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Der Teufel auf Reisen 3

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 1
Faust und Gretchen

Der Doktor war ganz erstaunt, als er dem Baron entgegentrat. Dieser hatte sich in einen Herrn von etwa fünfzig Jahren verwandelt, dessen ruhige anständige Haltung vollkommen mit seiner zwar einfachen, aber trotz der sehr gewählten Toilette übereinstimmte, die sein Äußeres sehr vorteilhaft hervorhob. Sein Kinn war glatt rasiert, ein schwarzer, bereits mit etwas grau vermischter Backenbart lief in Hufeisenform nach seinen Mundwinkeln aus. Schneeweiße, feine Wäsche und zierliche Lackstiefeletten erhöhten noch die Eleganz seines Äußeren. Nur das hatte unser Bekannter an ihm auszusetzen, dass er mit Gold und Preziosen zu überladen war. Fast an jedem Finger steckte ein kostbarer Ring und besonders zog ein Karfunkel seine Aufmerksamkeit auf sich, dessen blendender Glanz für ein menschliches Auge fast unerträglich war. Eine Diamantnadel, deren Wert Schwalbe nach Taufenden abschätzte, zierte seinen Busenstreif und eine schwere goldene Uhrkette wurde über seiner Weste sichtbar.

»Ich mache Ihnen mein Kompliment«, rief unser Bekannter durch den Anblick, der sich ihm darbot, überrascht, »Sie verstehen es wahrhaft Toilette zu machen. Aber eins habe ich dabei doch zu tadeln.«

»Ich weiß schon, was das ist«, bemerkte der Baron lachend, »Sie meinen, weil ich förmlich den Inhalt eines Juwelierladens an mir trage?«

»Allerdings. Eine solche Schaustellung scheint mir doch etwas übertrieben und ist wohl bei wahrhaft feinen Leuten nicht mehr Mode.«

»Ganz recht, indessen für den Zweck, welchen ich im Auge halte, ist sie notwendig. Ohne diese Ringe, ohne diese schwere Kette, ohne diese Brillanten würde ich bei den Leuten, denen ich Sie vorzustellen gedenke, bedeutend im Wert sinken.«

»Sie wollen mich also in irgendeiner Familie einführen?«

»Allerdings. Wie Sie mich hier sehen, bin ich der Chef eines der bedeutendsten Häuser in Hamburg und Sie sollen mein Neffe sein.«

»Sehr verbunden.«

»Herr Pilz, dem ich im Begriff bin, meine Visite abzustatten, repräsentiert ebenfalls einen bedeutenden Namen in der kaufmännischen Welt. Ich bin sein langjähriger Geschäftsfreund, und da wir uns persönlich noch niemals gesehen haben, so verfehle ich natürlich nicht, jetzt, wo ich mich längere Zeit hier aufhalten werde, seine Bekanntschaft zu machen.«

»Aber wenn er inzwischen Briefe aus Hamburg erhält … die Täuschung kann doch unmöglich lange währen.«

Der Baron lachte. »Ich diktiere den Leuten dort, was sie schreiben sollen gleichzeitig in die Feder. Zum Beispiel: ›Bei der Abwesenheit unseres Chefs, von der Sie bereits unterrichtet sein werden …‹ oder ›Alles Übrige auf mündlichem Wege, wozu sich zu unserer Freude bald die Gelegenheit bieten dürfte …‹ Das sind nur kleine Mittel«, fuhr Herr von Schwefelkorn fort, »nötigenfalls stehen mir noch ganz andere zu Gebote. Doch genug, unter meiner Mitwirkung wird sich in dem Hause, in welches ich Sie einzuführen gedenke, eine kleine Komödie abspielen, die auch Ihnen, wie ich hoffe, Vergnügen machen dürfte. Was wollen Sie, mein Lieber«, sprach Herr von Schwefelkorn mit einem Lächeln, in dem er sich behaglich in seinen Stuhl zurücklehnte. »Man muss sich so gut wie möglich die Zeit zu vertreiben suchen.«

»Und wenn nun der Chef jenes Hamburger Hauses doch später einmal hier eintrifft?«, fragte Schwalbe.

»Das könnte uns beiden am Ende dann ganz gleichgültig sein«, erwiderte der Baron, »denn bis dahin werden wir uns wohl schon längst einen anderen Schauplatz für unsere Taten ausgesucht haben. Aber auch das wird nicht geschehen, denn jener Hamburger Kaufmann befindet sich binnen sechs Monaten nicht mehr unter den Lebenden und so kann die eigentliche Wahrheit nie an den Tag kommen, besonders da die Familie, mit der ich Sie bekannt machen werde, durchaus keine Lust empfinden wird, auf gewisse Tatsachen zurückzukommen, von denen wir Zeugen gewesen sind.«

»Aber noch weiß ich immer nicht, was Sie eigentlich vorhaben?«

»Das sollen Sie auch nicht, das Interesse würde für Sie dadurch nur abgeschwächt werden. Befinden wir uns erst mitten in der Aktion, so werden wir Bravo rufen, oder zischen, je nachdem es uns gefällt. Machen Sie sich übrigens nicht zu große Erwartungen. Es ist eben ein Stück, wie es im Leben sehr häufig gespielt wird und wobei ich oder einer meiner Kollegen die Karten mischen, ohne dass dieses selbstsüchtige, eitle, kurzsichtige Völkchen, welches sich hier auf der Erde bewegt, etwas davon merkt.«

»Nun, etwas muss ich mich aber doch auf meine neue Rolle als Ihr Neffe vorbereiten.«

»So hören Sie. Der Herr, welchen ich eben im Begriff bin, meine Visite zu machen, heißt wie gesagt Pilz. Einen bezeichnenderen Namen hätte ihm der Zufall nicht geben können, denn er ist ein wahrer Glückspilz, welchem, trotz seiner geistigen Beschränktheit, bisher alles, was er anfing, über Erwarten gelang, und der sich auf diese Weise ein großes Vermögen gesammelt hat. Bei jedem Mangel an wirklicher feiner Bildung besitzt er doch einen oft bis ins Lächerliche gehenden Eigendünkel. Und wie alle diese Art von Emporkömmlingen treibt ihn seine Eitelkeit und sein Hochmut dazu an, eine Rolle in der Welt zu spielen. Er gibt große Gesellschaften, aber diese Gesellschaften bestehen vielfach aus sehr gemischten Elementen. Die Personen, welche seinen Hofstaat bilden, sind Herumlungerer, die sich hauptsächlich deshalb bei ihm einfinden, um sich an seiner wohlbesetzten Tafel satt zu essen. Vor seiner Frau, die aus einer Professorenfamilie stammt und eine gewisse gelehrte Bildung genossen hat, besitzt er einen gewaltigen Respekt. Seine Tochter verzieht er, indem er alle ihre Wünsche befriedigt. Und diese junge Dame wusste es denn auch glücklich durchzusetzen, dass sie sich fast selbst überlassen blieb. Mehr halte ich nicht für nötig, Ihnen zu sagen. Das Übrige werden Sie selbst herausfinden, wenn Sie erst die Bekanntschaft der Familie Pilz gemacht haben.«

»Wird dies bald geschehen?«

»Wahrscheinlich schon morgen.«

»Unter welchem Namen beabsichtigen Sie denn sich einzuführen?«

»Ich heiße von jetzt an Berthold und Sie, als mein Neffe, ebenso. Nun, lieber Freund, lassen Sie sich inzwischen die Zeit nicht lang werden. Es ist zwölf Uhr und ich habe keinen Augenblick mehr zu verlieren, um meinen Besuch zu machen.«

Herr von Schwefelkorn erhob sich und wollte sich entfernen, doch sich besinnend blieb er noch einen Augenblick stehen und sagte: »Es könnte vorkommen, dass ich bei den verschiedenen Gestalten, welche ich genötigt sein dürfte, anzunehmen, selbst von Ihnen nicht immer erkannt werden möchte. In einem solchen Fall blicken Sie nur auf meinen kleinen Finger an der linken Hand. Erblicken Sie dann den Rubin an demselben, so wissen Sie, dass ich bei Ihnen bin.«

»Das Feuer dieses Steins ist so blendend«, bemerkte der Doktor, »dass man denselben nicht eine Minute betrachten kann, ohne fast zu erblinden.«

»Es ist auch ein altes Familienerbstück«, erwiderte der Baron mit Genugtuung, »ein Geschenk meiner Großmutter … Sie haben vielleicht von ihr gehört, denn hier auf Erden gelangte sie schon als ›Hexe von Endor‹ zu hoher Berühmtheit.«

»Soviel ich mich entsinne, geschieht der alten würdigen Dame in mehreren gelehrten Werken des Mittelalters Erwähnung«, lautete die Antwort unseres Bekannten.

»Ganz richtig. Doch ich plaudere hier, während ich schon längst fort sein müsste. Auf Wiedersehen also, mein Verehrter, lassen Sie sich die Zeit inzwischen nicht lang werden.«

Es ist doch sonderbar, dachte Schwalbe, als er allein war und sinnend im Zimmer auf und ab schritt. Wie leicht sich der Mensch in neue Verhältnisse zu finden vermag. Gestern lief mir noch eine Gänsehaut über den Rücken, als ich hörte, wessen Geistes Kind mein neuer Bekannter ist. Und heute drücke ich ihm schon ganz vertraulich die Hand und habe nichts dagegen, dass er mich zu seinem Neffen macht. Daraus schließe ich, von meinem philosophischen Standpunkt aus, dass uns selbst doch ein recht hübsches Stück diabolischer Natur eigen sein muss. Nun, vorsichtig will ich aber doch sein. So wie ich etwas merke, was mir verdächtig vorkommt, ziehe ich mich von dem Herrn zurück.

Nach dieser weisen Bemerkung setzte sich der Doktor hin und schrieb einen langen Brief an seinen Freund Gottlieb.

»Ich habe die Bekanntschaft eines sehr vornehmen und sehr einflussreichen Herrn gemacht, mein lieber Gottlieb«, hieß es an der einen Stelle. »Allerdings hat es ein so starker philosophischer Geist wie der meine dazugehört, um mich dabei über verschiedene Bedenken hinwegzusetzen. Indessen, Gott sei Dank, leben wir ja in einem Zeitalter, wo wir mit den alten Traditionen bereits gründlich gebrochen haben und die Ära einer bodenlosen luftigen Zukunft die Errungenschaft ist, aus welcher wir nunmehr unsere gesamte dogmatische Weisheit schöpfen … Lieber Gottlieb! Ich habe einen so köstlichen, Feuer spendenden Wein getrunken, dass ich im Interesse deiner selbst wünsche, er möge deine Lippen nie benetzen, wenn du als Kustos des Hauses der verführerischen Phöbe noch in später Abendstunde gegenübersitzt. Hüte dich, Gottlieb, denn ich weiß jetzt ganz genau, durch welche Mittel selbst der Beste dem T… (diesen Buchstaben strich der Doktor wieder sehr sorgfältig aus) der Sünde wollte ich sagen, in die Arme geführt werden kann. Beherzige dies, mein alter Junge und vergiss nicht, dass Phöbe ein Muster von Tugend und Unschuld ist, wodurch also deine Sünde nur eine um so größere werden würde.

Dein treuer Freund Peter Schwalbe.«

Nach dieser Epistel faltete unser Bekannter den Brief sehr befriedigt zusammen, steckte ihn in ein Couvert und trug ihn selbst zur Post.

Bin ich schwach genug gewesen, mich mit dem Teufel einzulassen, dachte er, so will ich doch wenigstens anderen Moral predigen. Auf diese Weise ist schon mancher in den Geruch der Heiligkeit gelangt. Und da die Dummheit nie Aussicht hat, in der Welt auszusterben, so werden sich auch immer Leute genug finden, denen man eine Handvoll Sand in die Augen streuen kann.

»Bravo, mein lieber Freund «, sagte eine Stimme dicht hinter ihm, und zugleich schob Herr von Schwefelkorn seinen Arm unter den von Peter.

»Wie«, rief Schwalbe doch etwas erschrocken, »Sie vermögen also sogar meine Gedanken zu erraten?«

»Nichts leichter als das. Bemühen Sie sich daher stets, mir mit Wahrheit entgegenzutreten, damit das Vertrauen zwischen uns nie erschüttert wird.«

»Ihre Visite ist also schon abgemacht?«

»Allerdings, und gleichzeitig habe ich auch eine Karte für Sie abgegeben.«

»Aber was fangen wir jetzt an? Wir haben noch zwei Stunden Zeit, ehe das Diner beginnt.«

»Lassen Sie uns ein wenig durch die Straßen flanieren. Vielleicht stößt uns etwas auf, was zu irgendeiner Teufelei Veranlassung gibt.«

Der Doktor sah seinen Gesellschafter sehr verwundert an.

»Na«, sagte dieser lachend, »so genau wäge ich meine Ausdrücke nicht ab. Ich bin ein toleranter Geselle und in meiner Offenheit spreche ich manchmal, wie mir gerade der Schnabel gewachsen ist. Lassen Sie uns zunächst hier an den Bilderladen treten.«

Dies geschah.

»Betrachten Sie sich einmal jenen Herrn«, flüsterte Schwefelkorn.

»Den kleinen Dicken dort, welcher mit der Brille auf der Nase die Bilder mit der Miene eines Kunstkenners mustert?«

»Allerdings. Trotzdem hat er aber ganz etwas anderes auf dem Korn.«

»Was denn?«

»Bemerken Sie nicht die Brünette, welche neben ihm steht?«

»Ein paar verdammt verführerische Augen.«

»Und der Herr?«

»Er ist aus einer kleinen Provinzialstadt. Als er abreiste, umarmte er sehr zärtlich seine Frau und sagte, sie habe keinen Begriff, wie schwer ihm die Trennung von ihr werde.«

»Und jetzt? … Er schielt immer verliebter zu seiner Nachbarin.«

»Und diese lächelt ihm immer verführerischer zu.«

»Bemerken Sie auch den Burschen, welcher sich so dicht an ihn herandrängt?«, fragte der Baron.

»Allerdings. Er scheint ebenfalls die Bilder mit großem Interesse zu betrachten.«

»Aber er tauscht auch mit der Brünetten heimlich einen bedeutungsvollen Blick aus.«

»Wahrhaftig. … Was geschieht nun weiter?«

»Der Herr aus der Provinz blinzelt eben sehr verliebt mit den Augen und flüstert ›Mein süßes Kind‹ …«

»Und das süße Kind?«

»Lächelt noch entgegenkommender und blickt ihn noch verlockender an.«

»Was tut denn aber der andere?«

»Er drängt sich jetzt näher an den Dicken.«

»Und dieser?«

»Fragt eben die Dame, ob Sie erlaube, dass er sie einige Schritte begleite.«

»Ha, was ist das?«, rief Schwalbe plötzlich leise.

»Etwas, das ich schon längst vorausgesehen habe«, erwiderte kichernd der Baron. »Sehen Sie denn nicht, dass der Provinziale nur noch Augen und Ohr für die Sirene besitzt? Inzwischen hat sein Nachbar, welcher mit derselben unter einer Decke steckt, dies benutzt, um ihm unbemerkt das Portefeuille aus der Tasche zu ziehen.«

»Man muss ihn darauf aufmerksam machen«, flüsterte der Doktor.

»Verderben Sie mir nicht den Spaß«, gab Schwefelkorn zurück. »Hören Sie nur.«

»Sie irren, ich nehme keine Begleitung an«, sagte die Brünette und warf beleidigt den Kopf zurück. Einige Umstehende lachten boshaft. Der kleine Dicke wurde verlegen und entfernte sich möglichst schnell vom Schauplatz seiner Taten.

»Das ist mein Werk«, flüsterte der Baron. »Der wird schöne Augen machen, wenn er in den Gasthof zurückkehrt und sein Portefeuille vermisst.«

»Aber es ist doch unrecht …«, warf Schwalbe ein.

»Im Gegenteil, es geschieht ihm ganz recht«, spöttelte der Baron. »Heuchlerisch drückte er seine Frau ans Herz und tat Wunder, wie schwer ihm der Abschied von ihr würde, während ihm doch schon der Schelm im Nacken saß und er sich bereits vorgenommen hatte, so eine recht lustige ausgelassene Woche in der Residenz zu verleben. Jetzt mag er sehen, wie er fertig wird, wenn er Rechenschaft über das fehlende Geld geben soll. Denn eine liebe Nachbarin hat inzwischen der zurückgebliebenen Frau ein Bild darüber entworfen, auf welche Weise sich die beurlaubten Ehemänner in der Hauptstadt amüsieren. Und jetzt glaubt sie ihm nicht mehr, so hoch und teuer er auch seine Unschuld beschwört. Ha, ha, das wird eine schöne Gardinenpredigt geben!«

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Der Teufel auf Reisen 3