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Westernkurier 04/2009

Auf ein Wort, Stranger,
Pioniere, Legende und Wirklichkeit, wie war das damals wirklich?

Wenn man in den Geschichtsbüchern zum Thema Pioniere des Wilden Westens nachblättert, liest man immer wieder von unbeugsamen Männern und Frauen, die sich in einem unbekannten Land mit einer menschenfeindlichen Natur, blutrünstigen Ureinwohnern und wilden Tieren herumschlagen mussten.
Da die Besiedelung des Westens in den Jahren nach dem Bürgerkrieg ihren Höhepunkt erreichte, muss man sich als neutraler Beobachter eigentlich wundern, hatten Fortschritt und Zivilisation Amerika dato doch längst im Griff. Zum besseren Verständnis möchte ich hierzu einige Eckdaten zu diesem Thema aufzählen:

25. 10. 1861 – Fertigstellung der Telegrafenleitung zwischen St. Louis und San Francisco

20. 05. 1862 – Kongress erlässt den Homestead Act, welcher Siedlern im Westen 160 Morgen Land zum Preis von 1,25 Dollar pro Morgen gewährt.

Im New Yorker Winter Garden Theater wird Hamlet aufgeführt, Lewis Carolls Alice im Wunderland erscheint, die USA haben eine Einwohnerzahl von knapp 39 Millionen erreicht, Edison hatte einen elektrischen Wahlzähler erfunden und in New England wurde mit der Herstellung von Papier aus Zellstoff begonnen.
Und in diesem selben Land sollte es im Westen noch Menschen geben, die unter steinzeitlichen Bedingungen jeden Tag erneut ums Überleben kämpften?
Die Geschichte zeigt uns, dass die Realität noch viel schlimmer war.
Deshalb zum Abschluss meiner Trilogie über die wahren Helden des Westens dieser Artikel über die Pioniere. Anhand des Schicksals einiger weniger möchte ich das wahre Leben dieser Pioniere darstellen. Nicht aus Zeitungen und Sensationsmeldungen, sondern aus erzählten Überlieferungen, privaten Tagebucheintragungen und Berichten aus örtlichen Gemeindeblättern.

Eines dieser Schicksale über die raue Wirklichkeit spiegelt sich in einer Geschichte wieder, die Mitte des 19. Jahrhunderts an der Grenze jedes Kind kannte.
Eine Familie mit zwei kleinen Kindern machte sich von Missouri auf, gen Westen zu ziehen. Sie besaßen aber keinen Wagen, ja nicht einmal ein Maultier, das ihre Habe hätte tragen können. Sie mussten auf ihrem Weg ins gelobte Land alle Bürden mit ihren Schultern tragen und sich auf ihre Füße verlassen. Beide waren so schwer beladen, dass der Mann nur noch eines der Kleinkinder tragen konnte, das andere musste zurückbleiben. Also trug der Mann abwechselnd einmal seinen kleinen Sohn und einmal die Tochter unter dem Arm eine Meile weit hinter der gebeugt dahinschreitenden Frau her, setzte das Kind ab, legt Axt, Gewehr und Gepäck zu Boden und ging zurück, um das andere Kind zu holen. Dieses trug er eine halbe Meile über den Rastplatz des ersten Kindes hinaus und schlug den Holzpflock, der an einen Fuß des Kindes gebunden war, tief in die Erde. Sodann ging er wieder zurück, belud seine Schultern, packte das Kind unter den Arm und der gleiche Vorgang wiederholte sich bis zum Sonnenuntergang. Inzwischen hatte die Frau ihre Last weitergetragen, dreimal am Tag ein Feuer entzündet und für die Familie Mahlzeiten zubereitet und mit Einbruch der Dunkelheit ein Nachtlager gesucht. Auf diese Weise zog die Familie gen Westen.
Millionen sollten folgen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten – von 1865 bis 1885 – erhöhte sich so die Bevölkerung von Dakota von 17.000 auf 719.000, die von Kansas von 364.000 Bewohner auf 1,43 Millionen und in Osttexas wuchs die Anzahl in dieser Zeit von 818.000 Einwohnern auf 2.235.000. Aber der Anfang war nirgendwo ein Zuckerschlecken.

Die ersten Siedler lebten in Erdbehausungen, die sie halb in den Boden, halb in Hügel gruben, mit Wänden aus Grassoden und Lehm. Ihre Tage waren erfüllt vom Kampf um die nächste Mahlzeit in einem fast menschenleeren Land. Hitzetemperaturen im Sommer von 40 Grad und im Winter von minus 40 Grad waren in den Grassteppen von Kansas oder Nebraska keine Seltenheit.

Nicht alle trotzten dieser Wildnis. Ein Farmer von den Plains schrieb mit Kreide an die Tür seiner verlassenen Hütte: »400 Kilometer bis zur nächsten Post, 160 Kilometer bis zum Wald, 32 Kilometer zum Wasser und 15 Zentimeter zur Hölle. Ziehen zur Familie meiner Frau zurück.« Andere hatten etwas mehr Glück, weil der nächste Arzt und die nächste Ortschaft nur 100 Kilometer von ihrer Hütte entfernt waren. Wer dennoch ausharrte und auf dessen kümmerlichen Feldern die Ernte am Ende des Sommers nicht von einem Wolkenbruch niedergedrückt, vom Hagelschlag zerschmettert, vom Präriefeuer verkohlt oder von Heuschrecken kahl gefressen wurde, konnte seine Familie im Winter mit Brot versorgen. Wobei die aufgezählten Gefahren beileibe nicht alle waren, die auf den Siedler und sein Getreide und Gemüsefeld warteten. Da gab es noch Präriehunde, Mäuse und Kaninchen, welche die Felder unterhöhlten, Büffelherden, die alles zerstampften oder Kugelblitze, Sandstürme und Zyklonen, welche die Ernte noch vernichten konnten. Zusätzlich die Gefahren für Leib und Leben während eines ganz normalen Siedleralltags. Man konnte an Typhus, Blattern oder Cholera erkranken, wobei Letztgenanntes mit zu den häufigsten Todesarten auf den Plains zählte. Umherziehende Indianer konnten einen skalpieren, überall im Boden lauerten im Sommer giftige Taranteln, Skorpione, Klapperschlangen oder tollwütige Stinktiere und im Winter hungrige Büffelwölfe, für die der Mensch eine leichte Beute war. Und wer etwas dagegen hatte, sein bescheidenes Heim, das durchschnittlich 12 bis 16 qm maß, des Nachts mit der Milchkuh, dem Pferd und den Hühnern zu teilen, kam am anderen Morgen sehr oft in den Genuss, nur noch deren blanke Gerippe einzusammeln. Das Geheul von Kojoten und Präriehunden begleitete diese Generation Amerikaner. Erst als die Eisenbahn die wüsten Regionen mit ihrem Schienennetz überbrückt hatten, verlor das Land für die Siedler ihren Schrecken. Doch aus den archaisch anmutenden Urzuständen zu Beginn der Siedlungsgeschichte heraus entwickelte sich eine Kultur und ein Menschenschlag, deren Geist noch heute den amerikanischen Nationalcharakter mitbestimmt. Diese Pioniere, Siedler wie Cowboys und Goldsucher waren die eigentlichen Helden des Westens. Sie waren das Salz dieser Erde, deshalb wäre es ungerecht, sie zu vergessen.

Bis denn mal wieder …
Euer Slaterman

Quellen:

(Slaterman)