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Sagen- und Märchengestalten – Segen und Beschwörung

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Segen und Beschwörung

Eine große Macht besitzt nach dem Glauben der Leute das gesprochene Wort. Es vermag zu binden und zu lösen, zu schaden und zu heilen, es dient zum Fluch und zum Segen. Laute Verwünschungen entfahren den Lippen gereizter Helden. Leise murmelt das Zauberweib den Verderben bringenden Spruch und kaum hörbar wird der Segen über kranke Glieder geflüstert. Wie die Worte dichterischer Begeisterung in gebundener Rede dem Sängermund entströmen, so klingen auch die Segenssprüche und Beschwörungsformeln harmonisch zusammen, als vermöge der Reim und das Versmaß dem gesprochenen Wort eine kräftigende Weihe zu verleihen. Für den Spruch galten geheimnisvolle, in den Opferstein heidnischer Altare eingegrabene Zeichen: die Runen, deren wunderbare Schrift nur die Priester und einzelne weise Frauen zu enträtseln vermochten. In Worten, welche dem Volk fremd klangen, flüsterten die Letzteren ihre seltsamen Sprüche, heilten damit die wunden Glieder der Helden, schufen dem andrängenden Feind Unwetter und Verderben und lösten die schweren Bande der kriegsgefangenen Freunde. Dem geweihten Zauber dienten auch die Runenstäbe aus Holz oder Rohr, in welche die heiligen Zeichen eingeritzt worden waren. Binsen und Rohrhalme wandelten sich schon in der alten irischen Sage zu Rossen, auf denen die Zauberweiber nächtlichen Umritt hielten.

Wie die höchste Gottheit der Griechen und Römer, der welterschütternde Jupiter oder Zeus, die Blitze aus seiner Rechten auf die zitternde Erde herabwarf, so schüttelte der gewaltigste Gott des Nordens, Odin, die Runenstäbe, die er selbst erdacht hatte, über Meer und Land und beherrschte damit alles, was da lebte, blühte und grünte, wie auch die tote Masse der Felsen. Als der Gott von der Höhe seiner Macht herabzusteigen begann, erfand das Volk ein Märchen, wonach ihm durch Menschenlist die Runenstäbe entwendet wurden, deren Kraft sich dann gegen den eigenen Schöpfer wendete. Die Macht der Runen umgab Priester und weissagende Frauen mit Gottähnlichkeit, solange der Gott als Urheber heiligen Zaubers angesehen wurde. Neuere Sagen setzten den Bösen an die Stelle des machtberaubten Gottes und zeihten alle, die so ungewöhnlicher Dinge kundig waren, einer unerlaubten Verbindung mit ihm. Nur wenige Sprüche sind uns aus jener alten Zeit aufbewahrt, aber sie genügen, um uns interessante Aufschlüsse über diese bis in unsere Zeit hinabreichende Gattung des Aberglaubens zu geben.

Die große Masse der verschiedenen Segnungen lässt sich in mehrere Unterabteilungen zerlegen. Manche wurden nur gesprochen oder gemurmelt, andere durch Kräuter und Wurzeln bewirkt. Die Kraft eines Segens knüpfte sich an Ort, Zeit und Stunde, oder an gewisse Zeichen, mit welchen der Segnende seine Worte begleitete. Man verfertigte auch geschriebene Zettel, die am Leibe getragen oder gar verschluckt werden mussten. Mancher Segen brauchte nur einmal, ein anderer musste drei- oder neunmal gesprochen werden. Zuweilen galten die Tage gleich, meist aber wählte man den Freitag, die Zeit des ab- oder zunehmenden Mondes, den Schutz dieses oder jenes Gestirnes. Wer außerhalb seines Hauses das bedeutsame Werk verrichtete, musste es schweigend tun und auf seinem Weg niemand grüßen. Bisweilen erforderte der Brauch, dass man in Nachbarhäusern etwas um Gotteswillen erbat. Mit besonderen Kräften waren solche, welche mit Zähnen zur Welt kamen oder denen bei ihrer Geburt das Glückshäubchen, der Glückshelm auf dem Haupt verblieb, ausgestattet.

Zigeuner standen in dem Ruf, sicher wirkende Segenssprüche von ihren Urvätern her übernommen zu haben, Schäfer und Hirten wussten allerlei seltsamen und geheimnisvollen Brauch, vor allen aber waren und sind es noch die Henker und Abdecker, deren gefürchteter und gemiedener Zunft man die Kraft, Zauber zu üben und sympathische Kuren zu vollbringen, zusprach.

Eine besondere Macht wurde den Worten der Heiligen Schrift, der Anrufung Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes sowie der Jungfrau Maria zugeschrieben. Auch die Psalmen Davids offenbarten tief greifende Kräfte und es schied sich demnach die Segnung in Gottes Namen von derjenigen, welche durch unverständliche Worte wie Abrakadabra, Abraxas, Iriani, Kiriani und andere bewirkt wurde. Bei Feuersbrünsten pflegten die Juden die Namen Jehova und Adonai an die der Brandstätte nächstgelegenen Häuser zu schreiben, um diese vor dem Feuer zu schützen. Ein alter Schriftsteller behauptete, in Italien eine Abschrift der Psalmen gesehen zu haben, in der einzelne Wörter und ganze Reihen mit roter Tinte unterstrichen waren. Verschiedene dabei befindliche Randbemerkungen besagten, wie dieser Vers gegen Krankheit der Pferde, jener gegen Viehseuche etc. zu gebrauchen sei. In den Hexenprozessakten finden sich eine Menge der landesüblichen Segen, mit denen die beschuldigten Frauen Zauberei getrieben haben sollten.

Gegen Blattern an den Augen und auf der Zunge diente der Spruch: »Fleug, Blatter, und nicht zerbrist, das gebeut Dir der Herr Jesus Christ, im Namen Gottes …« Manche hauchten die leidenden Augen an oder ritzten die Zunge, bis ein wenig Blut floss, während der Segen gemurmelt wurde.

Über Verwundungen, solange der Brand nicht hinzugetreten war, sprach man: »Es ist heut ein guter Tag, da diese Wunde geschlagen wurde, wie unseres Herrn Christi Wunden; sie eitert nit, sie schwört nit, also soll es auch mit dieser tun, im Namen …« Hatte die Wunde sich verschlimmert, so glaubte man den Brand durch des Spruches Kraft aufhalten zu können. Zuweilen hauchte der Segnende die Wunde an, während er leise murmelte: »St. Lorenz sitzt auf einem feurigen Rost, da kam unser lieber Herrgott mit einem guten Trost: versag dem Ding den Brand, dass er nicht weiter stand, nicht weiter grieb, nicht weiter schied, nicht weiter üb – im Namen …« In Verbindung mit einer Salbe aus Ei und Leinöl, um die entzündete Stelle gelegt, beteten kluge Frauen: »Unsere liebe Frau ging über Land, sie roch den Brand, sie fand den Brand, hob ihn aus in ihre schneeweiße Hand: Brand, Du sollst Katharinchen heilen, so glatt wie ein Ei, im Namen …«

Besonders gesucht waren Leute, welche das Blut zu stillen wussten. Der Blutsegen ist uralt, er sollte das verrinnende Leben in der klaffenden Todeswunde aufzuhalten wissen. Da hieß es: »Es steigen drei Jungfrauen vom Himmel zur Erden; die erste heißt Blutgülpe, die andere Blutstülpe, die dritte Blutstehestill.« Ein Holzfäller hatte mit einem Axthieb das eigene Bein getroffen. Ein Blutstrahl drang aus der Wunde hervor und der Verletzte fiel in Ohnmacht. Da trat ein alter Mann hinzu, neigte sich über die Wunde und sprach nichts weiter als: »Es ist genug«, und augenblicklich stand das Blut und die zerrissene Ader schloss sich wieder. Blutstiller gibt es noch heute auf dem flachen Land und das Volk hat zu ihrer Kunst mehr Vertrauen, als zu den erfahrensten Ärzten; z. B. puderfein gemahlene Ulmenrinde.

Wer, von rheumatischen Schmerzen in Kopf und Rücken geplagt, vor Mitternacht nicht einschlummerte, der hatte das Nachtgeschick, war von den umziehenden Elben oder von einer übelwollenden Frau bezaubert worden. Dagegen half mancher Spruch und das Zeichen des Kreuzes: »Johannes, auf hoch Holz trittst Du, je Frau Oswald siehest Du, es stehen drei elende Frauen, sie sind in der Nacht geschauen und haben des Tages auch kein Gewalt. Das gebeut Euch Gott der Herr und St. Oswald.« Oder: »Els, Du hast den Nachtbrand! Dass er ausfließe und zuschließe, das Ganze sei wie ein Ei und sei in dreien Tagen heil.«

Gegen die Schwindsucht half das Wasser, welches sich morgens vor Sonnenaufgang in den Fugen der Grabsteine fand. War diese Labung dem Kranken nicht zu schaffen, so musste er gewöhnliches Wasser aus der hohlen Hand schlürfen, doch zuvor sprechen: »Ich trinke meines Leibes Macht und trinke meines Herzens Kraft und meiner Lunge ein neu Geblüt, das zähle ich mir zu Buße.« Der Hilfesuchende nannte hierauf alle seine Taufnamen, betete den Glauben und das Vaterunser und trank alsdann.

Sehr gefürchtet war das laufende Feuer, der Rotlauf, oder wie man diese Krankheit dem heiligen Antonius zu Ehren noch nannte, das Thöngisfeuer. Laufendes Feuer an einem Glied wurde durch eine Reliquie des frommen Toten geheilt. In früherer Zeit muss der Rotlauf als eine bösartige Krankheit grassiert und auch Erwachsene vielfach befallen haben. Im 14. Jahrhundert ist die Rede von einer Wallfahrt Rotlaufkranker, die über Basel durch das Elsass nach St. Didier la Mothe ging, wo die Gebeine des heiligen Antonius ruhen. Ein Spruch gegen den Rotlauf heißt: »Ich ging durch einen roten, roten Wald, im roten Wald war eine rote Kirch, in der roten Kirch war ein roter Stein, auf dem roten Stein war ein rotes Messer. Omen (Rotlauf). Amen.« Ein Sprichwort am Rhein lautet: Durchgeprügelt werden, dass man das Feuer im Elsass sieht, – an anderen Orten: Geschlagen, dass einem das Feuer aus den Augen stirbt. Beides entstand sicherlich aus jenen Umzügen der mit dem wilden Feuer behafteten. Nicht gerade sehr poetisch klingt die Bezeichnung »weißer und roter Hund« für Scharlach und Friesel. Die Perser nennen dagegen den Rotlauf ein rosenrotes Mädchen mit Flammenlocken. Rote Tücher und roter Wein, auch rote, wollene Fäden dienten bei diesem Übel zur Verstärkung des Segens.

Die Gicht wurde in Bäume beschworen, besonders in den Holunderbaum. Wem es glückte, auf einer Stelle, wo fünf Wege sich kreuzten, den Rest eines Strickes, an dem eine ungelöste Schlinge hing, zu finden, der besaß darin ein sicheres Heilmittel gegen das Gliederreißen. Man musste den Strick vor Aufgang der Sonne an einen Holunderstrauch hängen und dazu sprechen: »Holler, ich habe die Gicht und Du hast sie nicht, nimm sie mir ab, dann hab ich sie auch nicht.« Das wurde an drei aufeinanderfolgenden Morgen getan.

Die springende oder fliegende Gicht wurde im Namen der Sonne, des Mondes und der Sterne beschworen. Aus den Nägeln, an denen ein Mensch sich erhängte, wurden Fingerringe für Gichtleidende gefertigt. Sogenannte Gichtsegen mussten in ungebleichte Leinwand genäht und an einem leinenen Faden ohne Knoten um den Hals getragen werden. War einem die Gicht in den Kopf gefahren, so maß eine kundige Frau oder der Schäfer im Dorf das Haupt nach verschiedenen Richtungen mit Lindenbast, durch den zuletzt der Kranke sich hindurchzwängen musste.

Wenn ein Kind an der Darmgicht litt, ging die Mutter oder Wärterin früh, ehe die Straßen sich belebten, in das Nachbarhaus und erbat um Gotteswillen drei Stückchen Brot vom oberen Rand, drei Fingerspitzen Salz, drei Erdbeerstöcke und drei Zweige Wintergrün. Alles dies zu einem Bündel zusammengebunden und dem Kind unter den Rücken gelegt, heilte das Übel.

Den hässlichen Grind auf Kinderköpfen nannte man den Haarwurm. Wenn man ihn besegnete, durfte kein Finger die böse Stelle berühren, weil der aus der kranken Kopfstelle herausgetriebene Wurm dem Sprecher sonst in die Hand fuhr.

Plötzliche Schwäche, Heißhunger, verging nach einem Bissen Brot, auf welchen das Zeichen hagios habi, rabi, gabi geschrieben war.

Gegen den Pfitzwurm diente ein Schmerling, dem Kind auf den Leib gebunden, bis der Fisch verwest war.

Viele Leute glaubten, dass jeder Mensch von seiner Geburt an einen Wurm im Herzen trage, der endlich aus ihm hervor kriecht, auf die Zunge trete und dadurch den Tod herbeiführe. Eine gewisse Verbindung dachte man sich auch zwischen diesem Wurm und dem Herzspann, welches die von ihm Geplagten bis zum Tod drückte. Gegen das Herzspann war es gut, in der Stille der Nacht dreimal hintereinander folgenden Spruch zu beten, während mit den fünf ausgebreiteten Fingern abwechselnd die schmerzende Stelle und der Fußboden neben der Bettstatt berührt wurde: »Herzspann, Leberspann, mit fünf Fingern fass ich Dich an, in die Erd vergrab ich Dich, im Namen …«

Der Nesso mit seinen neun Jungen wurde durch kräftigen Segen aus Bein und Fleisch sporlahmer Rosse gebannt, ebenso der blasende Wurm und die Häuschen der Milzbrand durch den Spruch: »Die Hünsche und der Drache, die gingen über die Bache: die Hünschen, die vertrank, der Drache, der versank.«

Gelbsucht heilte man durch das Bespiegeln des Antlitzes in einer Teerbütte, auch durch plötzliches Anspeien des Kranken von einer Person anderen Geschlechts. Sympathische Kuren mussten von Männern an Frauen und umgekehrt ausgeführt werden, wenn sie sich wirksam zeigen sollten.

Noch heute drängen sich bei Hinrichtungen zuweilen die Leute um den Block, auf welchem das Haupt des Missetäters fällt, um das vergossene Blut zu sammeln, welches die Epilepsie oder fallende Sucht heilen soll. Man bindet dem von Krämpfen Befallenen auch einen hirschledernen Riemen um den Hals, indem man dazu spricht: »Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes binde ich hier das Siechtum dieses Menschen in diesen Knopf« und schlingt dabei den Riemen zu einem Knoten zusammen. Diesen muss der Kranke so lange bei sich tragen, bis er zufällig einem Sterbehaus nahe kommt. Auch darf er während der ganzen Zeit weder Fleisch noch Wein genießen. Das hätten die Gichtkranken auch besser gelassen.

Wird von einem der Leidtragenden der Hirschriemen gelöst und mit dem Spruch unter des toten Mannes Schultern verborgen: »Ihn gewirre das Siechtum nimmermehr«, so ist der mit der Sucht Befallene von dem Übel befreit. Der Zweig eines Holunderstammes, welcher mit einer alten Weide zusammengewachsen ist, dient gleichfalls gegen die Krankheit. Er wird in neun Stücke zerteilt, welche in ein seidenes Beutelchen getan und dann in der Weise um den Hals gehängt werden, dass der Beutel an die Magengrube reicht. Dieses Schutzmittel bleibt hängen, bis es von selbst abfällt. Es ist alsdann geraten, es mit einer eisernen Zange aufzuheben und in loderndes Feuer zu werfen, wie man das ja auch mit Pflastern zu tun pflegt, die von einer eiternden Wunde abgenommen werden.

Bei Saverne im Elsass ist eine Kapelle St. Veits in den Felsen gehauen, zu der die vom Veitstanz Besessenen von nah und fern herbeiströmen. Sie beten in dem heiligen Raum und lassen dann ihre Stöcke im Wald zurück, denn an diesen bleibt ihrer Meinung nach das Übel haften. Wer einen solchen Stab aufhebt, zieht damit die Krankheit in seinen eigenen Leib und befreit den anderen von der Plage. Für das böse Wesen betete man auch folgenden Spruch: »Ich gebiete Dir, Nösch, mit allen Deinen Gesellen, denn mit Dir ist der Stech und der Krampf, und Gespat und Geschoss, und Geicht und Gesicht.« Der Nösch galt für einen bösen Elben, der dem Geplagten aus dürrem Baum in den Leib gedrungen war, ihm das Blut aussaugte und Bein und Fleisch benagte.

Unzählige Mittel gab es gegen das kalte Fieber. Zettel, mit seltsamen Zeichen bemalt, mussten verschluckt, in Wein eingenommen oder an einem roten oder blauen Faden um den Hals getragen werden, doch durfte man das Amulett beileibe nicht öffnen, wollte man die Kraft desselben nicht zerstören. Wenn der Fieberkranke schweigend zu einer Leiche tritt und mit der Hand über deren Angesicht fährt, so vergeht das Übel mit der Verwesung des Toten. Doch ist es nötig, die Hand sogleich mit Salz abzureiben, damit sie nicht abstirbt. Manche zählen so viele Erbsen ab, wie der Kranke Lebensjahre hat oder Tage am Fieber krankt, verschließen sie in ein Papier, werfen dasselbe bei abnehmendem Mond in ein fließendes Wasser und kehren heim, ohne sich umzuschauen. Andere wieder meinen, das Fieber durch Übertragung von einer übelwollenden Person bekommen zu haben und üben das Vergeltungsrecht, indem sie den angeblichen Zauber auf den Urheber zurückfallen lassen. Sie holen zu dem Zweck aus dem Bach, in welchen sie die Erbsen zu werfen gedenken, drei Kieselsteine und lassen diese in loderndem Feuer glühend werden. Steine und Erbsen werfen sie dann mit dem Spruch ins Wasser: »Kaltes Gesicht, Kieselstein musst Du essen, Erbsen musst Du brechen.«

Denjenigen, welchen das Fieber schüttelte, hielt man ehedem für einen von der Mahr Geplagten und wendete nicht selten gegen das Übel dieselben Mittel an, wie gegen die Nachtunholdin. »Dass dich der Ritt schüttet!« war eine bekannte Verwünschungsformel, und anstatt zu fragen: »Wo führt der Teufel Dich her?«, sagte man: »Wo führt Dich der Rite her?« Rite, Beutelmann, der Frörer, sind Beinamen dieses Knochen und Mark durchschütternden Übels. Unter den Slaven lebt die Sage, dass die Fiebergeister, neun Schwestern, das todesbleiche Antlitz, aus dem die tiefschwarzen Augen unheimlich glühen, von nachtschwarzen Locken umrahmt, in dunklen, feuchten Höhlen ruhen, von Gott mit schweren Ketten gefesselt. Zuweilen sprengen sie ihre Bande, besteigen verschiedenfarbige Rosse und durchreiten das Land, überallhin Krankheit und Verderben bringend.

Junge Gänse und Hühner nehmen einem das Übel ab, wenn es die Ersten sind, die man im Jahr erblickt und hurtig einen Knoten in einen Gegenstand schützt, den man am Leib bei sich trägt. Wenn das Korn blüht und der Kranke schweigend drei Ähren durch seine Lippen streift, vergeht das Weh gleichfalls. Ebenso, wenn er die drei ersten Weißdornblüten isst. Wer es über sich vermag, wenn das Fieber eintritt, in freier Luft einen Eilmarsch zu vollführen und nicht eher nachzulassen, bis der Anfall vorüber ist, der bekommt ihn nicht wieder. Zuweilen empfindet ein Kranker einen unbezwinglichen Appetit nach irgendeiner Speise. Genießt er davon und im Übermaß, so macht ihn das gesund.

In Italien lag ein armer deutscher Mann todkrank im Fieber. Der herbeigerufene Arzt hielt es nicht der Mühe wert, dem mittellosen Menschen noch teure Medikamente zu verschreiben und sagte zu ihm: »Ihr seid doch einmal dem Tod verfallen, weil das Klima unseres Landes Gift für eure nordischen Glieder ist. Sprecht also, was Ihr noch essen oder trinken möchtet, bevor Ihr sterbt, ich will Euch für mein Geld noch eine Freude machen.« Da leuchteten des Mannes Augen auf und er erwiderte: »Ach Gott, Sauerkraut und Erbsen, – die hab ich gar zu lange nicht mehr gegessen, wenn ich die nur noch einmal bekommen könnte, und das so viel, als ich davon mag!« Der Doktor versprach ihm die Erfüllung seines Wunsches und beauftragte eine in seinem Haus wohnende Schweizerin mit der Anrichtung des Leibgerichts. Als es Mittag läutete, kam auch die Frau mit einer ungeheuren, dampfenden Schüssel, über deren Inhalt der schwerkranke Mann mit einer Gier herfiel, dass sie im Nu leer wurde. Dann versank er in einen wahren Todesschlaf, der den Rest des Tages hindurch, die ganze folgende Nacht und noch den anderen Tag andauerte. Als er endlich erwachte, fühlte er sich wie neugeboren, wurde von Stunde an wohler und war in kurzer Zeit wieder hergestellt. Da schrieb der gelehrte Herr Doktor in sein Buch: Sauerkraut und Erbsen sind ein probates Mittel gegen das Fieber. Kurz darauf wurde er zu einem Italiener gerufen, den die gleiche Krankheit so heftig plagte, wie sie nur den armen Deutschen jemals hatte schütteln können.

»Lasst nur gut sein«, sprach der weise Mann zu ihm, »ich weiß etwas, davon Euch das Fieber vergehen soll, dass Ihr es in keinem Äderchen mehr spürt.«

Er verschrieb ihm das Leibgericht von jenseits der Alpen, welches dem Apfelsinenmagen aber so übel bekam, dass man den Kranken anderen morgens tot im Bett fand. Da stand der kluge Herr vor Staunen förmlich starr, er konnte, wollte und mochte es nicht glauben, dass der Tote tot sei, und schüttelte sein ehrwürdiges Perrückenhaupt einmal über das andere. Dessen ungeachtet wurde der Tote nicht wieder lebendig, und so ging denn der Doktor sinnend nach Hause, schlug sein Buch auseinander, und schrieb hinter das Rezept gegen das kalte Fieber: Aber nur für Deutsche!

So fehlte es auch hier nicht an tragikomischen Elementen, und mancher Schwank erzählt von dem Inhalt der Fieberzettel wundersame Geschichten. Da schrieb ein lustiger Bruder Studio dem alten Weiblein, das ihn um ein Fieber-Mittel angegangen hatte, auf ihren Zettel: »Teufel, hole die Alte, so vergeht ihr das Kalte«, siegelte das hübsche Schriftstück sorgsam zu, hing es der gläubigen Seele um den Hals und machte sie damit wirklich gesund!

Man übertrug Gicht, Fieber und Zahnweh gern auf Bäume, manchmal auch auf Tiere. Ein Splitter vom Holunderstrauch musste das Zahnfleisch berühren oder ein wenig Blut aus der schmerzenden Stelle empfangen. Dann wurde der Splitter dem Stamm wieder eingefügt, und wie er verwuchs, ließ das Übel nach.

Flechten kann man heilen durch einen Weidenbaum, der an fließendem Wasser steht. An einem Freitag, wenn der Mond voll ist, geht man schweigend zu einem Bach oder Fluss, wendet das Angesicht der Seite zu, wohin das Wasser abfließt, und spricht, indem man mit der Hand abwechselnd die Flechten und die Weide berührt: »Die Weide und die Flecht, die gingen beide zu Recht; die Weide gewann, die Flechte verschwand, im Namen …«

Fließendes Wasser, Erde und Feuer, als die drei Urelemente, nahmen mit heiligender Kraft die Krankheiten von den Menschen hinweg. Fast alle sympathischen Kuren und Segnungen stützen sich auf diese drei. Noch heute wird die Rose mit Stahl und Stein besprochen, Funken müssen auf die entzündete Stelle spritzen, während der Finger des Heilenden einen lustigen Kreis um dieselbe beschreibt, und murmelt: »Alle Glöcklein, die da klingen, alle Messen, die da singen, alle Kapitel die verlesen: Rose, Du sollst verwesen.« Der Spruch muss aber so leise geflüstert werden, dass ihn weder der Kranke nach eine dritte Person, welche sich etwa in der Nähe befindet, verstehen kann. Viele Sprüche enthalten heidnische Elemente, in vielen ist die Anrufung der alten Götter auf Gott, Christus, Maria, die Heiligen übergegangen, oder an der Schutzgötter Stelle Baum, Wasser, Feuer, Stein gesetzt worden. Segnungen wurden und werden noch heute auf dem Land und unter der ärmeren Bevölkerung in den Städten gegen alle Übel angewendet. Es gibt deren gegen Seitenstechen, Schluckauf, Halsweh, Ohrenklingen, gegen den Biss toller Hunde, ja selbst gegen Käfer und Engerlinge. Man glaubte mit den althergebrachtem überlieferten Sprüchen den Stachel der Wespen unschädlich zu machen, den Schwarm junger Bienen an sich zu fesseln, und allen Haustieren, wandelnden wie fliegenden, dauernde Anhänglichkeit zu verleihen. Durch den Spruch hielt man des Gegners schon erhabenen Stock zurück, ließ seinen Arm zum Schlag, seinen Fuß im raschen Lauf erlahmen, errang sich selbst den Sieg, machte den eigenen Leib fest gegen jeden Angriff und verband die Schneiden der feindlichen Waffen. Solch ein Massensegen möge hier Platz finden: »Gott grüß Euch, Ihr lieben Brüder mein, habt Ihr zu trinken Christi Blut und Wein, so gebt mir davon aber umher; umring ich Euch mit meinem Gewehr, verbind Euch, wie Christi Wunden die heilige Mutter auch hat verbunden. Gott Vater ist mit mir, Gott Sohn ist nit mit Euch, Gott Heiliger Geist ist zwischen uns beiden, dass keiner den Säbel ziehen kann aus der Scheiben. Gott Vater ist meine Macht, Gott Sohn ist meine Kraft, Gott Heiliger Geist ist meine Stärke, gleichwie Sonn’ und Mond sind gestanden still. Es stehen drei Rosen auf Gottes Stirn: die eine ist mächtig, die andre ist gütig, die dritte ist sein göttlicher Will’. Wer drunter ist, muss halten still, so lang ich will. Amen.« Dieser Segen sollte gebetet werden, während man mit dem Feind verhandelte, also vor dem Kampf. Hatte die Schlacht einmal begonnen, so war es unmöglich, den Waffen ihre Macht zu nehmen.

Äußere Übel, Kröpfe, krumme Glieder, schmerzende Geschwülste heilten Schäfer, kluge Frauen und Scharfrichter durch Streichen mit der bloßen Hand. Man glaubte auch, dass das Übel schwinde, wenn man in den zunehmenden Mond schaute, die Stelle mit den Fingern berührte und dazu sprach: »Was ich seh’, vermehre sich, was ich streiche, verzehre sich.« Ritten zwei Reiter auf einem Pferd, so rief man ihnen nach: »Nehmt den Dritten mit« Schwerkranke werden gemessen, besonders solche, die an Auszehrung daniederliegen. Eine Frau, die solches Wunderwerk treibt, nimmt einen roten, wollenen Faden und misst die Länge des Körpers vom Wirbel bis zur Zehe, dann die Breite von einer Fingerspitze der ausgebreiteten Arme über die Brust bis zur Fingerspitze der anderen Hand. Ist die Breite der Länge überlegen, so ist der Zustand des Kranken bedenklich. Man wiederholt die Messung von Zeit zu Zeit, um zu beobachten, ob der Unterschied sich wieder ausgleiche, was manchmal geschehen soll. Nimmt aber die Armlänge zu, so wächst das Übel und endet mit dem Tod. Für sympathische Hilfsleistungen darf man nicht danken, weil sonst die Krankheit den Helfenden befällt, wer dafür bezahlt, muss es schweigend tun, der Beschenkte darf in keinem Fall antworten. Er gibt die Messung keine auszehrende Krankheit, so hat der Leidende vielleicht den Nachtgriff. Um dies zu erfahren, wird er mit seinem Gürtel in die Länge und Breite gemessen, der Gurt an einen Nagel gehängt und folgende Beschwörungsformel gesprochen: »Ich bitte Dich, Herr Gott, durch die drei Jungfrauen, Margaretha, Maria Magdalena und Ursula, Du wollest doch an dem Kranken ein Zeichen geben, ob er den Nachtgriff hat.« Hierauf nimmt man den Gurt herab und misst noch einmal. Ist der Körper in der kurzen Zeit scheinbar stärker geworden, so ist der Kranke von den Nachtgeistern verletzt und muss darauf hin behandelt werden. Er wird eines Freitags am Abend auf ein Lager von Erbsenstroh gebettet und rund um ihn her Asche geschüttet. Finden sich am Morgen Spuren der »weißen Leute« darin abgedrückt, so werden diese schweigend und sorgsam gezählt und der klugen Frau hinterbracht, welche nun mit ihren Mitteln dem lufigen Gesindel zu Leibe geht.

Sehr alt ist die Sitte, kranke Menschen, besonders Kinder, die einen Bruch haben, auch krankes Vieh durch natürliche Öffnungen im Gestein oder im Stamm und Geäst der Bäume zu ziehen. Junge Fichten oder Eichen wurden gespalten, das kranke Kind hindurchgezogen und hierauf der Stamm wieder fest zusammengebunden. Wie der Baum heilt, vergeht das Übel. Alte Überlieferungen berichten, dass wenn ein solcher Baum gefällt wird, der Geist desselben, der »Klabautermann«, sich auf dem Schiff zeigt, zu dessen Bau das Holz verwendet wird, und in allen Räumen umherspukt.

Gegen Verrenkung einzelner Glieder dienten uralte Segnungen. Eine derselben bildet das älteste Denkmal deutscher Schrift: »Phol und Wodan fuhren zu Holze, da wurde dem Balders-Fohlen sein Fuß verrenket.« Götter und Göttinnen versuchen, des Tieres Fuß zu heilen. Wodan allein vermag es durch seinen kräftigen Spruch, der bis auf unsere Tage fortlebt, freilich zu kaum erkenntlicher Form entstellt. Um das verrenkte Glied bindet der weise Mann in Schottland oder die kluge Frau einen aus schwarzer Wolle gedrehten starken Faden und murmelt dazu: »Unser Herr ritt und das Fohlen glitt, er stieg herab und er richtet es ein: Gelenk an Gelenk, Knochen zu Knochen, Sehne an Sehne zusammen. Heile in des Heiligen Geistes Namen.«

Kranke Augen werden gebötet, das heißt, besprochen. Mit einem halb geöffneten Klappmesser misst man das Auge in der Breite und Länge und sagt dazu den Spruch her: »Das ist das Mal und das ist des Messers Stahl. Und wenn sich das Mal nicht wird schaken, so wird es des Messers Stahl verjagen.« Dann wird das Messer mit der Spitze in den Türpfosten gestoßen, wo es bis zur Heilung stecken bleiben muss. Die Wurzel des Löwenzahns, am Tage des heiligen Bartholomäus gegraben, in neun Stücke geschnitten und neun Tage lang in einem Beutel um den Hals getragen, bleicht die Flecke kranker Augen, heilt triefende und macht sie wieder klar. Sogenannte Bernickel, das sind Gerstenkörner an den Lidern, heilt ein Trauring, durch den man schweigend dreimal hintereinander mit dem angegriffenen Auge schaut. Schwache Augen stärkt »das Osterwasser«. Mauerpfeffer oder Hauswurz, am Hals getragen, schützt gegen Augenweh.

Warzen und Muttermäler vertrieb man, indem man sie mit gestohlenem Fleisch einrieb, mit einem Faden maß und das Gebrauchte dann unter eine Dachtraufe verscharrte. Wie es dort verfaulte, so vergingen Warzen und Mal. Ein Spruch ladet dem Wachholder die Bürde auf: »Reckholder, gib dich gefangen, dass dem (hier folgt der Name) seine Warzen vergangen.« Dabei schneidet man von einem Strauch, der reife und unreife Beeren zugleich trägt, drei Ästchen ab und durchschneidet jedes derselben vor Sonnenaufgang noch dreimal, doch nicht völlig. Wie das Holz verdorrt, fallen dann auch die Warzen ab.

Haus, Scheune und Stall wurden durch Kreuze gegen alles Ungemach bewahrt, heilige Namen an die vier Ecken derselben geschrieben und geweihte Kräuter an die Pfosten gehängt. Lichtstümpfe vom Tag Johannis des Täufers oder Kohlen vom Johannisfeuer wurden, weil sie gegen allerlei Schaden wirksam sein sollten, sorgfältig aufbewahrt. Feuer, welches in Haus und Hof entstand, versuchte man durch Wundermittel, Sprüche und seltsame Gebräuche zu löschen. Feuerbeschwörer zogen überall umher und boten ihre Mittel feil. Im 17. Jahrhundert, und auch später noch, ereignete es sich nicht selten, dass solche Beschwörer auf hohen obrigkeitlichen Befehl herbeigerufen und zur Dämpfung einer Feuersbrunst in Haupt- und Residenzstädte beordert wurden. Auf ein eingeknetetes Brot machte man das Zeichen »Aghela«. Dann wurde das Brot gebacken und unter feierlichen Beschwörungen in die Flammen geworfen. Wirksamen Feuersegen schrieb der Volksglaube auch den braunen Söhnen Ägyptens (Sinti und Roma) zu, welche sich rühmten, eine nimmer fehlende Feuerwurzel zu besitzen, die in ihrer Heimat auf hohen Bergen wachse und alljährlich in großer Menge von ihnen eingesammelt werde. Ein Feuersegen des 16. Jahrhunderts lautete: »Ich sehe in eine Glut, das gesegne der liebe St. Johannes, er gesegnet alsobald mit Gott und unsrer lieben Frauen das Feuer vom Dach: Bleib, wo du bist! Das gebeut dir der Herr und liebe Christ; alsobald solls gefahndet sein, wie der Kelch und der Wein und das himmlische Brot, das der Herr Jesus Christ seinen zwölf Jüngern bot, auf den Ostertag, des Morgens früh, im Namen …« Eine andere, mit mannigfachen Veränderungen bekannte Formel lautete: »Unser Herr Christus ging über Land, er führte den Feuerbrand (ein Büschlein Holz) in seiner Hand, er führt ihn unserer lieben Frau entgegen, die sprach: Gib mir den Brand in meine Hand und lösch damit all’ Feuer und Flammen. Und dabei bleib, Herr Jesus Christ!« Wer einen gefleckten Salamander, einen sogenannten Tatermann besaß und diesen in die Glut warf, löschte sie dadurch. In Feuersnot wurde auch die heilige Katharina mit einem langen Segensspruch um Hilfe angerufen.

Nach den ältesten Vorstellungen war die Flamme ein lebendes Wesen, ein Geist, der gut oder böse sich erweist, gebunden oder frei sich rührt. Daher der Ausdruck: Das Feuer ist los. Man opferte dem Feuergeist Brot, um seinen Zorn zu stillen, indem man es in die Flammen warf.

Unter den Landleuten hatte sich nach und nach ein förmlicher Feuerkultus entwickelt. Durch die Flammen heiligte man das Vieh, bewahrte Haus, Hof und Acker, wie den eigenen Körper vor der Gewalt des Bösen. Doch musste dazu reines Feuer, welches durch rasches Aneinanderreiben verschiedener Holzarten entsteht, verwendet werden. Ein solches Notfeuer wurde, nachdem zuvor jeder Herd im Ort gelöscht war, in alle Häuser getragen. Funken, die aus Eisen und Stein entsprangen, zündeten das wilde Feuer an, und es galt für ein schlimmes Vorzeichen, wenn unter dem Hammerschlag der Zimmerleute auf dem Nagel solches Wildfeuer entsprang. Bei Griechen und Römern war die keusche, reine Flamme des häuslichen Herdes einer Göttin geweiht. Erlosch die in ihrem Tempel von Jungfrauenhand gepflegte Flamme, so galt dies als ein Beweis verletzter Sitte, und sie durfte nur unter frommen Gebräuchen und durch die Reibung heiligen Holzes neu entzündet werden. Nach alttestamentlichem Bericht fiel Feuer vom Himmel, den Holzstoß des Altars zu entzünden. Als bedeutsam galt in der Feuererzeugung die heilige Neunzahl; das hölzerne Rad, dessen man dazu bedurfte, Umfasste neun, aus einem Eichenstamm geschnittene Speichen. Am Johannistag wurde mit der Entzündung eines Feuers, über dessen niedergebrannte Glut man die Herden trieb, ein neues Leben in Haus und Hof begonnen. Solche Johannisfeuer lodern noch heute in Deutschland auf den Spitzen der Berge: Nur wird im Norden die reinigende Flamme in der Osterzeit angezündet. Lustige Burschen zünden ein mit brennbaren Stoffen umwickeltes Rad an und lassen es von der Höhe feurig ins Tal hinabrollen, freilich weniger St. Johannes, als vielmehr den hübschesten Dirnen im Ort zu Ehren. Um die heiligen Feuer springt und tanzt jubelnd Groß und Klein, und Kränze aus Rittersporn, Beifuß und Eisenkraut werden gewunden. In allen Ländern Europas kennt das Volk die Johannisfeuer, als ein Sinnbild des Sonnenglanzes, der am 23. Juni die Erde am längsten bestrahlt.

Auch zu anderen Zeiten spielt das Feuer eine Rolle. Es gibt Julfeuer zu Weihnachten, brennende Besen am Walpurgisabend, zu Fastnacht Feuer auf dem Pflug, das Scheibentreiben, den Funkentag. Bis in unsere Tage reicht der Glanz des Feuers: Am Christabend strahlt Lichterglanz aus Palast und Hütte. In Schlangenlinien wälzen sich Fackelzüge durch die Straßen der Stadt. Freudenfeuer sind ein uralter heiliger Brauch. Dem König folgte zuweilen ein Fackelwagen, der dann verbrannt wurde.

Ganz von selbst schließt sich an den Feuersegen die Beschwörung des aus gewitterschwerer Wolke herabstürzenden Feuerstrahls. Hier ging die Kirche voran, um durch Gebet und durch das Läuten der Glocken das Verderben gnädig vorüberziehen zu lassen.

Im Kanton Aargau liegt ein Städtchen, Bremgarten genannt. Dort musste vor Jahren das Dach der Pfarrkirche sowie die Bedeckung des Turmes erneuert werden. Als man den Turmknopf dabei abnahm, fand sich dort oben unter anderen Merkwürdigkeiten ein Pergamentstreif, auf welchem ein berühmter Wettersegen verzeichnet stand: »Jesus Christ, ein König der Glorie, ist kommen in Frieden – Gott ist Mensch worden und das Wort ist Fleisch worden – Christ ist von einer Jungfrau geboren worden – Christ hat gelitten – Christ ist kreuzigt worden – Christ ist gestorben – Christ entstieg dem Grabe – Christ ist zum Himmel gefahren – Christ überwindet, Christ herrschet, Christ hat Gewalt – Er stehet vor mir, zwischen mir Donner und Blitz – Er ging mitten durch sie in Frieden – Christ ist bei uns und Maria, weichet ihr niedrigen Gestalten – Denn der Leu von Juda, die Wurzel Davids hat überwunden – Heiliger Gott, heiliger und starker Gott, heiliger, unsterblicher Gott, erbarme Dich unser.« Dann folgten drei Vaterunser und drei Ave Maria.

Über den Ursprung dieses Wettersegens berichtet der Pergamentstreif: Unweit der Hauptstadt des Königreiches Portugal liegt auf einem Berg das Kloster Unserer lieben Frau, in dessen Kirche sich ein wundertätiges Marienbild befindet. Einst zog ein furchtbares Unwetter über den Berg herauf. Der Hagel stürzte in Strömen vom Himmel, ein Sturm, der einem Orkan glich, erhob sich und verwüstete weit und breit alles, was sich auf seinem Weg fand, und dazwischen zuckten die Blitze und rollte der Donner, dass das feste Kloster in seinen Grundmauern erdröhnte. Die verängstigten Mönche flüchteten in das Kirchenschiff vor das wundertätige Bild, um den Schutz der Himmelskönigin zu erflehen.

Dennoch schlug der Blitz zu wiederholten Malen in das Kloster ein. Einige der frommen Männer wurden von ihm getötet, andere gelähmt. Der Sturm, welcher draußen wütete, rüttelte mit entsetzlicher Kraft an den Mauern des heiligen Gebäudes und richtete so furchtbare Verwüstungen an demselben an, dass die Mönche sich entschlossen, das Kloster zu räumen. Da fiel seltsamerweise in der nächsten Nacht ein tiefer Schnee, und bevor noch der Tag graute, klopfte ein fremder Mönch an das Tor und begehrte Einlass.

Der Pilger verlangte, die Kirche zu sehen, und der Bruder Pförtner wies ihm klagend die toten Leiber der Mönche und die Verwüstungen, die das Unwetter in den heiligen Räumen angerichtet hatte, wobei er äußerte, dass der ganze Konvent Willens sei, den gefährlichen Ort zu verlassen.

»Das sollt Ihr nicht tun«, entgegnete der Fremde, »nehmt dieses Segensgebet, welches eine besondere Kraft besitzt. Tragt es auf der bloßen Brust und heftet es allerwegen an die Mauern des Klosters und der Kirche, so wird Euch von heut ab kein Unfall mehr treffen.«

Der Pförtner dankte dem fremden Priester hocherfreut und dieser zog weiter. Die Sache schien dem Bruder Pförtner von der höchsten Wichtigkeit und er eilte, als das Tor hinter dem Fremden geschlossen war, zu dem Superior, um ihm von dem Vorfall Bericht abzustatten und den Zettel vorzuweisen. Dieser befahl ihm, sogleich den Fremden zurückzurufen und ihn zu ihm zu führen. Als aber der Pförtner ins Freie hinaustrat und sich, um zu erkennen, welchen Weg der Unbekannte eingeschlagen hatte, nach den Fußspuren umsah, die dieser im Schnee doch zurückgelassen haben musste, lag der Pfad so eben und glatt vor ihm da, als sei dort noch niemand gewandelt. Leute, welche von beiden Seiten des Weges daherkamen, hatten auch niemanden gesehen. Der Fremde musste also ein Abgesandter Gottes gewesen sein. Auf Befehl des Papstes wurde der Segensspruch überall bekannt gemacht, und die Geschichte desselben in beglaubigter Abschrift ruht noch heute in dem Turmknopf zu Bremgarten.

Zum Schutz gegen Blitz und Schlag wird an manchen Orten während eines Gewitters alles Feuer im Hause gelöscht, an anderen wird Weihwasser und eine geweihte Kerze brennend auf den Tisch gestellt, und die Hausbewohner knien zum Gebet im Kreis um denselben nieder. Johannes der Täufer und Paulus gelten als die Wetterherren, zuweilen auch Christus selbst. Aus der Gegend, nach welcher sein Bildnis am Tag der Himmelfahrt zu blicken scheint, ziehen im Sommer, nach der Vorstellung der Leute, die meisten Wetter auf. Wo Schwalben nisten, schlägt der Blitzstrahl nicht ein. Sprüche gegen das Hochgewitter reimen sich oft auf den Namen der Wetterglocke. Man betet sie, indem man allerlei geweihte Kräuter, Agathenbrot, auch Kohlen vom Osterfeuer in die Flamme des Herdes wirft. Ein Spottlied sagt, dass die rechtgläubigen Luzerner das Wetter von sich ab und den Reformierten zubeten: »Herrgott, durch Deine starke Hand jag’ das Wetter ins Bernerland.« Den kleinen Fürstentümern in Deutschland redet der Leumund nach, es habe ein jedes unter ihnen seinen besonderen Spruch, um seine Wünsche in Betreff des Wetters auszudrücken: »Reuss – Schleiz – Greiz – Lobenstein bitten Dich um Sonnenschein, und wollen die anderen auch was haben, können sie Dich selber plagen.«

Das Vieh im Stall zu mehren, die Äcker fruchtbar zu machen, muss man am Weihnachtsabend mit der Schaufel in das Herdfeuer schlagen: »Soviel Schafe, so viel Ziegen, so viel Schweine, so viel Rinder, so viel Glück und Segen, als hier Funken fliegen.« Die Sennen, wenn sie beim Sinken der Sonne mit den Kühen ins Tal herniederkehren, rufen zuvor den Alpsegen: »Herr, schütze unser Vieh vor des Wolfes Zahn, vor der Kröte List und vor des Raggen Schnabel.« Ein rotes Tuch an der Stalltür schützt die ausziehende Herde gegen Böses. Büschel geweihten Krautes wenden das Missgeschick von ihr ab. Wenn am Martinitag die Tiere zum letzten Mal ausgetrieben werden, gehen die Hirten von Haus zu Haus, sprechen den landesüblichen Segen und überreichen dem Besitzer ein Birkenreisig, das sorgfältig aufbewahrt wird. Am Tage des heiligen Gregorius, an dem die neue Weidezeit beginnt, berührt der Hausherr jedes Stück Vieh mit der dürren Rute. Denn das bewahrt vor schädlichem Kraut und bösem Fall, vor giftigen Schlangen und dem reißenden Wolf.

Unter allen Sprüchen das Schönste ist das Gebet ostrussischer Völkerschaften, wenn sie an ihrem höchsten Festtag Feld- und Baumfrüchte der Gottheit zum Opfer bringen: »Gott verleihe Heil und Gesundheit allen, welche ihm Opfer dargebracht haben; er schenke den Kindern, die zur Welt kommen, Geld, Brot, Bienen und Vieh die Fülle. Wenn der Frühling naht, lass, o Gott, die drei Arten Vieh auf die drei Wege hinaus, schütze sie vor tiefem Schlamm, vor des Bären Tatze, vor des Wolfes Zahn, vor der Diebe Händen! Wie der Hopfen prall ist und voll, so segne uns mit Glück und Verstand! Wie das Licht hell brennt, so lass uns leben! Wie das Wachs sich ansetzt, verleihe uns Heil!« Auf dem Feld wurde jede Art der Frucht besonders gesegnet. Wenn Mann und Knecht den Kohl pflanzen wollten, sprang die Frau auf den Herd und rief: »Häupter wie mein Kopf, Blätter wie meine Schürze, Strünke wie mein Bein.« Zur Zeit der Leinsaat musste sie auf dem Tisch tanzen und alsdann rücklings herabspringen. So hoch sie gesprungen war, so hoch sollten auch die Leinpflanzen emporschießen. Ehedem wurden zur Pflügezeit Opfer unter allerlei mystischen Gebräuchen dargebracht.

Nach den vier Himmelsgegenden wurden Rasenstücke aus dem Feldrain geschnitten, Erzeugnisse des Ackers und der Wiese, des Gartens und der Bäume darauf gelegt, und das Ganze mit Weihwasser besprengt. Dann trug man die Stücke zur Kirche, reihte sie um den Altar, mit dem Grünen herzugekehrt und ließ den Priester am selben Tag vier Messen darüber lesen. Doch musste der Rasen auf den Acker zurückgetragen werden, bevor die Sonne unterging. Unter vielfachem Segensspruch wurde dann in die erste Furche ein Brot, aus verschiedenen Sorten Mehl und Milch geknetet, eingepflügt, auch Samen gesät, den man von einem fremden Bettler erkauft hatte.

Als in unserer deutschen Heimat noch raubgierige Wölfe Wald und Flur durchstreiften, waren mannigfaltige Wolfsegen in Umlauf, deren Gebrauch bis weit hinter das 15. Jahrhundert zurückreicht: »Ich treib heut aus in unsrer lieben Frauen Haus, in Abrahams Garten; der liebe Herr St. Mertein, der soll heut meines Viehes pflegen und warten, und der liebe Herr St. Wolfgang, der liebe Herr St. Peter, der hat den himmlischen Schlüssel, die versperren dem Wolf und der Wölfin ihren Rüssel, dass sie weder Blut lassen, noch Bein schroten. Das helfe mir der Mann, der kein Übel nie hat getan, und die heiligen fünf Wunden behüten mein Vieh vor allen Holzhunden.«

Die Runenweiber konnten Zauberlieder von so gewaltiger Kraft, dass sie das Kind aus dem Mutterschoß und den Bast vom Baum zu lösen vermochten. Noch heute begegnet der Wandersmann auf grüner Heide manchem Hirtenknaben, der, den Weidenast aufs Knie gelegt, mit dem Griff eines Messers darauf klopft und dazu singt: »Fabian Sebastian, lat mi de Widenflöt afgan.« Am Fest der beiden Heiligen tritt der Saft in das Holz, und nur sie vermögen es, ihn zurückzudrängen, damit der Bast sich unverletzt vom Zweig löst und eine gute Hirtenflöte gibt. Wie der Märker den Bast beschwört: »Sibbe, sibbe, Säubkem loat mi dat kleine Fleutken goot afgoahn, goot afgoahn des up den letzten Knoaken«, singt der lustige Boehme: »Pföfferl get owa, sist schloga dö owa, leit’s Rintl, o drah dö eiz, Heargotl pfeiz.« Herrgottspfeife nennt man noch heute die Weidenflöte. Wo im dunklen, dichten Wald ein Weidenstamm wächst, der nimmer den Hahn krähen, noch jemals Wasser rauschen hörte, kann der unerschrockene Bursche in stiller Nacht ein grünes Zweiglein davon brechen und eine Wunderflöte erlangen. Wenn er auf diesem Pfeifchen bläst, muss alles tanzen, was den Ton vernimmt.

Sagenreich und vieler Sprüche kundig war die wackere Zunft der Schmiede. Ihnen lag es ob, jeden vierten Schlag auf den leeren Ambos zu tun, um die Kette fester zu machen, welche den ewigen Würger in der Hölle bindet. Oft kehrte in der rußigen Hütte irgendeines Schmiedes der Donnergott der Heiden, Donar (Thor), mit dem flammend roten Bart ein und wurde stets auf das Freundlichste bewirtet. Der himmlische Gast verschlang beim Essen gewöhnlich Messer und Gabel und spielte dann mit einer zentnerschweren Kugel, die er schließlich durch den Fußboden des Gemaches tief in die Erde schleuderte. Am Morgen offenbarte er sich mild und großmütig in den Gaben, mit welchen er die Bewirtung belohnte. Er verleiht einen Sessel, der unerbittlich jeden festhält, der sich darauf niederlässt, oder einen mit Zauberkräften ausgestatteten Kirsch- oder Birnbaum. Aus dem rauen Heidengott entwickelte spätere christliche Zeit den heiligen Petrus, endlich Gott selbst. Die Wunderdinge vermehren sich um einen Sack oder Ranzen, in welchen der Schmied von Apolda den einfältigen, allzu gierigen Teufel schlüpfen lässt, um ihn dann mit seinen rüstigen Gesellen auf dem Amboss wacker zusammenzuschlagen. Das Wort, den Zauber zu lösen, weiß der Schmied allein und so bezwingt er Tod und Teufel.

Hatte ein schlauer Dieb Vieh, Geld, Speise oder Hausgerät gestohlen, so schnitt man seine Fußspur aus und hing die Erdstücke unter einem leise gemurmelten Spruch in den Schornstein über dem Herd auf. Wie dort die Fußspuren dörrten, so vergingen die Lebenskräfte des Diebes. War die Spur nicht aufzunehmen, so schlug man einen langen Nagel hinein, der dem Betreffenden unerträgliche Pein bereitete. Umherziehende Quacksalber ließen für Geld ein Sieb drehen, in dessen Ränder sie die beiden Spitzen einer geöffneten Schere steckten. Zwei Männer hielten mit dem Daumen der rechten Hand die Scherengriffe, und der Wunderdoktor nannte den Namen der des Diebstahls verdächtigen Person, worauf die anderen entgegnen mussten: »Nein, der ist es nicht.« Das geschah dreimal nacheinander. Bewegte sich das Sieb dabei nicht, so ging der Frager zu einem anderen Namen über. Erst wenn es sich kreisförmig zu drehen begann, glaubte man, den Spitzbuben ausfindig gemacht zu haben. Selbst die Toten wurden zu Hilfe gerufen, um den Dieb zu entdecken. Drei Hände voll Erde, von einem frischen Grab im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit genommen, wurden mit Salz, das an irgendeinem Trinitatissonntag geweiht war, vermischt, auf einem Feuer aus Lindenholz in einer Pfanne hinterrücks gerührt und dabei gesprochen: »Segne, verstorbene Seele, ich gebiet Dir bei dem Jehovah, auf Geheiß des oberhöchsten Elohim, der allerhöchstem heiligsten Dreifaltigkeit«, dann richtete sich die Beschwörung wider den Dieb: »Ich leg Dir Salz und Schmalz auf die Glut, wegen Deiner Sünden Übermut, leg Dir’s auf Lunge, Leber und Herzen, dass Dich ankomm ein großer Schmerzen, bis Du wiederbringst, was Du hast, und hintust, wo Du’s gestohlen hast.« In manchen Sagen greift der Teufel unsichtbar in die Handlung ein und befiehlt mit schallender Stimme dem versteckten Dieb, das Gestohlene zurückzutragen, wenn er ihm nicht an Leib und Leben gehen solle.

An die segnenden oder beschwörenden Formeln reihte die Kirche frommen Brauch. Wen eine unheilbar scheinende Krankheit verzehrte oder wem ein Glied seines Leibes dorrte und verging, der brachte wallfahrend der Mutter Gottes ein wächsernes Bildnis dar und flehte sie an, ihm das Übel abzunehmen. Die alten Griechen pflegten nach der Genesung ein metallenes Abbild des leidenden Gliedes in ihren Tempeln aufzustellen. Aus solchen Weihgeschenken stellte man später die heiligen Gefäße her. Unsere Altvorderen taten dasselbe mit hölzernen oder wächsernen Bildern, die sie im Tempel und an den Wegscheiden aufhingen.