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Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 4

Gustave Aimard
Curumilla
Eine Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1861
Kapitel 4 – Der Ausbruch

Während Valentins Abwesenheit fanden im Missionsdorf sehr wichtige Ereignisse statt.

Der Graf von Prébois-Crancé hatte seine Briefe beendet und stand, diese in der Hand haltend, vor einem berittenen Peonen, welchem er seine letzten Weisungen erteilte, als man die äußersten Vorposten rufen hörte: »Wer da«, welcher Ruf sofort auf der ganzen Linie wiederholt wurde.

Bei diesem Ruf, an welchen er zwar gewöhnt war, zog sich das Herz Don Louis krampfhaft zusammen. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, sein Gesicht wurde totenblass. Er fühlte sich so schwach, dass er gezwungen war, sich gegen eine Mauer zu lehnen.

»Mein Gott«, stammelte er vor sich hin, »was ist mir?«

Man wird vergebens versuchen, das innere Gefühl oder die Vorahnung zu erklären, die dem Grafen ein nahes Unglück verkündete. Wir bekennen unsere Unfähigkeit und begnügen uns die Tatsache zu berichten.

Der Graf bemühte sich, seine unerklärliche Aufregung zu bekämpfen. Es gelang ihm mit Aufbietung seiner vollen Willenskraft, ebenso kaltblütig, ruhig und gelassen zu werden, als er vorher unruhig gewesen war. Er war entschlossen, den kommenden Ereignissen mit Fassung und Ruhe entgegenzugehen, trotzdem er die Vorahnung eines Unglückes deutlich fühlte.

Man hatte den Wachen geantwortet und es entstand einiges an Widersprüchlichem.

Don Cornelio kam mit verstörter Miene und in größter Aufregung zum Grafen.

»Señor Condé«, sagte er atemlos, worauf er innehielt.

»Nun«, fragte der Graf, »was bedeutet das Geschrei, das ich gehört habe?«

»Señor«, fuhr Don Cornelia mit mühsam errungener Fassung fort, »Der General Guerrero in Begleitung seiner Tochter und mehrerer Herren und Damen verlangt vorgelassen zu werden. Er führt ein zahlreiches Gefolge mit sich.«

»Er soll mir willkommen sein. Hat er sich endlich entschlossen, ohne Unterhändler mit mir zu verkehren!«

Don Cornelio entfernte sich, um den erhaltenen Auftrag zu auszuführen. Kurze Zeit später näherte sich eine imposante Gesellschaft, an deren Spitze der General Guerrero ritt.

Der General war blass und runzelte die Brauen. Man erriet, dass er den Zorn, der in seinem Inneren gärte, nur mit Mühe unterdrückte.

Die Abenteurer standen in verschiedenen Gruppen, stolz in ihre Lumpen gehüllt da und betrachteten neugierig die mexikanischen Offiziere, deren Uniformen mit reichen Vergoldungen verziert waren und die sie so eitel machte, dass sie nur verächtliche Blicke auf ihre Umgebung warfen.

Der Graf ging dem General einige Schritte entgegen, entblößte sein Haupt mit anmutiger Gebärde und sagte im freundlichen Ton: »Seid mir willkommen, General, ich freue mich über Euren Besuch.«

Der General berührte seinen Federhut nicht einmal mit der Hand, sondern hielt zwei Schritte von dem Grafen plötzlich sein Pferd an und sagte aufgebracht: »Was soll das heißen, Señor? Ihr lasst Euch ja bewachen wie in einer Festung! Ihr habt, weiß Gott so viele Wachen und Patrouillen um das Lager aufgestellt, als ob Ihr eine Armee zu befehligen hättet.«

Der Graf biss sich auf die Lippen, bezwang sich aber und sagte in ruhigem jedoch ernstem Ton: »Wir befinden uns an der Grenze der Despoblados – oder der Wildnis -, General, und unsere Sicherheit hängt von unserer Wachsamkeit ab. Obwohl ich nicht der Befehlshaber einer Armee bin, muss ich doch für die Sicherheit der Leute einstehen, die ich anzuführen die Ehre habe. Aber ich bitte Euch, General, vom Pferd zu steigen, damit wir die ernsten Angelegenheiten, welche Euch wahrscheinlich herführen, bequemer verhandeln können.«

»Ich werde nicht absteigen, Señor, auch niemandem unter meinem Gefolge gestatten, es zu tun, bis Ihr mir Euer seltsames Benehmen erklärt habt.«

Die blauen Augen des Grafen blitzten so zornig auf, dass sich der General unwillkürlich abwandte.

Die Unterhaltung fand unter freiem Himmel statt und in Gegenwart der Franzosen, die sich um die Neuankömmlinge geschart hatten. Die Geduld der Abenteurer schien nachzulassen, da dumpfes Murren zu hören war. Der Graf beschwor die Männer durch einen Wink, worauf sofort wieder Ruhe einzog.

»General«, fuhr Don Louis mit unerschütterlicher Ruhe fort, »Ihr richtet strenge Worte an mich. Ich war weit entfernt, darauf gefasst zu sein, besonders nach dem Benehmen, welches ich seit meiner Ankunft in Mexiko beobachtet habe, und der Mäßigung, die ich nie aus den Augen verlor.«

»Das ist leeres Geschwätz, Señor!«, rief der General aufgebracht aus. »Euch Franzosen fehlt es nie an einschmeichelnden Worten, wenn es sich darum handelt, uns zu hintergehen. Aber bei Gott! Ich werde Euch zur Vernunft bringen, das lasst Euch gesagt sein.«

Der Graf richtete sich auf, während seine Wangen fieberhaft glühten. Er setzte den Hut, den er bisher in der Hand gehalten hatte, rasch auf, blickte den General durchdringend an, und sagte, mit vor Erregung bebender Stimme, denn kaum vermochte er seiner Entrüstung zu gebieten: »Ich erlaube mir Euch darauf aufmerksam zu machen, Señor Don Sebastian Guerrero, dass Ihr meinen Gruß nicht erwidert habt und Euch einem Edelmann gegenüber, dessen Abstammung mindestens so edel ist als die Eurige, seltsamer Ausdrücke bedient. Ist das etwa die gerühmte mexikanische Höflichkeit? Kommt zur Sache Caballero, ohne Euch einer Sprache zu bedienen, die sowohl Eurer als meiner unwürdig ist. Redet offen, damit ich ein für alle Mal weiß, was ich von den beständigen Verzögerungen und Verrätereien zu halten habe, deren Opfer ich fortwährend bin.«

Der General dachte bei dieser kecken Anrede eine Weile nach, dann zog er mit rasch gefasstem Entschlusse den Hut, grüßte den Grafen höflich und sagte mit völlig verändertem Ton und Wesen: »Verzeiht mir, Caballero, dass ich mich zu Worten und Taten habe hinreißen lassen, die ich jetzt bedaure.«

Der Graf lächelte verächtlich. »Eure Entschuldigung genügt, mein Señor«, sagte er.

Bei dem Wort Entschuldigung bebte der General, fasste sich aber schnell. »Wo wollen Sie die Befehle der Regierung entgegennehmen?«

»Hier, Señor; ich habe Gott sei Dank meinen wackeren Kameraden gegenüber nichts zu verbergen.«

Der General war offenbar unzufrieden, stieg aber doch vom Pferd. Die Damen und Offiziere, welche ihn begleiteten, folgten ihm. Nur das Gefolge blieb mit bereitgehaltenen Waffen in geschlossenen Reihen in den Sätteln sitzen.

Auf einen Befehl Don Louis hatte man mehrere Tische aufgestellt und Erfrischungen aufgetragen, welche die französischen Offiziere mit der liebenswürdigen Anmut die ihnen eigen ist, herumreichten.

Der General und der Graf hatten auf Butaccas Platz genommen, welche vor der Tür der Missionskirche standen. Ein Tisch mit Federn, Tinte und Papier befand sich daneben.

Die beiden Männer schwiegen ziemlich lange.

Offenbar wollte keiner von beiden den Anfang machen, bis sich endlich der General dazu entschloss.

»Oho!«, sagte er, »Ihr habt ja sogar Kanonen.«

»Wusstet Ihr es nicht, General?«

»Nein, wahrhaftig!«

Er lachte spöttisch und fügte hinzu: »Habt Ihr die Absicht, die Apachen mit solchen Waffen zu verfolgen?«

»Jetzt mehr als je, General«, antwortete Louis trocken. »Obgleich ich gegenwärtig noch nicht weiß, zu welchem Zwecke ich das Geschütz verwenden werde, so weiß ich doch, dass es verwendbar ist und mich im Notfall nicht verlassen wird.«

»Soll das eine Drohung sein, Señor?«, fragte der General.

»Weshalb sollte ich drohen, wo ich handeln kann?«, erwiderte der Graf unumwunden. »Es handelt sich jetzt aber nicht darum, und ich erwarte, dass Sie die Güte haben, mir mitzuteilen, welche Absichten Ihre Regierung mit mir hat?«

»Sie sind durchaus gut und väterlich.«

»Ich erwarte Ihre Erklärung, ehe ich mich darüber ausspreche.«

»Die Botschaft, welche ich zu überbringen habe, ist folgende.«

»So, Ihr habt einen Auftrag für mich?«

»Ja.«

»Ich höre, Caballero.«

»Der Auftrag ist durchaus väterlich.«

»Ich bin davon überzeugt. Lassen Sie hören, was die Absichten der Regierung sind.«

»Ich würde allerdings wünschen, dass sie besser wären, doch sind sie auch so, wie ich glaube, annehmbar.«

»Ich ersuche Euch, sie mir mitzuteilen, General.«

»Ich bin selbst gekommen, Señor Condé, um dadurch den ungünstigen Eindruck wieder zu verwischen, den die Vorschläge der Regierung auf Euch machen könnten.«

»So«, sagte der Graf, »Man macht mir also Vorschläge! Das heißt mit anderen Worten, man stellt mir Bedingungen; sehr wohl.«

»Ach Condé, Condé, Sie verstehen meine Worte falsch!«

»Verzeihung, General, ich bin aber, wie Ihr wisst, in Eurer herrlichen spanischen Sprache nicht sehr bewandert. Trotzdem danke ich Euch herzlich, dass Ihr die unerfreuliche Pflicht übernommen habt, mir jene Vorschläge zu überbringen.«

Er sprach die Worte mit einem leisen Anflug von Spott, der dem Generale alle Fassung benahm.

»Ich erlaube mir, Euch zu eröffnen, General, dass wir nur noch wenige Meilen von den Minen entfernt sind, meine Lage daher um so peinlicher für mich ist, da sowohl ich als auch diejenigen, welche ich bevollmächtigt hatte, persönlich mit den Behörden des Landes zu verhandeln, stets nur ausweichende Antworten erhalten haben.«

»Das ist freilich wahr und ich begreife es vollkommen. Auch wird Euch Oberst Flores, den Ihr vor einigen Tagen zu mir geschickt hattet, mitgeteilt haben, wie sehr ich es bedaure. Verliere ich doch ebenso viel dabei wie Ihr. Unglücklicherweise bin ich, wie Ihr zugeben werdet, lieber Graf, gezwungen, zu gehorchen.«

»Das sehe ich vollkommen ein«, antwortete Louis ironisch. »Es muss Euch gewiss sehr nahe gehen.«

»Leider!«, sagte der General, der immer verlegener wurde und innerlich anfing, zu bereuen, dass er kein zahlreicheres Gefolge mitgenommen hatte.

»Da es aber unnötig ist, eine Lage, welche Euch so peinlich ist, auf unbestimmte Zeit andauern zu lassen, bitte ich, sich ohne weitere Umschweife zu erklären.«

»Hm! Bedenkt wenigstens, dass ich auf keinen Fall dafür verantwortlich bin.«

Wir müssen der Wahrheit gemäß bekennen, dass sich der General fürchtete.

»Nun, vorwärts.«

»Hier sind die Vorschläge. Man bedeutet Euch …«

»Oho! Der Ausdruck ist stark«, bemerkte Louis.

Der General zuckte die Achseln, als wolle er sagen, dass er für den Wortlaut nichts könne.

»Also«, sagte der Graf, »man bedeutet uns …«

»Ja, erstens einzuwilligen, Eure Eigenschaft als Franzose aufzugeben …«

»Verzeihung«, sagte der Graf, indem er seine Hand auf die Schulter des Generals legte, »einen Augenblick, wenn ich bitten darf. Was Ihr mir mitzuteilen habt, betrifft, wie ich sehe, auch meine Begleiter. Es ist daher meine Pflicht, sie der Vorlesung der Bedingungen beiwohnen zu lassen. Ihr habt diese schriftlich, nicht wahr, General?«

»Ja«, stotterte der General, der sehr blass wurde.

»Sehr wohl. Die Signalisten sollen zur Versammlung blasen«, rief der Graf mit lauter befehlender Stimme.

Zehn Minuten später hatte sich die ganze Compagnie um den Tisch geschart, an welchem der Graf und der General saßen.

Don Louis blickte sich forschend um, da gewahrte er, dass auch die mexikanischen Offiziere und die Damen neugierig näher getreten waren.

»Stühle für die Caballeros und die Damen«, befahl er. »Entschuldigen Sie, Señoras, wenn ich Sie nicht mit dem Respekt behandle, der Ihnen gebührt. Ich bin aber nur ein armer Abenteurer und wir befinden uns in der Wildnis.«

Hierauf nahm jeder Platz.

»Ich bitte um die Abschrift jener Vorschläge«, sagte der Graf zum General. »ich will sie selbst vorlesen.«

Der General gehorchte unwillkürlich.

»Meine Señores und lieben Kameraden«, sagte Don Louis in scharfem bestimmten Ton, in dessen Klange ein mühsam verhaltener Zorn bebte. »Als ich Euch in San Francisco anwarb, habe ich Euch die authentischen Akten vorgelegt, die mir den Besitz der Minen von La Plancha de Plata zuerkannten, nicht wahr?«

«Ja!«, riefen die Abenteurer einmütig.

»Ihr habt gesehen, dass diese Dokumente von Don Antonio Pavo, dem Präsidenten der mexikanischen Republik und dem hier anwesenden, Don Sebastian Guerrero, unterzeichnet waren. Ihr wusstet also, unter welchen Bedingungen Ihr eintratet und welche Verpflichtungen die mexikanische Regierung gegen uns einging. Heute, nach dreimonatigen Märschen und Gegenmärschen, nachdem Ihr ohne zu murren alle Täuschungen ertragen habt, wie es der mexikanischen Behörde gefiel, uns zu bereiten. Nachdem Ihr durch ein gutes Betragen und eine strenge Mannszucht bewiesen habt, dass Ihr auf jede Weise würdig wäret, den erhaltenen Auftrag zu erfüllen, nachdem endlich alle Hindernisse, die man uns geflissentlich in den Weg legte, überwunden und wir kaum zehn Meilen von den heiß ersehnten Minen sind, sollt Ihr durch mich erfahren, was die mexikanische Regierung von Euch verlangt, denn Ihr seid dabei noch mehr beteiligt als ich.«

Die Neugierde malte sich auf den Gesichtern aller Abenteurer.

»Redet! Redet!«, riefen sie aus.

»Es werden Euch drei Punkte vorgeschrieben: Erstens bedeutet man Euch, dass Ihr Eurer Eigenschaft als Franzosen entsagen und Mexikaner werden müsst. Unter der Bedingung könnt Ihr, vorausgesetzt, dass Ihr keinen Sold beansprucht und Euch dem Oberbefehl des Generals Guerrero fügt, dessen Adjutant ich sein soll, die Minen ausbeuten.«

Ein humorvolles Gelächter folgte diesem Vorschlag.

»Die zweite. Lasst die zweite Bedingung hören«, riefen einige.

»Donnerwetter!«, riefen andere, »die Mexikaner sind nicht dumm, wenn sie uns zu Landsleuten machen wollen.«

»Weiter, weiter«, brüllten die Übrigen.

Der Graf winkte, worauf die Ruhe wieder eintrat.

»Zweitens befiehlt man Euch, wenn Ihr Franzosen bleiben wollt, Euch mit Sicherheitskarten zu versehen. Mit diesen könnt Ihr ungehindert gehen, wohin Ihr wollt. Als Fremde aber ist es Euch verboten, auf den Besitz, das heißt die Ausbeute der Minen, Ansprüche zu erheben. Ihr habt mich verstanden, nicht wahr?«

»Ja, ja. Weiter, weiter!«

»Ich habe die Mexikaner nicht für so eingebildet gehalten«, bemerkte ein Spaßvogel.

»Drittens endlich befiehlt man mir persönlich, meine Compagnie auf fünfzig Mann zu reduzieren, mich unter den Befehl eines mexikanischen Offiziers zu stellen. Und unter der Bedingung ist es der Compagnie gestattet, sofort von den Minen Besitz zu nehmen.«

Als der Anführer seine Vorlesung beendet hatte, entstand ein so schallendes Gelächter, Geschrei und Geheul, dass man fast eine Viertelstunde lang kein Wort reden konnte.

Endlich gelang es dem Grafen mit großer Mühe, die Ruhe wieder herzustellen.

»Das sind die väterlichen Absichten, welche die mexikanische Regierung für uns hegt. Was meint Ihr dazu, meine Freunde? Ich bitte Euch aber, lasst Euch nicht durch Eure gerechte Entrüstung hinreisen, sondern erwägt reiflich, was Ihr in Eurem eigenen Interesse beschließen wollt. Mein Entschluss ist bereits gefasst, und zwar so unabänderlich, dass ich selbst um den Preis meines Lebens nicht davon abgehen würde. Aber Ihr, meine Brüder und Freunde, müsst selbst entscheiden, denn Eure Interessen sind nicht die meinen. Opfert Euch daher nicht aus Freundschaft und Hingebung für mich auf. Ihr kennt mich gut genug, um zu wissen, dass Ihr meinem Worte trauen dürft. Diejenigen von Euch, welche mich verlassen wollen, steht es frei, dies zu tun. Ich werde ihnen nicht nur keine Hindernisse entgegenstellen, sondern es ihnen auch nicht nachtragen. Die seltsame Lage, in welche uns die Wortbrüchigkeit der Mexikaner versetzt, schreibt mir ein Benehmen vor, nach welchem Ihr Euch nicht zu richten braucht, ohne Eurer Ehre etwas zu vergeben. Von Stunde an entbinde ich Euch jeder Verpflichtung gegen mich. Aber wenn ich auch nicht Euer Anführer bin, bleibe ich doch Euer Bruder und Freund.«

Kaum hatte er ausgeredet, als sich die Abenteurer ungestüm und in wilder Hast um ihn scharten, ihn schreiend und weinend umgaben, in ihren Armen empor trugen, kurz, ihn die unzweideutigsten Beweise ihrer Treue und Ergebenheit gaben.

»Es lebe der Graf! Es lebe Louis! Es lebe unser Anführer! Nieder mit den Mexikanern! Nieder mit den Verrätern!«

Dir Aufregung stieg in einem Grade, welche den im Lager anwesenden Mexikanern gefährlich zu werden drohte. Die Entrüstung hatte ihren Gipfel erreicht. Indessen gelang es dem Einfluss des Grafen und dem energischen Auftreten der französischen Offiziere, die Gemüter zu beruhigen und die gewohnte Ruhe wieder herzustellen.

Der General Guerrero, der anfangs über die Wirkung betroffen war, welchen die unglücklichen Vorschläge, deren Überbringer er war, auf die Franzosen machten, hatte sich doch bald wieder beruhigt, besonders als er mitbekam, mit welcher Biederkeit und Selbstverleugnung ihn der Graf gegen den gerechten Unwillen seiner Gefährten geschützt hatte. Nachdem er die Überzeugung gewonnen, dass er einem so edlen Menschen gegenüber, wie der Graf es war, den er so schändlich hintergangen hatte, nicht zu befürchten habe, beschloss er, einen Hauptstreich auszuführen.

»Caballeros«, sagte er, in dem einschmeichelndem Ton, der den Mexikanern eigen ist, »gestattet mir, Euch einige Worte zu sagen.«

Bei diesem Verlangen war der Tumult im Begriff wieder auszubrechen, doch gelang es dem Grafen eine drohende Stille, wenn man so sagen kann, wieder herzustellen.

»Redet, General«, sagte er.

»Meine Señores«, fuhr Don Sebastian fort, »ich habe nur wenige Worte hinzuzufügen. Der Graf von Prébois-Crancé hat Euch die Bedingungen vorgetragen, die Euch die mexikanische Regierung auferleg. Er hat Euch aber nicht sagen können, was geschehen wird, wenn Ihr Euch weigert, diese einzugehen.«

»Das ist allerdings wahr, mein Señor. Seid daher so gut, uns darüber aufzuklären.«

»Es ist eine schwere Pflicht für mich, doch darf ich mich derselben, in Eurem Interesse, Caballeros nicht entziehen.«

»Zur Sache, zur Sache!«, riefen die Abenteuer.

Der General entfaltete ein Manuskript und las nach einigem Bedenken, mit bebender Stimme wie folgt: »Der Graf Don Louis de Prébois-Crancé und alle, die ihm treu ergeben bleiben, sollen als Räuber angesehen werden, als geächtet erklärt, als Missetäter verfolgt, vor ein Kriegsgericht gestellt und binnen 24 Stunden erschossen werden.«

»Ist das alles, Señor?«, fragte der Graf gelassen.

»Ja«, antwortete der General stotternd.

Auf einen Wink des Grafen wurden die beiden Papiere, auf welchen die Vorschläge und die Ächtung verzeichnet waren, an einen Baumstamm genagelt.

»Ihr habt Euch jetzt Eures Auftrages entledigt, nicht wahr? Ihr habt nichts mehr hinzuzufügen?«

»Ich bedaure, Señor Condé …«

»Genug, mein Señor! Wenn ich wirklich ein Räuber wäre, wie es Euch gefällt mich gütigst zu nennen, so wäre es mir ein Leichtes, Euch hier festzuhalten, mit Eurem ganzen Gefolge und mich nach Herzenslust an Euch zu rächen. Aber, trotz Eurer Behauptung, bin weder ich noch die Leute, welche ich zuführen die Ehre habe, Räuber, und Ihr könnt Euch ebenso ungehindert entfernen, wie Ihr gekommen seid. Nur glaube ich, dass es ratsam erscheint, Eure Abreise nicht aufzuschieben.«

Der General ließ es sich nicht zwei Mal sagen.

Er hatte, seit zwei Stunden, dem Tode nahe genug ins Auge geschaut, wenigstens glaubte er es, um noch zu wünschen, sich länger im Lager aufzuhalten. Er gab daher sofort den Befehl, aufzubrechen.

In dem Augenblick trat Dona Angela plötzlich aus der Mitte der Frauen, unter welchen sie sich bisher versteckt gehalten hatte, und schritt, majestätisch in ihren Rebozo gehüllt, mit flammenden Blicken und stolzer Haltung näher.

»Halt!«, sagte sie in einem so entschlossenen und gebieterischen Ton, dass sie alle verwundert ansahen.

»Fräulein«, sagte Louis zu ihr, »ich beschwöre Sie.«

»Lassen Sie mich reden!«, sagte sie fest, »lassen Sie mich reden, Señor Condé. Da es in unserem unglücklichen Lande niemand wagt, sich gegen den schändlichen Verrat aufzulehnen, dessen Opfer Sie sind, sehe ich, ein Weib, die Tochter Ihres Todfeindes, mich veranlasst, laut und vor allen zu erklären, dass Sie, Graf, der einzige geniale Mann sind, der imstande ist, das unglückliche Land zu retten. Man verkennt, schmäht Euch und nennt Euch einen Räuber. Wohlan, sei es darum! Selbst als Räuber, Don Louis, liebe ich Euch! Fortan gehöre ich Euch, und nur Euch! Beharrt in Eurem großmütigen Unternehmen. Solange ich lebe, wird es in dem von Gott verfluchten Land ein Wesen geben, das für Euch betet! Lebt jetzt wohl, ich schenke Euch mein Herz.«

Der Graf kniete vor dem edlen Mädchen nieder, küsste ihr ehrerbietig die Hand und sagte, mit gen Himmel gerichteten Blick und bewegter: Stimme: »Ich danke Ihnen, Dona Angela. Ich liebe Sie, und was auch geschehen möge, werde ich mich Ihrer Liebe würdig zeigen.«

»Jetzt wollen wir fort, mein Vater«, sagte sie zu dem General, der ganz außer sich vor Wut war, sich aber beherrschen musste. Dann wandte sie sich ein letztes Mal dem Grafen zu und sagte: »Auf Wiedersehen, Don Louis, mein Verlobter! Wir sehen uns bald.«

Sie verließ das Lager unter dem begeisterten Jubelgeschrei der Abenteurer.

Die Mexikaner zogen errötend und mit gesenkten Blicken ab. Sie waren unwillkürlich beschämt, über den schändlichen Verrat, den sie begangen hatten, besonders weil es Leute traf, welche sie selbst herbeigerufen hatten, worauf sie diese vier Monate lang mit falschen Versprechungen hingehalten und im Begriff waren, sie wie wilde Tiere zu hetzen.

Es waren seit jenem Auftritt kaum zwei Stunden verstrichen, als Valentin in das Lager zurückkam.

Eine Antwort auf Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 4