Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Loftus Vaughan, Gutsbesitzer

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 3
Loftus Vaughan, Gutsbesitzer

Loftus Vaughan war Witwer und hatte, wie man allgemein annahm, nur ein Kind, eine Tochter. Käthchen war der Name dieses jungen Mädchens, wenigstens war es der, den sie unter ihren Freunden und Bekannten führte. Ein anderer wurde allerdings gelegentlich gehört – Kleine Quasheba. Dieser Name kam allerdings nur über die Lippen einiger älterer Gutsarbeiter und niemals, wenn der Herr Vaughan anwesend war, da dieser es streng verboten hatte, ihn auszusprechen. Man bezweifelte sehr, ob das junge Mädchen nur je einen von diesen Namen bei der Taufe empfangen hätte. Das rührte teilweise von dem Umstand her, dass einer von Vaughans Freunden der Feier beigewohnt hatte, und teilweise auch davon, dass man allgemein wusste, die Mutter von Vaughans Tochter eine Sklavin gewesen sei, – die Sklavin Quasheba.

Daher stammte der andere Name, daher stammten auch die Zweifel über die Vollziehung der Taufe, und daher selbst noch andere Zweifel, ob Herr Vaughan – nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, – wirklich ein Witwer sei.

Dessen ungeachtet stand es fest, dass die Sklavin Quasheba tot war, schon seit langer Zeit. Sie starb an demselben Tag, vor achtzehn Jahren, als die kleine Quasheba das Licht erblickte. Das war ein Ereignis, das jedem aus dem ganzen Gut vollkommen bekannt, der alt genug sei, sich dessen zu erinnern.

Es war aber nicht jedem bekannt – obwohl einer es wusste – dass schon vor der Geburt der kleinen Quasheba und noch bevor Willkommenberg samt seinen Menschen in den Besitz des Herrn Vaughan gelangte, ein Kleiner Cubina von derselben Mutter existierte, ein Knabe, ungeachtet des weiblich scheinenden Namens. Es war derselben Person auch wohl bekannt, dass das Kind dunkler als seine Mutter, die Quadrone Quasheba, gewesen war.

In diesem Umstand lag nichts Besonderes. Man nahm an, dass sein Vater entweder selbst ein Quadrone oder ein Mulatte gewesen war. Im ersteren Fall wäre das Kind, nach der genauen, im spanischen Amerika beobachteten Unterscheidung der Rassen, ein Quadrone von der Art gewesen, die tente en al aire genannt wird; nach der zweiten Annahme wäre es ein Sambo – salto atras gewesen, – das ist: anstatt weiß von seinem Vater zu sein, hätte er einen Rückschritt zum Farbigen gemacht.

Ob der Vater des Kindes ein Mulatte oder ein Quadrone, und ob seine Hautfarbe dunkler als die seiner Mutter, war nur einer einzigen Person auf der Pflanzung von Willkommenberg bekannt, und diese war keineswegs Herr Vaughan selbst. Erst verschiedene Jahre nach seiner Geburt wurde dieser Herr Eigentümer des Gutes und damit auch der Sklavin Quasheba.

Er wusste auch nichts davon, dass die schöne Quadrone, die sein Herz gewonnen, einzige Herrin seiner Liebe und späterhin Mutter seines Kindes wurde, jemals in dieser Art geirrt, jemals in den Armen eines anderen, und gar eines Mulatten, eines Sklaven wie sie selbst, gelegen hatte. Als Vaughan Herr und Meister der Sklavin Quasheba ward, war kein Beweis dieser bösen Tat mehr vorhanden, kein Kleiner Cubina mehr, der seine Mutter rufen konnte, – denn der Knabe war sofort nach seiner Geburt geheimnisvoll verschwunden.

Wohl möchte es für Herrn Vaughan gut gewesen sein, wenn er stets in glücklicher Unwissenheit über diese grässliche Wahrheit verblieben, und besser noch für Chakra, hätte er sie für sich behalten, denn es war der Myal-Mann, der alles genau wusste.

Das Verbrechen der Quadronenmutter, selbst ihr doppelter Fehltritt muss mit mildem Auge betrachtet werden. Es würde durchaus nicht richtig sein, sie nach den Ansichten anderer Länder und anderer Zeiten zu beurteilen und sie vorschnell eine Gefallene zu nennen.

Sie folgte nur der Gewohnheit, der allgemein herrschenden Sitte der Zeit und des Ortes, und diese ist stets wichtiger als selbst die tugendhaftesten Grundsätze. Wenn irgendeine Schuld in ihrem Verhalten, sind sicher nur die Weißen zu tadeln, da sie es sind, welche den Gebrauch eingeführt haben, wodurch sie fiel. Die Lebensgeschichte des Herrn Vaughan selbst unterscheidet sich nur wenig von der von hundert anderen, die sich in Jamaika niedergelassen haben. Seine Schuld in obiger Beziehung war auch keinesfalls größer, als sie bei den meisten seiner Mitpflanzer zu jener Zeit gewesen sein mag. Ursprünglich nur ein armseliger Abenteurer, der Sohn eines englischen Krämers in der Provinz, war er nach Jamaika als Buchhalter gekommen; mit andern Worten, er war von einem alten Freund seines Vaters mitgebracht worden, nicht um Buch zu führen, sondern lediglich, um ein Mitglied jenes sonderbaren Haufens von Müßiggängern und Faulenzern zu sein, die auf jedem größeren Gut gesehen werden und deren Dasein sofort durch ein besonderes Gesetz auf der Insel erklärt wird, das den Pflanzer zwingt, stets einen weißen Mann auf je fünfzig Sklaven seines Gutes zu halten.

Der Krämersohn blieb aber nicht lange Buchführer. Da er tätig und vom Ehrgeiz getrieben, stieg er bald in den Rang eines Aufsehers auf, und wurde bis zum Tod seines Gönners als Gutsadvokat angestellt, eine jamaikanische Phrase von keiner eigentlich gesetzlichen Bedeutung, sondern die einfach einen Verwalter oder bevollmächtigten Geschäftsführer bezeichnet.

Der natürliche Wunsch eines jamaikanischen Gutsadvokaten ist demnach dem seines streitsüchtigen Namensgenossen vollkommen gleich, nämlich Reichtümer aufzuhäufen, und dies gewöhnlich auf dem leichtesten, bequemsten und nicht gerade gewissenhaftesten Weg.

Von dieser Regel machte der frühere Buchhalter auch keine Ausnahme, und nach wenigen Jahren, die er in der Wirtschaft auf seines verstorbenen Gönners Gut verbrach hattet, war er reich genug geworden, eine eigene Plantage zu kaufen und noch dazu eine sehr schöne – Willkommenberg.

Ungeachtet der Schnelligkeit, mit der sein Glück gemacht war, hatte er doch stets seinen Ruf von dem Verdacht irgendeiner bedeutenden Veruntreuung ferngehalten. Nichts konnte weiter gegen ihn vorgebracht werden, als die gesetzmäßigen sechs Prozent und andere Kleinigkeiten, die unter den Advokaten von Jamaika als ganz ehrlich angesehen werden. In der Tat, jemand, der leicht in wenigen Jahren das ganze Eigentum seines Herrn vollständig verschleudert, vorzüglich, wenn dieser Herr vielleicht sogar ein Vormund ist und die Vormundschaft für einen Minderjährigen verwaltet wird, – ist eine große Seltenheit auf dieser Insel und gilt als ein bemerkenswert ehrlicher Mann.

Und solch ein Mann war Loftus Vaughan. Er hatte nicht nur bei der Verwaltung des Gutes seines früheren Herrn denselben vollkommen befriedigt, sondern der Minderjährige, für den er es dann verwaltet und der nun volljährig, hatte ihn selbst noch gebeten, seine Oberaufsicht fortzusetzen.

Herr Vaughan selbst bedurfte nun der Gönnerschaft nicht mehr. Willkommenberg unverschuldet und unbeschwert, war sein freies Eigentum und eines der schönsten Güter der ganzen Insel, dem ganz gleich, dessen Verwaltung er immer noch fortführte.

Ebenso wie er reich geworden, war er auch im Range gestiegen. Zuerst Kirchenvorsteher in der Gemeinde, dann Friedensrichter, war er zu der Zeit, wo unsere Geschichte beginnt und schon einige Zeit zuvor, Hauptmagistrat des Bezirkes mit dem Titel eines Custos rotulorum. Das war gewiss eine ansehnliche Würde für den Sohn eines Provinzialkrämers!

Die häuslichen Verhältnisse Vaughans waren dagegen weniger ehrenwert gewesen, wenigstens würden sie so der Anschauung eines Europäers erschienen sein.

Aber in jenen Tagen waren die geselligen Kreise Jamaikas äußerst tolerant, und solch ein Verhältnis wie das, was zwischen ihm und der Ouadronensklavin bestand, gab nur sehr geringen, wenn überhaupt irgendeinen Anstoß. Solange die Quadrone im Licht einer nur für kurze Zeit bestimmten Frau angesehen wurde, gab das Verhältnis nicht den geringsten Anlass zum Skandal. Hätte Vaughan aber dieses Verhältnis durch eine Heirat zu einem fortdauernden machen wollen, was andererseits wohl seinem Ruf zugutegekommen wäre, dann jedoch wäre er unbedingt sofort verbannt und aufs Strengste aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden.

In der Tat wäre er zu einer Zeit fast das Opfer eines solchen gesellschaftlichen Ausschlusses geworden, da nämlich ein Gerücht aufkam, dass er seine Sklavin heimlich geheiratet hätte.

Es war nicht wahr, aber um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war es wirklich seine Absicht, sie sowohl zu heiraten als auch freizulassen.

Die Ausführung dieser löblichen Absicht hatte er aber stets aufgeschoben, bis der Tod dazwischen trat und sie außerhalb des Bereiches seiner Macht brachte.

Dann fühlte er, mehr denn je zuvor, tiefes inniges Bedauern über seine Vernachlässigung, ja noch mehr als Bedauern, reumütige Gewissensbisse.

Denn diese Vernachlässigung hatte sein innigst geliebtes Kind illegitim und als unehrlich hinterlassen, auf Jamaika zu der Zeit eine Sache von eigener Bedeutung und von viel größerer als irgendwo auf der Welt.

Wäre die Mutter weiß gewesen, würde es nicht so viel ausgemacht haben. Die Tochter würde allerdings immer unehrlich gewesen sein, aber sie hätte doch des Vaters Eigentum in Folge einer testamentarischen Bestimmung erheben können. Das war bei der kleinen Quasheba nicht der Fall. Kein Letzter Wille ihres Vaters vermochte Käthchen Vaughan zur Erbin seines Gutes zu machen! Sie war eine Mestize (zuweilen Quinterone genannt) und deshalb allen Rechtsunfähigkeiten der Farbigen unterworfen. Das grausame Statut von 1762 bezog sich auch auf ihren Fall. Mehr als 2000 Pfund Sterling konnte sie von ihrem Vater nicht erben, selbst nicht durch ein Testament. Alles Übrige von ihres Vaters Vermögen musste auf den gesetzlichen Erben übergehen, den nächsten Verwandten seines eigenen Stammes.

Da er seine Tochter wirklich zärtlich liebte und entschlossen war, sie um jeden Preis zu seiner Erbin einzusetzen, so wäre dies eine schreckliche Verlegenheit für ihn gewesen, hätte es hierin gar keinen Ausweg gegeben. Glücklicherweise war ein solcher vorhanden und Herr Vaughan kannte ihn auch ganz gut. Dieselbe Versammlung, die jenes schlimme Gesetz gegeben, hatte auch für einen Ausweg gesorgt, durch den es in gewissen Ausnahmsfällen umgangen werden konnte: das heißt, ein Mann von großem Vermögen und Einfluss konnte durch eine Spezialakte begünstigt werden.

Da Loftus Vaughan gerade so ein Mann war, so wusste er sehr wohl, dass er sich eine solche Akte zu jeder Zeit verschaffen könne, und hatte auch die volle Absicht, so zu verfahren. Aber derselbe Geist der Verzögerung, der ihn abgehalten, seine Pflicht gegen die Mutter zu erfüllen, war auch wiederum die Ursache, dass er seine Pflicht gegen das Kind vernachlässigte. Um sich dieses Spezialstatut zu verschaffen, hätte er eine Reise in die Hauptstadt machen und vielleicht sogar dort länger verweilen müssen, um die Versammlung deshalb anzugehen, was ihm vielerlei Plackerei und Kosten verursacht hätte. Diese Aussicht auf alle die Unbequemlichkeiten ließ ihn stets die Ausführung dieses Vorhabens verschieben, und obgleich er nie auch nur einen Augenblick daran dachte, seine Absicht gänzlich aufzugeben, wurde sie doch niemals ins Werk gesetzt.

In solcher Lage waren seine Familienangelegenheiten zu der Zeit, wo unsere Erzählung beginnt. Die kleine Ouasheba war, obgleich von der Natur mit jedem Reiz ausgestattet, obgleich vortrefflich erzogen, ausgebildet und veredelt, dennoch stets die Tochter einer Sklavin!