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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Judith Jessuron

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 10
Judith Jessuron

In der unliebenswürdigsten Laune ritt der Sklavenspekulant die große Allee hinunter. So verdrießlich und außer sich vor Ärger war er über das Ergebnis seines Besuches, dass er nicht daran dachte, seinen blauen Regenschirm aufzuspannen, um sich vor den heißen Strahlen der Sonne zu schützen, die fast senkrecht niederfielen, sondern er benutzte ihn dazu, um von Zeit zu Zeit die Seiten seines Maulesels zu bearbeitete, gleichsam, als wollte er seinen Ärger an dem armen Tier auslassen.

Auch schwieg er nicht still, obgleich er allein war. In einer Art von unfreiwilligem Selbstgespräch murmelte er beim Reiten lange Redensarten von Schelt- und Schimpfworten gegen den Gastgeber, dessen Haus er verlassen hatte. Auch die Tochter erhielt ihren Teil von diesen gemurmelten Verwünschungen, die zuweilen selbst Drohungen glichen.

Einiges von seinen Reden war deutlich und mit Nachdruck gesprochen.

»Möge der Staub meiner Schuhe auf dich kommen, Loftus Vochan. Ich tränke es dir doch noch mal ein! Gott verdamm’ mich! Es war eine Zeit, wo du meiner zweihundert Pfund wegen froh gewesen wärest. Nicht für alles Geld? Pah! Ist eine große Dame, das Fräulein Käthchen – die kleine Quasheba! Haha, ich weiß ein wenig – ja, ja, ich weiß wirklich etwas. Vielleicht mag sie selbst noch einmal verkauft werden für weniger als zweihundert Pfund. Oh, ich wollte das Doppelte nicht achten, wahrhaftig, könnt’ ich den Tag erleben!«

»Der Staub meiner Schuhe auf Euch beide!«, wiederholte er, als er die Eingangspforte durchritt. »Ich verwünsch’ euren Boden, nun hier, und wenn ich euch hier hätte, so wollte ich euch etwas sagen – etwas, das euch bewegen sollte, eure Dirne noch für weniger als zweihundert Pfund zu verkaufen. – Wahrhaftig, das will ich noch mal tun, bei Gott!«

Als er diese letzten Worte mit einer verlängerten Betonung hervorgebracht hatte, erhob er sich hoch in den Steigbügeln, wandte seinen Maulesel halb um und schüttelte seinen großen Regenschirm in drohender Weise gegen Willkommenberg, während seine Augen einen giftigen, geheime und rachsüchtige Absicht verkündenden Blick nachschleuderten.

Als er weiterritt, gesellte sich eine neue Erscheinung zu ihm. Eine Reiterin trabte heran, wandte schnell ihr Pferd und blieb an seiner Seite.

Sie war ein junges Mädchen, ein schönes, liebliches Geschöpf, die wie ein Engel an der Seite des dämonengleichen alten Mannes aussah.

Sie schien augenscheinlich auf ihn an der Biegung des Weges gewartet zu haben. Die Art und Weise der Vertraulichkeit ohne alle weitere Begrüßung zeigte deutlich, dass sie nicht lange getrennt waren.

Wer war nur diese reizende Reiterin?

So würde ein Fremder ganz sicher gefragt haben, während seine Augen sie mit gemischten Gefühlen der Bewunderung und Verwunderung betrachtet hätten. Bewunderung über eine solche seltene Schönheit, und Verwunderung, sie in so grober Gesellschaft zu sehen!

Es war eine Schönheit, die eigentlich nicht im Einzelnen beschrieben werden sollte. Die edel geformte Stirn, die geschwungenen Augenbrauen von ebenholzartiger Schwärze, die dunkel blitzenden Augensterne, das scharfe Hervortreten der Nase und der etwas hinaufgezogene Mund waren alles entschiedene Merkmale einer jüdischen Schönheit, ein Schrein, vor dem schon oftmals Moslems wie Christen ihre Knie in tiefer Verehrung gebeugt haben.

Zwanzig Zyklen sind bereits vorübergezogen – zwanzig Jahrhunderte der Schmach, des Schimpfes und des Elends, und verborgen in jammervollen Schlupfwinkeln – beraubt und verfolgt – oftmals zur äußersten Verzweiflung getrieben – haus- und heimatlos gemacht – dennoch und trotz alledem verblieben Judas dunkeläugige Töchter lieblich und schön, ähnlich wie sie zur Musik des Zymbal und des Tymbals tanzten oder zur Begleitung der goldsaitigen Harfe die Lieder einer glücklicheren Zeit sangen.

In der neuen Welt, unter dem glänzenden westlichen Himmel war ein wahres Prachtstück jüdischer Schönheit entstanden, denn nie zuvor war wohl eine Tochter Judas anmutiger als die Tochter des Jakob Jessuron, die nun an seiner Seite ritt. Wohl bildeten sie hierbei einen eigentümlichen Gegensatz, dies wunderbar, schöne Mädchen und der hässliche Mann mit den harten, schroffen Gesichtszügen. Allein dieser Gegensatz war leider nur rein körperlich. Geistig war die Tochter wie der Vater. Der äußerlichen Erscheinung nach war Judith Jessuron ein wahrer Engel, dem Geist nach war sie vollkommen das Kind ihres Vaters.

Die Wahrheit hiervon wird sofort aus dem Zwiegespräch einleuchten, das sich zwischen ihnen im Augenblick ihres Zusammentreffens entspann.

»Fehlgeschlagen?«, fragte sie, zuerst das Wort aufgreifend. »Oh, ich brauchte dich nicht gefragt zu haben. Es spricht klar genug aus deinen Blicken, – wenn auch sonst deine ruhige Haltung deine Gedanken nicht gerade verrät. Nun, was sagt der saubere Herr Vaughan? Will er dir die Dirne verkaufen?«

»Nein.«

»Wie ich es erwartet hatte!«

»Wahrhaftig, er wollte nicht.«

»Wie viel hast du für sie geboten?«

»Oh, ich schäme mich, es dir zu sagen, Judith.«

»Komm, alter Rabbi, brauchst nicht so scheu vor mir zu sein. Wie viel denn? Sag es.«

»Zweihundert Pfund.«

»Zweihundert Pfund! Das ist wirklich viel Geld. Wenn, was du mir gesagt hast, richtig ist, so ist ja seine eigene Tochter nicht mal so viel wert. Ha, ha, ha!«

»Still, Judith, stillt sprich nicht so davon – um deines Lebens willen, sprich nicht so. Sonst zerstörst du all meine Pläne!«

»Keine Furcht, guter Vater. Ich habe noch niemals deine Pläne gestört, nicht wahr?«

»Nein, nein! Es ist schon wahr, du bist immer ein gutes Kind gewesen, liebe Tochter – ein gutes Kind, wahrhaftig, jawohl!«

»Aber nun sage mir, warum wollte der Custos rotulorum nicht verkaufen? Geld hat er sonst gern, gerade wie du. Zweihundert Pfund ist wirklich ein hoher Preis für die kupferfarbige Dirne – gewiss das Doppelte, was sie wert ist.«

»O, Judith, Vochan selbst war es ja nicht, der es abschlug.«

»Wer denn?«

»Nun, seine Tochter, von der du schon vorhin gesprochen hast.«

»Die!«, rief Judith, indem sie verächtlich die Oberlippe auswarf und die Nase rümpfte, wodurch sie, sonst so schön, auf einmal fürchterlich, ja grauenhaft hässlich wurde. »Die, sagst du? Die Mestize, die selbst eine Sklavin ist!«

»Halt, halt, Judith«, unterbrach Jakob Jessuron mit einem unruhigen Blick. »Das behalte für dich, Kind. Sprich nichts mehr davon – wenigstens nicht jetzt, nicht jetzt. Die Bäume könnten Ohren haben, Judith.«

Das Aufwallen der heftigsten Leidenschaft hinderte die schöne Judith zu antworten, und einige Augenblicke ritten Vater und Tochter schweigend nebeneinander.

»Du hattest unrecht, lieber Vater«, sagte sie, »dieses Mädchen überhaupt kaufen zu wollen.«

»Was willst du damit sagen?«, forschte der alte Jessuron, als ob die Frage ein Echo seiner eigenen Gedanken gewesen wäre. »Was willst du damit sagen?«

»Ich wollte nur sagen, dass du unrecht hattest, alter Rabbi Jakob. Und das sage ich noch einmal.«

»Bei meiner Seele, was meinst du denn eigentlich, Judith?«

»Nun, Vater, du warst nicht immer so schwer von Begriff. Sag mir nur: Wozu hast du denn das Fellahmädchen nötig?«

»Oh, du weist recht gut, wozu ich sie nötig habe. Dieser Prinz will seine zwanzig Mandingos für sie geben. Kein Zweifel mehr, sie ist seine Schwester. Zwanzig gute starke Mandingos, unumstritten zweitausend Pfund wert. Bei meiner Seele, das ist ein Vermögen!«

»Nun, und wenn es ein Vermögen ist, was dann?«

»Wenn es das ist? Bei unseren Vätern! Du sprichst von zweitausend Pfund, als wenn es Dreck wäre.«

»Lieber Vater, du missverstehst mich.«

»Missverstehen? Judith?«

»Ja, ganz gewiss. Ich habe mehr Achtung vor zweitausend Pfund, als du mir wohl zutraust. Und zwar so viel, dir zu raten, dass du sie nehmen sollst.«

»Nehmen? Wie? Das ist ja just, was ich tun möchte.«

»Das wohl, aber du hast es in so verkehrter Weise angefangen, dass du Gefahr läufst, es zu verlieren.«

»Und wie denkst du es anzufangen, liebe Judith?«

»Ich würde es in Besitz nehmen.«

Der Sklavenhändler zog plötzlich heftig am Zügel und riss seinen Maulesel so, dass er stillstand. Zugleich warf er einen halb verwirrten, halb durchbohrenden Blick auf seine Tochter.

»Nun, guter Vater Jakob«, fuhr diese fort, indem sie ihr Pferd ebenfalls anhielt. »Du pflegst doch sonst nicht so schwerfällig zu sein. Während ich an der Pforte dieser prächtigen Zuckerpflanzung wartete, musste ich ein wenig nachdenken. Dies brachte mich unmittelbar zu der Frage: Was auf der Welt hat dich nur in dieses Haus geführt?«

»Und welche Antwort gabst du dir, Judith?«

»Oh, gerade keine Besondere. Nur, dass du auf einem sehr vergeblichen und unnützen Weg warst.«

»Ja, es ist wirklich ein unnützer gewesen, es ist wahr. Ich erreichte nicht, was ich wollte.«

»Nun, und was macht denn das aus?«

»Was das ausmacht? Zwanzig Mandingos machen viel aus, machen aus zweitausend Pfund Münze. Das macht es aus, Judith, mein Liebling!«

»Nicht den Abfall von dem Schuhnagel eines Mandingo macht es aus, mein guter Rabbi Jessuron.«

»Horch, was sagst du da, meine weise Judith?«

»Was ich sage? Einfach, dass diese Mandingos ganz gut dein sein könnten, ohne alle diese Mühe. Noch jetzt könnten sie es – und ihr Herr dazu, wenn du einen Fürsten zum Sklaven haben magst. Ich möchte das schon.«

»Sprich dich offen aus, Judith, ich verstehe dich nicht.«

»Das wirst du gleich. Sagtest du nicht, dass Capitain Jowler einen Beweggrund hat, nicht an Land zu kommen?«

»Capitain Jowler! Er würde wahrhaftig lieber auf der Kannibaleninsel landen, als auf der Montego Bay. Und was soll das, Judith?«

»Rabbi Jessuron, nun geht meine Geduld zu Ende. Für den Fellahfürsten bist du nur dem Capitain Jowler verantwortlich. Capitain Jowler kommt nicht an Land.«

»Das ist gewiss, ganz gewiss«, bejahte Jakob mit einer Handbewegung, welche andeutete, dass er das eben Gesagte vollkommen begriffen hatte.

»Nun, und wer will dich dann abhalten, mit diesen Mandingos nach Belieben zu schalten?«

»Wunderbar, Judith!«, rief der Vater aus, seine Arme hoch erhebend. »Wunderbar, Judith! Gerade das Rechte getroffen! – Bei meiner Seele, und ich habe nicht einmal daran gedacht.«

»Ja, Vater. Glücklicherweise ist es noch nicht zu spät. Ich habe daran gedacht. Ich wusste ganz wohl, dass Käthchen Vaughan sich von der Yola nicht trennen würde. Ich sagte es dir bereits. Aber dennoch hoffe ich, du hast nicht gesagt, wozu du sie eigentlich haben wolltest? Wenn du es aber hättest, so …«

»Nicht ein Wort, Judith, nicht ein Wort!«

»Dann braucht es auch niemand zu wissen. Was Capitain Jowler betrifft, so …«

»Jowler darf sein Gesicht hier in der Bay gar nicht zeigen. Deswegen landete er seine Ladung so im Stillen. In 24 Stunden ist er auch wieder fort.«

»Dann können die Mandingos in 24 Stunden dein sein, der Fürst, seine Dienerschaft und alle zusammen. Aber die Zeit ist kostbar, Papa. Wir täten besser, sogleich nach Hause zu eilen und seiner Königlichen Hoheit die schönen Federn abzunehmen, bevor einige unserer neugierigen Nachbarn dazukommen, denn man wird sich bald allerhand Ärgerliches erzählen. Was unseren würdigen Aufseher angeht …«

»Ja, Ravener! Er weiß alles hierüber. Ich war genötigt, ihm alles zu sagen, als wir anlegten.«

»Warst du wirklich genötigt? Nun, das wird dich wohl ein oder zwei Mandingos kosten, um seine Zunge im Zaum zu halten. Ja, das wird es. Aber übrigens kann kaum irgendein Hindernis vorkommen. Es kommt glücklicherweise nicht darauf an, was diese Wilden unter sich erzählen. Eines Schwarzen Zunge kann keinen Schaden bringen.«

»Wunderbar, Judith!«, rief der bewundernde Vater abermals aus. »Meine kostbare Tochter, du bist dein Gewicht wahrhaftig in reinem Guineegold wert! 24 Sklaven für nichts, und immer noch dazu ein geborener Fürst! Zweitausend in bar! Bei meiner Seele, es wird einen glänzenden Gewinn geben, – den Kauf und Verkauf eines ganzen Jahres wert.«

Mit dieser ehrlichen Erwägung setzte der Sklavenhändler seinen Maulesel in Trab und folgte seiner kostbaren Judith, die ebenfalls ihr Pferd mit der Peitsche antrieb und aufs Schnellste nach Hause eilte.