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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jackson – Teil 21

Das Höllencamp

»Wir sind gleich da! Am besten lassen wir den Wagen irgendwo hier zwischen den Felsen stehen. Erstens reicht das Benzin nicht mehr allzu lange und zweitens erregen wir zu Fuß bedeutend weniger Aufmerksamkeit.«

Ich nickte, ließ den Jeep ausrollen und brachte das Fahrzeug schließlich zwischen zwei haushohen Felsen zum Stehen. Mit einem Tarnnetz, das Linda unter dem Beifahrersitz hervorzog, deckten wir den Wagen ab, schaufelten Sand dorthin, wo das Netz den Boden berührte, und drapierten das Ganze noch mit abgebrochenen Zweigen und Grasbüscheln.

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Der Wagen war jetzt selbst auf kürzeste Entfernung kaum noch zu entdecken. Linda wischte sich den Sand von den Händen und griente mich an.

»Nicht schlecht, oder? Um den zu entdecken, muss man wahrscheinlich erst drüberstolpern.«

Ich musterte sie skeptisch und war gespannt, was als Nächstes folgte.

Langsam stieg ein leichtes Magengrimmen in mir hoch, kein Wunder nach allem, was ich bisher in dieser verrückten Welt erlebt hatte. Glücklicherweise entpuppten sich die Antworten zu meinen fragenden Gedanken als ziemlich unspektakulär. Linda hauchte mir lediglich einen Kuss auf die Wange, versicherte sich erneut meiner Hilfe und erklärte mir in groben Zügen den Weg, der vor uns lag. Dann folgte ein zweiter, diesmal um vieles inniger Kuss.

War es Berechnung oder Leidenschaft?

Irgendwie war ich mir dabei nicht sicher, deshalb blockte ich weitere Zärtlichkeiten mit dem Hinweis auf unsere Situation vorerst ab.

Linda begann zu schmollen, aber nach einigem Hin und Her machten wir uns schließlich auf den Weg in jenes geheimnisvolle Hauptquartier, von dem sie immer wieder sprach.

Je näher wir dabei diesem imaginären Quartier kamen, desto unruhiger wurde ich.

Meine Handflächen wurden feucht und mein Herz begann mit jedem Schritt, den ich zurücklegte, immer heftiger zu pochen.

Ich war nervös wie ein Pennäler vor dem ersten Date.

Kein Wunder, schließlich trennte mich, sofern ich Lindas Worten Glauben schenken durfte, nur noch ein Fußmarsch von gerade mal einer Stunde von der Antwort auf all meine Fragen.

Was war hier geschehen?

Was oder wer in aller Welt hatte diesen Teil von Australien in ein Land verwandelt, in dem Dinosaurier, degenerierte Urmenschen und eine mit futuristischen Waffen versehene Söldnertruppe zum täglichen Straßenbild gehörten?

Wer waren die Männer hinter Linda, die aus ihr, einer toughen Ärztin, ein Nervenbündel gemacht hatten, das nur noch ein Ziel kannte: die Flucht aus dieser Welt.

Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Die Antworten aber waren niederschmetternd.

Jedenfalls in dem Moment, als ich mit Linda um eine Felsenkehre bog und keine tausend Schritte vor mir das sogenannte Hauptlager entdeckte.

Ich weiß bis heute nicht genau, was ich damals erwartet hatte, es war jedenfalls nicht das, was ich zu sehen bekam.

Das sogenannte Hauptquartier entpuppte sich nämlich als ein einziges Dreckloch. Genauer betrachtet war es ein noch jämmerlicherer Ort als das Lager von Yalla und den Nayanos.

Eine Straße, die nichts anderes war als ein Stück staubige Wüstenpiste, die von unzähligen Fahrrillen durchzogen war, eine überschaubare Anzahl trostloser Hütten, die sich weit verstreut zwischen sonnenverbrannten Sträuchern duckten, und ein halbes Dutzend zerschlissener Armeezelte am nördlichen Ende des Camps, mehr war da nicht.

Mein Mienenspiel war offensichtlicht ziemlich bescheuert, denn als ich Linda fragte, ob wir hier richtig waren, bedachte sie mich mit einem seltsamen Blick.

»Keine Angst, wir haben uns nicht verlaufen«, sagte sie und fügte, nachdem die Skepsis aus meinem Gesicht nicht verschwinden wollte, hinzu: »Aber ich kann deine Fragen verstehen. Ehrlich gesagt gefällt mir dieses Camp hier genauso wenig wie dir, aber wir müssen nun mal hier durch, um zum eigentlichen Headquarter zu gelangen.«

»Dann bin ich ja beruhigt, trotzdem, was um alles in der Welt ist das hier?«

»Wir nennen es Hells Place.«

 

***

 

Einen Moment lang wusste ich nicht, was mich mehr beunruhigte.

Der Name des Camps, schließlich klang Hells Place alles andere als unverfänglich, oder aber die Tatsache, dass wir diesen Höllenplatz durchqueren mussten, um an unser Ziel zu kommen.

»Die Arbeit in der Zentrale ist mörderisch. Genauso wie der Druck, beinahe täglich ein Forschungsergebnis zu präsentieren, das die Zustimmung der Leitung findet«, erklärte Linda.

»Du arbeitest unter der Woche praktisch rund um die Uhr und hast keine Möglichkeit, dieses Lager zu verlassen, um abzuschalten. Deshalb hat man dieses Camp erschaffen, um sozusagen einer Art Lagerkoller vorzubeugen.«

Während sie weiterredete, strich sie mit einer allumfassenden Handbewegung über die Ansiedlung.

»Hier findest du alle Laster wieder, die jemals die Menschheit interessiert haben. Glücksspiel, Prostitution, Alkohol, Drogen oder fressen und saufen, bis du platzt.«

»Von wem stammt denn diese Idee?«, fragte ich verwundert.

»Von irgendeinem klugen Kopf aus der Zentrale. Leider ist die ganze Sache inzwischen aus dem Ruder gelaufen. Aus einer Art Freizeitpark ist inzwischen ein Ort geworden, an dem du an einem einzigen Vormittag sämtliche Gebote der Bibel brechen kannst, um danach mit leerem Geldbeutel oder durchschnittener Kehle in einer Seitengasse zu landen. Dieses Kaff hat nicht umsonst den Namen Höllenplatz.«

»Und warum existiert dieses Kaff noch? Ich meine, hier wird doch sonst alles eliminiert, was gewissen Leuten nicht in den Kram passt.«

»Weil dieser Ort trotz allem eine gewisse Funktion erfüllt. Wer hier die Nacht übersteht, schmeißt auch seinen Job nicht so einfach weg. Die Firma investiert schließlich Unsummen in die Aus- beziehungsweise Fortbildung eines jeden, der hier einen Kontrakt unterschrieben hat. Wer also hier versagt …« Linda ließ den Rest offen.

Mir fiel spontan die Werbung einer bestimmten Marke von Pfefferminzbonbons ein … Sie wissen schon: Sind sie zu stark, bist du zu schwach.

»Soll das also heißen, dass du planst, hier die Nacht zu verbringen?«

Linda zuckte die Achseln. »Uns bleibt nichts anders übrig. Wir sind zu spät dran, vor morgen früh gibt es keine Möglichkeit mehr, die eigentliche Zentrale zu betreten.«

Ich nickte und seufzte ergeben.

Das konnte ja heiter werden.

Nachdenklich folgte ich ihr durch den knöcheltiefen Staub der Straße, bis wir vor einem lang gezogenen Holzbau haltmachten. Der Kasten hieß Paradise Inn, jedenfalls lautete so der Schriftzug, der sich über die ganze Vorderfront hinzog. Das Haus, wenn man es denn so bezeichnen konnte, hatte seine besseren Tage schon lange hinter sich. Der ganze Laden benötigte dringend einen neuen Anstrich und die Holzwände neue Bretter. Die alten waren zum Teil schon jämmerlich verbogen und durchgebrochen.

Ich folgte Lindas Beispiel, als sie sich den Staub der Straße aus den Kleidern klopfte, und betrat kurz darauf mit ihr das Hotel.

Die Eingangshalle war ziemlich düster und verlassen.

Linda stieß einen schrillen Pfiff aus und erhielt sofort Antwort aus dem Obergeschoss.

»Komme gleich«, tönte eine raue Stimme.

Augenblicke später wurde oben eine Tür ins Schloss gezogen und ein rothaariger Mann kam mit seltsam eckigen Bewegungen die Treppe herunter. Beiläufig registrierte ich, dass er beim Laufen sein rechtes Bein nachzog.

»Was wollt ihr denn hier?«, fragte er und musterte uns mit seltsamen Blicken.

»Ein Zimmer, was denn sonst«, entgegnete Linda. »Das hier ist doch ein Hotel, oder?«

Der Rothaarige nickte zögerlich.

»Das schon, es ist nur so, dass ich mich kaum noch erinnern kann, wann hier das letzte Mal eine Frau übernachtet hat. Es ist auf jeden Fall verdammt lang her.«

»Dann wird es Zeit, dass sich dieser Zustand wieder ändert.«

Der Hotelbesitzer legte den Kopf schief und verzog das Gesicht, als hätte er den Mund voller Regenwürmer.

»Das halte ich für keine so gute Idee.«

»Wieso?«

Noch mehr Regenwürmer.

Der Typ sah jetzt aus, als hätte er ein ganzes Fass davon verschluckt.

»In was für einer Welt lebt ihr eigentlich? Ihr überlebt in Hells Place keine zwei Stunden.«

»Ach was«, sagte er einen Moment später und machte eine abwertende Handbewegung, während er mich mitleidig musterte. »Wenn ich mir die Titten deiner Begleiterin so ansehe, gebe ich euch beiden keine zehn Minuten.«

Ich grinste und ließ den Mann einen Blick auf die Beretta werfen.

»Ich halte dagegen.«

Der Rothaarige schüttelte den Kopf und drehte sich um. Ich hatte Mühe, sein Gestammel zu verstehen.

»Macht doch meinetwegen, was ihr wollt. Ihr könnt Zimmer sieben im ersten Stock bekommen, sofern ihr euch das überhaupt leisten könnt. Die Bude kostet 50 Points die Nacht.«

»Kein Problem«, erwiderte Linda und zog eine Art Kreditkarte aus der Hosentasche. »Mein Guthaben beläuft sich derzeit auf knapp 200 000.«

Ich konnte weder mit dem Begriff Points etwas anfangen, noch mit dessen Wertstellung.

Aber dem Gesicht des Hotelbesitzers nach zu urteilen, war Linda mit ihrem Guthaben die wahrscheinlich reichste Frau in dieser Welt.

Der Kerl begann nämlich zu dienern und buckeln und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte Linda die Füße geleckt.

Dass er es nicht tat, lag an den drei Typen, die bisher nebenan in den Besuchersesseln der Hotellobby teilnahmslos herumgelümmelt hatten.

 

***

 

Sie warteten, bis Linda und ich den ersten Fuß auf die Treppe gesetzt hatten, deren Stufen uns nach oben in unser Zimmer bringen sollten.

»Moment mal«, sagte einer von ihnen. »Ihr könnt hier nicht so einfach verschwinden, wir haben zu reden.«

»Ich wüsste nicht, über was«, entgegnete ich etwas ungehalten.

»Wir schon«, sagte der Sprecher, ein Glatzkopf mit Schultern wie ein Wandschrank und einem Gesicht, das eher Ähnlichkeit mit einem zerbombten Minenfeld hatte als mit einem menschlichen Antlitz.

Ich blieb auf der Treppe stehen, drehte mich um und starrte den Kerl herausfordernd an.

Als er sein Gesicht zu einem Lächeln verzog und dabei zwei Zahnreihen zeigte, die von Bleiplomben und Drahtverflechtungen durchzogen waren, legte ich instinktiv meine Rechte um die Beretta.

Fortsetzung folgt …