finger der Allmacht, welche in so wunderbarer Weise allen Tieren Mittel und Wege zur Existenz gibt. Nicht nur der äußere, sondern auch der innere Bau der Tiere zeigt eine solche Abwechslung und ist so scharfsinnig darauf berechnet, sie jede Schwierigkeit überwinden und aller Genüsse, deren ihre Natur fähig ist, teilhaftig werden zu lassen, dass man jede Untersuchung mit neuem Staunen und gesteigerter Bewunderung schließt und sich gezwungen fühlt, mit dem Psalmisten auszurufen: »O Gott, wie groß sind deine Werke, in deiner Weisheit hast du sie geschaffen!«

»Ihr stellt allerdings das Studium in ein neues, schönes Licht«, entgegnete Alexander.

»Je mehr man der Natur nachspürt, desto wundervoller findet man ihre Geheimnisse und unter Beihilfe der Chemie machen wir jeden Tag neue Entdeckungen. Sehen Sie hier, Mr. Wilmot«, fuhr Swinton fort, indem er einen Strohhalm auflas, welcher durch den Wind zum Halbdeck geflogen war, »glauben Sie wohl, dass zwischen diesem Halm und dem Stein in jenem Flintenschloss eine Analogie stattfinde?«

»Unmöglich, sind sie doch ihrem Wesen nach so verschieden, als es nur möglich ist.«

»Und doch trügt der Schein. Dieser Strohhalm enthält mehr als 60 Prozent Kieselerde, sodass er trotz seiner pflanzlichen Bildung zwei Drittel der härtesten Mineralsubstanz, die wir kennen, enthält. Man sollte kaum glauben, dass die Wurzelfasern dieser Pflanze imstande wären, eine so harte Substanz aufzulösen und in sich aufzunehmen, und doch ist es der Fall.

»Höchst wunderbar.«

»Jawohl, aber dies ist nicht das einzige Beispiel. Der phosphorsaure Kalk, welcher den Hauptbestandteil der tierischen Knochen bildet, wird von den Pflanzen in gleicher Weise aufgesucht und verarbeitet. Gerste und Hafer enthalten ungefähr 30 Prozent dieser Substanz, während sich in den meisten Holzarten mehr oder weniger davon nachweisen lässt.«

»Dies überrascht mich weniger als die Tatsache mit der Kieselerde, die mir fast unbegreiflich scheint.«

»Bei Gott ist kein Ding unmöglich. In Holland wächst eine Binse, die weit mehr Kieselerde enthält als das Weizenstroh, und deshalb von den Holländern zum Polieren von Holz und Messing benutzt wird. Unsere Kenntnisse sind noch sehr beschränkt, aber dennoch wissen wir, dass fast in allen tierischen Gebilden Mineralsubstanzen gefunden werden, selbst die Farbe des Blutes ist nichts anderes als ein Oxid und eine Phosphorverbindung des Eisens.«

»Jetzt begreife ich, weshalb Ihre Wissenschaft Sie so begeistert, Mr. Swinton, und kann nur bedauern, während der kurzen Frist unserer Reise aus unserer Unterhaltung nicht so viel Vorteile ziehen zu können, wie ich wünschte. Ich fürchte, dass unsere Absichten uns nach verschiedenen Richtungen vom Kap uns führen werden.«

»Wahrscheinlich, denn ich habe im Sinn, möglichst weit ins Innere des Landes vorzudringen«, versetzte Mr. Swinton. »Dies kann natürlich nicht in Ihrer Absicht liegen.«

»Meinen Sie? Und doch ist es der Fall«, erwiderte Alexander. »Auch ich will in das Innere eindringen und darf Sie wohl fragen, welchen Weg Sie einzuschlagen gedenken.«

»Ich kann darauf mit dem besten Willen keine bestimmte Antwort geben, da es ganz von dem Schutz abhängt, den ich treffe. Afrika bietet der Wissenschaft ein so weites Feld, dass ich überall für meine Reise reichlich belohnt werde. Ich brauche wohl nicht besonders hinzuzufügen, dass ich mich freuen würde, in Ihrer Gesellschaft reisen zu können.«

Mr. Fairburn hatte den letzten Teil des Gespräches mit angehört und erlaubte sich zu bemerken: »Ich glaube, Mr. Swinton, Sie würden gut tun, sich der Expedition des Herrn Wilmot anzuschließen. Es muss jedoch reiflich erwogen werden, da die Wahl eines Reisegefährten durch Temperamentunterschiede den Genuss des Reisens leicht verbittern kann. Und nun, Herr Wilmot, wenn Sie die Naturgeschichte satthaben und sie gegen die weniger Erfreuliche der Menschennatur vertauschen wollen, bin ich bereit, Ihnen meine Beobachtungen weiter mitzuteilen.«

»Ich höre mit größtem Vergnügen zu, Sir.«

»Ich hoffe, dass Sie nichts dagegen haben, wenn ich gleichfalls daraus Nutzen ziehen kann«, sagte Swinton.

»Gewiss nicht«, erwiderte Mr. Fairburn. »In meiner früheren Unterhaltung mit Herrn Wilmot habe ich mich darüber ausgelassen, wie das Kap kolonisiert wurde und wie die Ansiedler allmählich die ursprünglichen Eigentümer des Bodens zu Leibeigenen machten. Ich will von da ab fortfahren: Mit der Ausdehnung ihres Viehbestandes brauchten die holländischen Bauern mehr Weideplätze und besetzten deshalb den ganzen Strich südlich des Xhosalandes. Die Xhosa sind ein wildes, mutiges Volk, dessen Reichtum hauptsächlich in Vieh besteht, und das man in den meisten Punkten als den Khoikhoi überlegen betrachten kann.

Die Waffe des Khoikhoi ist Pfeil und Bogen, der Xhosa aber verschmäht es, in dieser Weise Krieg zu führen, da er ein Feind der Hinterlist ist. Seine Waffe ist der Assegai, eine Art Speer, und der Schild. Hiermit kämpft er offen und tapfer. Auch der Ackerbau ist ihm nicht fremd. Desgleichen trifft man bei ihm mehr Reinlichkeit und Zivilisation. Die Buren an der Xhosa-Grenze wurden oft von den Buschmännern und hin und wieder auch von einigen Xhosa, die an der Grenze wilderten, beraubt. Stets wurde jedoch Vergütung geleistet, wenn die Beschwerde bei den Xhosa-Häuptlingen einlief. Damit waren aber die holländischen Bauern nicht zufrieden. Sie hatten bei dieser Gelegenheit im Xhosan-Land die großen Viehherden gesehen. Habsüchtig, wie sie sind, sahen sie schnell, wie bald sie sich bereichern könnten, wenn sie den Xhosa ihr Vieh abnähmen. So oft nun die Buschmänner Vieh stahlen, gingen unverweilt Klagen nach Kapstadt, mit der begründeten Bitte, sofort Mannschaften zu stellen, die das Geraubte den Xhosa wieder abjagen sollten.

»Die aufgebotene Macht hieß ein Kommando und bestand aus fast sämtlichen holländischen Buren und ihrem Gesinde, welche gut bewaffnet und beritten waren. Nun ging es auf das Xhosa-Gebiet los. Weil von unbekannten Leuten einige Stück Vieh gestohlen waren, wurden die armen Wilden überfallen, die den sicher treffenden Gewehren nur ihre Assegais entgegensetzen konnten. Die Buren steckten die Krals oder Dörfer in Brand, ermordeten ohne Unterschied Männer und Frauen und führten als Entschädigung für einen unbedeutenden Verlust Tausende Stück Vieh mit sich fort, welche den Xhosa gehörten. Letztere, über den frechen Raub empört, griffen die Buren an, um ihr Vieh wieder zu gewinnen. Aber wie ganz anders benahm sich der verwahrloste Wilde dem christlichen Pflanzer gegenüber. Die Buren mordeten Frauen und Kinder, die Xhosa aber taten diesen wehrlosen Geschöpfen nie etwas zuleide und erschlugen nicht einmal die Männer, wenn sie ihr Eigentum ohne Blutvergießen wieder erhalten konnten.«

»Aber wie konnte die holländische Regierung solche Gräuel zugeben?«

»Sie schenkte den Vorstellungen der Pflanzer Glauben und erteilte demgemäß Befehle. Später versuchte sie, den Schauderszenen Einhalt zu gebieten. Aber die Buren waren ihrem Zügel entwachsen. In einem einzigen Fall, in welchem das holländische Ministerium eine besonders auffallende Gräueltat der Pflanzer bestraft wissen wollte, gab der Gouverneur zur Antwort, dass er nicht wagen könne, dem Wunsch der Regierung zu entsprechen, denn das System der Grausamkeit sei so allgemein üblich, dass er auch dann die mit in die Sache verwickelten Personen bestrafen müsste. In diesem Zustand befand sich also die Ansiedelung, als sie in den Besitz Englands kam. Die Khoikhoi galten als Leibeigene und wurden wie Tiere behandelt. Die Sklavenhändler führten Sklaven ein und zwischen den Buren und Xhosa tobte dauernde Fehde.«

»Hoffentlich machte unsere Regierung dieser infamen Ungerechtigkeit bald ein Ende?«

»Dies war nicht so leicht. Die Grenzpflanzer erhoben sich gegen die englische Regierung und die Khoikhoi, die sich so lange geduldig verhalten hatten, flüchteten und schlossen sich den Xhosa an. Letztere griffen mit diesem Zuwachs die Grenzburen an, verbrannten ihre Häuser, führten ihr Vieh fort und bemächtigten sich ihrer Waffen und Munition. Die Buren sammelten sich zu einer großen Streitmacht und es kam abermals zum Krieg, aus dem die Khoikhoi und Xhosa als Sieger hervorgingen. Sie erschlugen den Feldherrn der Buren, verfolgten sie und metzelten alles nieder, bis ihnen das Vorrücken der englischen Truppen Einhalt gebot. Doch ich kann nicht lange bei dieser Periode verweilen. Der Krieg dauerte fort, bis die Eingeborenen, die endlich den Schutz Englands nachsuchten, sich bewegen ließen, ihre Waffen niederzulegen. Später kam die Kolonie nochmals an die Holländer. Die Khoikhoi kehrten wieder zu ihrem früheren Herrn zurück. Später kam die Kolonie abermals an die Holländer und verblieb denselben bis zum Jahr 1806, wo sie dann für immer denn britischen Reiche angegliedert wurde. Die Holländer waren nicht klüger geworden, behandelten die Khoikhoi schlimmer als je zuvor, indem sie der britischen Regierung zum Trotz weiter raubten und sengten. Endlich aber sollte eine Veränderung eintreten.«

»Jedenfalls war es höchste Zeit«, bemerkte Alexander.

»Dieser Wechsel wurde durch die Missionare herbeigeführt. Sie waren in das Innere eingedrungen und hatten gesehen, wie schändlich Raub und Grausamkeit überall verübt wurden. Ihre Bericht brachte den Buren zum großen Verdruss und Erstaunen Gesetze in Anwendung, in denen vorgeschrieben war, dass das Leben eines Khoikhoi genau so wertvoll sei, wie das eines holländischen Buren, und dass die Regierung dieser christlichen Wahrheit mit allen Mitteln Nachdruck geben werde. Dies war der erste Schlag und bald nachher sollte den Elenden, die so lange mit dem Leben ihrer armen Mitmenschen gespielt hatten, ein noch schwereren treffen. Die Presse nahm sich der Khoikhoi an, und die Schrift eines Missionars lenkte die Aufmerksamkeit in England auf ihre Lage. Ihre Sache fand im Unterhaus warme Verfechter und der Khoikhoi wurde nunmehr als freier Mann erklärt.«

»Gott sei Dank«, rief Alexander. »Das Blut kochte mir bei Eurer Schilderung.«

»Ich will jetzt aufhören, meine Herren«, entgegnete Fairburn. »Wir können unser Gespräch morgen fortsetzen, wenn es Wind und Wetter gestattet.«