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Im fernen Westen – Feurige Kohlen 4

Feurige Kohlen
Kapitel 4

Einige Tage später fuhren die beiden jungen Deutschen mit Herrn Howard und der kleinen Clarissa auf der Eisenbahn wohlgemut und der besten Hoffnungen voll dem fernen Westen zu. Max und Otto hatten sich auf drei Jahre als Lehrlinge verdingt und ihr Handgeld und ihre Ausrüstung empfangen, welche in einer dicken groben Wolldecke, zwei Wollhemden und einem Beinkleid bestand. Ihre zivilisierten Kleider und den größten Teil ihrer Wäsche hatten sie, wenn auch mit blutendem Herzen, verkauft, weil das ja noch eine Ausstattung aus dem Elternhaus war, woran sich so viele zärtliche Erinnerungen knüpften. Allein Herr Howard hatte sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie eine furchtbar weite Reise vor sich hätten, wo ihnen ein schweres Gepäck ebenso zur Last, als in ihrem gegenwärtigen Beruf überflüssig wäre, und so hatten sie sich auf das Allernotwendigste beschränkt, was jeder in einem Reisesack tragen konnte. Dafür hatte sich Max eine Büchse, Otto eine leichte Doppelflinte gekauft, wozu ihnen Herr Howard geraten hatte, da diese Gewehre hier in Milwaukee oder Chicago noch billiger und besser zu bekommen seien, als im Westen, und da es nichts schaden könne, wenn sie bewaffnet seien. Dann waren sie per Dampfschiff nach Chicago gefahren und hatten dort die Eisenbahn bestiegen, welche sie über Davenport nach Omaha brachte. Zu jener Zeit war die Pazifik-Eisenbahn noch nicht erbaut und in der Nähe von Omaha der Endpunkt der Eisenbahnverbindung, denn von hier führte nur noch eine kurze Bahnstrecke über die Hochebene, welche den Missouristrom vom Platte River oder Nebraskafluss scheidet. In dem Städtchen Fremont am Platte River bestiegen dann unsere Reisenden eins der großen Dampfboote, welche diesen Strom befahren, an dessen linkem Ufer nun ein Teil der mittleren Pazifik-Eisenbahn viele Hundert Meilen weit hinläuft. Auf diesem Dampfboot nun legten unsere Reisenden die ganze Strecke bis nach Fort Laramie zurück und konnten sich nicht sattsehen an der eigentümlich großartigen Natur dieses mächtigen Stromes und seinen Umgebungen und an dem halbwilden Leben, welches sich in den Ansiedelungen und Anländen an den Ufern desselben zeigte, wo sie schon eine Menge Indianer und Hinterwäldler, Block- und Frame-Häuser und alle möglichen Attribute des fernen Westens fanden. Im Fort Laramie trafen sie einen Posten der North West Company und wurden hier von einem sogenannten »Führer« und acht andere in Empfang genommen, denn von hier aus ging die Reise in einem schmalen Ruderboot den Laramie hinauf zum Fort Steele. Max und Otto mussten hier ebenfalls die Ruder in die Hand nehmen und den Kahn fortarbeiten helfen. Das gab allerdings Schwielen in den Händen, führte sie aber auch gleichsam spielend in ihren künftigen Beruf ein. Die Fahrt den Laramie hinauf war eine verhältnismäßig leichte, und die großartige Einsamkeit dieser Gebirgsgegend mit ihren ernsten dunklen Wäldern und grau-braunen mächtigen Felsenhäuptern machte einen tiefen Eindruck auf die beiden jungen Deutschen, denn der Laramie River durchbricht südlich vom gleichnamigen Pik die gleichnamige Gebirgskette und bespült westlich davon die weiten hochgelegenen Laramie-Plains, ausgedehnte Ebenen, welche einst die Lieblingsjagdgründe vieler Indianerstämme waren und von Biberfängern und Jägern besucht werden. In diesen Laramie-Plains bog dann der Kahn in den Whiskey River ein, an dessen Ufern ein Posten der North West Company, Point Look out genannt, liegt. Hier fanden unsere Reisenden freundliche Aufnahme und wurden nach kurzer Rast mit Pferden und Maultieren versehen, welche sie erst nach Fort Steele und von da auf ungebahnten Pfaden und über verschiedene Pässe hinweg nach dem alten Fort Hall am Snake River bringen sollten.

Das Leben in der Wildnis und die Lebensweise der Pelzhändler und Voyageurs hatte für Max und Otto mit der Fahrt auf dem Laramie begonnen und war folgendermaßen eingerichtet: Eine Stunde vor Tagesanbruch wurde aufgebrochen, nachdem man ein Frühstück aus Tee oder Kaffee ohne Milch und Zwieback und Pökelfleisch eingenommen hatte, und nun wurde rüstig stromaufwärts gerudert, wobei die Ruderer, teils Kanadier und Halbblütige, teils Amerikaner und Schotten, sich zuweilen mit Gesang begleiteten, um die Ruder im Takt zu erhalten. Kam man an Stromschellen, welche das Rudern erschwerten, so stiegen acht Mann aus und zogen den Kahn an langen Seilen aus gedrehter Büffelhaut (Lariats) über die schwierige Strecke hinauf, während der Führer steuerte und zwei Ruderer den Kahn im Gleichgewicht hielten, dass er in der starken Strömung nicht umschlug. Herr Howard und die kleine Clarissa blieben dann immer im Kahn sitzen, als ob sie an keine Gefahr des Umschlagens dächten. Waren die Stromschellen größer oder von Felsenblöcken und Wasserstürzen gefährlich gemacht, so wurde der Kahn ans Land gezogen, seiner ganzen Ladung entledigt und auf den Schultern einiger Ruderer über den Trageplatz (Portage) so weit getragen, bis er wieder in ruhigeres Fahrwasser gesetzt werden konnte. Auch das sämtliche Gepäck, die Kochgeschirre und Lebensmittel mussten auf diese Weise über die Portage hinweggeschafft werden. War man bis Mittag gerudert, so landete man an irgendeiner passenden Stelle. Einige Bissen Zwieback und Tee wurden genossen, und die Ruderer rasteten, ihre Pfeife rauchend, ein Stündchen, worauf die Fahrt fortgesetzt wurde, bis eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, wo man an passender Stelle am Ufer ein Nachtlager suchte, den Kahn aufs Land zog, Feuer anmachte und die Hauptmahlzeit bereitete, welche aus Pökelfleisch oder Speck, Schiffszwieback und einer dicken Suppe aus Maismehl oder Pemmikan (gedörrtem und zerstoßenem Fleisch) und Tee bestand, wozu hier und da noch Fisch oder Wildgeflügel kamen, wenn man solche gefangen oder erlegt hatte. Nach dem Esten lagerten sich die Leute plaudernd und rauchend ums Feuer, wickelten sich dann in ihre Wolldecken, streckten sich, mit den Füßen gegen das aufgeschürte Feuer gekehrt, am nackten Erdboden aus und schliefen gesund wie die Ratten. Nur für Herrn Howard und seine Enkelin wurde ein kleines Leinwandzelt aufgeschlagen, das er mitgebracht hatte. Am anderen Morgen, eine Stunde vor Tag, wurde dann die ganze Reisegesellschaft munter und schickte sich zur Weiterreise an. Ähnlich wurde es auch auf der Strecke über das Gebirge gehalten, welche Herr Howard und seine Gefährten zu Pferde zurücklegen mussten, nur mit dem Unterschied, dass sie hier nur einen Führer und einen Pferdeknecht bei sich hatten, und dass man abends, eine Stunde vor Sonnenuntergang, haltmachte, um die Pferde und Maultiere noch zum Weiden auszulegen. Da es Spätsommer und die Tage schön und die Nächte noch nicht kalt waren, so gefiel dieses halbwilde Leben den beiden jungen Deutschen sehr gut, und sie achteten die Strapazen desselben nicht. Es machte ihnen vielmehr Vergnügen, abends noch entweder mit der Angel zu fischen – jeder hatte einige Angeln mit ihren Leinen um die Krone seines Filzhutes gewickelt – oder noch auf einige Wildenten oder Wildgänse zu pirschen, welche sich in der Nähe des Lagers zeigten. So erreichte man das alte Fort Hall am oberen Snake River, wo ein bedeutenderer Posten der North West Company ist, wohin die Indianer der verschiedenen Stämme aus weitem Umkreis ihre Jagdbeute an Pelzen und Fellen zum Umtausch bringen. Hier machten unsere Reisenden einen Rasttag und wurden von dem Trader, welcher dem Handelsposten der Company vorstand, sehr gastfreundlich aufgenommen und mit einem geräumigen Kahn aus Birkenrinde versehen, sowie mit zwei Ruderern und einem Führer, einem halbblütigen Kanadier, namens André Leroux, welcher schon seit nahezu dreißig Jahren im Dienste der North West Company stand und für einen der erfahrensten Wegweiser und Dolmetscher galt. Von hier aus hatten unsere Reisenden noch eine Kahnfahrt von etwa 140 geografischen Meilen den Snake River hinab und in den Columbia River hineinzumachen, auf welcher ganzen Reise sie nur einige Handelsposten oder kleine Ansiedelungen berühren sollten. Der ganze lange Weg musste zu Wasser gemacht werden durch wellenförmiges Prärieland, worin Steppe und Wald und Salbei-Prärie miteinander abwechselten, und nur nomadische Indianerstämme wie Shoshoni, Nez Percé, Wallawalla u.a.m. hausten und der Strom häufig durch Stromschellen und Wasserfälle unterbrochen war, welche mittels sogenannter Trageplätze umgangen werden mussten.

André Leroux, der Führer, war ein geübter Jäger, und da es gerade die Paarungszeit der Hirsche und herrliches Septemberwetter war, so weihte er auf der Fahrt vom alten Fort Hall bis zum Fort Boisé (von wo an der Snake River die Grenze zwischen Oregon und Idaho bildet) Max und Otto in die Geheimnisse des Weidwerks, des Fischfangs und des ganzen Waldlebens ein und hatte an ihnen gelehrige Schüler. Mancher Feisthirsch wurde auf dem Anstand oder nachts mit der Feuerpfanne erlegt, mancher prächtige armlange Lachs aus dem Wasser geholt, manches Salbei- und Präriehuhn heruntergeschossen, um den Reisenden frisches Fleisch zu liefern und die mitgebrachten Lebensmittelvorräte zu schonen. Und als die Reisegesellschaft zu dem Handelsposten bei Fort Boisé kam, wo sie Führer und Ruderer wechselten und etwa die Hälfte ihrer Kahnfahrt zurückgelegt hatten, waren Max und Otto schon so vertraut mit dieser Lebensweise und so ergriffen von dem wilden Reiz derselben, dass sie sich ganz mit dieser Berufswahl ausgesöhnt hatten.

Vom Fort Boisé an wurde die Reise etwas beschwerlicher, weil die Tage schon kürzer waren und man gleichwohl etwa 8 deutsche oder 40 englische Meilen am Tage zurücklegen wollte und daher emsig rudern musste. Auch traf man auf dieser Strecke mehr weiße Ansiedler und mehr Indianer, denn die großen Ströme sind ja die eigentlichen Straßen in die Wildnis hinein. Aber die Indianer waren friedlich und zutunlich, denn sie wollten und durften es mit der North West Company nicht verderben, von welcher sie für einen großen Teil ihrer Lebensbedürfnisse vorwiegend abhängig waren. So war denn der Verkehr mit ihnen immer ein friedlicher, und die beiden jungen Deutschen lernten nun das Wesen und die Sitten und Gewohnheiten dieser roten Söhne der Wildnis kennen, von denen sie aber weniger erbaut waren, als sie nach den früher gelesenen Schilderungen von Cooper und anderen erwartet hatten. Mit den ersten Frösten und Schneefällen trafen unsere Reisenden in dem Handelsposten bei Celilo , an der Einmündung des Deschutes River in den Columbia, auf der nördlichen Grenze von Oregon, ein. Dies war die Station, auf welcher Herr Howard als Postenkommandant angestellt war, und welche er nun nach einer Abwesenheit von beinahe vierzehn Monaten wiedersah, auf das Herzlichste empfangen von seiner treuen Gattin und seinen Untergebenen sowie von dem seitherigen Stellvertreter, einem Kommis der Company namens Mac Cleuch, einem Schotten von etwa dreißig Jahren, welcher mindestens die Hälfte davon im Dienste der Company verbracht und sich eine reiche Erfahrung erworben hatte. Hier rasteten nun unsere beiden jungen Abenteurer etwa eine Woche lang, um sich von den ausgestandenen Strapazen der Reise zu erholen und das Leben und den Verkehr auf einem solchen Handelsposten kennenzulernen, und genossen nun die zuvorkommendste Gastfreundschaft vonseiten der Frau Howard und des Herrn Mac Cleuch, welcher an den beiden deutschen Lehrlingen ein besonderes Wohlgefallen fand. Als ihre Rastzeit um war, begleiteten Max und Otto die Herren Howard und Mac Cleuch als Ruderer auf der Fahrt nach Vancouver, der Hauptstation am rechten Ufer des Columbia, wo sich ihr künftiges Schicksal, das heißt, ihre Verwendung entscheiden sollte. Die Hoffnung, dass sie bei Herrn Howard bleiben dürften, welcher ihnen ein wahrhaft väterliches Wohlwollen erwies, trog jedoch, denn der Chief Trader oder Oberbeamte, welcher in Vancouver zu befehlen hatte, musste sie zu anderen Expeditionen verwenden, da in diesem Bezirk augenblicklich Mangel an tüchtigen Lehrlingen war. Doch wurden sie durch Herrn Howard dem Oberbeamten so dringend empfohlen, dass sie beide zu wichtigeren Dienstleistungen ausersehen wurden. Max wurde ins Washingtonterritorium auf einen fernen Posten geschickt, wo er den Bau eines neuen Forts überwachen solle. Otto wurde einer Station an der Küste des Stillen Ozeans zugeteilt, wo seine kaufmännischen Kenntnisse besser zu verwerten waren. So mussten die beiden jungen Freunde sich voneinander und von Herrn Howard trennen, an welchem sie so anhänglich gewesen waren. Dieser Abschied fiel ihnen allen sehr schwer.