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Das Geheimnis des Medizinbeutels – Teil 7

Das Geheimnis des Medizinbeutels – Teil 7
Eine Erzählung von Fr. Daum
Um 1925 erschienen im Verlag von A. Anton & Co. in Leipzig

Schreiend und schießend rannten die Assiniboine hinter den Piegan und ihren Mustangs drein. Rifle Ben und seine Gefährten waren zu der Felsspalte geeilt. Da die ungeteilte Aufmerksamkeit der Assiniboine sich auf die Abwehr der Pferdediebe am anderen Ende des Dorfes richtete, hatten sie zunächst keine Störung bei der Befreiung zu befürchten. Als sie vor der dunkel gähnenden Öffnung der schmalen Schlucht ankamen, befahl Rifle Ben: »Baptist, Ihr bleibt hier am Eingang stehen und beobachtet die nächste Umgebung. Sobald sich etwas Verdächtiges zeigt, habt Ihr es zu melden.«

Die anderen waren schon in die Felsenge eingedrungen und suchten nach dem Gefängnis des Deutschen. Die Weißen liefen aufgeregt hin und her, wobei sie den Namen des Gefangenen wiederholt riefen. Die beiden Mandan verhielten sich ruhiger und tasteten die Wände ab.

»Wollt ihr wohl schweigen!«, schrie Ben ärgerlich. »Auf diese Weise vergeht kostbare Zeit, und wir finden den Mann nicht. Habt Ihr die Kerze zu Euch gesteckt, Doktor? Ja? Dann brennt sie an, ich werde rufen. Aber dass mir keiner von euch auch nur einen Laut hören lässt.«

Schnell wurde nun die Kerze angezündet, und als ihr schwacher Schein die zerrissenen Felswände beleuchtete, rief Ben: »Hallo … Master Martens … seid Ihr hier? Gebt Antwort, damit wir Euer Versteck finden!«

Atemlos lauschten die Anwesenden. Doktor Allan fuhr zusammen, als eine dumpfe Stimme antwortete.

»Ja … ja … helft … ich bin Martens«, tönte es gedämpft zu ihnen.

Die Köpfe der beiden Mandan fuhren beim Klang der Stimme herum. Ihre glänzenden Augen blieben an einer Stelle der Felswand hängen. Karl Martens lehnte totenbleich an einem Felsblock. Ben rief dem Gefangenen zu, er möge noch einmal antworten, damit sie die Stelle genau feststellen könnten. Wieder ertönte die hohle Grabesstimme.

Der Trapper deutete auf einen Riss in der Felswand und rief: »Hier ist die Stelle!«

Doch schon waren die Mandan in die Spalte hineingeklettert. Rabenfeder machte alsbald sein Lasso los und sah den weißen Jäger erwartungsvoll an.

»Ich sehe Licht! – Seid ihr das?«, rief der Mann im Felsen wieder. Diesmal klang seine Stimme bedeutend klarer.

»Seid Ihr gefesselt?«, fragte Ben hinab.

»Ja – man hat mir die Hände auf den Rücken gebunden«, tönte es zurück.

»Dann muss dein Junge hinunter, Rabenfeder«, befahl Ben.

Der junge Mandan band sich an das Lasso fest, nahm sein Messer zwischen die Zähne und verschwand in der Tiefe des seitlich in den Berg schneidenden Spaltes. Einige Minuten voller Spannung vergingen, dann rief Roter Elk, man möge anziehen. Gleich darauf tauchte ein blasses, bärtiges Männergesicht aus der Tiefe empor. Noch ein Ruck, und des Befreiten Knie fanden an der Kante Halt.

»Ihr Männer … Gott … lohne es euch«, keuchte der abgezehrte Mann, der nur mit den Fetzen eines indianischen Anzuges bekleidet war.

»Nichts von Dank! Eilt, noch seid Ihr nicht in Sicherheit«, rief Ben dem Befreiten zu.

»Vater … Vater!«, rief Karl.

Der Gerettete taumelte, raffte sich wieder auf und glitt mit dem Ausruf »Mein Junge! – Mein Karl!« in der Felsrinne hinab, um den auf der Sohle des Spaltes stehenden Sohn in die Arme zu schließen. Rabenfeder hatte mit Bens Hilfe seinen Sohn emporgezogen, und alle drei eilten zu der erschütterten Gruppe. Da krachte vom Eingang her ein Schuss.

»Fort!«, schrie Ben und rannte dem Ausgang zu. Alle folgten.

»Weshalb habt Ihr geschossen?«, schrie der Alte den Kanadier an.

»Ein paar Frauen näherten sich der Felsspalte. Sie trugen Packstücke auf dem Rücken, als wollten sie hier etwas verstecken. Mein Schuss hat sie verjagt«, antwortete Baptist.

»Ihr konntet nicht anders handeln, aber nun haben wir das Gesindel auf den Fersen! Vorwärts! Strengt alle Kräfte an, wir laufen um unser Leben!«, rief Ben. Zu dem Geretteten aber sagte er: »Ihr seid nicht kräftig genug, um einen Dauerlauf mitmachen zu können. Sobald wir an der Felsecke angekommen sind, eilt Ihr voraus mit dem Doktor und Eurem Jungen, während wir den Hunden eins auf ihre schmutzigen Nasen geben, … Hallo! Fort, da kommt die Brut schon!«

In rasendem Lauf eilten die Männer dem Felsenriff am Fluss zu. Zwischen den Zelten schossen vereinzelte Assiniboine hervor, die sofort begriffen, worum es ging, und sich bemühten, den Flüchtlingen den Weg abzuschneiden. Es war wirklich ein Wettlauf mit dem Tod. Als Erster kam der junge Mandan, ein vorzüglicher Läufer, an der Landenge zwischen Fluss und Fels an. Gleich nach ihm aber trafen zwei Assiniboine-Krieger dort ein, die ihren Gefährten, älteren Kriegern, weit voraus waren. Den Ersten schlug Roter Elk mit dem Tomahawk nieder. Der Assiniboine stürzte, sein Körper überschlug sich, um dann hart am Wasser regungslos liegen zu bleiben. Den zweiten Assiniboine schoss Doktor Allan mit seiner Pistole tot. Doch da waren die Gefährten auch schon angelangt. Sie wandten sich um und feuerten auf die nachkommenden Feinde, die schleunigst hinter Büschen und Steinen Deckung suchten.

Doktor Allan und Karl liefen mit dem Geretteten weiter. Dies geschah zur selben Zeit, als die Assiniboine jenseits des Zeltdorfes hinter den ihre Mustangs forttreibenden Piegan hinterher rannten. Die Lage wurde aber mit jedem Augenblick kritischer, denn immer mehr Assiniboine hatte die Schießerei beim Felsen angelockt. Sie rückten im Schutz der Dunkelheit immer näher, und die Gefahr lag nahe, von ihrer Überzahl überrannt zu werden.

»Ich denke, unsere Freunde haben nun einen genügenden Vorsprung. Wir wollen unsere Büchsen nach einmal abfeuern. Dann mag der Lauf beginnen. Sitzen wir erst auf den Rücken unserer Tiere, so können sie uns nichts mehr anhaben«, sagte Rifle Ben und schoss einem zu vorwitzigen Assiniboine eine Kugel durch den Kopf. Die Schüsse aus den Büchsen seiner Gefährten lösten sich ebenfalls und nicht vergebens, wie mehrere Aufschreie bewiesen. Roter Elk aber ließ seine Siegeszeichen nicht im Stich. Er sprang zu dem von ihm niedergeschlagenen Assiniboine am Wasser hin und nahm ihm den Skalp.

»Ein ganz fixer Junge«, brummte der Prärieläufer, als er das Wutgeheul der Assiniboine vernahm, die dem wackeren Mandan-Jüngling ihre Kugeln nachsandten, ohne ihm zu schaden. Die letzte Salve hatte die Gegner doch eingeschüchtert. Sie wagten keinen offenen Angriff. So blieb den Flüchtlingen Zeit genug, um ihre Pferde ungefährdet zu erreichen. Sie sahen und hörten nichts von den Wilden. Als sie jedoch abreiten wollten, krachten mehrere Schüsse, von denen einer den Kanadier Pierre leicht am Arm verwundete. Man gab sich nun weiter keine Mühe, das Feuer der im Gestrüpp verborgenen Schützen zu erwidern. Mit wütendem Geheul sandten die Assiniboine den Davonreitenden noch einige Kugeln nach.

Unter Rifle Bens Führung hatte die kleine Schar bald die offene Prärie erreicht. Der Alte hielt sein Maultier an und wandte sich seinen Gefährten zu.

»Freunde, wir müssen so schnell wie möglich aus dem Bereich der Assiniboine zu kommen suchen. Eine Anzahl Mustangs werden sie sicher bald wieder erlangen und uns damit verfolgen. Der Streich, den wir ihnen gespielt haben, wird ihre Rachgier zu äußersten Anstrengungen anstacheln. Wenn sie auch nicht zahlreich genug sind, um uns offen anzugreifen, so sind wir doch keineswegs sicher vor ihren aus dem Hinterhalt abgeschossenen Kugeln oder Pfeilen. Von der Schnelligkeit der Reittiere hängt unser Schicksal ab. Unser nächstes Ziel ist die weiter unten über den Fluss führende Furt, wo wir mit den Piegan zusammentreffen werden. Vorwärts denn! Schont die Gäule nicht!«

Mit einem Zischlaut trieb der Prärieläufer sein Tier an, und in wildem Galopp sprengte die Schar über die Ebene dahin. Nach einer Stunde hielt der Alte sein Maultier wieder an, um sich zu orientieren. Bald hatte er die Furt gefunden. Während seine weißen Gefährten abstiegen, um zu rasten, ritt er mit den Mandan in die Prärie hinaus, den Piegan entgegen. Eine halbe Meile vom Ufer des Musselshell River entfernt machten die drei halt und lauschten in die nächtliche Prärie hinaus. Kein Wort wurde gesprochen, bis plötzlich der matte Hall zweier rasch hintereinander abgefeuerter Schüsse die Stille unterbrach.

»Sie sind zu weit nach Süden gelangt, sagte Ben und feuerte seine Büchse ab, um den Piegan die Richtung anzugeben. Es dauerte denn auch nicht lange, und der dumpfe Hufschlag einer galoppierenden Reiterschar wurde hörbar. Eine dunkle Masse bewegte sich rasch auf die drei Späher zu. Büffelstirn ritt heran und erkundigte sich bei Ben nach dem Stand der Dinge. Sobald er erfahren hatte, dass die Befreiung des Gefangenen geglückt war, drängte er zur Fortsetzung der Flucht.

»Dort ist die Furt, wir müssen sie rasch durchreiten, um den Fluss zwischen uns und die Assiniboine zu bringen. Die Herzen dieser Hunde sind voll Wut; und großer Zorn macht mutige Krieger. Denkt mein weißer Bruder auch so?«, fragte der Piegan.

»Well! Ich stimme dir bei! Wir dürfen nicht eher rasten, bis die Little Belt Mountains hinter uns liegen. Go on«, antwortete der Alte und ritt los.

Bald war die Furt erreicht. Es war ein schwieriges Unterfangen, die aufgeregten einzelnen Mustangs durch den Fluss zu bringen, aber die gewandten Piegan erledigten mit großer Geschicklichkeit ihre Aufgabe. Doktor Allan bewunderte die geschmeidigen Reiter, denen auch nicht eins der ungebärdigen Tiere entwischte. Am linken Ufer des Flusses angelangt, begann ein wilder, fluchtartiger Ritt, der an Mann und Ross außergewöhnliche Anforderungen stellte.

Der gerettete Klaus Martens litt am schwersten unter den Anstrengungen, da sein Körper durch die schlechte Behandlung während der Gefangenschaft geschwächt war. Doch tapfer überwand er alle Schwächeanwandlungen, aber als endlich haltgemacht wurde, brach er zusammen. Seine Ohnmacht, die Karl sehr besorgt machte, währte jedoch nicht lange. Der Duft des am schnell entzündeten Feuer bratenden Fleisches weckte seine Lebensgeister. Ein Schluck Branntwein brachte den Erschöpften vollends zu sich. Mit dem gleichen Heißhunger wie seine Gefährten fiel er über die Speisen her.

Als er gesättigt war, dankte er mit bebender Stimme den Männern für seine Befreiung, für die sie so kühn und entschlossen ihr Leben gewagt hatten. Die Erinnerung an die Qualen, die er während der beinahe ein Jahr dauernden Gefangenschaft unter den rohen Wilden erduldet hatte, erregte ihm noch jetzt ein Grauen. Um so heißer war sein Dank.

»Wir wurden damals, in den Black Hills war’s, im Schlaf von den Assiniboine überfallen. Was aus meinen Gefährten geworden ist, weiß ich nicht. Nachdem die Horde in das Lager zurückgekehrt war, musste ich unter steten Misshandlungen hart arbeiten. Sobald man meine Berufskenntnisse erkannt hatte, wurde ich gezwungen, alle fehlerhaften Flinten wiederherzustellen. Trotz des Nutzens, den sie durch mich hatten, behandelten mich die Schurken schlecht. Damit nur ja kein Mensch etwas von mir und meiner Tätigkeit erfahren sollte, wurde ich eingesperrt und meine Anwesenheit geheim gehalten. Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie sehr ich darunter gelitten habe. Sehnsucht nach meiner guten Frau und den Kindern drückte mir schier das Herz ab. Unablässig beschäftigte mich der Gedanke an Flucht. Aber meine Lage war hoffnungslos. Da kam mir eines Tages der Gedanke, die Blätter meines Tagebuchs mit einer Mitteilung zu versehen und dem Wind zu übergeben. Vielleicht hatte ich Glück, und es fand doch einmal ein Fremder einen der Zettel und las die Schilderung meiner entsetzlichen Lage. Monate vergingen, ohne dass sich ein Erfolg zeigte. Ihr vermögt euch daher wohl eine Vorstellung davon zu machen, wie mir zumute war, als ich gleich nach Beginn des Tumults draußen eure Stimmen hörte. Eine entsetzliche Angst überfiel mich, weil ich fürchtete, ihr möchtet achtlos an meinem Gefängnis vorübergehen. Die Vorsehung aber rettete mich, und nun habe ich doch einem der vielen Zettel, die ich dem Winde anvertraute, vor allen Dingen aber euch die Befreiung zu verdanken! Das werde ich euch nie vergessen, ihr tapferen Männer.«

»Nicht uns, in erster Linie habt Ihr dem Doktor dort zu danken! Seine Wissbegierde gab den ersten Anstoß. Er war so erpicht darauf den Inhalt eines Medizinbeutels kennenzulernen. Als er den Ersten – er gehörte einem Assiniboine an, den Euer Junge niedergeschossen hatte – untersuchte, fand er Euren Zettel!«, erzählte lachend der alte Trapper.

»Mein Verdienst ist wahrlich gering, Mister Martens!«, wehrte James Allan ab, dem Deutschen die Hand hinhaltend. »All diese Männer haben eifrig mitgewirkt. Dass ich gerade den Zettel finden musste, war vom Schicksal bestimmt. Vielseitig sind die Erfolge der Wissenschaft, aber dass sie einem Menschen zur Freiheit aus unwürdiger Gefangenschaft verhilft, ist zumindest neu! Freuen wir uns darüber. Bald sind alle Gefahren überwunden, und Ihr werdet Eure Angehörigen wiedersehen, Mister Martens!«

»Meine liebe Frau! Die guten Kinder! Sie werden euer Andenken segnen!«, sagte der Befreite, Tränen im Auge.

Sechs Tage später ritten die Reisenden durch das Tor des Forts Mackenzie. Damit war jede Gefahr vorüber. Ihr Bericht erweckte das lebhafte Interesse der Besatzung. Nur wenig Tage Rast, und die unerbittliche Trennungsstunde schlug. Doktor Allan ritt mit seiner Gesellschaft weiter, den Quellen des Missouri zu. Die Piegan hatten einen Teil der erbeuteten Mustangs gegen Waren, Waffen und Munition umgetauscht und wollten nun wieder das Zeltlager ihrer Stammesgenossen aufsuchen. Klaus Martens, der ebenfalls einige Mustangs erhalten hatte, und sein Sohn Karl schlossen sich einer Abteilung Voyageure der Pelzkompagnie an, die nach Fort Union gingen. So verabschiedeten sich die Menschen voneinander, die während einer Reihe von Tagen in treuer Gemeinschaft den Gefahren der Wildnis getrotzt hatten. Nach einem herzlichen Abschied ritten sie in verschiedenen Richtungen davon. Der Gerettete und sein Sohn gelangten wohlbehalten in St. Louis an.

Die Heimkehr des Verschollenen gestaltete sich zu einem Freudenfest, an dem Nachbarn und Freunde der deutschen Familie den innigsten Anteil nahmen. Die Leiden des schwer geprüften Mannes waren vorüber, seit er wieder im Kreis seiner Lieben weilte. Alle Teilnehmer des Zuges gegen die Assiniboine aber gedachten noch oft dieses Erlebnisses und erzählten an Lager- und Kaminfeuern gern die abenteuerliche Geschichte von dem Geheimnis des Medizinbeutels.

Ende