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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Quashie

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 16

Quashie

In weniger als einer halben Stunde nach dem kurzen Gespräch zwischen Herrn Montagu Smythje und dem jungen Zwischendeckpassagier war die Seenymphe in den Hafen eingelaufen und lag am Landungsdamm.

Ein breites Legebrett wurde von der Küste an das Schiff gelegt, und über dieses kam sofort ein großer Haufen von Männern und Frauen von allen möglichen Nationalitäten an Bord, während die des Schiffes müden Passagiere und alles, was dazugehörte, sich beeilten, so bald als möglich ans Land zu kommen.

Halb nackte schwarze, braune und gelbe Träger rissen sich um das Gepäck, rissen Kisten, Koffer und Felleisen umher und schleppten sie überall hin, nur nicht zu dem rechten Platz, während sie in dem ihnen eigenen Geschwätz mit solcher Heftigkeit schrien und kreischten, dass es fast dem Geschnatter der Affen glich.

Auf dem Kai hielten verschiedene Wagen, die augenscheinlich auf die Ankunft des Schiffes gewartet hatten, nicht Mietwagen, wie dies in einem europäischen Hafen wohl der Fall gewesen wäre, sondern Privatfuhrwerke, worunter einige sehr schöne, von einem Paar hübscher Pferde gezogene und von einem schwarzen Livreekutscher geführte Chaisen. Außerdem waren noch einige Gigs nur mit einem Pferd da oder zweirädrige Wagen von niedrigerer Gattung, nach Beschaffenheit des Vermögens und des Ranges derjenigen, für deren Wegführung sie am Hafen warteten.

Auch mit Ochsen bespannte Wagen hielten nahe am Landungsplatz, um das schwere Gepäck aufzunehmen. Die nackten schwarzen Ochsenführer lagen faulenzend und schweigend um die Tiere herum oder riefen sie auch zuweilen beim Namen und sprachen mit ihnen, als ob diese ihre Reden vollkommen verständen.

Unter den verschiedenen, auf dem Kai haltenden Wagen war eine sehr hübsche Barutsche besonders auffallend. Sie war mit zwei milchweißen und prachtvoll angeschirrten Pferden bespannt, ein Mulatte saß als Kutscher in einer Livree vom hellsten Grün mit gelben Aufschlägen auf dem Bock, während ein Diener in Kleidern von derselben Farbe am Wagentritt stand und die Tür für jemanden zum Einsteigen offen hielt.

Herbert Vaugham, der auf dem Vorderdeck der Seenymphe stand und unentschieden war, wohin er sich auf dem Land wenden sollte, hatte die prachtvolle Equipage wohl bemerkt. Er sah noch nach ihr, als seine Aufmerksamkeit auf zwei Herren hingezogen wurde, die vom Schiff sofort heruntergegangen und nun bei diesem Wagen angelangt waren. Ein weißer Diener folgte ihnen und hinter ihm waren zwei Schwarze, die eine Anzahl leichter Gepäckstücke fortbrachten. Einer der Herren und der weiße Diener wurden von Herbert leicht wiedererkannt, denn sie hatten die Überfahrt mit ihm gemacht. Es waren Herr Montagu Smythje und sein Kammerdiener. Der andere Herr, der ihn begleitete, war von der Insel und die beiden das Gepäck tragenden Schwarzen gehörten ihm an.

Herbert erinnerte sich nun des eigentümlichen Ausdrucks, den der Zierlaffe ganz kurz zuvor gebraucht hatte, dass er nämlich bei dem Eigentümer von Willkommenberg angemeldet sei.

War das der Wagen von Willkommenberg und war der so ergebenst aussehende Herr, der ihn jetzt begleitete, sein Onkel?

Nein, der Mann war dafür zu jung und außerdem würden sein nur gewöhnlicher Rock wie seine gemeinen Leinenhosen wohl kaum für den Eigentümer einer solchen glänzenden Equipage geeignet gewesen sein.

Herbert wandte sich nun um und suchte jemandem, den er befragen könnte.

Viele Inselbewohner waren an Bord, sowohl weiße als auch farbige; indes die meisten zu weit entfernt waren, entweder in der Mitte des Schiffes oder auf dem Hinterdeck. Nur ein einziger wirklicher Eingeborener war in der Nähe, um mit ihm sprechen zu können, ein Knabe von solchem plumpen, knorpeligen und ungeschlachteten Aussehen, dass der junge Mann Anstand nahm, eine Frage an ihn zu richten, da er kaum hoffen durfte, eine verständliche Antwort zu erhalten.

Als er den schwarzen Buben mit etwas mehr Aufmerksamkeit betrachtete, verriet ein gewisses Blinzeln seiner Augen allerdings mehr Verstand und Einsicht, als Herbert ihm zuerst zugetraut hatte. Außerdem sah der Knabe ihn stets mit festem Blick an, als erwarte er eine Frage oder sei begierig, selbst zu fragen.

Herbert entschloss sich, an dieser Quelle die nötige Erkundigung einzuziehen.

»Wohl, mein Junge«, sprach er in einem freundlichen Ton, »kannst du mir sagen, wem der Wagen da gehört, der mit den milchweißen Pferden und dem Kutscher in grüner Livree?«

»Jo, jo!«, erwiderte der schwarze Bube und zeigte grinsend eine ganze Reihe elfenbeinerner Zähne. »Das ist Massa seine Barouche. Jedermann kennt die Barouche – jedermann in der Bay.«

»Wer ist Massa?«

»Nun, mein Massa, gewiss.«

»Und wie ist denn deines Massa Namen?«

»Sein Name? Das große Haus ist sein Name – Willkommenberg – große Zuckerpflanzung.«

»Ist denn das da Herrn Vaughans Wagen?«

»Jo, Herrn, Massa Va’n – großer Gutsbesitzer.«

»Ist da Herr Vaughan selbst, der nun auf sein Pferd steigt?«

»Massa Va’n, nein. Das ist nur der Aufseher. Er treffen großen Herrn, der mit großem Schiff gekommen. Gehen nach Schloss Willkommenberg. Da wollen sie hin. Guck, wie Cudjo auf die Pferde haut!«

Der Wagen hatte indessen Herrn Montagu Smythje aufgenommen, der Diener bestieg den Bock, indem er den Hintersitz dem englischen Kammerdiener überließ, und fort ging es mit größter Eile, während der Aufseher als Begleitung zu Pferde nachfolgte.

Herbert sah dem sich entfernenden Wagen nach, bis eine Biegung der Straße ihn seinen Augen entzog.

Dann seine Augen aufs Deck kehrend, stand er einige Augenblicke in nachdenkender Haltung, im Geiste verschiedene Erwägungen, die keineswegs angenehm waren.

Er hatte während dieser Zeit den schwarzen Buben ganz vergessen, obgleich dieser stets an seiner Seite verweilte und ihn mit einem offenbar fragenden Blick ansah.

Herbert dachte über seine eigene Lage nach. Keiner da, um ihn zu treffen und ihn zu begrüßen! Was mochte das bedeuten?

Hatte sein Onkel seinen Brief nicht erhalten? Gewiss musste es so sein. Was sollte er denn nun tun? Nach dem Weg nach Willkommenberg fragen und dort sofort hingehen? Unverzüglich musste es jedenfalls sein, denn er hatte kein Geld, nicht einen Rappen, um ein Zimmer in der Stadt bezahlen zu können. Er hätte zu Fuß gehen müssen, denn er hatte auch kein Geld, um ein Pferd zu mieten. Und wie würde er nun wohl bei seiner Ankunft empfangen werden? Würde er zu Willkommenberg wirklich ein Willkommen finden? Er wusste gar nichts von seines Onkels Gesinnungen gegen ihn. Jahre lang hatte der Pflanzer es nicht für der Mühe wertgehalten, mit seinem Vater Briefe zu wechseln und mit ihm selbst niemals, er wusste gar nichts von ihm. Und nun, da er ganz ohne Geld kam, armselig und, schlimmer noch als das, ohne einen Beruf, ohne irgendetwas zu können. Welche Aufnahme konnte er wohl erwarten?

Unter dem Einfluss dieser Gedanken wurde das Aussehen des jungen Mannes mit düsteren Wolken umzogen und er stand schweigend und starrte mit offenen, aber nicht sehenden Augen auf das Schiffsverdeck.

»Herr!«, sagte der farbige Bube, seine Gedanken unterbrechend.

»Ha, du bist da?«, versetzte Herbert, indem er aufsah und mit einigem Erstaunen bemerkte, dass der Knabe ihn mit festem Blick anstarrte »Was willst du haben, mein Bursche? Wenn es Geld ist, ich habe keins, um es dir zu geben.«

»Geld? Quashie braucht kein Geld. Er kann Massa bitten. Der Herr nun fertig mitzugehen?«

»Fertig, zu gehen? Wohin? Was meinst du, Bursche?«

»Gehen nach dem großen Hause?«

»Großes Haus! Von welchem großen Hause sprichst du?«

»Willkommenberg, Herr, Massa Va’n. Sie zu Massa Va’n, Herr?«

»Was!«, rief Herbert verwundert aus, indem er zugleich den schwarzen Jungen vom Kopf bis zu den Füßen maß, »woher weißt du das?«

»Quashie das gut genug wissen. Mit dem großen Schiff gekommen, hat der Aufseher gesagt. Aufseher jungen Herrn vom Kai aus gezeigt, Quashie geschickt, Herrn nach Willkommenberg zu bringen. Fertig nun, zu gehen, Herr?«

»Du bist also von Willkommenberg

»Ja, ja, mir Pferdeknabe da und Postknabe auch. Nun Pony bringen für jungen englischen Herrn? Aufseher Barouche gebracht für großen englischen Herrn. Gepäck alles im Ochsenwagen.«

»Wo ist dein Pony?«

»Auf dem Kai, Herr! Bereit zu gehen? Herr?«

»Alles in Ordnung«, sagte Herbert, der nun den Stand der Angelegenheiten vollkommen begriff. »Nimm den Mantelsack mit, Bursche, und wirf ihn in den Wagen. Welchen Weg muss ich einschlagen?«

»Können Weg gar nicht fehlen, Herr! Grad auf den Fluss, bis Sie kommen zum Kreuzweg. Da nehmen Sie Weg, der zur Linken führt. Bald dann Willkommenberg sehen, Herr!«

»Wie weit ist es?«

»Ungefähr vier Meilen, Herr kommen da lange vor Sonnenuntergang an. Pony geht wie der Blitz. Halten Sie sich nur rechts beim Kreuzweg.«

So unterwiesen verließ der junge Zwischendeckpassagier das Schiff, nachdem er den freundlichen Teerjacken noch Lebewohl gesagt hatte, die ihn während seiner mühseligen Reise so außerordentlich gut behandelt hatten.

Mit seinem Gewehr, einer einläufigen Vogelflinte, auf der Schulter überschritt er das Verdeck und betrat den Kai. Dann löste er das Pony von dem Ochsenwagen ab, an den es angebunden war, schwang sich in den Sattel und trabte dann den Weg, der ihm als der einzige nach Willkommenberg führende bezeichnet worden war.