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Marshal Crown – Von komischen Vögeln, alten Krähen und diebischen Elstern

Marshal Crown
Von komischen Vögeln, alten Krähen und diebischen Elstern
Eine Weihnachtsgeschichte

»Habe ich dich endlich erwischt, du undankbarer Bengel!«

Bevor Jorge Cuatero wusste, wie ihm geschah, rauschte die Frau von hinten heran. Mit ihrem wallenden, schwarzen Kattunkleid, den ausgebreiteten Spinnenarmen und dem dunklen, streng nach hinten gekämmten Haar, wirkte sie wie ein aufgebrachter Rabenvogel. Ein Eindruck, der durch ihre spitz hervorstehende Nase, die aussah wie ein gekrümmter Vogelschnabel, noch verstärkt wurde.

Blitzartig schossen ihre Hände vor und packten den Ladengehilfen am Kragen.

Trotz ihrer hoch aufgeschossenen, knochigen Gestalt entwickelte sie dabei eine Kraft, gegen die sich der junge Cuatero kaum erwehren konnte, obwohl er mit seinen dreizehn Jahren und über neunzig Pfund Lebendgewicht alles andere als ein Schwächling war.

»Hol sofort den Marshal her, Albert!«, geiferte Abigail Vanderbilt mit schriller Stimme, während sie den bedauernswerten Jungen hinter der Ladentheke hervorzerrte.

Seufzend lehnte der Storekeeper den Besen, mit dem er kurz zuvor einen Berg Glasscherben zusammengefegt hatte, an das nächste Regal, drehte sich zur Seite und musterte seine Frau mit einem unwilligen Blick.

Albert Vanderbilt war ein ziemlich dicker Mann mit einer blank polierten Glatze und einer stets geröteten Knollennase, der anzusehen war, dass ihr Besitzer ziemlich viel zu trinken pflegte. Ein Umstand, den ihm die meisten Einwohner von Rath City jedoch verziehen. Man kannte seine Frau Abigail mitsamt ihren weltfremden Ansichten von einer wahren, puritanisch geprägten Lebensweise schließlich zur Genüge.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, entgegnete Albert und seufzte erneut.

»Das fragst du noch?«, giftete seine Frau.

»Dieser heuchlerische Kerl, den wir bei uns aufgenommen und in unserer unendlichen Güte wochenlang durchgefüttert haben, hat uns bestohlen. Es war garantiert nicht das erste Mal, denn seit er hier ist, fehlt andauernd etwas. Erinnerst du dich noch an meine Goldkette oder an die beiden Löffel aus dem Silberbesteck, das ich von meiner Mutter zur Hochzeit geschenkt bekommen habe? Sie sind verschwunden, genauso wie meine Ohrringe mit den eingefassten Perlen. Ich hatte ihn schon lange in Verdacht und jetzt habe ich ihn endlich ertappt.«

»Und was soll er diesmal gestohlen haben?«, fragte der Storekeeper, während er die Augen verdrehte und auf den großen Adventskranz starrte, der von den wuchtigen Deckenbalken des Kaufladens herabhing, als erhoffe er sich von dort die Erlösung vom Joch seiner Frau.

»Geld!«

»Wie viel genau?«

»Einen ganzen Silberdollar!«

»Bist du dir da sicher?«

»Natürlich«, behauptete Abigail.

»Ich habe ihn doch extra auf die Theke gelegt, um ihn auf die Probe zu stellen.«

»Du hast was …?«

Albert Vanderbilt runzelte die Stirn, während er seinen Gehilfen erstaunt musterte.

Er wusste, dass Jorge hier im Store, was Gelddinge anbelangte, keinerlei Befugnis hatte und seine Frau zudem streng darauf achtete, dass er nie in die Nähe der Kasse kam.

Sie konnte sowieso bis heute nicht verstehen, warum er ausgerechnet diesen Jungen als Gehilfen eingestellt hatte. Seine Mutter war schließlich eine Mexikanerin und dazu noch unverheiratet. In Abigails Augen somit gottlos und voller Sünde.

Aber er wusste es besser.

Jorge war im Gegensatz zu den verzogenen Burschen der sogenannten ehrbaren Bürgerschaft weder vorlaut, noch unpünktlich oder gar faul. Im Gegenteil, seitdem er diesen Store bewirtschaftete, konnte er sich nicht entsinnen, jemals einen besseren Gehilfen angestellt zu haben. Und er leitete diesen Laden immerhin schon seit über fünfzehn Jahren.

Deshalb blieb er auch ziemlich gelassen, als er ihn zur Rede stellte.

»Du weißt, dass ich mit deiner Arbeit sehr zufrieden bin und ich dich immer anständig behandelt habe. Also sei ehrlich, hast du den Silberdollar wirklich eingeschoben?«

»No, Senor Vanderbilt, und das ist die Wahrheit. Bei der Mutter Gottes, ich schwöre, ich habe das Geld nicht gestohlen. Ich habe noch nie etwas an mich genommen, seit ich hier für Sie arbeite. Bitte, Sie müssen mir glauben.«

Der verzweifelte Blick seiner Augen sagte Vanderbilt, dass Jorge die Wahrheit sprach.

Nachdenklich sah er zu seiner Frau hinüber, die den Jungen noch immer am Kragen gepackt hielt.

»Ich glaube ihm, er war es nicht.«

Abigail Vanderbilt ließ den Jungen los, schnaubte und baute sich drohend vor ihrem Mann auf. Mit ihren in die Hüften gestemmten Hände, dem hochroten Kopf und den aufgerissenen Augen, die regelrecht Blitze zu versprühen schienen, hatte sie für Sekunden große Ähnlichkeit mit einer der Furien aus der griechischen Mythologie.

»Was soll das heißen, willst du mir damit etwa sagen, dass du den Worten dieses mexikanischen Balgs mehr glaubst, als denen deiner eigenen Frau?«

»Hast du gesehen, wie er das Geld eingeschoben hat?«, fragte Albert unbeeindruckt.

So langsam ging ihm das Gehabe seiner Frau auf die Nerven.

»Nicht direkt, aber das spielt keine Rolle mehr. Ich habe das Geld auf die Theke gelegt und bin dann nach hinten ins Lager gegangen. Als ich eine Minute später wieder zurückkam, war das Geld weg. Und Jorge stand mit dem Rücken genau dort an der Theke, an der ich das Geld auf den Tresen gelegt hatte. Dabei hantierte er an der Ladentür, obwohl wir noch gar nicht geöffnet haben. Wahrscheinlich hat er den Silberdollar einem Komplizen zugesteckt, der draußen auf ihn gewartet hat. Brauchst du noch mehr Beweise?«

»Tut mir leid, Abigail, aber das sind in meinen Augen keine Beweise, sondern nur Vermutungen. Er hat die Tür zum Lüften geöffnet, weil ich es ihm gesagt habe. Mir ist nämlich beim Einräumen ein Glas Gurken heruntergefallen und der ganze Laden stank nach Essig. Soviel dazu. Außerdem hat der Junge, seit er hier ist, noch nie etwas im Laden an sich genommen, was ihm nicht gehörte. Ich denke, es ist besser, wenn Jorge für heute nach Hause geht. Und du solltest dich besser wieder beruhigen, denk an dein Herz.«

***

»Kannst du dich vielleicht mal wieder hinsetzen? Du läufst hier herum, als hättest du Hummeln in der Hose«, sagte Town Marshal Jim Crown und bedachte seinen Deputy mit einem genervten Blick.

»Was zum Teufel gibt es denn so Interessantes, dass du andauernd zum Fenster rennst?«

»Es sind gerade drei Fremde in die Stadt gekommen.«

»Sag bloß«, erwiderte Crown und verdrehte die Augen.

»Meines Wissens nach kommen tagtäglich Fremde nach Rath City. Also, was ist so Besonderes an diesen drei?«

Statt einer Antwort wiegte Smoky den Kopf hin und her, während er zu überlegen schien.

»Jetzt sag schon, damit ich endlich in Ruhe weiterarbeiten kann. Dieser Papierkram erledigt sich nämlich nicht von allein. Oder übernimmst du das in Zukunft?«

Beinahe vorwurfsvoll zeigte Crown auf den Wust von Formularen, Steckbriefen und Dokumenten, die seinen Schreibtisch fast vollständig bedeckten.

»Es ist bald Weihnachten, und erfahrungsgemäß lagert in den Banken zu dieser Zeit besonders viel Geld ein.«

»Und?«

Smoky Bennett, der Deputy von Rath City, verzog sein faltiges Gesicht zu einem wissenden Lächeln.

»Seit diese Vögel in der Stadt sind, streichen sie um die Cattleman Bank herum wie hungrige Wölfe um ihre Beute.«

Crown hob den Kopf, schob seinen Stuhl zurück und kam um den Schreibtisch herum. Inzwischen war er doch neugierig geworden.

»Oh mein Gott!«, stieß Smoky hervor, als er neben ihn trat.

Die Hand des Marshals legte sich instinktiv um den Griff seines Revolvers.

»Was ist los? Wird die Bank überfallen?«

»Viel schlimmer«, stöhnte der Deputy.

»Da vorne kommt gerade Abigail Vanderbilt die Straße hoch. So wie es aussieht, will uns die alte Krähe anscheinend einen Besuch abstatten.«

»Die fehlt mir gerade noch in meiner Sammlung. Muss sie ausgerechnet heute hier aufkreuzen?«

Smoky zuckte beiläufig mit den Schultern.

»Ich weiß gar nicht, warum du dich ausgerechnet heute darüber so aufregst. Wenn die alte Vanderbilt aufkreuzt, ist doch jeder Tag im Arsch.«

»Aber muss es unbedingt heute sein? Weißt du nicht, was für einen Tag wir heute haben?«

»Sonntag«

»Genau, besser gesagt der dritte Advent, und wie du weißt, sind wir heute bei Linda zum Mittagessen eingeladen. Sie hat sich dabei wieder einmal besonders viel Mühe gemacht. Es gibt Pfeffersteak mit Speckbohnen und Kartoffeln und zum Nachtisch Buckwheat Pancakes mit Ahornsirup. Ich werde den Teufel tun und mir das entgehen lassen. Also wimmel sie ab, ich habe für diese Krähe heute wirklich keine Zeit.«

»Warum ausgerechnet ich?«, jammerte Smoky, der Lindas Kochkünste im gleichen Maße schätzte, wie ihm Abigail Vanderbilts heuchlerisches Wesen zuwider war.

»Weil du der Deputy bist«, stellte Crown trocken fest.

Der Kopf des Oldtimers ruckte herum, aber bevor sich Smoky eine Antwort zurechtlegen konnte, wurde die Tür zum Office aufgerissen und Abigail Vanderbilt stürmte über die Schwelle. Sie plusterte sich vor den Augen der beiden Sternträger auf wie ein Vogel in der Balz und stapfte dabei mit den Füßen wie ein trotziges Kind.

»Sie müssen ihn sofort verhaften. Er hat uns bestohlen.«

Die beiden Gesetzeshüter sahen sich fragend an.

»Was stehen Sie da noch herum, sperren Sie ihn endlich ein, bevor er mit seiner Beute entkommen kann.«

»Jetzt mal langsam, Mrs. Vanderbilt«, sagte Marshal Crown und versuchte beruhigend auf die aufgebrachte Frau einzuwirken.

»Ich wüsste im Moment nicht, wen oder was wir einsperren sollten. Sie müssten mir schon etwas näher erklären, um was es eigentlich geht.«

»Erklären?«, ereiferte sich die Frau des Storebesitzers. »Was gibt es da noch zu erklären? Unser Ladengehilfe, dieser Jorge Cuatero, hat uns gerade bestohlen. Ich möchte, dass Sie ihn dafür hinter Gittern bringen, und zwar sofort!«

»Haben sie für Ihre Anschuldigungen Beweise?«

»Ich brauche keine Beweise, ich weiß schließlich, was ich gesehen habe.«

»Gut«, sagte Crown zufrieden.

»Und was genau haben Sie gesehen?«

»Dass er das Geld eingesteckt hat, das ich auf die Ladentheke gelegt hatte. Ich war nur kurz hinten im Lager. Es kann also nur er gewesen sein.«

»Was soll das heißen, haben Sie es nun gesehen oder nicht?«

»Das ist doch egal, das Geld war jedenfalls weg, als ich wieder zurückkam.«

Crown glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.

»Moment mal, Sie verlangen doch nicht ernsthaft von mir, dass ich jemanden verhaften soll, bloß weil Sie Geld vermissen, das auf der Ladentheke gelegen hat? Mrs. Vanderbilt, in Ihrem Store gehen tagtäglich mehrere Dutzend Kunden ein und aus. Könnte es nicht sein dass einer …?«

»Unterstehen Sie sich an der Ehrenhaftigkeit meiner Kundschaft zu zweifeln«, unterbrach die Frau des Ladenbesitzers den Marshal mit scharfer Stimme. »Das sind alles gottesfürchtige Leute, die sich noch nie in ihrem Leben etwas zu schulden haben kommen lassen. Sie sollten stattdessen besser einmal das Mexikanerviertel aufsuchen.«

»Warum sollte ich? Ohne stichhaltige Beweise sind auch mir dort die Hände gebunden«, entgegnete Crown lächelnd, obwohl er innerlich kochte. Seiner Meinung nach war aber gerade Freundlichkeit die einzige Art, um Menschen wie Abigail Vanderbilt den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Frau schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

»Wollen Sie damit andeuten, dass Sie meiner Anzeige nicht nachgehen werden?«

»So könnte man es auch ausdrücken. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber wenn ich jede Anschuldigung verfolgen würde, die hier so manche Personen gegenüber ihren Mitmenschen äußern, müsste die Stadt wahrscheinlich noch fünf Deputys zusätzlich einstellen.«

»Was erlauben Sie sich?«

Abigail Vanderbilt keifte, dass man es bis auf die Straße hören konnte.

»Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?«

»Natürlich«, entgegnete Crown abermals lächelnd.

Die Frau war jetzt kurz davor, zu platzen.

»Ich werde mich selbstverständlich um ihr Anliegen kümmern, aber erst, sobald ich Zeit dazu habe. Denn leider warten inzwischen einige Aufgaben auf mich, die ich zum Wohle der Stadt dringend erledigen muss. Deshalb sehe ich mich auch gezwungen, mich leider schon wieder von Ihnen zu verabschieden, obwohl ich mich noch gerne weiter mit Ihnen unterhalten hätte. Sorry, aber Sie wissen ja, wenn die Pflicht ruft, muss alles andere warten.«

Eine Sekunde lang hatten die beiden Sternträger den Eindruck, dass Abigail Vanderbilt gleich der Schlag treffen würde, aber nur eine Sekunde lang.

Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Office.

***

»Vergiss die alte Krähe«, sagte Smoky, als Crown belustigend auf die Tür starrte, durch die Abigail Vanderbilt wutschnaubend entschwunden war.

»Wir haben im Moment Wichtigeres zu tun. Ich fürchte, ich hatte mal wieder das richtige Näschen, jedenfalls was die drei Fremden betrifft.«

»Was meinst du damit?«

»Komm her und sieh dir das an«, sagte er und deutete auf das Fenster neben ihm.

»Diese Vögel sind gerade dabei, die Bank zu betreten, und ich glaube kaum, dass sie die Absicht haben, Direktor Coleman zum Kaffee einzuladen. Dazu befinden sich ihre Hände viel zu nahe an den Colts.«

Der Kopf des Marshals ruckte herum.

Im Laufe der Jahre waren er und Smoky zu einem eingespielten Team geworden. Sie verstanden sich deshalb auch ohne große Worte.

Deshalb ging Crown statt auf das Fenster zielstrebig auf das Waffenregal zu und riss zwei doppelläufige Shotguns aus der Halterung, von denen er eine seinem Deputy zuwarf.

Danach öffnete er eine der Schubladen des Regals, griff hinein und stellte ein Päckchen mit Schrotpatronen auf den Schreibtisch, die rasch in den Hosentaschen der Männer ihren Platz fanden.

Eine Minute später überquerten die beiden Sternträger im Laufschritt die Mainstreet in Richtung Bank. Nach einer weiteren Minute trat Marshal Crown mit der Stiefelspitze die Eingangstür zur Cattleman Bank auf, während Smoky neben ihm mit der Mündung seiner Schrotflinte durch die Schalterhalle strich.

Sekundenlang herrschte eine seltsame Stille.

Bankdirektor Daniel Coleman und die drei Fremden starrten sprachlos auf die Mündungen der beiden Schrotflinten, indes Smoky und der Marshal stumm auf die vier Männer blickten, die in seltsamer Eintracht hinter dem Bankschalter standen.

Jim Crown war schließlich der Erste, der seine Sprache wiederfand.

»Seit wann zeigst du Fremden deine Kassenschubladen, Daniel?«, fragte er ruhig, während die Mündung seiner Schrotflinte zwischen den Männern hin und herwanderte.

Die Augen des Bankdirektors wurden so groß wie Spiegeleier.

»Was zur Hölle soll das, Jim? Du denkst doch nicht etwa, dass hier ein …?«

Coleman verstummte jäh, als er in die Augen des Marshals blickte.

Dann begann er lauthals zu lachen.

Er lachte, bis er Tränen in den Augen hatte.

»Heiliger Strohsack! Wenn ich gewusst hätte, dass ihr in jedem Besucher meiner Bank einen potenziellen Räuber seht, hätte ich meinen Neffen geraten, sich vorher in eurem Office anzumelden. Ich fass es nicht, meine Neffen und Bankräuber …«

Nachdem der Bankdirektor schmunzelnd einige Erklärungen von sich gegeben hatte, stimmten seine Neffen mit in sein Gelächter ein. Auch Town Marshal Crown konnte sich ein Grinsen nur noch schwer verkneifen.

Einzig Smoky schien die ganze Angelegenheit nicht lustig zu finden.

»Verdammt Coleman«, sagte er griesgrämig.

»Wenn dich deine Lieblingsneffen das nächste Mal besuchen kommen, dann sag ihnen gefälligst, dass sie nicht wie Eierdiebe um die Bank herumschleichen sollen. Es gibt in dieser Stadt genug Gesindel. Woher soll ich denn wissen, wer zu den Guten zählt und wer nicht?«

Als Crown in die grinsenden Gesichter der Colemansippe sah, klopfte er seinem Deputy aufmunternd auf die Schulter.

»Mach dir nichts draus, auch wenn wir jetzt wie die Deppen dastehen. Besser einmal zu viel aufgepasst als gar nicht. Ich denke mal, dass Mister Coleman unsere Aufmerksamkeit trotz allem zu schätzen weiß.«

Der Bankdirektor beeilte sich, Crowns Worten beizupflichten.

»Der Marshal hat recht, auch wenn ich über eure dummen Gesichter immer noch lachen muss. Es tut gut, zu wissen, dass Männer wie ihr in dieser Stadt das Gesetz vertretet.«

Crown lächelte jovial und nickte Coleman freundlich zu.

Dann wandte er sich an seinen Deputy.

»Komm mit, ich schätze, wir beide werden hier nicht mehr gebraucht.«

Smoky schulterte die Schrotflinte und folgte dem Marshal grummelnd.

Wenig später fanden sich die beiden Sternträger auf der Mainstreet wieder.

»Nachdem wir uns nun zum Affen gemacht haben, könnte ich jetzt einen Whisky vertragen.«

Crown nickte. »Eigentlich könnte ich nach dieser Sache auch einen Schluck vertragen, aber ich denke, wir sollten vorher noch einmal ins Mexikanerviertel gehen. Ich würde mich gerne mit Jorge Cuateros Mutter unterhalten.«

»Was versprichst du dir davon?«

»Keine Ahnung, ich will mich einfach mit ihr unterhalten. Irgendwie habe ich nämlich das Gefühl, das mir Abigail Vanderbilt in dieser Sache noch so einige Schwierigkeiten bereiten wird.«

»Und dann?«

Der Kopf des Marshals ruckte jäh herum.

»Das fragst du noch? Dann werde ich die Füße ausstrecken, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und Lindas Essen genießen. Und ich schwöre dir, der Erste, der es wagt, mich dabei zu stören, wird erschossen.«

***

»Das war aber nicht besonders klug«, sagte Linda Wentfort und legte ihr Besteck zur Seite. Marshal Crown senkte den Kopf und starrte düster auf seinen Teller.

Im Esszimmer der Lehrerin von Rath City wurde es allmählich still. Das Klirren von Tellern und Gläsern war verstummt und auch das Klappern des Bestecks hatte ausgesetzt. Lediglich Smoky Bennett schien über den Dingen zu stehen. Während die beiden Verlobten schweigend am Tisch saßen, kaute der Deputy mit vollen Backen. Es war ihm deutlich anzusehen, dass ihm das Essen schmeckte.

»Ich weiß«, sagte Jim nach einer Weile.

»Aber was hätte ich den tun sollen? Ich kann doch nicht aufgrund einer vagen Aussage das ganze Mexikanerviertel auf den Kopf stellen.«

»Das gerade nicht, aber du hättest vielleicht etwas diplomatischer antworten können. So hast du morgen garantiert den halben Gemeinderat gegen dich. Abigail Vanderbilt ist in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des christlichen Frauenvereins unserer Stadt nun mal niemand, den man so einfach übergehen kann.«

»Mag sein«, erwiderte Jim.

»Trotzdem hat die alte Krähe kein Recht, sich derartig aufzuplustern. Zumal sie keinerlei Beweise hat, dass der Junge sie tatsächlich bestohlen hat. Und nachdem wir mit Jorges Mutter geredet haben, glaube ich kaum, dass sie auch welche finden wird. Ihr passt es einfach nicht, dass der Junge Mexikaner ist.«

»Dann ist es an der Zeit, dass ich mich einmal um diesen Fall kümmere.«

Crowns Kopf ruckte herum.

»Du, was kannst du, was ich nicht kann?«

Die Lehrerin schmunzelte.

»Du magst zwar ein guter Marshal sein, aber du vergisst eines.«

»Und das wäre?«

»Dass ich eine Frau bin und wir Frauen bekanntlich immer mehr wissen als die Männer.«

***

»… und das hier, meine Herrschaften, ist sozusagen des Pudels Kern«, sagte Linda Wentfort und deutete dabei mit ihrer Rechten auf den Hinterhof des Vanderbilt Store.

»Oder besser gesagt des Vogels Kern.«

»Was soll diese Wortklauberei?«, zischte Abigail Vanderbilt ungehalten. »Ich denke, Sie haben uns hierher bestellt, um uns aufzuzeigen, in was für einer Art und Weise wir bestohlen wurden. Also kommen Sie endlich zur Sache.«

»Genau das wollte ich ja gerade tun«, erwiderte die Lehrerin kühl. »Aber leider werde ich die ganze Zeit dabei unterbrochen.«

»Dann tun Sie endlich, was Sie tun sollen. Wobei es sich mir immer noch nicht erschließt, was wir hier alle sollen. Ich meine, es ist doch eindeutig, dass uns dieses Mexikanerbalg bestohlen hat. Deshalb verstehe ich immer noch nicht, warum man ihn nicht längst eingesperrt hat.«

Jim wusste zwar auch nicht genau, warum und weshalb seine Verlobte sie alle hierher beordert hatte. Trotzdem ging ihm das Gekeife der Ladenbesitzerin allmählich gewaltig gegen den Strich.

»Wenn gewisse Leute hier endlich mal den Mund halten würden, wären wir mit diesem Fall mit Sicherheit schon ein gutes Stück weiter«, sagte er deshalb laut und vernehmlich.

Wenn Blicke töten könnten, wären wir jetzt alle Leichen, dachte Crown und beobachtete mit Genugtuung, wie sich das Gesicht der Ladenbesitzerin zusehends verfinsterte. Neben ihm hatte Smoky Mühe, um nicht laut loszulachen, während Albert Vanderbilt schadenfroh zu grinsen begann. Lediglich Jorge Cuatero und seine Mutter schienen mit dem Verlauf der Sache noch nicht so recht glücklich zu sein.

»Kann mir jemand sagen, was das da oben ist?«, fragte Linda unbeeindruckt ob des Geschehens und deutete mit dem Zeigefinger auf den Dachgiebel eines Hauses, das sich in unmittelbarer Nähe des Vanderbilt Store befand.

»Ein Vogelnest«, sagte Jim.

»Wobei ich allerdings nicht verstehe, was das mit diesem Fall zu tun hat.«

»Ganz einfach«, sagte Linda, während sie die Umstehenden lächelnd musterte. »Weil dort die Lösung unserer Probleme liegt.«

Unvermittelt begann sie in die Hände zu klatschen, worauf in der Dachluke des Hauses eine Gestalt erschien, die das Vogelnest nach einigen Versuchen mit einem Schürhaken vom Giebel holte. Inzwischen hatte sich über Lindas Gesicht ein triumphierender Ausdruck gelegt.

»Dieses Nest ist nämlich kein gewöhnliches Nest, sondern das einer Elster. Wer in der Schule aufgepasst hat, weiß, dass dieser Vogel gerade für glitzernde Gegenstände sehr empfänglich ist. Ich selber habe zwar noch keinen Blick in das Nest geworfen, aber nach einigen Beobachtungen und einem Gespräch mit dem Hausbesitzer bin ich mir fast sicher, dass wir darin Dinge finden werden, die gewisse Leute eher in den Taschen von Jorge Cuatero vermutet haben.«

Bevor irgendeiner der Anwesenden etwas sagen konnte, kam der Besitzer des Hauses, auf dessen Giebel die Elster das Nest gebaut hatte, in den Hinterhof und legte es ihnen kopfschüttelnd vor die Füße.

»Also ich habe ja schon viel erlebt, aber das hier schlägt dem Fass wohl den Boden aus.«

Bis auf Linda Wentfort starrten alle wie gebannt auf das kugelförmige Gebilde aus Zweigwerk. Dort, hineingebettet in einer Nistmulde aus feiner Erde und Wurzelwerk, lagen zwei silberne Löffel und eine Halskette in stiller Eintracht neben einem Silberdollar und einem Paar eingefassten Perlenohrringe.

»Ich denke, jetzt ist wohl eine Entschuldigung fällig«, sagte Crown und drehte den Kopf in Richtung der Vanderbilts.

»Außerdem sollte man gewisse Ansichten über Fremde überdenken. Auch Mexikaner oder Indianer sind Menschen, nicht wahr, Mrs. Vanderbilt?«

Die Storebesitzerin zuckte unter den letzten Worten des Town Marshals wie unter Peitschenhieben getroffen zusammen. Mit hochrotem Kopf nickte sie Jorge und seiner Mutter zu und rannte danach aus dem Hinterhof, als würde ihr Kleid in Flammen stehen.

»Bei Gott«, sagte Albert Vanderbilt.

»Dass ich das noch einmal erleben durfte, dass jemand meiner Alten ihre Grenzen aufzeigt. Ihr wisst gar nicht, was für ein Gefühl das ist. Ich glaube, ich sollte ab sofort mit dem Saufen aufhören, um dieses Gefühl wirklich genießen zu können.«

Maria Cuatero bekreuzigte sich und schüttelte Linda in stiller Dankbarkeit die Hände.

Nachdem Vanderbilt sich mit den angeblich gestohlenen Sachen auf den Heimweg gemacht hatte und auch Maria mit ihrem Sohn gegangen war, richtete Jim seinen Blick fragend auf Linda.

»Woher hast du gewusst, dass …?«

»Intuition«, unterbrach ihn Linda lächelnd.

»Genauer gesagt hat mich Jorge erst darauf gebracht. Ich habe ihn und seine Mutter gestern noch einmal besucht, um mir ein genaueres Bild von diesem Fall zu machen. Als der Junge dabei andauernd von einem schwarz-weiß gefiederten Vogel gefaselt hat, der angeblich seit Tagen hier im Hof herumfliegt, hat es klick bei mir gemacht. In meiner Kindheit gab es nämlich mal einen ähnlichen Fall. Da hat eine meiner Tanten auch behauptet, dass ihr jemand ihre Goldkette gestohlen hat, bis sie mein Großvater beim Bäume schneiden in einem Vogelnest gefunden hat.«

»Respekt«, sagte Crown und hakte sich bei seiner Verlobten ein.

»Aber behalte das bloß für dich, denn wenn sich das herumspricht, muss ich mir wahrscheinlich Sorgen um meinen Job machen.«

Linda lachte und küsste ihren Verlobten auf die Nasenspitze, während sich Smoky ebenfalls zu Wort meldete.

»Was für ein Tag. Erst ein paar schräge Vögel namens Coleman, dann die alte Krähe Vanderbilt und jetzt noch eine diebische Elster. Ich denke, für die nächsten Tage ist es genug mit der gefiederten Brut.«

Crown nickte zustimmend.

»Dann hast du ja sicher auch nichts dagegen, wenn ich mir nächste Woche beim weihnachtlichen Truthahnessen auch deine Portion einverleibe. Danach wird mir zwar der Bauch etwas spannen, aber das ist kein Problem, ich schnall den Gürtel einfach ein Loch weiter.«

Ende


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