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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Die Reise am Schwanze

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 17

Die Reise am Schwanze

Die durch die plötzliche Versetzung vom Schiff ans Land hervorgebrachte Aufregung, das Getümmel der Straßen, die er durcheilte, die bei jedem Schritt seine Augen und Ohren trafen, alles dies verhinderte Herbert, an irgendetwas zu denken, was ihn selbst betraf.

Indes wurde sein Geist doch nur eine kurze Zeit von der Betrachtung seiner eigenen Angelegenheiten abgezogen. Bevor er noch weit geritten war, führte der vorher von Häusern eingefasste Weg unter einen Baldachin von Waldbäumen, und der junge Reisende befand sich auf einmal in vollkommenster Einsamkeit.

Unter dem dunklen Schatten der Bäume kehrte sein Geist zu seinen früheren Unglücksahnungen zurück. Während er eine Strecke Weges, wo der Boden feucht und sumpfig war, langsamer ritt, verfiel er in Gedanken, die keineswegs zu den heitersten gehörten. In der hat zeigte der traurige Ausdruck, der sich über seine Züge verbreitete, dass sie wohl höchst schmerzlich sein mochten.

Der Gegenstand seiner Gedanken kann leicht erraten werden. Jedenfalls war es sehr natürlich, dass sein Geist bei der Aufnahme verweilte, die er von seinem Verwandten wohl zu gewärtigen haben möchte. Von dem, was sich bisher ereignet hatte, konnte er gerade kein sehr günstiges Anzeichen für die Zukunft entnehmen.

Er hatte sehr wohl – und wie hätte er es nicht sollen – den Unterschied bemerkt, der zwischen ihm selbst und seinem Reisegenossen gemacht, während den Letzteren eine prachtvolle Equipage erwartete und seine Landung unter der Aufsicht des Oberverwalters des Gutes seines Onkels, mit Hinzuziehung von zahlreichen Dienern in glänzenden Livreen, gleichsam zu einer Art Ovation gemacht worden war. Wie verschieden waren dagegen die ihm zu Gebote gestellten Transportmittel! Kein Wort des Willkommens, nicht einmal eine Begrüßung vonseiten des Aufsehers, der so untertänig gegenüber seinem Reisegenossen auftrat! Und dennoch war es nicht zweifelhaft, dass sein Brief ordnungsgemäß angekommen sei. Das Dasein des magern, dürren und armselig geschirrten Kleppers, zugleich mit den Nachrichten, die er von dem ungeschlachteten Stallburschen, der ihn zu der Bay gebracht hatte, erhielt, war hinreichender Beweis von der Art und Weise, wie der Onkel ihn erwartete.

Der junge Mann fühlte die ihm zuteilwerdende Erniedrigung nicht leicht und oberflächlich, sondern tief und einschneidend, je länger er über die einzelnen Umstände nachdachte, desto empörter wurde sein Sinn.

»Bei dem Andenken meines Vaters!«, murmelte er beim Reiten, »es ist eine Beleidigung, die ich nicht übersehen kann, eine Beleidigung mehr gegen ihn, als gegen mich selbst! Aber jetzt sollte ich auch der Erfüllung seines Sterbewunsches wegen nicht einen Schritt weiter gehen!« Wie er dies sagte, hielt er seinen Klepper an, sodass er stillstand, gleich als sei er halb entschlossen, seine Drohung sofort in Tat umzusetzen.

»Vielleicht«, fuhr er dann fort und ritt mit einem hoffnungsvolleren Blick weiter, »vielleicht möchte bei dem allen doch irgendein Versehen zugrunde liegen? Doch nein,« fügte er dann mit stärkerem Nachdruck auf die Verneinung hinzu, »es kann gar keines sein! Dieser einfältige Geck ist ein reicher junger Mann, ich dagegen ein armer Teufel,« und er lächelte bitter zu diesem Gegensatz. »Das ist die Ursache, weshalb solch ein Unterschied zwischen uns gemacht wird. Mag es so sein!«, fuhr er nach einer Unterbrechung fort. »Wenn ich auch arm bin, dieser ungeschliffene Verwandte soll mich so stolz finden, wie er selbst ist. Ich will ihm Hohn für Hohn wiedergeben, ich will eine Erklärung über sein Betragen verlangen, und je früher, je besser.«

Sowohl von dem Gefühl der Schmach getrieben als auch von dem fast schon feststehenden Vorsatz der Wiedervergeltung gab der junge Abenteurer seinem Gaul die Peitsche und sprengte in vollem Galopp vorwärts.

Der Klepper hatte gar kein starkes Antreiben nötig, denn das Tier wusste ganz gut, dass es nach Hause ging, und die Anziehungskraft seiner eigenen Krippe brachte ihn zu viel schnellerem Lauf, als es je Peitsche und Sporn vermocht hätten.

Eine ganze Stunde wurde dieser Galopp ohne Aufenthalt fortgesetzt. Der Weg war breit, hatte viele Räderspuren, und da er grade auslief, so hielt der Reiter es für gewiss, dass er der rechte sei. Dann und wann sah er zwischen den Bäumen durch Wasser, unbezweifelt den Fluss, den der schwarze Bursche bei seiner Wegebeschreibung erwähnt hatte.

Zuletzt kam der Kreuzweg und bewog ihn, in dem raschen Galopp einzuhalten, damit der Gaul den Fluss durchwaten könne, denn eine Brücke schien nicht vorhanden zu sein. Das Wasser war nur knietief, das Pony ging ohne Zaudern hinein und watete zur andern Seite.

Dort hielt Herbert an, denn er geriet in eine nicht geringe Verlegenheit. Der Weg teilte sich. Der Junge hatte ihn allerdings gewarnt und ihm gesagt, er solle den zur Linken nicht nehmen, doch nun waren anstatt zweier gar drei Wege da.

Da war offenbar ein Zweifel. Es war freilich leicht zu wissen, welcher Weg nicht einzuschlagen werden sollte, der, welcher zur Linken führte. Doch welchen von den beiden anderen sollte er wählen? Beide waren schöne breite Wege und jeder von ihnen mochte ihn nach Willkommenberg bringen.

Hätte der Reiter dem Pony seinen eigenen Willen gelassen, so würde dieser wohl den rechten Weg gewählt haben. Zuletzt würde er dies auch wohl getan haben, doch bevor er sich zu etwas entschloss, hielt er es für besser, nach den Spuren des Wagens zu sehen, der hier vor ihm gewesen sein musste.

Während er noch beratschlagte, wurde die durch sein Halten hervorgebrachte Stille plötzlich durch eine Stimme unterbrochen, die ihm nicht ganz unbekannt zu sein schien.

Als er sich nun plötzlich im Sattel umdrehte und in die Richtung sah, woher die Stimme zu kommen schien, wie groß war sein Erstaunen, da er den Jungen sah, den schwarzen Quashie!

»Da, Herr! Das der Kreuzweg, ich Sie gesagt. Den links nicht nehmen, der führt zu Judenkoppel. Ganz rechts auch nicht, geht nach Schloss Montagu. Der mittlere ist Massa Vans Weg; führt grad hinauf nach Willkommenberg

Der junge Reisende war einige Augenblicke fast sprachlos vor Verwunderung. Er hatte den Buben auf dem Vorderdeck des Schiffes verlassen, um das Gepäck zu besorgen, und er hatte ihn auch wirklich – er konnte darauf schwören – noch am Bord desselben gesehen, als er vom Kai fortritt. Nun hatte er bereits eine Strecke von mehreren Meilen durchritten, größtenteils in vollem Galopp, gewöhnlich aber doch viel schneller, als ein Fußgänger hätte gehen können. Wie sollte er sich nun die Nähe des Quashie erklären?

Dies war die erste Frage, die er sich selbst stellte und die er auch an den schwarzen Buben richtete, sobald er sich von seiner Überraschung so weit erholt hatte, um sprechen zu können.

»Quashie folgen jungem Herrn auf seinen Ponyhacken.«

Die Antwort vermochte den jungen Herrn nur wenig zu befriedigen, da er es für irgendein menschliches Wesen ganz unmöglich hielt, eben so schnell gelaufen zu sein, als er geritten.

»Auf den Pferdehacken? Was, du Schwarzhaut! Willst du sagen, dass du den ganzen Weg vom Landungsplatz aus hinter mir hergelaufen bist?«

»Ja, Herr, das Quashie getan.«

»Aber ich sah dich ja am Bord des Schiffes, als ich fortritt. Wie auf der Welt hast du mich einholen können?«

»Ja, Massa, das war sehr leicht. Junger Herr ritt fort, Quashie legt Mantelsack in Ochsenkarren und folgt. Herr langsam geht, Quashie bald bei ihm und leicht mit dem Pony ran – nicht wunderbar das.«

»Nicht wunderbar! Was, du Sprössling der Finsternis, ich bin äußerst rasch geritten, und wie du mit mir fortgekommen bist, ist mir unbegreiflich. Ja, du bist ein guter Läufer, das muss ich sagen. In der Tat, bei einem Wettlaufen würde ich auf dich halten gegen alle anderen, Schwarze wie Weiße. Den mittleren Weg, sagst du?«

»Ja, Herr, das der Weg nach Willkommenberg. Sie bald sehen das große Tor der Pflanzung.«

Herbert führte seinen Klepper auf den angegebenen Weg, während seine Gedanken noch bei dem merkwürdigen Vorfall verweilten.

Er war nur wenige Schritte vorwärts geritten, als er sich rückwärts umsah, teils um sich zu vergewissern, ob Quashie ihm folge und teils, um an diese sonderbare Begleitung eine Frage zu richten. Eine neue Überraschung war ihm indes bereitet worden.

Der schwarze Bursche war nirgends zu sehen! Weder zur Rechten noch zur Linken, noch hinten konnte er ihn erblicken.

»Wo zum Teufel mag der Bengel nur hingegangen sein?«, fragte Herbert mechanisch, indem er zugleich das Unterholz an beiden Seiten des Weges durchforschte.

»Hier, Herr!«, antwortete eine Stimme, die unten aus dem Grund hervorzukommen schien, während zugleich der braune, gerade über dem Rücken des Pferdes sichtbare Hut Quashies seine nächste Nähe verriet.

Nun war es klar, wie der Bursche mit dem Pony hatte fortkommen können. Er hatte sich an seinem Schwanz festgehalten!

Es lag wirklich etwas so Spaßhaftes in diesem Anblick, dass der junge Engländer einen Augenblick all die ernsten Gedanken vergaß, die ihn gequält hatten und, abermals seinen Klepper anhaltend, in schallendes Gelächter ausbrach.

Der schwarze Bursche teilte seine Lustigkeit durch ein seinen Mund von einem Ohr zum anderen ausdehnendes Grinsen, obwohl er durchaus nicht begreifen konnte, weshalb der junge Herr so gewaltig lache. Er vermochte durchaus nichts Lächerliches in einem Gebrauch zu sehen, den er täglich ausübte, denn es war nicht das erste Mal, dass Quashie eine Reise am Schwanz eines Pferdes gemacht hatte.