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Wilder Fluss

Wilder Fluss

Viele Legenden ranken sich um den South Nahanni River. Die Naha waren Indianer aus dem Stamm der Dene, welche als »böse Riesen« in dieser Region herumpirschten. Die Naha waren ungestüme Krieger, die ihre Angriffe rücksichtslos gegen jeden führten, der innerhalb ihrer Grenzen und manchmal darüber hinaus lagerte. Sie waren Plünderer. Sie kamen die großen Flüsse herunter und zogen ihren Nutzen von allem, wer auch immer dort lebte. Es kam an einen Punkt, an welchem die Menschen in den Niederungen sich nicht mehr jedes Jahr mit den ständigen Überfällen abfanden. Schließlich setzten sich die Ältesten zusammen und beschlossen, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Sie waren oben auf dem Berg und wussten, dass sich die Naha in der Tiefebene aufhielten. Und sie griffen an. Zu ihrer großen Überraschung mussten sie feststellen, dass die Tipis leer standen und niemand um die Lagerfeuer saß. In einigen Versionen dieser Geschichte wurden die Naha aufgespürt und getötet, in anderen waren die Krieger einfach verschwunden. Anthropologen haben entdeckt, dass es zwischen dem verloren gegangenen Stamm der Naha und den Navajo des amerikanischen Südwestens überraschende Ähnlichkeiten gibt. In der Tat konnten sie während des Besuches der Slavey Dene in Arizona mit ihren eigenen Ohren hören, dass sich diese miteinander unerhalten konnten. Vielleicht vor langer Zeit die Nachkommen ihrer Feinde?

Die wohl berühmteste Geschichte erzählt vom Niedergang der McLeod-Brüder, die 1906 auf der Suche nach Gold dem Nahanni River hinaufgezogen waren. Gerüchte besagen, dass sie dabei auf eine Hauptader gestoßen waren, 1908 aber ihre kopflosen Skelette gefunden wurden und die Todesursache nicht festgestellt werden konnte. Dieser Teil des Flusses wurde als Deadmen Valley bekannt. Mysteriöse Todesfälle folgten. Ein paar Jahre später wurde das Skelett des Prospektors Martin Jorgensen neben seinem niedergebrannten Jagdhaus gefunden, auch ohne Kopf. Der verschlingende Berg forderte auch das Leben des Trappers John O’Bien, der erfroren neben seinem Lagerfeuer saß und die Zündhölzer noch fest in seiner Hand hielt. Solche Orte wie Headless Creek, Broken Skull River und the Funeral Range erinnern an ihren Tod.

Wie durch ein Wunder überlebte 1962 ein Pilot unbeschadet einen Flugzeugabsturz und baute nicht weit von der Unglücksstelle ein Lager auf. In der Frachtmaschine befanden sich ausreichend Nahrungsmittel, Treibstoff und andere Dinge, um überleben zu können. Der Pilot war zuversichtlich, dass innerhalb weniger Tage Rettung kommen würde. Also wartete er und schrieb seine momentane Situation in ein Tagebuch. Der Mann beobachtete mehrmals, dass man nach dem Flugzeug suchte; doch keiner sah ihn. In der Tat war er nur 6 Meilen von seinem Ziel und seinen Freunden entfernt abgestürzt. Doch kannte er seine genaue Position nicht. Ungefähr 50 Tage lang setzte er seine einsame Wache fort und verschwand danach auf mysteriöse Weise. Sechs Monate später fand einer seiner Partner das havarierte Flugzeug, das Lager des Piloten und sein Tagebuch … Aber bis zum heutigen Tag gibt es keine Anhaltspunkte über den Verbleib des Piloten.

Cheryl Kaye Tardif siedelt ihren Thriller Wilder Fluss am South Nahanni River an und lässt ihre Charaktere in diesem mystischen Gebiet agieren. Die Beschreibung der Nahanni-Expedition ist außergewöhnlich und demonstriert die umfangreiche Recherchearbeit der Autorin über diese abgelegene kanadische Region. Ein grandioser Abenteuerthriller.

Das Buch

Cheryl Kaye Tardif
Wilder Fluss
Originaltitel: The River, Imajin Books, Edmonton, Kanada, Mai 2011
Thriller, E-Book, Kindle Edition, Luzifer Verlag, Bochum, Dezember 2014, 4,99 Euro
Kurzinhalt:
Stammzellenforschung, Klontechnik und Weltherrschaftspläne – eine explosive Mischung!

Der South Nahanni River in den kanadischen Northwest Territories ist bekannt für seine Geschichten um mysteriöse Todesfälle, kopflose Leichen und Entführungen. Vor sieben Jahren verschwanden auch Del Hawthornes Vater und drei seiner Freunde in der Nähe des Nahanni River und wurden für tot erklärt. Del ist schockiert, als ihr einer der vermissten Männer an der Universität begegnet; gealtert zwar und kaum wiederzuerkennen, aber äußerst lebendig. Was der Mann ihr sagt, scheint undenkbar: Auch ihr Vater ist noch am Leben!

Mit einer Gruppe von Freiwilligen fährt Del zum Nahanni River, um ihren Vater zu retten. Was sie vorfindet, ist ein geheimnisvoller Fluss, der sie in eine technologisch fortgeschrittene Welt voller Nanobots und schmerzhafter Seren führt. Del deckt eine Verschwörung unvorstellbaren Grauens auf, die uns alle zu vernichten droht. Wird die Menschheit für die Suche nach dem ewigen Leben geopfert werden?

Ab welchem Punkt werden wir zu … Gott?

Die Autorin

Cheryl Kaye Tardif ist eine preisgekrönte internationale Bestsellerautorin aus Kanada. Zu ihren Romanen gehören Divine Sanctuary, Submerged, Divine Justice, Children of the Fog, The River, Divine Intervention und Whale Song, von New York Times-Bestsellerautorin Luanne Rice gewürdigt als »eine Geschichte über Liebe, Familie und die Geheimnisse des Herzens – ein großartiger, bewegender Roman.”

Derzeit schreibt sie an ihrem nächsten Thriller.

Cheryl widmet sich auch dem Kurzgeschichten-Genre, inspiriert von ihrem Lieblingsautor und Vorbild Stephen King. Aus ihrer Feder stammen die Kurzgeschichte Dream House, die Kurzgeschichtensammlung Skeletons in the Closet & Other Creepy Stories und Remote Control, ein E-Book-Kurzroman. Im Jahr 2010 wagte Cheryl unter dem Pseudonym Cherish D’Angelo einen schriftstellerischen Abstecher ins Romantik-Genre und debütierte mit ihrer zeitgenössischen Suspense-Romanze Lancelot’s Lady. Auch ein Kinderbilderbuch, The Elfling Princess, hat Cheryl veröffentlicht.

Cheryls Webseite: www.cherylktardif.com
Offizieller Blog: www.cherylktardif.blogspot.com
Twitter: www.twitter.com/cherylktardif
Cheryl Kaye Tardif ist auch auf Facebook, Goodreads, Shelfari, LibraryThing und anderen sozialen Netzwerken.

Leseprobe

EINS

»Sie hört immer auf ihr Herz«, krächzte eine Stimme. Erschrocken von der plötzlichen Unterbrechung hob Professor Del Hawthorne ihren Kopf und schnappte nach Luft.

Was zum …?

Ein Mann stand in der Tür ihres Hörsaals und rang nach Luft. Er war Ende siebzig und trug eine schmuddelige Wildlederjacke über einem Anzughemd, das wohl irgendwann einmal blüten­weiß gewesen sein musste. Es war zerrissen und voller Flecken, die verdächtig nach getrocknetem Blut aussahen. Seine maßge­schneiderte schwarze Hose war unterhalb der Knie abgerissen. Er kam in den Raum gestolpert und schlug die Tür zu.

Del warf Peter Cavanaugh, ihrem jungen Anthropologie-Profegé, einen alarmierten Blick zu. Sie erhob sich langsam von ihrem Pult und wandte sich an den allen Mann.

»Kann ich ihnen helfen, Sir?«

Sein strähniges graues Haar bedeckte einen Teil seines Gesichts und schrie förmlich nach Shampoo und einem Haarschnitt. Die fleckige, zerfurchte Haut erinnerte sie an verwitterte Zedernrinde. Doch es waren seine glasigen, wenngleich seltsam vertrauten Augen, die ihr Herz einen Schlag aussetzen ließen. Kannte sie diesen Mann?

»Sir?«

Seine Augen blitzen gefährlich auf. »Sie hört immer auf ihr Herz!«

Del schluckte.

Sie bekam nicht jeden Tag den Lieblingsspruch ihres Vaters zu hören – und schon gar nicht, wenn es nicht ihr Vater selbst war, der ihn aussprach. Stattdessen kamen die Worte aus dem Mund eines Mannen, der so aussah, als käme er geradewegs aus der Irrenanstalt.

Wie zum Teufel ist er am Sicherheitsdienst vorbeigekommen?

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr.

Verdammt!

Nach sechs Uhr waren für gewöhnlich nur mich zwei Sicherheitskräfte im Anthropologieflügel und wahrscheinlich drehten sie gerade ihre Runde oder waren am Snackautomaten.

Sie sah zu Peter hinüber.

Der junge Mann hatte Angst. Bewegungslos stand er am anderen Ende des Zimmers und harte den Kopf auf seine Brust gesenkt.

»Die Campus-Security wird bald hier sein«, sagte er leise.
Der Mann wandte sich Peter mit halbgeschlossenen Augen zu. »Wer ist das?«

Del trat zögerlich nach vorne. Vorsichtig legte sie ihre Hände auf die Tischkante des Pults, um die Aufmerksamkeit des Mannes nicht auf sich zu lenken.

Wo ist der verdammte Knopf?

Der Sicherheitsdienst hatte an der Schreibtischunterseite eines jeden Fakultätsmitglieds Auslöseknöpfe für stillen Alarm montiert. Die Zeiten harten sich geändert. Schulen, Colleges und Universitäten waren allzu häufig Zielscheiben für mordlüsterne, geistesgestörte Psychopathen geworden.

Sie drückte den Knopf und holte tief Luft. Hoffentlich war dies heute nicht der Fall. »Die Security wird jede Minute hier sein.«

Der alte Mann riss seinen Kopf herum, einen flehenden Ausdruck in seinen Augen. »Erkennst du mich denn nicht wieder?«

»Sollte ich das?«

Welche Reaktion sie auch immer erwartet hatte, es war nicht die, die sie bekam. Start ihre Frage zu beantworten, sackte der Mann wirr murmelnd auf dem Boden zusammen. Mit seiner rechten Hand griff er zittrig in die Falten seiner Jacke.

Del hämmerte nun mehrfach auf den Alarmknopf ein.

Wo zum Teufel bleibt der Sicherheitsdienst?

Entsetzt sah sie, wie der Mann etwas Sperriges aus seiner Jacke zog.

Eine Waffe?

Wie aus dem Nichts stürmten zwei bewaffnete Wachmänner in den Raum.

Dann brach die Hölle los.

Im einen Moment stand sie noch hinter ihrem Schreibtisch. Im nächsten lag sie auf dem Boden – und Peter Cavanaugh auf ihr.

In der Erwartung, dass jeden Augenblick Schüsse fallen könnten, wartete sie und hielt den Atem an. Nichts. Stattdessen waren polternde Geräusche und ein paar ächzende Laute zu hören.

Schließlich rief einer der Wachmänner: »Wir haben ihn, Professor.«

Del atmete erleichtert auf.

»Alles okay?«, fragte Peter, sein unschuldiges, jungenhaftes Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

Sie stöhnte. »Äh, Mr. Cavanaugh? Die Security hat ihn unter Kontrolle, Sie können jetzt wieder von mir herunter — Sie erdrücken mich.«

Peters Gesicht nahm den köstlichen roten Farbton eines Hummers an.

»Wollte nicht, dass Sie angeschossen werden«, murmelte er und half ihr zurück auf die Beine.

Sie klopfte ihre Kleidung ab und blickte zur Tür.

Der Sicherheitsdienst schleppte den Eindringling hinaus in den Flur.

Plötzlich hörte sie den Mann rufen: »Delly! Ich bin’s!«

Nur ein einziger Mensch hatte sie je Delly genannt.
»Halt!«

Sie lief aus dem Hörsaal zu ihm.

“Ich habe sie gesehen«, zischte er mit wildem Blick. »Ich habe die Zukunft gesehen … keine Menschen … Monster!«

»Professor Schroeder?«, wisperte sie. »Sind Sie das?«

Der alte Mann sah sie eindringlich an. »Du musst den Direktor aufhalten, Delly!«

Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. »Den Direktor von was? Professor, wir dachten, Sie wären tot. Sie, mein Vater, die anderen Männer …«

Schroeder beugte sich näher zu ihr. »Sie werden deinen Vater töten, Delly.«

»Er – er lebt?«

»Fürs Erste. Die miesen Dreckskerle haben ihn. Du musst die Zelle zerstören. Ich weiß, wie man hineingelangt. Zum geheimen Fluss. Ich weiß, wie man hineingelangt … und wieder heraus.«

»Professor Hawthorne«, mahnte einer der Wachmänner. »Wir müssen ihn nach unten bringen.«

Auf halbem Wege riss Schroeder seinen Kopf noch einmal herum.

“Folge deinem Herzen, Delly. Und denke daran … nur einem

Die Wachmänner schleiften ihn halb in den Aufzug.

»Professor Schroeder!«, schrie sie. »Von was reden Sie da?«

Seine müden braunen Augen loderten auf. Wild und ungezähmt, wie bei einem Fuchs, der in der Falle sitzt.

»Es steht alles im Buch. Zerstöre die Zelle, Delly. Finde den Fluss und halte den Direktor auf, bevor er die Menschheit vernichtet.«

Die Türen des Aufzugs schlössen mit einem zischenden Geräusch. Del lehnte sich gegen die Wand vor ihrem Klassenzimmer. Ihre Beine schmerzten und zitterten. Als alles vor ihr zu verschwimmen begann, schloss sie ihre Augen und hieß die Dunkelheit willkommen.

Sie werden ihn töten, Delly.

War ihr Vater wirklich noch am Leben?

Jemand nannte ihren Namen. Peter.

Er stand neben ihr und hielt etwas gegen seine Brust gedrückt. Was es auch immer war, er hielt es so fest, als lägen die Schätze der ägyptischen Pharaonen in seinen Händen.

»Das hat er fallen lassen«, sagte er und reichte ihr ein Buch.

»Danach hat der alte Kerl gegriffen. Sind sie in Ordnung. Professor?«

Sie nickte. »Bis morgen, Peter.«

Del kehrte in den leeren Hörsaal zurück, zog die Tür fest hinter sich zu und schloss ab. Sie schaffte es gerade noch durch den Raum, bevor ihre Beine unter ihr nachgaben. Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen, atmete ein paar Mal tief durch und griff dann nach dem ledergebundenen Buch, das Peter ihr gegeben hatte.

Der Einband war verschmutzt und ging stellenweise ab. Er war völlig leer, bis auf ein leicht erhabenes Symbol, das man nur schlecht erkennen konnte.

Ein Kreuz vielleicht.

Sie zeichnete das Symbol mit dem Finger nach.

Professor Schroeder, was ist Ihnen nur zugestoßen?

Arnold Schroeder war ein renommiertes Anthropologie-Genie. Wann immer er Dels Vater besucht hatte – und er hatte ihn oft besucht – hatte er Del unter seine Fittiche genommen und ihr etwas Neues beigebracht. Er war der Grund, weshalb sie an der
University of British Columbia Anthropologie lehrte. Schroeder war ihr Vorbild gewesen.

Nach Dad natürlich.

Del schlug das Notizbuch so vorsichtig auf, dass ihre Fingerspitzen es kaum berührten. Sie blätterte durch die Seiten, las hier und da ein paar Sätze und versuchte, aus Schroeders Notizen schlau zu werden. Die meisten der Einträge im Notizbuch schienen in einer Art Code geschrieben zu sein und es war fast unmöglich, sie zu entziffern. Gerade wollte sie das Buch wieder niederlegen, als ihr ein Name auf einer der Seiten ins Auge sprang.

Dr. Lawrence V. Hawthorne.

Direkt unter den Namen ihres Vaters war ein Datum gekritzelt.
Januar 2001.

Ihre Hand begann zu zittern.
2001?

Sie riss eine Schublade auf und wühlte darin herum.

Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte — ein Foto, das sieben Jahre zuvor, 1998, aufgenommen worden war. Es zeigte ihren Vater und Professor Schroeder Seite an Seite in Jeans, T-Shirts und mit albernen Fischerhüten. Sie hatten ein ansteckendes Grinsen auf den Gesichtern, als ob sie über irgendeinen Insider-Witz lachten. Das Foto wurde am gleichen Tag aufgenommen, an dem ihr Vater, Schroeder und zwei Mitarbeiter zum ›Abenteuer ihres Lebens‹ aufgebrochen waren.

Im Sommer ’98 schlug ein neuer Praktikant bei Bio-Tec Kanada, dem Unternehmen, für das auch Dels Vater tätig war, eine Rafting-Exkursion auf dem Nahanni River in den Northwest Territories vor. Der Praktikant machte es ihrem Vater mit alten Legenden über unentdecktes Gold und kopflose Skelette und Leichen, die die Flussufer säumten, schmackhaft. Ihren Vater packte die Vorstellung, einen der spektakulärsten Orte Kanadas zu erforschen, und er überzeugte Schroeder und seinen Chef, sie zu begleiten.

Drei Tage später verschwanden die vier Männer spurlos.

Ein Suchtrupp wurde den Nahanni hinuntergeschickt und die Ermittler fanden ein paar Meilen weiter flussabwärts von Virginia Falls ein kopfloses Skelett. Der Großteil der Gebeine war von wilden Tieren abgefressen worden und die Knochen waren stark verwittert, doch ein Forensik-Experte konnte die Leiche identifizieren.

Es war Neil Parnitski, Geschäftsführer von Bio-Tec Kanada.

Von DeIs Vater jedoch fehlte jede Spur … so auch von den anderen Männern.

Eine Woche später fand das Suchteam ein blutiges Hemd am Ufer sowie Kopfhautgewebe an einem unweit davon gelegenen Felsen. DNA-Tests ergaben, dass ein Großteil des Blutes ihrem Vater zugeordnet werden konnte, während das Gewebe von Schroeder stammte. Die Ermittler betonten auch, dass aufgrund der erheblichen Menge Blutes, die gefunden wurde, nicht einmal ein Arzt ohne medizinische Hilfe hätte überleben können. Sechs Monate später waren die Ermittlungen eingestellt worden und der letzte Vermisste für tot erklärt.

Del strich über das Foto ihres Vaters.

Sie werden ihn töten, Delly.

Schroeders Worte hallten in ihrem Kopf wider und sie konnte das beklemmende Gefühl einfach nicht abschütteln, das ihr allmählich unter die Haut kroch und jede Zelle ihres Körpers packte. Sie starrte durch das Fenster in den dunkelnden Nachthimmel und dachte an den Tag, als ihre Mutter ihr die Nachricht überbrachte, dass ihr Vater, nur wenige Monate nach seinem Verschwinden, für tot erklärt worden war. Sie erinnerte sich an die Beerdigung eine Woche später zurück, wie sie im strömenden Regen vor einem schwarzen, gähnenden Loch stand, und ein leerer Sarg in den schlammigen Boden gesenkt wurde. Die Beerdigung harte nur drei Tage vor ihrem fünf und zwanzigsten Geburtstag stattgefunden – ein Geburtstag, der ohne großes Trara gekommen und wieder gegangen war.

Del hatte danach nie wieder irgendeinen ihrer Geburtstage gefeiert. Zu viele Erinnerungen.

Nun, da sie das Foto ihres Vaters anstarrte, kamen all der Schmerz und die Trauer, die sie sieben Jahre zuvor gefühlt harte, mit voller Wucht zurück.

Sie werden ihn töten, Delly.

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

(wb)