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Der Welt-Detektiv Band 6

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Im fernen Westen – Sioux-Kit 7

Sioux -Kit
Kapitel 7

Es währte aber nicht lange, so wurden die Anzeichen drohender. Beinahe alle Stämme der Sioux und der andern kriegerischen Indianer des Westens hatten sich erhoben und waren auf den Kriegspfad getreten unter einigen angesehenen Häuptlingen, wie dem Sitting Bull und anderen. Eine Streitmacht von nahezu fünftausend roten Kriegern unter einheitlicher Leitung und voll Blutgier und unversöhnlichem Hass gegen die Weißen, denen sie Wortbruch, Ungerechtigkeit, Betrug und Vergewaltigung nicht ohne Grund vorwarfen, stand gegen die Weißen auf einer langen Linie im Feld und hatte sich verschworen, die Streitaxt nicht eher zu begraben, als bis die Bleichgesichter wieder ganz über den Missouri zurückgeworfen wären. Der Krieg begann mit Scharmützeln und Überfällen vonseiten der Indianer, welche überall siegten, und die Schrecken vor sich her trugen und blutige verstümmelte Leichen und niedergebrannte Heimstätten hinter sich ließen. Truppenabteilungen der Weißen zogen hin und her, um die Indianer zu bekämpfen, aber diese, in ihrer Art von Heckenkrieg bewandert, wussten den amerikanischen Truppen auszuweichen und verschwanden hier, um unversehens an einer entfernteren Stelle aufzutauchen. Bis über die westlichen Grenzen der Staaten Minnesota, Iowa, Colorado und Kansas hinüber bezeichneten rauchende Trümmerhaufen von Gehöften die Einfälle der Indianer, und auf dem weiten Gelände des rechten Ufers des Missouri, welches der große Bogen des Stromes zwischen Fort Union und Fort Sully umschließt, stand bald kein einziges Gebäude mehr, das von einem Weißen bewohnt wurde, als das kleine Gehöft Vater Hoggs an der Furt des Eulenflusses. Hogg wusste, dass die Krieger der beiden benachbarten Siouxdörfer seinen Bitten und Warnungen zum Trotz dennoch dem allgemeinen Aufgebot des Sitting Bull gefolgt waren. Allein er glaubte sich noch immer nicht gefährdet, solange die Frauen und Kinder in den Dörfern waren.

Da kam eines Tags ein Streifkorps von Dragonern vom Regiment des Generals Custer in die Gegend und patrouillierte den Landstrich am Cherry Creek und gegen die Schwarzen Berge hin ab, wurde aber von den Sioux zurückgeschlagen und zog sich auf die Forts zurück, und einige Tage darauf fand Hogg beide Dörfer verlassen, die Hütten abgebrochen und den Boden mit allerlei Gegenständen bedeckt, welche als überflüssig und beschwerlich zurückgelassen worden waren, sodass der Abzug der Einwohner auf eine eilige Flucht zu deuten schien.

Nun erst sah Hogg, dass die Sache ernst wurde und der Krieg in seine Nähe rückte, denn sonst hätten die Sioux die ihren nicht zu den Schwarzen Bergen geführt. Gleichwohl dachte er noch nicht an eine wirkliche Gefahr, denn vonseiten der Weißen drohte ihm eine solche nicht, und vonseiten der Indianer besorgte er keine Gefahr. Er stand ja mit ihnen auf befreundetem Fuß. Dennoch kehrte er schweren Herzens wieder zu seinem Blockhaus zurück. Unterwegs kam er au eine Stelle, wo er auf dem feuchten Boden der Prärie die frischen Fährten von vielen Pferdehufen ohne Eisen erblickte, was sie als Indianerpferde bezeichnete. Es mochte also wohl eine Streifpartie der Sioux gewesen sein. Mit laut klopfendem Herzen eilte er nach Hause, voll Todesangst, er könnte seine Gattin und seinen Sohn erschlagen finden. Glücklicherweise aber war dies nicht der Fall, denn das Haus stand noch unversehrt, eine feine bläuliche Rauchwolke stieg aus dem Schornstein auf, und er sah beim Näherkommen Judith und Theo im Gärtchen mit dem Graben von Rüben beschäftigt. Stumm und gerührten Herzens schloss er sein treues Weib in seine Arme und berichtete ihr dann, was er gesehen hatte.

»Wir müssen nun auch fliehen, Liebe«, sagte er dann. »Es war vermessen, die Gefahr herauszufordern. Unsere Nachbarn sind geflohen und meine Pflicht bindet mich nicht mehr an diese Stelle, denn mein Beruf hat aufgehört. Aber mein Herz hängt an diesem kleinen friedlichen Heimwesen, welches wir uns hier in der Wildnis geschaffen und wo wir so manches Jahr glücklich verbracht haben, und ich kann mich kaum davon losreißen.«

»Ja, es ist hart, so von der heimatlichen Scholle sich losreißen zu müssen, Joel, aber es ist Gottes Wille«, versetzte Frau Judith unter Tränen. »Es war so schön hier, aber der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt. Sein Auge und sein Schutz werden überall über uns wachen. Lass uns in Gottes Namen von dannen ziehen und eine neue Heimat suchen, Joel!«

»So will ich den Wagen herrichten, Liebe, und du packe mit Theo unsere beste Habe zusammen, dann wollen wir am frühen Morgen zum Grand River aufbrechen und zum Fort Sully flüchten.«

So wurde es denn beschlossen, und Hogg nahm sich kaum die Zeit, sein Mittagbrot einzunehmen, worauf er Feuer in seiner Esse anmachte, um noch einiges Eisenwerk an dem leichten Wagen zu schmieden, auf welchem er mit Frau und Kind und der besten Habe flüchten wollte. Der Nachmittag verging unter dieser Arbeit nur allzu rasch. Mehrmals hatte Hogg diese unterbrochen, um vor den Schuppen zu treten und sich in der Gegend umzusehen, allein alles war still und friedlich, nirgends etwas Verdächtiges zu sehen. Endlich, der Abend dämmerte schon, schob Hogg den fertigen Wagen vor das Haus und verstaute darauf die Kisten und Bündel, welche Judith gefüllt hatte. Eben waren beide Gatten wieder ins Haus getreten, da hörten sie den Hund plötzlich wütend bellen, dann schmerzlich heulen und winselnd zum Haus herkommen. Das Schlimmste argwöhnend, nahm Hogg seine Flinte vom Kamin herab, schob Frau und Sohn in die Schlafstube und trat vorsichtig aus dem Haus. Da brach der alte treue Mingo vor ihm verendend zusammen, von Schulter zu Schulter von einem Pfeil durchbohrt, dem Pfeil eines Sioux, wie an der Befiederung zu erkennen war. Also ein Überfall! Also zu spät für eine Rettung, dachte Hogg mit Schmerzen und fürchtete jeden Augenblick das entsetzliche Kriegsgeschrei der Indianer erschallen und Büchsen knallen zu hören, zog deshalb die Haustür zu und versperrte sie, entschlossen, sich bis aufs Blut des Lebens der Seinen zu erwehren …

Aber alles blieb still, und nachdem Hogg eine Weile, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, gelauscht hatte, öffnete er die Tür wieder und schaute und horchte aufmerksam hinaus. Der letzte Schimmer des Abendlichts umspielte seine Gestalt und sein Haupt mit dem weißen Haar, wie er so unter der offenen Haustür stand, aber nichts regte sich draußen, als die beiden Pferde unter dem Schuppen, die ihre Maiskolben knusperten, und die Baumwipfel, in welchen der Abendwind spielte. Der Feind war unverkennbar in der Nähe gewesen, hatte aber von einem Überfall Abstand genommen. Vielleicht war es nur ein einziger Mann, ein Späher, gewesen, der nicht den Mut gehabt hatte, die bewaffneten Ansiedler zu überfallen, denn die Indianer wagen nur einen Handstreich, dessen Erfolg ihnen sicher erscheint, und setzen nicht gern das Leben eines der ihren auf das Spiel, da sie nicht mehr viel Mannschaft zu verlieren haben. Aber Hogg kannte das Gebaren der Indianer nur zu gut, um nicht zu begreifen, dass er noch lange nicht sicher sei, sondern jedenfalls noch einen Überfall der Rothäute zu gewärtigen habe. Mit einem leisen Seufzer verschloss und versperrte er die Haustür wieder und trat zu den seinen.

»Lass uns Abendbrot essen, liebe Judith, und dann legt euch nieder und ruht euch aus bis zum Morgen. In der Frühe werden wir aufbrechen, wenn es Gottes Wille ist«, sagte er.

Mutter Judith schaute ihn ängstlich und sorgenvoll an, denn sie begriff, was er mit den letzten Worten sagen wollte. Aber sie raffte ihren ganzen Mut und ihr Gottvertrauen zusammen, bereitete still den Tee und das einfache Abendbrot, welches in Ruhe eingenommen wurde. Als sie Theo zu Bett gebracht hatte, kehrte sie zum Herd zurück, wo Hogg in sich zusammengesunken saß, nahm die alte Bibel vom Bord, legte sie vor ihm nieder und sagte: »Lass uns noch einmal inbrünstig beten und unser Herz vor Gott ausschütten, Joel, und sollte es auch das letzte Mal sein. Wir wollen wenigstens nicht unvorbereitet der dunklen Stunde entgegengehen.«

»Amen!«, sagte Hogg, und sie lasen noch einige Psalmen und beteten noch lange und inbrünstig, ihre Seelen und ihr Kind dem lieben Gott empfehlend. Dann umarmten sie einander lange, als sollte es das letzte Mal sein, und dann ging Mutter Judith in die Kammer und legte sich zur Ruhe. Hogg aber schürte das Feuer im Kamin noch einmal auf, machte die Runde im kleinen Haus, horchte hinaus in die stille Nacht und bezog dann die Wache, das schussfertige Doppelgewehr vor sich auf dem Tisch liegend. Die Stunden zogen langsam an ihm vorüber, aber er füllte sie mit guten Gedanken aus – er überblickte sein ganzes, langes, wechselvolles Leben, in welchem ihn Gottes Hand aus so zahllosen Gefahren und Nöten so wunderbar errettet und beschützt hatte, und er dankte seinem Herrn dafür und bat ihn, er möge ihn und die seinen zu einem guten Ende führen. Er fand im Gebet Ruhe, Kraft, Stärkung und Mut selbst zum Äußersten. Endlich aber übermannten ihn Müdigkeit und Schlaftrunkenheit, und er schlummerte ein. Aus diesem etwas unruhigen und leichten Schlaf weckte ihn die Morgenkühle, denn das Feuer im Kamin war niedergebrannt. Er zündete eine Laterne an, schaute nach Frau und Kind, die noch ruhig schliefen, öffnete dann einen Fensterladen und schaute nach den Sternen, die schon den nahenden Morgen verkündeten. Er wollte noch die Pferde füttern und dann anschirren, denn mit Tagesgrauen sollte aufgebrochen werden, wenn nichts dazwischen kam. Draußen war alles still, denn bei Nacht wagen die Rothäute ohnedem keinen Überfall, weil sie die Gespenster der Nacht fürchten.

Hogg hatte die Haustür aufgesperrt und wollte aus dem Haus treten, als rechts und links zwei dunkle Gestalten aufsprangen, sich auf ihn warfen und mit solcher Sicherheit und Geschwindigkeit überwältigten, dass er keinen Laut von sich zu geben, geschweige denn sich zu wehren vermochte. Im Nu waren ihm die Hände auf den Rücken gebunden, ein Knebel in den Mund gezwängt und mit einem Tuch verbunden.

Eine dritte dunkle Gestalt trat vor ihn und raunte ihm in der Siouxsprache zu: »Sei ruhig, und es soll dir nichts geschehen, sträube dich, und du bist des Todes.« Dann führte man ihn aus seiner Umzäunung hinaus unter eine Gruppe von Räumen, wo mehrere Pferde standen, setzte ihn auf eines, nachdem man ihm noch die Augen verbunden hatte. Zwei Reiter nahmen ihn in die Mitte, ein dritter ritt hinterher, und so ging es in die Nacht hinaus in einer Richtung, über welche sich der Gefangene keine Rechenschaft geben konnte.

Als Hogg sich vom ersten Schreck erholt hatte, erfüllte eine namenlose Angst um Frau und Kind seine Seele. Er konnte sie nur dem Schutz Gottes empfehlen und betete, der Herr möge sie wenigstens verschonen, wenn er auch ihn zum Opfer ausersehen habe. Im Galopp ging es in die Prärie hinein, und da Hogg sich seiner Hände nicht bedienen konnte, so hatte er Mühe, sich auf dem Pferd zu erhalten, und war mehrmals daran, von diesem herunterzufallen, was nur seine Begleiter verhinderten. So ging es mehrere Stunden über Stock und Stein, bis plötzlich die Pferde haltmachten. Hogg erwartete nichts anderes, als in einem indianischen Lager zu sein, wo schon der Marterpfahl ihn erwarte. Allein als er vom Pferde gehoben und ihm die Binde von den Augen genommen ward, sah er sich in einer kleinen Talsenke an einer Quelle, umgeben von drei Siouxkriegern im vollen Kriegsschmuck mit Federn und Bemalung und bis an die Zähne bewaffnet mit Büchsen, Pfeil und Bogen, Speeren, Messern und Streitaxt. Zwei davon waren junge Männer, der Dritte und vornehmere ein älterer Mann mit grauem Haar und narbenvollem Gesicht. Dieser fasste Hogg scharf, aber nicht feindselig ins Auge und betrachtete ihn lange. Dann nahm er ihm den Knebel aus dem Mund und löste ihm die Stricke an den Handgelenken, welche ihn bereits sehr schmerzten.

»Versprich, dass du nicht entfliehen willst, und ich werde dich gut behandeln. Aber beim ersten Versuch, zu entwischen, bin ich dein Feind«, sagte er und schlug auf den Kolben einer langen Sattelpistole, die er im Gürtel stecken hatte.

»Ich werde dir folgen, wenn du mir sagst, wohin du mich führst und was aus meinem Weib und Kind wird«, entgegnete Hogg, aber der Sioux winkte ihm statt einer Antwort zu schweigen.

Die Pferde wurden getränkt und zum Weiden ausgepflöckt. Einer der jungen Krieger breitete eine Büffeldecke aus, auf welche sich der alte Sioux setzte, seine Pfeife anzündete und Hogg durch einen Blink bedeutete, dass er sich ihm gegenübersetzen solle. Der andere Krieger röstete ein Stück Fleisch über einem Feuer, welches er in Eile angemacht hatte. Dann wurde ein hastiger Imbiss von gebratenem Fleisch und Prärierüben eingenommen, worauf man wieder die Pferde bestieg und weiterritt. Die Sioux sprachen wenig miteinander und nur mit gedämpfter Stimme und ließen Hoggs Fragen unbeachtet. So ging es, eine kurze Rast um Mittag ausgenommen, den ganzen Tag fort bis gegen Sonnenuntergang, wo wieder an einem kleinen Flüsschen haltgemacht und gekocht wurde. Hogg hatte am Stand der Sonne bemerkt, dass ihre Reise nordwärts ging, anstatt westwärts in das Indianergebiet hinein, wie er anfangs befürchtet hatte. Seine Gefährten behandelten ihn nicht unfreundlich, aber mit finsterem Schweigen, und Hogg musste, in eine Büffeldecke eingewickelt, zwischen den beiden Indianern auf der Erde schlafen, während einer von ihnen auf dem Ende der Büffeldecke lag.

Den anderen Tag ging die Reise weiter, ebenfalls so eilig und schweigsam wie am ersten Tag, und Hoggs einzige Qual waren die Sorgen um Weib und Kind und die Ungewissheit über seine eigene Zukunft. Aber er erkannte die Zwecklosigkeit aller seiner Grübeleien und stellte seine Zukunft nur dem lieben Gott anheim, dem ewigen unerforschlichen Denker aller Menschengeschicke.

Am zweiten Abend wurde das Biwak an der bewaldeten Talsohle eines kleinen Flusses unter hohen Bäumen aufgeschlagen. Der eine der jungen Krieger ging mit Pfeil und Bogen fischen und brachte ein halbes Dutzend großer, hechtartiger Fische mit, die zum Abendbrot dienten. Am dritten Morgen wurde nicht aufgebrochen, um die Reise fortzusetzen, sondern die beiden jungen Krieger errichteten ein Tipi, eine kegelförmige Hütte von gegeneinander geneigten Stangen, die sie über Mannshöhe mit Rindenstücken bedeckten, während der alte Indianer mit unterschlagenen Beinen dasaß, die schussfertige Büchse auf den Knien seine Pfeife rauchend und den Gefangenen bewachend. Abwechselnd ritt dann der eine oder der andere der beiden jungen Krieger fort, vielleicht um zu rekognoszieren, und der andere saß derweil am Feuer und behielt den Gefangenen im Auge.

Allen wurde unverkennbar die Zeit lang, und als nun Hogg wieder die Frage wagte, was aus seinem Weib und Kind geworden sei und was mit ihm selbst geschehen solle, versetzte der alte Indianer trocken: »Warte.«

Gegen Abend trafen noch zwei weitere berittene Sioux ein, welche dem alten Krieger einen langen Bericht abstatteten und lebhaft dabei gestikulierten. Aber sie waren so entfernt, dass Hogg nichts von ihrer Unterredung verstehen konnte, obwohl er aus ihren Blicken und Gebärden entnehmen konnte, dass er selbst der Gegenstand ihrer Unterhaltung sei.

Noch eine Nacht musste Hogg hier verbringen, aber diesmal im Tipi auf einem Lager von Schilf und Baumzweigen. Am vierten Morgen wurde ebenfalls nicht aufgebrochen, sondern einige der Krieger fischten, sammelten Holz und trafen anscheinend Vorbereitungen zum Empfang von weiteren Gefährten. Und in der Tat sah man bald nach Mittag einen Trupp von sechs aber acht Reitern und mehreren Packpferden oben auf den hohen Uferböschungen erscheinen und den steilen Pfad durch den Wald herunter einschlagen. Zehn Minuten später ritten sie aus dem Wald heraus und Hogg sprang mit einem Freudenschrei auf, denn zwischen den Siouxkriegern ritten seine Gattin und sein Sohn, und in der nächsten Minute lag er in ihren Armen.