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Der Teufel auf Reisen 7

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 5
Faust und Gretchen

Bei der Frage, die der Doktor an sie richtete, schlug sie zunächst scheinbar verlegen die Augen nieder.

Als aber diese Komödie beendet war, hob sie den Kopf wieder sehr entschlossen empor und unserem Bekannten mit großer Sicherheit ins Gesicht blickend, erwiderte sie: »Es mag sein, dass ich durch den Umgang mit hohen aristokratischen Persönlichkeiten etwas verwöhnt bin, aber nie würde ich mich entschließen können, einem Mann die Hand zu reichen, zu dem ich herabsehen müsste. Und wie die Herren heutzutage sind! … Da ist zum Beispiel der Herr von Schmalhals – Sie werden zugeben müssen, dass dieser eine sehr elegante Persönlichkeit repräsentiert und an Geist fehlt es ihm ebenfalls keineswegs.«

Schwalbe musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen. Diese lange hagere Kranichgestalt mit dem blasierten nichtssagenden Gesicht, welcher wie ein gehorsamer Pudel der Dame des Hauses auf Schritt und Tritt folgte – es war wohl nicht schwer zu erraten, dass die alternde zweiunddreißigjährige Jungfrau als letzten Rettungsversuch ihre Augen auf den Baron geworfen hatte.

»Herr von Schmalhals ist wirklich eine höchst interessante Erscheinung«, bemerkte er ganz ernsthaft, »darf ich nun weiter fragen?«

»Nun, sehen Sie, die Sache ließe sich durch die Protektion des Herrn Pilz wohl machen. Man könnte ihm eine Anstellung bei der Bank oder bei irgendeiner Lebensversicherung verschaffen, er würde wohl auch eine ihm an Verdienst und Bildung gleichstehende Frau finden, statt dessen zieht er es aber vor, diese schmählichen Fesseln zu tragen – die Gastfreundschaft verbietet mir einen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen – und energielos verharrt er in solcher weichlichen Untätigkeit, während er doch – er ist wirklich sehr liebenswürdig – in den Armen einer gefühlvollen, gebildeten Frau das höchste Glück des Lebens genießen könnte.«

Fräulein Krickel spreizte bei diesen Worten unwillkürlich alle zehn Finger auseinander, als stehe sie im Begriff, das ohnedem sehr dünne Haar des armen Barons unbarmherzig zu zerzausen, sodass sich der Doktor schon im Voraus ein sehr deutliches Bild von dem »höchsten Glück des Lebens,« welches diese Dame ihrem Zukünftigen zu bereiten die Absicht hatte, entwerfen konnte, da er aber im Umgang mit Berthold bereits in gewissenloser Weise über die Menschen spotten gelernt hatte, so erwiderte er abermals sehr ernsthaft: »Es ist wirklich unverantwortlich von Herrn von Schmalhals, dass er sein Glück so von sich stößt. Nun, vielleicht geht er mit der Zeit noch in sich. Aber da ist ja auch der Professor Windbläser, was halten Sie von diesem?«

Fräulein Therese rümpfte wegwerfend die Nase. »Er steht zu tief unter mir«, sagte sie, »er bewirbt sich schon seit Jahren um meine Gunst, aber sein Leib – mein Gott, sein Leib sieht ja wie ein Plattbret aus, und außerdem wäre er ja gar nicht satt zu bekommen.«

Hier wurde das interessante Gespräch unterbrochen. Frau Pilz hatte sich erhoben und gab durch eine Verbeugung zu verstehen, dass das Diner sein Ende erreicht habe. Gestützt auf den Arm ihres Fridolin verließ sie den Saal, um, wie ihr genialer Mann in seiner Weinlaune zu Berthold bemerkte, auf ihrem Zimmer ästhetisch zu verdauen, zu welchem Zweck ihr der Baron mit seiner schnarrenden Stimme aus einem ihrer Lieblingsdichter etwas vorlesen musste. Der Doktor bot wieder Klothilde den Arm, und da sich um Fräulein Krickel niemand kümmerte, so verschmähte sie es schließlich nicht, mit einer äußerst herablassenden Miene den Arm des zu jeher Zeit dienstbereiten Windbläser anzunehmen, welcher sich übrigens in einem sehr behaglichen raumausfüllenden Zustand zu befinden schien.

Die Gesellschaft befand sich beim Kaffee. Es fing schon an zu dämmern und die Diener begannen den großen Kronleuchter anzustecken, als ein Herr in den Salon trat, den niemand erwartet zu haben schien. Es war dies ein junger Mann von etwa dreißig Jahren, mit einem kurzen gedrungenen Körper und einem Gesichtsausdruck, welchen der oberflächliche Betrachter wahrscheinlich jovial und heiter, der nähere Beobachter vielleicht aber leichtsinnig, ja sogar gewissenlos genannt haben würde. Schwalbe, der von Berthold einen heimlichen Wink erhalten hatte, sich den Herrn etwas genauer zu betrachten, spielte den stillen Beobachter und bemerkte, wie Fräulein Krickel zuerst leise zusammenzuckte und dann heimlich mit demselben einen ziemlich vertrauten Blick austauschte. Auch Klothilde schien bei seinem Erscheinen aus ihrer bisherigen ärgerlichen Stimmung herauszukommen und lächelte ihm ebenfalls wie einem alten Bekannten zu. Der Fremde schien auch hier vollkommen heimisch zu sein, denn indem er seine frischen roten Lippen aufwarf und behaglich lächelte, eilte er auf den Hausherrn zu und diesem die Hand reichend, rief er: »Diesmal habe ich die Etikette nicht beachtet und bin unangemeldet eingetreten, aber daran ist lediglich Ihr langer Schlingel von Ausrufer schuld, welcher, statt auf seinem Posten zu sein, gerade jetzt im Speisesaal damit beschäftigt ist, die Reste einer Straßburger Pastete zu verzehren.«

»Na, Sie sind auch so willkommen«, erwiderte Pilz, welchen der reichlich genossene Wein sehr herablassend stimmte.

»Wie heißt der junge Mann?«, flüsterte der Doktor dem neben ihm stehenden Berthold zu, »Ihnen ist ja nichts unbekannt und außerdem betrachten Sie ihn ja mit besonders freundlichen Blicken.«

»Warum sollte ich denn auch nicht. Das Bürschchen ist bereits halb mein und bald wird er es ganz sein. Er wird dem aufgeblasenen, prahlsüchtigen Pilz einen gehörigen Nasenstüber versetzen, kurz, er ist der Held des Dramas, dessen Vorspiel wir bisher beobachtet haben.«

Indem fing der kleine, sich bereits etwas zur Korpulenz neigende Herr wieder zu sprechen an.

»Ich komme eben von der Börse, mein Cab steht vor der Tür.«

»Er lebt vom Börsenschwindel«, flüsterte Berthold.

»Wie stehen die Rumänen?«, fragte Pilz, welcher sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, um mit seinem Reichtum zu prahlen, »ich habe noch vor acht Tagen von diesen Papieren für zwanzigtausend Gulden gekauft.«

»Schlagen Sie los, schlagen Sie um jeden Preis los!«, rief Biland und schien sich außerordentlich daran zu ergötzen, als er bemerkte, wie der aufgeblasene Kapitalist plötzlich erbleichte.

»Was gibt es denn?«, fragte dieser ängstlich, »ist denn etwas vorgefallen?«

»Die Rumänen sind um zwei Prozent gesunken und morgen werden sie wahrscheinlich um sechs Prozent gefallen sein.«

»Aber mein Agent sagte mir doch …«

»Was weiß Ihr Agent. Ich sage Ihnen, dass die beunruhigendsten Gerüchte auf der Börse kursieren. Vielleicht schon morgen rücken die Russen in Bukarest ein und dann wird Österreich auch nicht zögern.«

Daraufhin machte Pilz ein Gesicht, als ob ihm von der fetten Aalpastete plötzlich übel geworden sei. Fragend blickte er seinen Freund Krauthuber an. Dieser schien gegen Herrn Biland einen besonderen Grimm zu hegen. Schon bei seinem Eintritt hatte er ihn mit eben nicht schmeichelhaften Blicken traktiert. Nun dünkte ihm die Gelegenheit gekommen, demselben seine ganze Verachtung fühlen zu lassen.

»Schwindel, nichts als Schwindel!«, rief er so laut, dass dieser es hören konnte, »es gibt gewisse Leute, die lediglich vom Schwindel leben! Die Rumänen haben nie besser als gerade jetzt gestanden.«

Der arme Krauthuber hatte offenbar in der Leidenschaft nicht bedacht, welchem Gegner er gegenüberstand. Der kleine Biland verzog höhnisch seine Lippen, und nachdem er vorher noch mit Klothilde einen Blick des Einverständnisses ausgetauscht hatte, schritt er plötzlich auf den alten Rentier zu, zog wie dieser die Nase in Falten, starrte ihm ins Gesicht und fuhr dann auf ihn zu, als ob er ihm sein rotes fleischiges Geruchsorgan hätte abbeißen wollen.

»Sehr erfreut, Sie hier zu sehen, Sie altes Murmeltier«, rief er, während der Rentier einen Schritt zurücktaumelte, »na, erschrecken Sie nur nicht, Sie alter Basilisk – könnte Ihrer Schönheit schaden, Sie Jüngling mit den wackligen Beinen.«

Bei diesem rücksichtslosen Angriff, welcher alle Gesetze des Anstandes und der Sitte über den Haufen warf, brachen Klothilde und Fräulein Krickel in ein helles boshaftes Gelächter aus, während sich Pilz mit den Händen verzweiflungsvoll in die Haare fuhr.

»Meine Herrschaften«, rief Biland, durchaus nicht aus der Fassung gebracht, »ich und mein Freund Krauthuber sind es nun einmal gewohnt, sich solche Schmeicheleien zu sagen.«

»Ich muss Sie aber doch bitten«, sagte Pilz, »zu bedenken, an welchem Ort Sie sich befinden und was Sie den Anwesenden schuldig sind. In meinem Haus herrscht der höchste Anstand. Ich halte aufs Strengste auf die Etikette. Ich bin gewohnt (hier hob er sich auf die Zehen) für die gesamte vornehme Welt – verstehen Sie wohl, ich sage für die vornehme Welt – den Ton anzugeben.«

»Ich beuge mich Ihrer Würde. Ich weiß, dass Sie in dieser Beziehung unerreichbar sind.«

Der Geldmann wurde bereits wieder viel freundlicher, die Falten auf seiner Stirn fingen an zu verschwinden.

»Herr Krauthuber hat mich einen Schwindler genannt, von ihm ist also der erste Angriff ausgegangen. Indessen bin ich bereit, ihm Satisfaktion zu geben – Degen, Pistolen, krumme Säbel, ich stehe mit jeder Waffe zu Diensten. Sie, Herr Pilz, als das Nonplusultra eines vollendeten Gentlemans, mögen entscheiden, ob den Gesetzen der Ehre Genüge getan worden ist.«

»Vollkommen, vollkommen«, rief dieser im höchsten Grade geschmeichelt. »Oh, ich kenne die Gesetze der Ehre auswendig, ich selbst hätte mich beinahe einmal geschlagen, weil mir ein Herr auf mein linkes Hühnerauge trat. Indessen in diesem Fall, da Sie so gütig gewesen sind, die Sache in meine Hände zu legen, bin ich der Meinung, dass man dieselbe, unbeschadet der Gesetze der Ehre, als eine häusliche Angelegenheit behandeln muss.«

»Gut, so nennen Sie es eine häusliche Angelegenheit«, sagte Biland, »machen Sie dies mit dem ehrenwerten Herrn Krauthuber ab. Inzwischen werde ich mir die Freiheit nehmen, mich mit Ihrer liebenswürdigen Fräulein Tochter etwas zu unterhalten.«

»Er har erstaunlich viel guten Takt«, murmelte Pilz, »erstaunlich viel guten Takt. Er kennt die Leute aufs Haar, die in den Gesetzen der Ehre Bescheid wissen. Nun, Krauthuber, ich kann Ihnen nur raten, sich ebenfalls meinem Schiedsgericht zu fügen.«

»Ich bleibe dabei, er ist ein Schwindler«, brummte dieser, »und außerdem gefällt es mir ganz und gar nicht, dass Sie diese vertrauten Unterhaltungen mit Ihrer Tochter dulden, da das Geschäft doch fast zwischen uns abgeschlossen ist.«

In der Tat war es auch nur ein Geschäft. Das bedauernswerte junge Mädchen sollte gegen ein gutes Stück Geld verschachert und dafür um ihre ganze Zukunft betrogen werden.

»Lassen Sie es nur gut sein«, beruhigte Pilz, »ist sie erst Ihre Frau, so nehmen Sie die Zügel in die Hand, die Sache wird sich dann schon machen.«

Inzwischen war der kleine Biland zu Klothilde herangetreten und knüpfte mit dieser ein Gespräch an.

»Nun, sind Sie mit mir zufrieden?«, fragte er, »denn nur um Ihretwillen habe ich doch diese Szene aufgeführt.«

»Ich danke Ihnen bestens, ich bleibe Ihre Schuldnerin. Oh, Sie glauben nicht, was ich diesen alten widerlichen Narren verabscheue! Wenn man es mir zu arg treibt, so begehe ich einen Exzess, ja, das schwöre ich Ihnen, ich begehe einen Exzess!«

»Sollten Sie wirklich den Mut dazu haben?«

»Da kennen Sie mich noch schlecht, es steckt mehr Energie in mir, als Sie vielleicht vermuten. Was mache ich mir aus dem Gerede der Leute! … Ich lasse mich nicht tyrannisieren, und wenn es mir zu arg wird, greife ich zu dem ersten besten Mittel.«

»Wenn Sie nur so recht volles Vertrauen zu mir fassen könnten.«

»Sie wissen ja nicht, ob ich nicht volles Vertrauen zu Ihnen habe«, rief die junge Dame mit der ihr eigenen Entschlossenheit.

»Und wenn ich nun später vor sie hintreten würde und mich zu Ihrem Retter anböte?«

Klothilde sah ihn doch etwas überrascht an. »Wieso?«, fragte sie forschend.

»Nun, wenn Ihr Vater wirklich auf Ihrer Verbindung mit dem alten Krauthuber bestände?« »Gehen Sie, das hieße mich ja in den Tod schicken! Nein, das geschieht nimmermehr! Ich glaube, ich könnte dann in der Verzweiflung alles begehen.«

Biland schien sehr befriedigt. »Eine Dame wie Sie, die auf der Höhe der Zeit steht, muss auch den gehegten Erwartungen entsprechen, doch ich plaudere, während ich schon längst fort sein müsste.«

»Wollen Sie ins Theater?«

»Ja, es wird ein neues Stück geboten.«

»Viel Vergnügen«, rief Klothilde ihm noch nach, und dann trat sie in das angrenzende Zimmer.

Im Forteilen blieb Biland, wie von ungefähr, noch einen Augenblick vor Fräulein Krickel stehen.

»Haben Sie meine Vorschriften befolgt?«, fragte er leise.

»Sie meinen wegen Fräulein Pilz?«, tönte es eben so leise zurück.

»Nun allerdings. Zeigt sie noch immer den extravaganten Charakter von früher?«

»Sie ist zu jeder Torheit fähig.«

»So meinen Sie also, dass etwas mir ihr anzufangen ist?«

»Ich zweifle nicht im Geringsten daran.«

»Und Ihr Einfluss?«

»Sie lässt sich unbedingt von mir leiten.«

»Faust und Gretchen«, entgegnete Biland lachend.

Die Krickel gab dieses Lächeln zurück. »Vorausgesetzt, dass der Kontrakt gehalten wird.« »Natürlich. Besuchen Sie mich morgen Vormittag, ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen.« Er verbeugte sich sehr höflich und unbefangen, verabschiedete sich schnell bei dem Herrn und der Herrin des Hauses und rasselte schon fünf Minuten nachher mit seinem Cab die Straße entlang.