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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Geheimnis zweier Ozeane 06

Unter Freunden

Der besorgte Zoologe hatte Pawliks Kopf, der bei dem Zusammenstoß mit dem Schwertfisch am meisten abbekommen hatte, so gründlich verbunden, dass nur noch Nase, Mund, Augen und ein Ohr frei waren.

»Fertig!« Lordkipanidse knüpfte den letzten Knoten über dem Scheitel des Patienten und strich sich über seinen Bart. »Eigentlich müsste man dich für wenigstens zwei Tage ins Bett packen. Da hättest du es sehr schön, Jungchen. Aber du hältst es ja darin doch nicht so lange aus!« fügte er bekümmert hinzu.

Der Lazarettraum des U-Bootes war in angenehmes mattes Licht getaucht; drei blütenweiß überzogene Betten standen an den Wänden. Nach seiner Rettung vom Eisberg hatte Pawlik hier schon einmal mehrere Tage gelegen. Erst heute, nach zwei- tägigem Training, hatte er seinen ersten kleinen Unterwasser-spaziergang machen dürfen. Jetzt zeigte er keinerlei Lust, ins Bett zurückzukehren. Der schwache Versuch des Zoologen, ihn doch noch dazu zu bewegen, stieß auf Pawliks und Marats gemeinsamen Protest. Marat war auf dem U-Boot gleichzeitig Assistenzarzt.

»Aber Arsen Dawidowitsch!«, riefen beide wie aus einem Munde.

»Ich bin ganz gesund und fühle mich glänzend«, fügte Pawlik hinzu.

»Schon gut, schon gut, geh jetzt Mittag essen und leg dich dann etwas schlafen. Und nachher besuche mich im biologischen Laboratorium.«

Der Liebling aller zu sein, ist recht angenehm, doch hat es auch seine Schattenseiten. Von dem Tage an, da Pawlik unter so tragischen Umständen gerettet worden war, konzentrierte die Besatzung des U-Bootes ihren ganzen unverbrauchten Vorrat an väterlicher Liebe auf ihn. Diese Liebe entsprang auch der für starke und tapfere Männer so charakteristischen Regung, Schwache in Schutz zu nehmen. Unter den achtundzwanzig an Bord befindlichen Menschen war Pawlik der einzige Jugendliche. Seinen zahlreichen neuen Freunden gegenüber zeigte sich Pawlik dadurch erkenntlich, dass er ihnen voller Interesse zuhörte. Und da sie sich für alles, was ihr wunderbares U-Boot betraf, begeisterten, so kreisten ihre Gespräche auch meist um die Pionier, ihre einzigartige Konstruktion und ihre Überlegenheit anderen U-Booten gegenüber, die verächtlich »Frösche« genannt wurden.

Alle übertraf in seiner Begeisterung der zwanzigjährige Elektromonteur Marat Moissejewitsch Bronstein, der von seinen Kameraden einfach Marat genannt wurde. Er hatte selbst am Bau des Schiffes teilgenommen und war glücklich, wenn er über das U-Boot sprechen konnte.

Marat und Pawlik verließen gemeinsam die Lazarettkammer, traten in einen schmalen Korridor und gingen an der Hauptwache, den Diensträumen der Ingenieure und an den Kajüten der Offiziere und der Mannschaft vorbei. Die Wände des Ganges waren mit Edelhölzern getäfelt. An der Decke entlang liefen verschiedenfarbige dünne und dicke Rohre. Auf dem Fußboden lag ein Gummiläufer, der die Schritte dämpfte. Alle fünf Meter war der Gang durch wasserdichte Scheidewände, in denen sich jeweils eine kleine Tür befand, gesichert.

»Wie in einem Hotel! Schön, hell und freundlich«, sagte Pawlik und strich mit seinen Händen über die Wandtäfelung.

»So etwas siehst du auf keinem U-Boot«, erwiderte Marat voller Stolz. »Bei uns ist fast die Hälfte des Schiffsraumes für die Mannschaft bestimmt. Auf anderen Booten dient jeder verfügbare Raummeter für die Treibstoffvorräte.«

»Braucht denn die Pionier keinen Treibstoff?«

»Unser U-Boot kennt nur eine Kraft, die Elektrizität, und diese kann es überall im Ozean in genügendem Maße gewinnen. Die gewöhnlichen ›Frösche‹ können in ihren Akkumulatoren nur Strom für zwanzig oder dreißig Stunden Unterwasserfahrt speichern, dann müssen sie auftauchen, das Luk öffnen und ihre Dieselmotoren anlassen. Die Diesel treiben die Schrauben und die Dynamomaschinen an. Die Schrauben bewegen das U-Boot, während die Dynamos Strom produzieren, der wieder von den Akkumulatoren für die Fahrt unter Wasser gespeichert wird.«

Am Ende des Ganges befand sich die Messe, ein großer Raum mit kleinen Tischen und hübschen Stühlen. Jede der schwarz lackierten Tischplatten ruhte auf einem dicken runden Ständer. Weiches Licht strahlte aus den halbkugelförmigen Deckenleuchten. An den Wänden hingen Bilder, in Wandregalen standen Plastiken; kleine Aquarien mit bunten tropischen Fischen schmückten die Ecken der Kajüte. Zu Pawlik und Marat setzte sich Zoi an den Tisch. Es war Mittagszeit, und die Messe füllte sich nach und nach. Jeder der Eintretenden begrüßte Pawlik und fragte ihn nach seinem Befinden.

Auch Skworeschnja, der mit dem Kopf fast an die Deckenleuchten stieß, erschien und nahm ebenfalls an Pawliks Tisch Platz.

Er wurde mit scherzhaften Bemerkungen begrüßt: »Andrej, hast du dich mit einem Hai herumgebalgt?«

»Er wollte ihn für unser Aquarium fangen …«

»Das stimmt nicht ganz, er hat seinem Kolchos einen Hai für den Dorfteich versprochen …«

»Andrej Wassiljewitsch, Sie hätten ihn mit Ihrem Schnauzbart fesseln und herschleifen sollen . .

Skworeschnja wickelte seinen langen Schnurrbart um den Finger und lächelte gutmütig.

»Ihr seid nicht ganz gescheit«, brummte er. »Kann ich etwas dafür, dass sich der Hai vor lauter Hunger in das Kabel festbiss? Und was meinen Kolchos betrifft, so hat mir mein Vater geschrieben, dass sie im Bezirk als Erste mit der Aussaat fertig geworden sind. Es stimmt schon, ich habe ihnen von unserer Fahrt ein Andenken versprochen … Jetzt zerbreche ich mir den Kopf, was es sein soll.«

»Aber warum willst du ihnen denn keinen Haifisch schenken, Andrej Wassiljewitsch?«, fragte spöttisch der Maschinist Romejko, ein kleiner, braun gebrannter Mann mit funken, lustigen Augen.

»Warum nicht gleich einen Kaschelott?«

»Ja, einen Wal!«

»Dann schon einen Kraken!«

»Gut, gut«, brummte Skworeschnja und stimmte in das Gelächter ein. »Aber da frag ich doch besser Arsen Dawidowitsch um Rat.«

»Guten Tag!« hörte man plötzlich eine klare, heile Stimme.

In der Tür stand der Kommissar Sjomin. Er war braun gebrannt bis auf einen scharf abgegrenzten weißen Strich unter dem Haaransatz. Bevor er auf das U-Boot Pionier abkommandiert worden war, hatte er ein ganzes Jahr auf dem Torpedobootzerstörer Kipjastschi in fernen tropischen Gewässern Dienst getan. Auch heute noch war sein Gesicht fast bronzefarben. Die Nase des Kommissars war etwas flach gedrückt. Den Boxer Sjomin, den Meister von Leningrad, kannte die ganze Sowjetunion.

Am meisten fiel beim Kommissar der graue Haarschopf auf, der in seltsamem Kontrast zu dem jungen Gesicht mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart und den dunklen, lebhaften Augen stand.

Es hieß, er habe graue Haare bekommen, als er mit der Leiche des Kapitäns eines gesunkenen U-Bootes lange Zeit in einem Schott eingeschlossen war. Die ganze Besatzung hatte er in Rettungsbojen zur Oberfläche befördert, aber für ihn selbst gab es keine Boje mehr, die noch in Ordnung war, denn viele waren beim Untergang beschädigt worden. Die Rettungsmannschaften konnten Sjomin erst nach einigen Tagen bergen. Aber der Kommissar liebte es nicht, darüber zu sprechen, und so blieb die Geschichte über die Ursache seiner grauen Haare nur eine Vermutung.

»Bist wohl ein Mekkapilger1!«, scherzte der Kommissar und trat lachend an den Tisch, an dem Pawlik und seine Freunde saßen. »Einen kunstvollen Turban hat dir da Arsen Dawidowitsch gedreht! Nun, wie geht’s dir? Bist du wieder gesund?«

»Danke, Genosse Kommissar!«, antwortete Pawlik frisch und legte aufspringend die Hände wie ein Matrose der Kriegsmarine an die Hosennaht. »Bin wieder ganz gesund.«

»Das verdankst du Krepins Taucheranzug«, sagte der Kommissar. »In einem solchen Taucheranzug kann einem nichts passieren.«

Oberleutnant Bogrow, ein schlanker, aber breitschultriger Mann, betrat nun die Messe. Sein ovales, glatt rasiertes Gesicht mit den ruhigen grauen Augen, den fest geschlossenen Lippen und dem kantigen Kinn verriet einen willensstarken Menschen. Die weiße Uniformjacke saß ihm wie angegossen. Der Oberleutnant nickte Pawlik freundlich zu. Ihm folgte Kapitän Woronzow, der U-Boot-Kommandant.

»Nun, wie geht es dir, mein Junge?«, fragte er und legte seine Hand auf Pawliks Kopf. »Du wirst jetzt längere Zeit bei uns bleiben müssen, da wir weder einen Hafen besuchen noch mit einem Schiff in Verbindung treten können. Du musst es bald lernen, dich unter Wasser mit Kompass und auch mit Funkpeiler zu orientieren.«

Gewöhnlich waren die Augen des Kapitäns von den Lidern halb verdeckt, und das machte sein Gesicht streng und fremd. Aber jetzt lächelte er freundlich, seine hellen Augen waren weit geöffnet.

»Gut, Kapitän«, antwortete Pawlik froh. »Ich werde mir die größte Mühe geben.«

»Zu Befehl, Genosse U-Boot-Kommandant, musst du sagen«, korrigierte ihn Marat unter allgemeinem Lachen.

Als der Kapitän an seinem Tisch mit dem Zoologen, dem Kommissar und Oberleutnant Bogrow Platz genommen hatte, zeigten sich in der Mitte der Tische runde Öffnungen, und durch die hohlen Tischständer schoben sich die Teiler mit dem ersten Gericht nach oben.

Bald war die Messe von lebhaftem Stimmengewirr erfüllt.

»Sagen Sie, Marat Moissejewitsch, wie versorgt sich denn nun unser U-Boot mit Energie?«, fragte Pawlik weiter, während er die schmackhafte Suppe löffelte.

»Lass das ›Sie‹, nenn mich einfach Marat.«

»Zu Befehl, Genosse Marat!«, antwortete Pawlik lachend.

»So ist’s besser! Die Energie gewinnen wir aus dem Meer. Wo wir gerade sind, holen wir sie aus dem Wasser.«

»Ist denn das möglich?« Pawlik schaute ungläubig auf. »Elektrizität aus dem Wasser?«

»Jawohl, Elektrizität! Und aus dem Wasser!« antwortete Marat stolz. »Hast du schon etwas über Thermoelemente gehört?«

»Nicht viel … damals, als wir in der Schule Physik hatten.«

»Nun, dann erinnere dich mal … Ein Thermoelement ist eine Anordnung aus zwei Drähten. Verlötet man zwei Drähte aus verschiedenen bestimmten Metallen, zum Beispiel aus Kupfer und Konstantan oder aus Platin und einer Platin-Radium-Legierung, an ihren Enden miteinander und erwärmt eine der beiden Lötstellen, so fließt durch die Drähte Strom. Und je größer die Temperaturdifferenz zwischen den beiden Lötstellen ist, desto stärker ist der Strom. Bisher haben alle Thermoelemente, ganz gleich, aus welchen Metallen sie angefertigt wurden, einen sehr schwachen Strom ergeben, etwa ein zehntel Volt bei einer Temperaturänderung von einem Grad. Aber vor Kurzem hat unser Elektrotechnisches Institut Legierungen entwickelt, mit denen sich eine tausendmal stärkere Stromspannung erzeugen lässt. Und unser Krepin hat herausbekommen, wie man aus diesen neuen Thermoelementen einen Strom von größerer Stärke erhalten und wie man sie im U-Boot zur Gewinnung von elektrischer Energie in jeder Menge und zu jeder Zeit verwenden kann.«

Skworeschnja stellte seinen geleerten Teller auf die Scheibe in der Mitte des Tisches; die Scheibe glitt nach unten und erschien dann wieder mit dem zweiten Gericht. Pawlik folgte Skworeschnjas Beispiel und wartete neugierig auf die nächste Speise. Marat aber ritt jetzt sein Steckenpferd, er hatte das Essen ganz vergessen.

»Begreifst du das?«, fuhr er gestikulierend fort. »Eine geniale Idee! Aus diesen neuen Legierungen hat Krepin fünfzig lange Drähte gemacht und sie paarweise an den Enden zusammengelötet. Dann vereinigte er diese Thermoelemente zu einem Kabel mit einer gemeinsamen Isolierung. An seinen En den hatte das Kabel je einen pilzförmigen Empfänger. Als er einen Empfänger so erhitzte, dass er nur zwanzig Grad wärmer als der andere war, erhielt er Strom von ungeheurer Spannung und Stärke. Begreifst du, was das bedeutet?« rief Marat laut.

»Das bedeutet, dass du das zweite Gericht versäumst!« hörte man die ironische Stimme des Zoologen.

Alle lachten. Marat wurde verlegen, strich sich über das Haar und begann eilig seine Suppe zu löffeln. Dennoch brachte er es fertig, während des Essens leise weiterzusprechen: »Verstehst du, Pawlik … Jedes Kabel mit Thermoelementen oder, wie man sie bei uns nennt, jede thermoelektrische Kabelbatterie verwandelte sich in ein richtiges Kraftwerk mit einer Werkleistung von fünfundzwanzigtausend Kilowatt. Fünfundzwanzigtausend Kilowatt!« Marat verschüttete beim Löffeln seine Suppe. »Und wir haben drei solcher Kraftwerke. Drei Kraftwerke mit einer Werkleistung von insgesamt fünfundsiebzigtausend Kilowatt! Das reicht aus, um eine große Stadt mit all ihren Straßenbahnen und Fabriken mit Licht und Kraftstrom zu versorgen.«

»Einen Moment«, flüsterte Pawlik, der von Marats Begeisterung angesteckt worden war, erregt, »wie erwärmt man nun aber diese Kabel? Man muss doch, wie du sagtest, den Wärmeunterschied bekommen …«

Marat legte seinen Suppenlöffel auf den Tellerrand und lehnte sich zurück.

»Wieso? Hast du es noch nicht begriffen? Jedes beliebige Meer kann doch eine Feuerung für unsere Kraftwerke sein.«

»Feuerung? Wie meinst du das, Marat?«

»Das ist doch klar! Du musst doch wissen, Pawlik, dass in allen Meeren die Temperatur in drei- bis viertausend Meter Tiefe stets etwa ein bis zwei Grad Wärme beträgt. An der Oberfläche ist sie fast immer bedeutend höher. In den Tropen zum. Beispiel steigt die Temperatur der oberen Wasserschichten bis auf siebenundzwanzig Grad an. Da hast du den Temperaturunterschied, den unsere Kraftwerke brauchen. Das U-Boot wirft eine Schwimmboje, die mit dem oberen Empfänger verbunden ist, aus. Die Boje schwimmt dicht unter der Oberfläche, sodass sich die obere Lötstelle bis zu einem gewissen Grade erwärmt. Mit einem Senkblei lässt das U-Boot die untere Lötstelle bis zu viertausend Meter Tiefe absinken. In dieser Tiefe kühlt sie sich bis in Gefrierpunktnähe ab. Dadurch entsteht in der Kabelbatterie Strom, der in den Akkumulatoren des U-Bootes gespeichert wird. Klar?«

Und Marat begann wieder seine inzwischen kalt gewordene Suppe zu löffeln.

Fortsetzung folgt …

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  1. Mekka: Geburtsstadt Mohammeds in Saudi-Arabien, Walfahrtsstätte des Islam.