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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Der Myal-Mann

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 2
Der Myal-Mann

Auf Jamaika herrschte, wenige Jahre vor der Zeit, in welcher diese Erzählung beginnt, große Aufregung in Bezug auf den Obiahismus.

Die Ausübung dieser fürchterlichen Kunst war erschreckend gewöhnlich geworden, so gewöhnlich, dass auf jedem größeren Gut der Insel ein »Professor« war oder ein Obiahmann. Diese geheimnisvollen Doktoren waren stets Männer, sehr selten Frauen, und gewöhnlich Eingeborene Afrikas in vorgerücktem Alter und hässlichem Aussehen. Je hässlicher, desto erfolgreicher in der Ausübung ihres verbrecherischen Tuns. Eine bestimmte Klasse von ihnen wurden Myal-Leute genannt, deren Hauptkunst darin bestand, dass sie fähig waren, einen toten Körper wieder zum Leben zu erwecken.

So war wenigstens der Glaube der Unwissenden unter den Sklaven, die kein Misstrauen hegten, dass der Verstorbene nur schlafend sei, nicht tot, und dass sein totengleicher Schlaf in geheimnisvoller Weise durch den Myal-Mann selbst bewirkt worden, nachdem er ihm etwas Caladium verordnet hatte.

Es kann hier nicht berechtigterweise näher auf eine Auseinandersetzung der Geheimnisse des Obi eingegangen werden, die einfach genug sind, so wie sie verstanden werden. Ich habe den Obiahismus fast in jedem Land angetroffen, wo ich mich aufhielt, und obgleich er eine hervorragendere Stellung im sozialen Leben der Einheimischen einnimmt, so wird er doch auch auf den Nebenwegen der Zivilisation angetroffen. Der Leser, der vielleicht im Ungewissen über seine Bedeutung sein könnte, wird sie vollkommen begreifen, wenn ihm gesagt wird, dass der Obiahmann Westindiens einfach das Duplikat des »Medizinmannes« der nordamerikanischen Indianer, das »Piuche« des Südens, des »Regenmachers« des Kaps, des »Fetischmannes« der Küste von Guinea, und fast unter eben so vielen verschiedenen Namen bekannt ist, wie es unzivilisierte Völkerstämme gibt.

Es ist dies die allererste Morgendämmerung der Religion für die Seele der Urbevölkerung. Doch selbst wenn ihre boshaften Absichten sich bereits in Sehnsucht nach dem ewigen Leben umgewandelt haben, so verweilt er noch stets in den Schlupfwinkeln der Unwissenheit und erhält sich seine ursprüngliche Gestalt als – Hexerei.

In Bezug auf die vorher gemachte Angabe, dass auf jeder größeren Pflanzung ein Obiahmann war, machte das Gut Willkommenberg keine Ausnahme. Auch dies war gesegnet oder vielmehr bestraft mit einem Jünger dieser Kunst, einem alten Koromantischen mit Namen Chakra, einem Mann, dessen grimmig-wildes Aussehen ihn zu einem der beliebtesten Verfechter des Obiahismus machen musste. Und ein solcher war er leider zu seinem eigenen Unglück geworden. Er hatte lange im Verdacht gestanden, den früheren Besitzer des Gutes vergiftet zu haben, der ganz plötzlich und geheimnisvoll aus der Welt geschieden war. Sein Schicksal ward in der Tat nicht sehr beklagt, da er im Ruf stand, ein höchst grausamer Sklavenherr zu sein, und auch der gegenwärtige Besitzer hatte geringen Grund, es zu bedauern, da es ihn in den Besitz eines Gutes brachte, wonach er lange getrachtet hatte.

Großen Ärger verursachte es ihm jedoch, dass, seitdem er in den Genuss dieses Besitztums gekommen ist, verschiedene seiner wertvollsten Sklaven plötzlich gestorben waren, und zwar in einer Weise, die zu der Annahme führen musste, dass Obi wesentlich dazu beigetragen hatte.

Chakra, der Myal-Mann, stand im Verdacht, ihren Tod verursacht zu haben. Er wurde angeklagt und zur Untersuchung verhaftet. Der Richter waren drei Gerichtspersonen aus der Nachbarschaft, denn diese Anzahl wurde für hinreichend erachtet, um ein Todesurteil über einen Sklaven auszusprechen. Der Vorsitzende des Gerichtshofs war des Mannes eigener Herr, Loftus Vaughan, Gutsbesitzer, Eigentümer von Willkommenberg und Custos rotulorum des Bezirks.

Das Verbrechen, dessen Chakra bezichtigt, war die Ausübung der Künste des Obi. Diese Anklage bezog sich nicht auf den Tod des früheren Herrn von Willkommenberg, sondern auf den der Sklaven, der erst neulich sowohl auf dem Gut als auch auf den Pflanzungen der beiden anderen Richter stattgefunden hatte, die bei der Untersuchung anwesend waren.

Die Beweise waren allerdings nicht ganz klar, wurden aber von den Richtern doch für zureichend erkannt, um eine Überführung zu begründen.

Merkwürdigerweise schien von den drei Richtern des Angeklagten eigener Herr – der Vorsitzende des Gerichtshofes – am meisten bemüht, die Untersuchung zu diesem Ausgang zu führen, und zwar mit solchem Eifer, dass er jede Anstrengung unternahm, die Meinungen der beiden anderen zu beherrschen, wobei ihm seine bevorzugte Stellung die Macht gab, die Entscheidung vollständig zu beeinflussen. Einer von ihnen hatte sich wirklich für eine Freisprechung ausgesprochen, aber nach einer flüsternden Beratung mit dem Custos zog er plötzlich seine frühere Meinung zurück und gab seine Stimme für die Verurteilung.

Zu jener Zeit erzählte man sich, dass Loftus Vaughan bei der Untersuchung von niedrigeren Gründen geleitet worden, als bloß von strenger Gerechtigkeitsliebe oder dem Wunsch, die Kunstgriffe des Obi zu zerstören. Wohl raunte man sich Geheimnisse zu, Familiengeheimnisse, mit denen der Koromantische bekannt geworden, ein eigentümliches Ereignis, dessen einziger lebender Zeuge er gewesen war. Auch sollte dies von solcher Art sein, dass selbst die Aussage eines Einheimischen Ungelegenheit gebracht hätte. Deshalb sagte man, dass dies und nicht der Obiahismus das Verbrechen sei, wofür Chakra mit seinem Leben büßen sollte.

Dies Gerücht mag indes, wie es nur zu oft der Fall, eine Lästerung gewesen sein, eine reine Verleumdung.

Ob jedoch wahr oder nicht, der Koromantische wurde zum Tode verurteilt.

Das Urteil selbst war nicht unregelmäßiger wie die Art und Weise der Vollstreckung, die dem armen Verbrecher bestimmt wurde.

Er wurde auf die Spitze des Jumbéfelsen gebracht, dort an dem Palmbaum festgeknebelt und so dem Verderben preisgegeben.

Man könnte fragen, warum wurde diese eigene Art der Gerichtsvollstreckung gewählt? Warum wurde er nicht am Galgen aufgehängt oder am Schandpfahl verbrannt? Eine nicht ungewöhnliche Art, mit solchen Verurteilten zu verfahren!

Die Antwort ist leicht. Wie bereits angeführt, herrschte zu dieser Zeit eine höchst abwertende Meinung in Bezug auf den Obiahismus vor. Fast in jedem Bezirk hatten geheimnisvolle Todesfälle stattgefunden und fanden fortwährend statt, nicht nur bei schwarzen Sklaven, sondern auch bei weißen Herren und selbst Herrinnen, die alle dem Verderben bringenden Einfluss des Obi zugeschrieben wurden.

Der afrikanische Dämon war überall aber unsichtbar. Überall konnte seine Knochenhand bemerkt werden. Deshalb war es notwendig geworden, seinen Verehrern ein hervorragendes und abschreckendes Beispiel zu geben. Die Stimmen aller Pflanzer erhoben sich hierfür und der Myal-Mann Chakra wurde in der Voraussetzung dazu ausgewählt, dass sein fürchterliches Geschick die Anhänger des schmählichen Aberglaubens bis tief ins innerste Herz schrecken würde.

Der Jumbéfelsen war als der geeignetste Platz für die Hinrichtung des Koromantischen geeignet. Die Schrecken, die diesem Platze bereits eigen, zu denen hinzugefügt, die nun durch die fürchterliche Art der Bestrafung, deren Schauplatz er sein sollte, erregt wurden, mussten einen wohltätigen Einfluss auf die abergläubischen Begriffe der Sklaven ausüben und für immer ihren Glauben an Obiah und Obboney zerstören.

In dieser Absicht war der Myal-Mann auf die Spitze des Jumbéfelsen geführt und dort gleich einem modernen Prometheus angekettet worden.

Keine Wächter standen bei ihm, und es waren auch keine nötig. Seine Ketten und der durch den Akt der Hinrichtung eingeflößte Schrecken wurden für ausreichend erachtet.

In wenigen Tagen würden Hunger und Durst mithilfe der Geier die letzte und schreckliche Feierlichkeit gewiss eben so sicher vollführen, wie der Strick oder das Beil des Henkers.

Es dauerte lange, bis Loftus Vaughan den Berg bestieg, um sich von dem Schicksal des unglücklichen Mannes, seines früheren Sklaven, zu überzeugen. Als er zuletzt, von Neugier und auch von einem anderen Beweggrund getrieben, von seinem Aufseher begleitet, bis an die Spitze des Jumbéfelsen aufstieg, waren seine Hoffnungen und Erwartungen vollkommen erfüllt. Ein von den Geiern und Raben glatt gefressenes Skelett war an dem Baumstamm zu sehen.

Eine rostige, um die Gebeine gewickelte Kette hielt das Skelett fest, obgleich die Vorderarme aus den Ellenbogengelenken losgegangen und zur Erde gefallen waren.

Loftus Vaughan fühlte in der Tat keine Neigung, lange auf dem Platz zu verweilen. Für ihn hatte der Anblick etwas Fürchterliches. Ein Blick. und er lief fort. Doch noch viel fürchterlicher, noch viel schrecklicher war, was er sah oder zu sehen glaubte, als er heimwärts den Waldpfad hinuntereilte. Entweder den Geist des Myal-Mannes oder den Mann selbst!