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Der Teufel auf Reisen 2

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Zweites Kapitel

Doktor Schwalbe macht die Bekanntschaft des Teufels

Als der Doktor in dem Coupé Platz genommen und sich bequem in einer Ecke desselben zurecht gesetzt hatte, ließ er seine Blicke unbemerkt über dasselbe streifen, um zu sehen, mit was für Reisegefährten er denn durch den Zufall zusammengeführt worden war. Die angesteckte Laterne verbreitete gerade so viel Licht, um die Personen, in deren Gesellschaft er sich befand, in ziemlich deutlichen Umrissen erkennen zu können. Ihm gegenüber saß eine dicke Dame, die als solche zwar ebenfalls das Recht hatte, sich zu dem »zarten« Geschlecht zu zählen, deren Formen aber keineswegs zart waren, denn sie ließen an Umfang und Ungeschicklichkeit nichts zu wünschen übrig. Das Erste, was sie tat war, dass sie einen großen Henkelkorb hervorholte und vor den Blicken unseres Bekannten einen Vorrat an Lebensmitteln ausbreitete, womit man eine Speisekammer hätte ausfüllen können. Während sie ein großes Stück Butterbrot in den Mund stopfte und diesem ein ebenso großes Stück Wurst nachfolgen ließ und dabei mit ihren Kinnbacken wie eine Sägemaschine arbeitete, glotzte sie Schwalbe fortwährend mit ihren dicken nichtssagenden Augen an und schien mit Bestimmtheit zu erwarten, dass dieser ein Gespräch mit ihr anknüpfen würde. Als sie sich aber darin getäuscht sah, ergriff sie ohne Weiteres selbst die Initiative, und zwar in einem Ton, welcher jede Zurückhaltung ausschloss und erkennen ließ, dass dieses Wurst essende und Kümmel trinkende Naturkind, »Europas übertünchte Höflichkeit« noch nicht kannte.

»Sie müssen nämlich wissen, mein Herr«, begann sie, »dass ich mir auf Reisen niemals an etwas fehlen lasse. Gott sei Dank, ich kann mich über meinen Appetit nicht beklagen, und was ich zu mir nehme, schlägt auch an, wovon Sie sich überzeugen können, wenn Sie einmal meine Arme anfassen wollen. Na, Sie brauchen sich nicht zu genieren«, fuhr das dicke Naturkind fort, als unser Bekannter zögerte, dieser Einladung nachzukommen, »ich bin nicht so zimperlich, wissen Sie.«

Hier folgte eine kleine Pause, da sie eben einen neuen mächtigen Bissen in den breiten Mund stopfte. Als sie mit dieser Arbeit glücklich zu Ende war, fasste sie plötzlich den dritten Reisegefährten, ein ihr gegenübersitzendes hageres Männchen ins Auge, welcher eine Flasche in den Händen hielt, die er mit besonderer Sorgfalt zu hüten schien, dabei aber von Zeit zu Zeit seinen Kopf leise auf die Brust herabsinken ließ.

»Kann ich Ihnen dienen?«, fragte sie und hielt ihm dabei die umfangreiche Korbflasche hin.

Als sie keine Antwort erhielt, rief sie: »O Gott bewahre, ich glaube unser Nachbar ist schon eingeschlafen.«

»Es scheint mir auch so«, bemerkte Schwalbe, welchem die Sache jetzt zu amüsieren anfing.

»Na, das ist ja gar nicht erlangt«, sagte der weibliche Tambourmajor, »wenn man reist, so reist man, um sich zu unterhalten, und besonders einer Dame gegenüber verstößt es ja ganz und gar gegen den guten Ton, sich so gleichgültig zu benehmen. Na ich muss ihn nur etwas lebendig machen, denn Unterhaltung geht mir über alles, und wie gesagt, zu was reist man denn.«

Mit diesen Worten streckte die Amazone ohne Weiteres ihren fleischigen Arm aus und kniff den »Nachbar« so heftig in das Knie, als wäre ihre breite rote Hand eine Hummerschere gewesen.

Dieser fuhr erschrocken empor und gleichzeitig rollte die so sorgsam gehütete Flasche auf den Boden.

»Aber Madame!«, rief der Schläfer aus seinem Schlummer emporfahrend.

»Warum schlafen Sie«, sagte diese, »es geschieht Ihnen schon recht, wenn man einer Dame gegenübersitzt, schläft man nicht!«

»Meine Flasche! …«

»Na, die wird doch wohl einen Puff vertragen können! Hier haben Sie dieselbe. Führen Sie Zitrone oder Pomeranze mit sich?«

»Keines von beiden. Sie scheinen aber sehr resolut zu sein.«

Die Amazone brach in ein behagliches Gelächter aus. »Das will ich meinen«, rief sie, »alle Zeit kampfbereit, wie mein seliger Mann sagte, der bei den Dragonern gestanden hat.«

»Sie sind also Witwe?«

»Zu dienen. Nicht wahr, das sieht man mir nicht an? Und Sie?«

»Ich habe noch nicht das Glück gehabt, das Herz eines weiblichen Wesens zu gewinnen«, entgegnete das hagere Männchen mit einem einladenden Augenblinzeln.

»Sie sind vielleicht zu schüchtern. Ich sage Ihnen, zu viele Schüchternheit taugt nichts. Als mein seliger Mann mich kennenlernte …«

Ein Stoß des rasch dahingleitenden Zuges brachte den Redefluss der dicken Dame ins Stocken und verhinderte sie, die Art und Weise, wie ihr Mann sie näher kennengelernt hatte, weiter auseinanderzusetzen.

Doktor Schwalbe amüsiere sich köstlich, er bereute es nicht, ohne Weiteres ein Billet für die dritte Wagenklasse genommen zu haben, als der Zug bei seiner Ankunft auf dem Bahnhof abfahren wollte.

Der Hagere in der Ecke schien übrigens die Witwe mit vielversprechenden Augen zu betrachten und sogar den kühnen Griff, welchen sie nach seinem Knie getan hatte, in einem weit milderen Licht, als dies zu Anfang geschehen war, anzusehen. Er akzeptierte sogar den ihm angeborenen Kümmel und reichte die Flasche mit einem sehr aufmunternden Augenblinzeln zurück. Eine ganz neue Idee schien bei ihm aufzutauchen und sichtbar vertiefte er sich immer weiter mit Wohlbehagen in die mehr als kräftigen Formen seines vis-à-vis. Der Wink, den Damen gegenüber nicht so schüchtern zu sein, hatte offenbar geholfen, denn seine eben noch vom Halbschlummer getrübten Augen erhellten sich immer mehr. Er wurde lebendig und begann nun gegen die weibliche Boa eine förmliche Rekognoszierung auszuführen.

»Ich bitte um Vergebung, Madame, darf ich fragen, welches Geschäft Sie führen?«

»Oh, ein sehr nobles, mein Herr. Es wirft viel Geld ab.«

Eine tiefe Verbeugung folgte dieser Antwort. »Man sieht es Ihnen aber auch an, dass Sie keine Not leiden«, klang es sehr entgegenkommend.

»Gott sei Dank, ich befinde mich ganz wohl. Nötigenfalls könnte ich auch noch ganz bequem einen Mann ernähren.«

Dieser Wink verfehlte seine Wirkung nicht. Der Magere bekam immer mehr Mut, und die Dicke wurde von ihm in die Flanke genommen.

»Darf ich fragen, was das für ein Geschäft ist, welches Sie betreiben?«

»Du mein Gott«, lachte die Witwe sehr gemütlich, »was sind Sie doch neugierig, Männchen … Na, ich nehme es Ihnen keineswegs übel«, fügte sie mit einem sehr aufmunternden Lächeln hinzu, »es macht sich oft wunderbar und wissen Sie, schließlich hat der Witwenstand auch seine Schattenseiten.«

»Sehr richtig, Madame«, fiel Schwalbe ein, »und besonders eine solche Hebe wie Sie …« »Um Vergebung, Therese heiße ich«, lautete die Antwort.

»Therese hieß auch meine erste Liebe«, bemerkte der Magere, indem er dabei zärtlich aufseufzte.

»So haben Sie also doch auch schon geliebt?«

»Oh ja, Madame, ich besitze leider ein zu gefühlvolles Herz.«

»Na, an der Schwäche leide ich auch. Um nun aber wieder aufs Geschäft zu kommen …«

»Wenn ich bitten darf … dies interessiert mich sehr.«

»Nun, ich bin Vorsteherin eines Ernährungsinstituts.«

»Sie halten also wohl eine Suppenanstalt?«

»Na, das fehlte noch! Nein, mein Herr, ich halte ein Ammenvermietungsbüro und jetzt eben, verstehen Sie mich, bin ich auf Reisen, um mein Institut wieder zu vervollständigen.«

»Hm, nicht übel«, bemerkte der kleine Mann, »an Kunden fehlt es Ihnen wohl nicht?«

»Oh keineswegs. Die Damen haben mit ihrem Putz so viel zu tun, dass sie sich um ihre Kinder gar nicht mehr kümmern können. Doch um Vergebung, was treiben Sie denn?«

»Ich bin Heilgehilfe«, sagte der Magere mit etwas schüchterner Stimme.

»Ich weiß schon«, rief die Dicke und machte dabei die Bewegung des Schaumschlagens. »Nicht wahr, ich habe es erraten? Oh, davon verstehe ich auch etwas! Als ich noch bei den Dragonern war, musste ich den Rittmeister und den Wachtmeister rasieren, wenn wir uns im Felde befanden.«

Indem die würdige Dame diese Enthüllung machte, vollführte sie zugleich eine Bewegung, als ob sie von einem bekannten kleinen Tierchen inkommodiert würde.

»Was ist denn mit Ihnen?«, fragte der Doktor.

»Es muss mir etwas in den Strumpf geraten sein. Eigentlich sollte man, wenn man reist, immer Insektenpulver mir sich führen.«

Der Magere rückte unruhig hin und her, als ob er ein böses Gewissen hätte.

»Haben wir es noch weit bis zur nächsten Station?«, fragte die Vorsteherin des Ammeninstituts. »Au! … Das ist ja gar nicht zum Aushalten … Au! … Entschuldigen Sie, meine Herren, aber Not kennt kein Gebot.« Und mit liebenswürdiger Offenheit zeigte sie die Farbe ihrer Strumpfbänder und stieß im nächsten Augenblick einen hellen Schrei aus.

»Mein Gott, was haben Sie denn?«, fragte Schwalbe, der sich des Lachens kaum enthalten konnte.

»Was ich habe? So sehen Sie doch!« Gleichzeitig hielt sie zwei dicke schwarze Tiere, die sich vollgesaugt hatten, in die Höhe.

»Meine Blutegel, meine Blutegel!«, rief der Heilgehilfe und griff rasch nach seiner Flasche.

»Richtig, Sie haben die Flasche vorhin zur Erde fallen lassen und da ist der Pfropfen aufgegangen!«

»Es sind meine besten Blutegel, denn Sie müssen wissen, ich handle mit Blutegeln, Madame. Und was für Proben soll ich jetzt den Apothekern anbieten?«

Die Amazone machte ein grimmiges Gesicht. Bereits schossen Blitze aus ihren Augen und es war anzunehmen, dass das in der Entladung begriffene Gewitter jeden Augenblick den armen Heilgehilfen niederschmettern konnte. Die Katastrophe kam auch sofort zum Ausbruch.

Mit kirschbraunem Antlitz und mit drohend erhobenem Regenschirm rief der ehemalige weibliche Dragoner: »Er spindelbeiniger Bartscherer, Er schwefelholzdürrer Schaumschläger, Er heiratshungriger Hamster, Er soll mir das bezahlen! Einer ehrsamen Witwe in so hinterlistiger Weise Blutegel an die Beine zu setzen! … Na warte Er, Er Duckmäuser, ich werde ihm einen Denkzettel mit auf den Weg geben, der Ihn von allen Liebesgedanken kurieren soll!«

Zum Glück für den armen Barbier, über dessen Haupt der Regenschirm der Dame wie das Schwert des Damokles schwebte, öffnete der Schaffner in diesem Augenblick die Tür und rief: »Station Grünau!«, welche Gelegenheit der bedrohte Heilgehilfe benutzte, um schleunigst die Flucht zu ergreifen.

»Halt da!«, rief die Witwe, als sie dies bemerkte. »Schaffner, ich mache Sie verantwortlich!«

»Wofür denn, Madame?«

»Für den Herrn, der eben ausgestiegen ist. Er hat mir Blutegel angelegt.«

»Was geht das mich an, Sie hatten ja Zeit genug, sich dies zu verbitten.«

»Herr Doktor«, rief nun die Ammenmutter. Aber Schwalbe war ebenfalls längst verschwunden.

Brummend stieg die Amazone aus und schon zehn Minuten später brauste der Zug weiter.

Unser Bekannter hatte inzwischen die Zeit dazu benutzt, um sich ein Billet für die zweite Fahrklasse zu lösen. So sehr ihn auch der eben miterlebte Auftritt Spaß gemacht hatte, so fand er es doch geratener, seinen Platz zu wechseln, um allen Eventualitäten ähnlicher Art für die Zukunft aus dem Weg zu gehen. In auffallender Weise begann sich übrigens das Wetter plötzlich zu ändern. Es donnerte und blitzte, der Sturm heulte, und unheimlich schlug der Regen gegen die Scheiben.

Schwalbe fühlte sich recht unbehaglich und dieses Unbehagliche steigerte sich noch durch die Wahrnehmung, dass er wahrscheinlich der alleinige Inhaber des Coupés bleiben würde. Zuletzt stieg aber doch noch ein Herr in einen weiten Mantel gehüllt ein, dessen Kopf eine Perücke bedeckte, deren dichtes lockiges Haar bis auf die halbe Stirn herunterhing. Er grüßte sehr höflich und setzte sich Schwalbe schweigend gegenüber. Weshalb dieses Schweigen unserem Philosophen beängstigend vorkam, wusste er selbst nicht, aber in der ganzen Erscheinung des Fremden lag etwas so Sonderbares und seine Augen funkelten so merkwürdig, dass ihm ganz unheimlich zumute wurde, und er die Augen schloss, um diesen fatalen Eindruck los zu werden. Dabei donnerte es noch stärker und die Blitze zuckten schwefelfarbig durch das dicke Gewölk. So war es doch schließlich unserem Freund sehr angenehm, dass sein neuer Reisegefährte selbst das Schweigen brach. In der Art und Weise, wie dieser ihn anredete, erkannte er sogleich, dass er es mit einem feinen, gebildeten Mann zu tun hatte.

»Wenn zwei Personen auf einer Reife der Zufall zusammenführt«, begann er mit einer artigen Verbeugung, »so wird dadurch der gegenseitige Verkehr ungemein erleichtert, dass man sich offen entgegen tritt. Ich hasse nichts mehr, als dieses steife Zeremoniell und es ist eine alte Wahrheit, dass man sich dadurch um manche angenehme Stunde bringt.«

»Ich stimme Ihnen ganz zu«, entgegnete unser Bekannter ebenso höflich, »und das ist ja gerade die angenehmste Seite des Reisens, dass man jeden Zwang abwirft und sich im Verkehr eine größere Freiheit als sonst gestattet.«

»Charmant, ich freue mich, dass schon bei dem ersten Gedankenaustausch unsere Ansichten so übereinstimmen. Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle: Ich bin Baron von Schwefelkorn.«

»Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bin Doktor Schwalbe.«

»Mediziner oder Philosoph?«

»Philosoph«, bemerkte der Erstere nicht ohne Selbstbewusstsein.

»Da haben Sie sich ein wissenschaftliches Gebiet gewählt«, bemerkte Herr von Schwefelkorn, »welches dem Geist einen freien Spielraum lässt. Ohne anmaßend zu sein, darf ich behaupten, dass ich mich ebenfalls auf dem Feld der Wissenschaften etwas umgesehen habe.«

Schwalbe verneigte sich. »Doppelt angenehm ist mir daher das Zusammentreffen mit Ihnen. Und wunderbar, seitdem Sie hier Platz genommen haben, hat auch das Unwetter aufgehört.«

Der Baron zog eine Grimasse, man konnte nicht unterscheiden, ob sich Spott oder vornehme Gleichgültigkeit dahinter versteckte. Leicht über die Bemerkung seines Reisegefährten hinweggehend, sagte er: »In der Wissenschaft ist es gegenwärtig wie in der Politik, es gibt eine vorwärtsschreitende und eine rückwärtsgehende Partei. Mit welcher halten Sie es, wenn ich fragen darf?«

»Natürlich mit der Fortschrittspartei«, entgegnete unser Bekannter, der bei jeder Gelegenheit gern den Freigeist spielte.

»Sehr schön, dann wird eine Übereinstimmung unserer Ansichten um so leichter zu bewirken sein. Sind sie nicht auch der Meinung, dass unsere Zustände total faul sind?«

»Total faul, es bedarf einer radikalen Kur.«

Baron Schwefelkorn grinste auf eine merkwürdige Weise. »So eine gründliche Revolution, wo alle bestehende Verhältnisse über den Haufen geworfen werden. Meinen Sie nicht auch?«

»Dagegen hätte ich allerdings nichts«, entgegnete Schwalbe im Völker beglückenden Ton, »nur das einzige Bedenken habe ich, wer baut dieselben dann wieder auf?«

Herr von Schwefelkorn lachte hell auf. »Ich sehe schon, zu welcher Sorte von Fortschrittlern Sie gehören. Ihre Eitelkeit treibt sie an, der Regierung um jeden Preis zu opponieren, wenn es aber zum Handeln kommt, scheuen Sie sich mit anzufassen und rufen den Schutz des Staates an, den Sie noch eben aus seinen Angeln heben wollten.«

»Keineswegs«, antwortete der Doktor etwas verwirrt, »aber jede Sache hat ihre Grenzen und … und …«

»Und die Glacéhandschuhe möchten Sie sich auch nicht gern schmutzig machen? … Alles fein säuberlich, mit Worten tapfer von der Tribüne bombardiert, aber nur ja nicht mit Pflastersteinen auf der Straße! … Ja, ja, das sind die Herren Revolutionäre in Schlafrock und Pantoffeln, die, wenn es zum Äußersten kommt, eine Faust in der Tasche machen und sich schließlich mit einem Protest begnügen.«

»Sie scheinen wirklich ein sehr radikaler Herr zu sein«, bemerkte unser Bekannten, indem er seinen Gesellschafter etwas misstrauisch von der Seite anschielte.

»Nun, nennen Sie es, wie Sie wollen. Je bunter es hergeht, desto lieber ist es mir. Es lässt sich dabei so hübsch im Trüben fischen.«

»Eine eigene Fischerei«, murmelte Schwalbe.

»Oh, lieber Herr, wenn Sie mich erst näher kennenlernen, so werden Sie dies ganz natürlich finden. Dieses Erdenvölkchen liegt sich ewig in den Haaren und unsereins zieht daraus den größten Vorteil.«

»Unsereins? Mein lieber Baron, Sie tun ja gerade, als wenn Sie in ganz absonderlichen Geschäften reisten.«

»Na, lassen Sie das gut sein«, entgegnete dieser mit einem leichten Lächeln, »hiervon vielleicht später. Als Politiker sind Sie mir etwas antiquiert. Zu den Zukunftspolitikern gehören Sie auf keinen Fall. Aber wie steht es auf dem religiösen Gebiet, vielleicht haben Sie dort desto mehr Fortschritte gemacht?«

Du musst dein Renommee wieder herstellen, dachte Schwalbe, der Mensch behandelt dich ja wie einen Schuljungen.

Er warf daher den Kopf gewaltig in den Nacken und sagte: »Ja sehen Sie, das fällt unmittelbar in mein Fach, das gehört auf das Gebiet der Philosophie und in solchen Dingen werde ich Ihnen zeigen, dass ich außerordentlich stark bin.«

»Sollte mich sehr freuen. Sie glauben also? …«

»Was?«

»Sie glauben also, dass ein gewisser Jemand …«

»Wer?«

»Nun merken Sie denn nicht, wen ich meine?«

»Ah, Sie wollen fragen, ob ich glaube, dass es einen Gott gibt?«

Die Augen des Barons leuchteten so unheimlich auf, dass der Doktor erschrocken fragte:

»Hat es da nicht eben wieder geblitzt?«

»Wohl möglich. Doch beantworten Sie meine Frage.«

»Lieber Herr«, rief Schwalbe, »über diese Kleinigkeit sind alle aufgeklärten Geister schon längst hinweg. Die Menschheit hat sich emanzipiert, nur die Dummen tappen noch im Finstern.«

»Ja sehen Sie, so gefallen Sie mir«, rief Herr von Schwefelkorn, sich behaglich die Hände reibend, »das ist der wahre Geist der Zeit, der sich von allen erbärmlichen Gewissensskrupeln lossagt. Sie meinen also wirklich?«

»Ich reduziere alles auf die großen Gesetze der Natur, die unveränderlich ihren Gang gehen. Ich fühle mich stark genug, um mit allen Vorurteilen zu brechen, für mich gibt es nur eine Religion der Vernunft. Das, was man kirchlichen Glauben nennt, habe ich längst über Bord geworfen. Ich wäre imstande, selbst mit dem Teufel in freundschaftlichen Verkehr zu treten.«

»Wollen Sie das wirklich, mein lieber, teurer Freund?«, rief der Baron von Schwefelkorn ganz erfreut und streckte unserem Bekannten seine Hand entgegen.

Dieser nahm doch Anstand, sofort einzuschlagen, der Fremde kam ihm, ungeachtet er sich eben als ein so starker Geist gezeigt hatte, plötzlich etwas unheimlich vor. »Sie sind ein scherzhafter Herr«, sagte er ausweichend, »jedenfalls aber macht es mir sehr viel Vergnügen, eine so angenehme Bekanntschaft geknüpft zu haben.«

»Wir werden schon noch vertrauter miteinander werden«, bemerkte Herr von Schwefelkorn und lehnte sich sehr befriedigt in die eine Ecke des Coupés. Nach einer Weile fing er wieder an: »Um Vergebung, hat Ihre Reise einen besonderen Zweck?«

»Einen sehr großen«, bemerkte der Doktor, sich in die Brust werfend.

»Einen materiellen?«

»Nein, einen wissenschaftlichen. Ich beabsichtige psychologische Studien zu machen, um meine gesammelten Erfahrungen dann in einem großen philosophischen Werk niederzulegen.«

»Dabei könnte ich Ihnen vielleicht von vielem Nutzen sein«, meinte der Fremde.

»In der Tat?«

»Allerdings. Ich besitze die Mittel, um Ihnen zu einem sehr reichhaltigen Material zu verhelfen.«

»Wenn Sie das wollten …«

»Ich biete es Ihnen ja an. Ich habe ausgedehnte Bekanntschaften und bin selbst auf einer Vergnügungsreise begriffen.«

»Ja sehen Sie, an einem solchen Führer fehlt es mir gerade.«

»Nun, ich stelle mich zu Ihrer Disposition. Da biegt der Zug eben in den Bahnhof, unsere Fahrt ist zu Ende. Eine große Stadt wird uns aufnehmen, haben Sie sich bereits für ein Hotel entschieden?«

»Noch nicht. Ich war bisher noch unschlüssig!«

»So kommen Sie mit mir. Ich kehre stets im »feurigen Drachen« ein, der Wirt kennt mich und hat einige Verpflichtungen mir gegenüber.«

»Gut, ich nehme Ihr Anerbieten an.«

»Sie werden es nicht bereuen.«

Der Zug fuhr sehr langsam.

»Kommt es Ihnen nicht auch so vor, als ob es stark nach Schwefel riecht?«, fragte der Doktor.

Der Baron überhörte diese Frage, der Schaffner öffnete das Coupé und behend sprang Herr von Schwefelkorn aus demselben. Unser Bekannter folgte ihm, eine Droschke nahm die beiden Reisenden auf. Eine halbe Stunde später saßen sie sich in einem mit allem Komfort ausgestatteten Zimmer gegenüber und ließen den blauen Dampf ihrer Zigarren in die Luft steigen, während gleichzeitig eine Flasche Rheinwein auf dem Tisch stand.

»Jetzt bin ich doch neugierig, was Sie mir zu eröffnen haben werden«, sagte der Doktor.

»Und ich bin neugierig, ob Sie wirklich der starke Geist sind, für den Sie sich ausgeben.«

»Wieso?«

»Das werden Sie sehr bald erfahren. Einstweilen auf Ihre Gesundheit!«

»Wohl bekomm’s!« Die Gläser klirrten und beide Herren leerten dieselben.

»Abscheuliches Getränk«, bemerkte Schwalbe, »das Zeug schmeckt wie Wasser, welches mit Essig vermischt ist.«

»Das könnte ich eben nicht sagen, mir schmeckt der Wein sehr gut.«

»Na hören Sie«, entgegnete Schwalbe lachend, »da müssen Sie aber einen ganz absonderlichen Geschmack haben. Betrachten Sie doch nur die Farbe. Man sieht es ihm ja gleich an, dass er stark getauft ist.«

Bei dem Wort getauft zog der Fremde eine fürchterliche Grimasse und hustete, als wenn ihm etwas in die unrechte Kehle gekommen wäre.

»Was ist Ihnen denn, Sie sind ja ganz grün und blau im Gesicht geworden?«

»Es geht schon vorüber. Das Getränk schmeckt Ihnen also nicht?«

»Ich habe nie so schlechtes Zeug getrunken.«

»Ei, ei, mein Bester, Sie scheinen sehr verwöhnt. Zeigen Sie doch einmal her.« Der Baron nahm die Flasche und hauchte in dieselbe stark hinein.

»Ha, ha, Sie bilden sich wohl ein, dass er vom Anblasen besser wird?«

»Nun, versuchen Sie einmal, es könnte ja doch wohl möglich sein.«

Herr von Schwefelkorn hatte die Gläser von Neuem bis an den Rand gefüllt. Der Doktor führte sein Glas mit einem ironischen Lächeln an die Lippen. Kaum hatte er aber den ersten Zug getan, als sich sein Gesicht verklärte. Er setzte nicht eher ab, bis er dasselbe bis zum letzten Tropfen geleert hatte.

»Sind Sie ein Hexenmeister«, rief er, »oder hat mich meine Erfahrung vorhin gänzlich verlassen? Das ist ja der köstlichste Nektar, den ich jemals getrunken habe! Welches wunderbare Feuer enthält er, wie strömt es plötzlich entzündend durch meine Adern und ruft alle meine Lebensgeister wach!«

»Sie fühlen sich wohl zu allerhand Streichen aufgelegt?«, fragte der Baron sehr befriedigt.

»Oh, ich könnte mit der ganzen Welt Streit anfangen und zugleich auch die ganze Welt umarmen. Stände mir jetzt ein Gretchen zu Gebote … den einfältigen Burschen, den Valentin, würde ich auch ohne Weiteres niederstoßen!«

»So gefallen Sie mir«, grinste Herr von Schwefelkorn.

»Lassen Sie sich umarmen, Baron … kommen Sie … gestatten Sie es, ich fühle mich unwiderstehlich zu Ihnen hingezogen!«

Stürmisch war Schwalbe aufgesprungen und drückte seinen neuen Freund fest an die Brust. Als er sich wieder niedersetzte, bemerkte er, dass dessen Perrücke sich etwas verschoben hatte. Zu seinem nicht geringen Befremden gewahrte er auf dessen Stirn zwei kleine Erhöhungen, die ihn wie Ansätze zu ein Paar Hörnern vorkamen.

Unser Bekannter wurde doch stutzig und blickte etwas misstrauisch auf seinen Gesellschafter.

»Um Vergebung«, fragte er zögernd, »sind Sie vielleicht verheiratet?«

»Wieso? Sie glauben wohl, dass mir ein kleines Unglück passiert ist?«

»Es wäre ja möglich. Ich bemerkte soeben zwei kleine Hörner an Ihrem Kopf.«

Herr von Schwefelkorn schien sich darüber sehr zu belustigen. »Das ist ein Familienerbstück«, sagte er. »Sie haben doch schon gehört, dass es geschwänzte Menschen gibt?«

»So behaupten allerdings einige Gelehrte, die Sache ist aber doch noch sehr im Unklaren.«

»Keineswegs, es ist Tatsache. Nun sehen Sie, ebenso gibt es auch gehörnte Menschen.«

»So, so«, brummte Schwalbe, und seine Blicke wurden immer misstrauischer, »daher wohl auch Ihr merkwürdiger halb schwarzer, halb olivenfarbiger Teint? … Wo ist denn Ihr Geburtsland? … Wohl unter dem Äquator? … Erlauben Sie doch, dass ich einmal Ihren Schädel untersuche, darüber muss ich meinem Freund Karl Vogt Bericht erstatten. Vielleicht liefert dies einen neuen schlagenden Beweis für seine Affentheorie.«

Schwalbe wollte zugreifen, aber der Fremde zog lachend seinen Kopf zurück und rief: »Sie wollen mich wohl bei den Hörnern fassen? Nein, lassen Sie das nur, ich bin vorsichtig und gehöre nicht zur Klasse der dummen T…«

Der Baron hielt plötzlich inne und der Doktor sah ihn mit einem Blick des Staunens und scheuer Besorgnis an.

Endlich fasste er sich und fragte bedächtig, indem er seinen Stuhl zwei Schritte vom Tisch abrückte: »Um Vergebung, was wollten Sie denn eigentlich mit dem T sagen?«

»Nun, ich habe Ihnen ja vorhin bereits gesagt, dass ich die Stärke Ihres Geistes auf die Probe stellen würde.«

»So sind Sie also wirklich der T…e…u…f…e…l?«, stammelte Schwalbe.

»Ihnen zu dienen, da Sie es doch nun einmal erraten haben. Aber Sie brauchen sich nicht zu fürchten, denn ich gehöre weder zu den ungeschickten, noch zu den boshaften, noch zu den dummen, sondern zu den gutmütigen Teufeln.«

Wer weiß, dachte unser Bekannter und wollte schon das Kreuz schlagen. Aber noch zur rechten Zeit erinnerte er sich, dass sich dies für einen Mann der modernen Aufklärung nicht schicke. Schließlich streifte er wie ein Held alle Furcht ab und dachte: Ei was, die wahre Philosophie besteht darin, dass man sich selbst vor dem Teufel nicht fürchtet!

Er rückte daher wieder näher, blickte Herrn von Schwefelkorn fest ins Gesicht und sagte:

»Sie sehen, dass ich vor Ihnen nicht die geringste Angst habe. Was Faust vermochte, kann ich auch!«

»Sie brauchen sich auch keineswegs Besorgnissen hinzugeben«, merkte der Baron lachend an, »seitdem ich erfahren habe, dass Sie so ein Stück deutscher Gelehrter sind, dürfen Sie vor mir selbst dann sicher sein, wenn ich wirklich Lust gehabt hätte, Ihnen ein klein wenig das Genick umzudrehen.«

»Darf ich Euer durchlauchtigste höllische Majestät hierüber in aller Untertänigkeit um eine nähere Erklärung bitten?«, fragte der große Philosoph mit der Geschmeidigkeit eines Hofmannes.

»Vor allem bleiben Sie mir mit Ihren Titeln vom Leibe. Ich reise inkognito, merken Sie sich das.«

»Zu Befehl, Durchlaucht.«

»Schwalbe«, rief der Teufel lachend auf, »Sie sind doch ein närrischer Kauz, aber ich habe Sie lieb gewonnen. Trinken Sie … So ist es recht! … Na, was wollen Sie denn wissen?«

Unser Bekannter, welchem beim Genuss dieses Weines vollends alle Furcht schwand, sagte: »Sie äußerten vorhin, dass Sie mich als deutscher Gelehrter da unten (Schwalbe begleitete diese Worte mit einer entsprechenden Gebärde) nicht brauchen könnten.«

»Das ist auch ganz richtig. So ein deutscher Gelehrter würde selbst in der Hölle keine Ruhe halten. Er würde sogar dort noch seine Weisheit zum Besten geben und jedenfalls das letzte Wort zu behalten suchen.«

»Na, nehmen Sie mir’s nicht übel«, rief unser Bekannter, den der Wein immer dreister machte, »da spricht der reine Neid aus Ihnen. Doch genug hiervon. Sie wollen mir also wirklich nicht den Hals umdrehen?«

»Es fällt mir nicht im Entferntesten ein, ich begnüge mich einfach mit Ihrer Freundschaft.«

»Ohne einen Pakt mit mir zu machen?«

Herr von Schwefelkorn zuckte mitleidig mit den Achseln.

»Sie wollen ein Freigeist sein und jetzt, wo Sie sich mir gegenüber befinden, zeigen Sie eine jämmerliche Furcht.«

»Na, ganz kann man die Vorsicht doch nicht außer Acht lassen.«

»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass ich nicht in Geschäften, sondern zum Vergnügen reise. Sie gefallen mir und so will ich Ihr Führer sein und hoffe Ihnen als solcher gute Dienste leisten zu können. Sie sollen sehen, dass Heuchelei die Welt regiert und dass die Menschen, wenn sie sich unbeachtet glauben, etwas ganz anderes sind, als sie gern scheinen möchten.«

Schwalbe, obgleich nur Titulardoktor und nicht einmal Privatdozent, fühlte doch plötzlich den allen deutschen Gelehrten innewohnenden Trieb im erneuerten Maße erwachen, für die Wissenschaft alles zu wagen und scheute daher zu diesem Zweck selbst vor einer näheren Berührung mit dem Teufel nicht zurück. Er betrachtete sich denselben nun ruhiger und fand, dass er eigentlich eine keineswegs Furcht einflößende Erscheinung sei. Ja, als Physiologe wollte er sogar ganz bestimmte Merkmale herausfinden, aus welchen unzweifelhaft zu erkennen sei, dass sein neuer Bekannter wirklich zur Klasse der gutmütigen Teufel gehöre. Er teilte solches Herrn von Schwefelkorn mit.

Dieser bemerkte mit einem leichten Lächeln: »Ja, ja, so seid ihr Menschenkinder! Erst zeigt ihr euch zaghaft, ist aber nur der erste Schritt auf der Bahn getan, den ihr Sünde nennt, dann schreitet ihr unverdrossen weiter und lauft uns mit offenen Augen in die Arme.«

»Na, Sie haben mir ja versprochen, mich nicht in Versuchung zu führen«, entgegnete unser Philosoph, »und hierauf verlasse ich mich mit Bestimmtheit.«

»Das dürfen Sie auch, Sie haben nichts von mir zu befürchten.«

»Nur eins erregt mir noch Bedenken«, fuhr unser Bekannter fort, »mit dem verdächtigen Teint, mit den kleinen Hörnern auf der Stirn und mit dem Klumpfuß können Sie doch unmöglich mit mir in Gesellschaft erscheinen, ohne sogleich erkannt zu werden.«

»Alles dies wird sich bis morgen vollständig geändert haben«, bemerkte der Baron. »Ich besitze die Mittel, die Gestalt jedes beliebigen Menschen anzunehmen, seine Stimme nachzuahmen, und seine Manieren so täuschend nachzumachen, dass mich jeder für den hält, welchen ich vorstellen will. Ich kann auch mich und andere unsichtbar machen und bin imstande, jeder Person durch bloßes Anhauchen Gedanken einzuflößen und sie zu Handlungen zu verleiten, wie diese gerade im Augenblick meinen Zwecken entsprechen. Übrigens«, fuhr Herr von Schwefelkorn fort, »war meine Abreise von zu Hause etwas eilig. Daher kommt es, dass meine Umwandlung noch nicht vollständig durchgeführt ist. Aber wie gesagt, bis morgen wird dieselbe vollendet sein, und was die Hörner anbelangt, so ist das eine leichte Mühe dieselben fortzubringen. Meine Großmutter hat mir zu diesem Zweck eine Salbe mitgegeben, welche noch weit besser wirkt, wie der Jakobsche Königstrank.«

Doktor Schwalbe hatte aufmerksam zugehört, aber auch dabei das Trinken nicht vergessen. Je mehr er von dem köstlichen Wein schlürfte, desto mehr fühlte er sich angeregt und um so leichter setzte er sich über alle Bedenken, die sich bisher bei ihm noch hier und da geregt hatten, hinweg. Bald sprang er auf und sang tanzend:

»Ich habe meine Rechnung auf Nichts gestellt«

bald stieß er wieder mit dem Baron an und kreischte:

»Lustig gelebt und selig gestorben,
hat dem Teufel die Rechnung verdorben!«

worüber dieser laut auflachte, bis endlich eine Ruhepause eintrat und der Doktor wieder einigermaßen zur Besinnung kam.

Zum Schlafengehen hatte er aber noch nicht die geringste Lust. Indem er sich eine zweite Zigarre ansteckte, fing er an, seinem neuen Bekannten verschiedene Fragen vorzulegen.

»Erlauben Sie doch gütigst«, begann er, »jedenfalls wird Ihnen eine Mixtur bekannt sein, die man in jeder Apotheke unter dem Namen asa foetida bekommen kann?«

»Ja«, lachte Herr von Schwefelkorn, »ich weiß schon, was Sie damit sagen wollen. Wegen ihres penetranten Geruchs nennt man sie Teufelskot, eine kleine erbärmliche Beleidigung, über die ich mit Erhabenheit hinwegsehe und welche die Menschen aus Rache erdacht haben, weil ich und meine Kollegen ihnen angeblich auf Schritt und Tritt nachstellen, während sie sich doch in Wahrheit uns bei jeder Gelegenheit freiwillig überliefern. Riechen Sie übrigens etwas an mir, was an asa foetida erinnert?«

»Durchaus nicht«, sagte Schwalbe, »das Kompliment muss ich Ihnen machen, dass Sie mir wie ein vollkommener Gentleman vorkommen. Sie könnten mit Anstand in jedem Salon erscheinen. Da wir nun so vertraut miteinander geworden sind«, fuhr er fort, »so erlauben Sie mir wohl eine weitere Frage. Kennen Sie vielleicht zufällig einen gewissen Herrn Mephistopheles?«

»Ganz gut«, lautete die Antwort, »er ist sogar mit mir nahe verwandt, denn seine Großmutter und meine Großmutter waren Schwestern.«

»So, so«, sagte Schwalbe nachdenkend, »ich kenne denselben nur aus einem Goetheschen Stück, wo er den armen Faust schrecklich mitnimmt.«

»Er war lange Zeit commis voyageur hier auf Erden und hat als solcher unserem großen Geschäftshaus Beelzebub & Comp. manche guten Dienste geleistet. Faust war übrigens ein Träumer, ein sentimentaler Narr, der in seiner Weisheit alles zu erfassen glaubte und den schließlich darüber – um mich eines trivialen Ausdrucks zu bedienen – der Teufel holte.«

»Wir legen dies anders aus«, bemerkte Schwalbe, »wir erblicken in Faust ein warnendes Beispiel. Den Beweis, dass der Mensch ungeachtet des tiefsten Forschens und der größten Gelehrsamkeit untergeht, wenn ihm der moralische Halt fehlt und ihn die Leidenschaften beherrschen.«

»Nach Ihren menschlichen Begriffen mag dies richtig sein«, erwiderte der Teufel, »wir geben dem aber in praktischer Weise und nach den Erfahrungen, die uns zur Seite stehen, keine solche Deutung. Wir kennen die Menschen, wir wissen, dass die Leidenschaften in ihrer Brust nie ruhen, sondern nur schlummern und dass, wenn dieselben in geschickter Weise geweckt werden, dieselben schließlich Verstand, Moral und Gelehrsamkeit über den Haufen werfen. Was nun aber diesen Mephistopheles anbelangt, so war eigentlich niemals viel an ihm. Ihr Goethe har ihn erst zu einiger Berühmtheit gebracht, aber trotzdem bleibt er doch immer ein plumper ungehobelter Geselle. Schon dass er sich als Pudel bei dem Doktor Faust einführte, beweist, dass er von sich selbst nicht viel hielt. Was hat er übrigens auch getan? Im Auerbachschen Keller fängt er Schlägerei an, dem ehrlichen Valentin, der die Ehre seiner Schwester retten will, rennt er die Klinge durch den Leib, das simple Gretchen, ein kleines eitles, unwissendes Ding, das sich durch die gewöhnlichsten Redensarten kirren und durch ein paar Geschenke ins Netz treiben lässt, verführt er mithilfe einer alten Kupplerin. Steckt darin nun Geist? Wahrlich wäre Herr von Goethe nicht selbst so geistreich gewesen und hätte er durch sein Genie nicht erst etwas aus Mephistopheles gemacht, dieser selbst würde es in seinem Leben zu nichts anderem als zu einem ganz gewöhnlichen Rabulisten und zu einem Verführer gebracht haben, wie man dieselben heutzutage Dutzendweise hinter dem Ladentisch findet.«

Auf diese Weise führte der Doktor mir Herrn von Schwefelkorn, dessen eigentlichen Charakter die Leser nunmehr kennen, noch manches interessante und belehrende Gespräch. Allmählich schwand immer mehr das Grauen und die Furcht, welche er gehegt, seitdem derselbe über sich selbst so überraschende Enthüllungen gemacht hatte. Zuletzt fielen ihm aber doch, nach dem reichlich genossenen Wein, die Augen zu und der Sandmann stellte sich ein. Er nickte nur noch mechanisch mit dem Kopf, wenn sein neuer Bekannter eine Frage an ihn richtete, oder murmelte nur halb verständlich etwas vor sich hin, sodass der Baron es schließlich für das Angemessenste hielt, zum Schlafengehen zu mahnen.

»Ihre menschliche Natur macht sich bei Ihnen geltend, mein verehrter Freund«, begann er, »und der Wein, den ich Ihnen reichte, war doch etwas zu stark für Sie. Ich schlage daher vor, dass wir uns zu Bett begeben. Sie dürfen ganz ruhig sein«, fügte er hinzu, als er bemerkte, dass Schwalbe, der sich inzwischen wieder etwas ermuntert hatte, zögerte und ihn von Neuem zweifelhaft ansah. »Sie haben nichts von mir zu fürchten, ich hege nicht die geringsten böswilligen Absichten. Im Gegenteil fühle ich mich in merkwürdiger Weise zu Ihnen hingezogen. Und da ich lediglich zu dem Zweck einen Besuch auf der Erde gemacht habe, um mich zu amüsieren, so dürfen Sie sich ganz harmlos in meiner Gesellschaft bewegen.«

»Können Sie mir dies nicht vielleicht noch durch einen feierlichen Eid bekräftigen«, fragte Schwalbe. »Sicher ist sicher und …«

»Nun, so schwöre ich Ihnen denn bei Schwanz und Pferdefuß, dass Sie mir vollkommen vertrauen können«, sagte Schwefelkorn lachend. »Und nun gute Nacht, mein werter Freund, morgen beim Frühstück sehen wir uns wieder.«

Er verschwand im Nebenzimmer, während der Doktor sich ebenfalls langsam auszukleiden begann. »Vorsicht kann nicht schaden«, murmelte er und öffnete ein Reisekästchen, aus welchem er zwei kleine, sorgfältig in Baumwolle gewickelte Gegenstände hervorholte. »Dies«, sagte er, »ist ein Zahn des heiligen Loyola, er ist zwar bereits ziemlich hohl, aber dennoch denke ich, wird er seine Wirkung nicht verfehlen. Hier habe ich einen Splitter vom Tintenfass des Doktors Martin Luther, mit welchem er, als er sich auf der Wartburg befand, nach dem Teufel warf. Den Zahn stecke ich in das rechte, den Splitter in das linke Ohr. Hilft das eine nicht, so hilft voraussichtlich das andere. So bin ich jedenfalls vor dem Hals umdrehen sicher.«

Auf diese Weise vollkommen beruhigt, begab sich unser Bekannter zu Bett, zum Überfluss legte er auch noch den Dolch mit dem Kreuzgriff, welchen er auf die Reise mitgenommen hatte, auf seine Brust. Die beruhigende Wirkung dieser Amulette gab sich denn auch bald durch ein lautes Schnarchen kund. Als Schwalbe am folgenden Tag erwachte, war nicht allein jede Furcht vor dem Teufel bei ihm verschwunden, sondern die Saat der Freundschaft für denselben war auch bei ihm während der Nacht so mächtig emporgeschossen, dass er von seinem Lager aufspringend, diesem mit heller Stimme zurief: »Guten Morgen, Baron, sind Sie schon angekleidet?«

»Jawohl, jawohl«, antwortete dieser in ebenso guter Laune, »beeilen Sie sich etwas, der Kaffee steht bereits auf dem Tisch und ich verlange hinterher, Ihnen die Hand zu drücken.«