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Karin Fossum: Eine undankbare Frau

Karin Fossum – Eine undankbare Frau

Johnny Beskow ist ein schmächtiger und unscheinbarer Jugendlicher. Er lebt bei seiner Mutter, die Alkoholikerin ist, ausgesprochen egoistisch, und sich so gut wie gar nicht um ihn kümmert. Sein Großvater Henry scheint der einzige Mensch zu sein, der ihn liebt. Bei ihm verbringt Johnny viel Zeit und sorgt für ihn, denn der alte Mann hat Gicht und kann sein Haus nicht verlassen. Natürlich hat Henry noch eine Pflegehilfe, eine Frau namens Mai Sinok, die sich bei der Pflege des Alten ebenfalls sehr engagiert.

Johnny hat die Schule geschmissen und besitzt eine rote Suzuki, mit der er durch die Gegend fährt. Sein Großvater finanziert das Benzin und steckt Johnny auch sonst öfter Geld zu, weil seine Mutter mit ihm von Sozialhilfe lebt, von welcher sie einen guten Teil in Alkohol umsetzt, und der Junge deshalb sehr arm ist. Johnny ist völlig frustriert und sehr einsam. Außer seinem Opa und einem Hamster hat er niemanden. Schließlich kommt er auf die Idee, Leuten aus der Nachbarschaft üble Streiche zu spielen, um sich ein wenig Aufmerksamkeit zu verschaffen, wenn er auch anonym bleibt und sich bei seinen Taten nicht erwischen lässt.

So bemerkt er zum Beispiel, dass eine Mutter ihr Kind im Kinderwagen ohne Aufsicht im Garten stehen lässt und währenddessen im Haus Mittagessen kocht. Er nutzt diese Situation aus und gießt Tierblut in den Kinderwagen und über das Baby. Als die Eltern dies merken, sind sie außer sich, und am Ende zerbricht ihre Ehe an dieser Sache.

Johnnys zweites Opfer ist eine Frau, die gerade siebzig Jahre alt geworden ist. Johnny gibt bei der Zeitung ihre Todesanzeige auf, obwohl sie noch quicklebendig ist. Die Frau ist schockiert und erholt sich nur schwer von diesem Schrecken.

Ein weiteres Opfer des Jungen ist ein todkranker Mann, der im Rollstuhl zu Hause sitzt und auf den Tod wartet. Er und seine Frau müssen erleben, dass sie von einem Leichenwagen aufgesucht werden, der ihn abholen will. Hinzu kommen noch weitere üble Streiche.

Die Polizei um Kommissar Konrad Sejer beginnt zu ermitteln, weil sich die Fälle häufen und die Betroffenen doch äußerst schockiert sind und somit auch ein Schaden für sie entsteht. Während die Zeitungen über die Fälle berichten und Johnny sich insgeheim über die Aufmerksamkeit freut, die er erregt hat, ermitteln Sejer und seine Leute, dass der Täter wohl Mopedfahrer und immer dann in der Nähe seiner Opfer ist, wenn er gerade seine Taten begangen hat, um sich an ihrem Schmerz zu weiden.

Einige Tage später aber ereignet sich etwas Entsetzliches bei der Tour eines kleinen Jungen allein im Wald. Außerdem gibt es neben dieser Sache noch eine zweite schlimme Begebenheit. Ist Johnny Beskow auch für diese Dinge verantwortlich? Und werden Konrad Sejer und seine Leute den Jungen nun endlich fassen?

Karin Fossum beschreibt in ihrem Roman eine Reihe von bösen Streichen, die durchaus kein Verbrechen im üblichen Sinn darstellen, die Opfer jedoch zum Teil völlig aus der Bahn werfen und deshalb von der Polizei verfolgt werden. Der Täter, Johnny Beskow, ein unscheinbarer Jugendlicher mit einer schlimmen Jugend und furchbaren Familienverhältnissen ist auch eher jemand, der Aufmerksamkeit wünscht, und kein Mensch, der materiellen Profit aus seinen Untaten ziehen will.

Die Autorin durchleuchtet mit treffsicherem psychologischem Gespür sowohl die Persönlichkeit des Täters und die Motive seiner Taten als auch die Leiden der Opfer und die Folgen für sie und ihr Leben. All diese Dinge scheinen sehr plausibel, und es ist durchaus nachvollziehbar, dass alles so kommt, wie es kommt. Karin Fossums Roman ist bis ins Detail glaubwürdig, ein psychologisches Meisterwerk, das dem Leser in erschreckender Weise vor Augen führt, welch geringfügige Taten oft zu gravierendsten Folgen für die Opfer führen können.

Dass am Ende doch Personen zu Tode kommen, ist meines Erachtens eigentlich gar nicht zwingend erforderlich, auch wenn dadurch vielleicht eine gewisse Entwicklung aufgezeigt werden soll.

Der Kommissar, Konrad Sejer, ist ein alternder und auch mit einem Leiden kämpfender Mann, der aber nicht nur mitfühlend und menschlich ist, sondern auch ein Meister der Ermittlung mit psychologischen Mitteln und dem sogenannten »Bauchgefühl«, das alle großen Kriminalisten auszeichnet. Die Autorin hat hier eine Figur geschaffen, die nicht nur sympathisch herüberkommt, sondern auch psychologisch interessant ist.

Fazit:
Eine undankbare Frau ist ein Kriminalroman, der ohne Ströme von Blut, Gewaltexzesse und Serienkiller auskommt und durch seine psychologische Raffinesse besticht. Die Autorin zeigt auf beklemmende Weise, wie vergleichsweise geringfügige Straftaten dazu führen können, dass das Leben von Einzelnen, ja manchmal von ganzen Familien zerstört wird. Die Todesfälle am Ende der Geschichte sind in diesem Krimi weniger erforderlich, um Spannung zu erzeugen, denn diese ist auch ohne sie hinreichend gewährleistet, sondern sie werden von der Autorin wahrscheinlich deshalb aufgeführt, weil sie eine psychische Entwicklung darstellen will.

Karin Fossum ist hier ein hochklassiger Kriminalroman gelungen, der den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt, und den ich deshalb sehr empfehlen möchte.

Die Autorin

Karin Fossum wurde 1954 in Sandefjord in Norwegen geboren und lebt heute bei Oslo. Ihre ersten Bücher waren Gedichtbände. Sie erschienen 1974 und 1978, während sie vom Taxifahren lebte. Dann bekam sie Kinder und schrieb 14 Jahre lang nicht mehr.

Ihre Romane um Kommissar Konrad Sejer wurden große Erfolge. Sie wurden für Kino und Fernsehen verfilmt und bekamen eine Reihe von Preisen. Sie erschienen bisher in 12 Sprachen. Auch das Deutschlandradio hat einige ihrer Krimis als Hörspiele produziert.

Die psychologischen Kenntnisse, die ihre Bücher auszeichnen, erwarb die Autorin vermutlich hauptsächlich während ihrer Tätigkeit als Krankenschwester in der Psychiatrie. Sie schreibt weiterhin nebenher Gedichte und sieht sich selbst nicht als Krimiautorin, sondern generell als Schriftstellerin.

Quellen:

Bilder:

  • Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung der Piper Verlag GmbH.
  • Foto der Autorin. Copyright Peter von Felbert. Mit freundlicher Genehmigung der Piper Verlag GmbH.

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