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Geisterschloss Dohlenstein – Kapitel 5

Geisterschloss Dohlenstein
Abenteuer eines flüchtigen Pariser Studenten
Eine Geister- und Räubergeschichte
Kapitel 5 – Die schöne Gefangene

Der Hauptmann ergoss sich in Lobeserhebungen gegenüber seinen Leutnant. Er nahm die noch immer ohnmächtige Person in seine Arme und rief Barbara, um ihr zu Hilfe zu kommen. Er ging darauf zur älteren Dame, grüßte sie höflich, zog ihr das Tuch, das man ihr in den Mund gesteckt hatte, heraus, und sagte zu ihr: »Fürchten Sie nichts, es wird Ihnen hier, wo ich befehle, nichts zuleide getan werden.«

»Heilige Jungfrau!«, rief die Dame, »ist es das, was ich von einer Reise, die ich unter so heiligem Schutz unternahm, zu erwarten habe? Wir kamen zur Eremitage des Bruders Hilarius, um ein Gelübde zu lösen, das ich während einer langen schweren Krankheit dem heiligen Pancratius gegeben hatte, und da muss ich in die Hände dieser Bösewichte fallen …!«

»Höre Alte«, rief Philipp, »mäßige dich in deinen Ausdrücken, oder …«

»Schweige du«, sagte Sassafras, »lasse dieser Frau ihren Schmerz aussprechen. Ihre Schimpfreden tun uns ja nicht weh.«

»Meine Nichte!«, rief sie, »wo ist meine Nichte?«

»Hier ist sie, Madame, vereinigen Sie Ihre Bemühungen mit Barbara, um diesen Engel ins Leben zurückzurufen.«

Die alte Dame hatte ein Riechfläschchen bei sich, und kaum hatte sie es ihrer Nichte unter die Nase gehalten, als diese ihre großen schönen Augen aufschlug. Erstaunt sah sie um sich, und beim Anblick der scheußlichen Gestalten, die sie umgaben, schloss sie dieselben mit einem Schrei des Entsetzens wieder.

»Man ziehe sich zurück«, sagte der Hauptmann. »Theodor und der Niklas sollen allein bei ihnen bleiben, um ihnen beizustehen.«

Die Räuber gehorchten. Als das junge Mädchen die Augen wieder aufschlug, sah sie menschlichere Gesichter, denn der Hauptmann hatte seinen Blick gemildert und betrachtete sie mit der lebhaftesten Teilnahme.

»Wo bin ich?«, fragte sie endlich.

»Ach! Arme Mina, du bist verloren,« sagte die Tante, »es müsste denn der heilige Pancratius ein Wunder tun, dich aus diesem abscheulichen Orte zu erretten.«

»Nein, Fräulein«, erwiderte der Hauptmann, »bis auf die Freiheit werden Sie hier alle möglichen Rücksichten gegen Sie beobachtet finden, die man Ihnen schuldig ist. Ich habe hier ein Zimmer, in welchem Sie wie zu Hause sein können. Haben Sie wieder Kraft genug, sich dahin zu begeben?«

»Komm Mina, fasse Mut! Du siehst, dass der große Heilige uns noch nicht verlassen hat, da er einem bösen Menschen, einem Befehlshaber von Räubern so          viel Milde einflößt … Doch Verzeihung, Herr … Dieb, das ist mir entwischt. Ich hoffe, dass man mich deshalb nicht zur Verantwortung ziehen wird.«

Sassafras lachte hell auf und befahl der alten Barbel, das Zimmer einzurichten, das er für seine Damen bestimmt hatte. Er bot der unglücklichen Mina den Arm. Diese hatte jedoch nicht so viel Kraft, sich aufrecht halten zu können, und Theodor sowie Niklas mussten sie tragen. Wilhelm ging mit dem Licht voran, und der Hauptmann bot ungern der Tante den Arm, welche ihrer Nichte folgte und Gebete an ihren Schutzengel murmelte.

Das Logis bestand aus zwei Zimmern, die geschmackvoll tapeziert waren, zwei gute Betten wurden für die Pilgerinnen instand gesetzt, und die Männer zogen sich zurück, nachdem sie die junge Dame der Fürsorge der beiden Alten empfohlen hatten.

Während des Abendessens sprach der Hauptmann oft von der schönen Mina. Theodor sprach nicht von ihr, dachte aber desto mehr an sie, und als er in seine Zelle zurückgekehrt war, konnte er die ganze Nacht nicht schlafen, denn ihr sanftes Auge hatte ihn im ersten Anblick gefesselt.

Wir wollen die einzelnen Begebenheiten, die sich während Theodors Gefangenschaft in den unterirdischen Gemächern daselbst zutrugen, nicht aufzählen. Der Hauptmann liebte ihn, ohne jedoch genügend Zutrauen zu ihm zu haben, ihn mit allen Geheimnissen ihres Aufenthaltsortes bekannt zu machen. Niklas aber hatte ihn während der Abwesenheit der Räuber stets von allem Möglichen unterrichtet, ohne sich dabei gegenüber den Wachen verdächtig zu machen. Mina und ihre Tante verlebten Tag und Nacht, die eine mit Weinen, die andere mit Beten, und fanden nur dann Trost, wenn sie die Gesellschaft der beiden Freunde genossen, die ihnen einen Teil ihres Geheimnisses anvertraut hatten und Rettung verhießen. Der Hauptmann zeigte sich höflich und dienstfertig gegenüber den Damen und belästigte sie nicht. Endlich schien alles die seltene Ruhe des scheinbaren Einverständnisses zu genießen.