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Jackson – Teil 10

Lauf oder stirb

Sergeant Riley Warrington war ein Arschloch, wie es im Buch stand. Arrogant, hinterhältig, und brutal. Aber vielleicht musste man ein Arschloch sein, um als Ausbilder einer Kampfeinheit zu bestehen. Es gab Zeiten, in denen ich ihn mit Freuden tagtäglich in die Luft sprengen, die Eier abschneiden oder einfach nur erschlagen wollte.

Aber inzwischen, mit dem Abstand der Jahre, hegte ich sogar so etwas wie Achtung vor meinem Army-Ausbilder. Damals verfluchte ich ihn, wenn er uns mit vollem Sturmgepäck zum zwanzigsten Mal einen Hügel hinauf jagte, bis uns das Wasser im Arsch kochte. Heute war ich ihm für diese Quälereien sogar dankbar.

Ich kannte nur wenige Leute, die in meinem Alter nicht nur mental so fit waren.

Ich wusste nicht warum, aber beim Anblick dieser verdammten Ehrenprüfung kam mir wieder eines seiner Zitate in den Sinn.

Die meisten Schlachten werden gewonnen oder verloren im Willen der Gegner. Vergiss deine Angst, kämpfe und du wirst leben!

Ich dachte daran, wie Warrington sich immer verhalten hatte, wenn es eng wurde, und plötzlich wusste ich, dass ich diese Scheiße hier überleben würde.

Ich versuchte, den Parcours zuerst mit kleinen, vorsichtigen Schritten zu überqueren, mit dem Ergebnis, dass die ausgewählten Krieger alle Zeit der Welt hatten, um auf mich einzuprügeln. Innerhalb kürzester Zeit blutete ich aus unzähligen kleinen und großen Wunden.

Instinktiv begann ich schneller zu laufen.

Ich hätte es besser nicht getan.

Der Boden glich dem Nagelbett eines Fakirs und bereits nach wenigen Schritten steckten mehrere Holzsplitter in meinem linken Fußballen und scharfkantige Tierknochen hatten mir die Wade aufgerissen.

Humpelnd verharrte ich für einen Augenblick.

Mir war klar, dass ich so nicht einmal die Hälfte der Strecke bewältigen würde. Ich musste eine Entscheidung treffen, und zwar schnell.

Ein Holzstock kam auf mich zu und riss mich aus meinen Überlegungen. Der Schlag kam so plötzlich, dass ich ihn gar nicht kommen sah. Der Stock traf mich voll auf die Schulter. Der Schmerz war mörderisch.

Nun war ich rasend vor Wut. Ich brüllte, packte den Stock und hielt ihn fest. Mit einem wilden Ruck riss ich ihn zu mir heran.

Der Nayano, der das andere Ende des beinahe sechs Fuß langen Holzstabes in den Händen hielt, wurde von meinem Wutausbruch völlig überrascht. Er machte den Fehler, den Stab nicht loszulassen. Ich zog ihn mit einem Gewaltausbruch meiner 200 Pfund Lebendgewicht wie einen Spielball über den Zaun, und als er endlich begriffen hatte, was geschah, war es zu spät. Er knallte sozusagen mit Anlauf auf den Boden.

Sein Gebrüll gellte mir in den Ohren. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Menschen so schreien gehört.

Zwei Sekunden später schrie er nicht mehr. Er lag still auf dem Boden. Einer der zugespitzten Holzpflöcke hatte sich in sein linkes Auge gebohrt, das Gehirn durchstoßen und war oberhalb des Nackens am sogenannten Hinterhauptbein wieder ausgetreten. Vier weitere hatten seine Arme durchbohrt und ich weiß nicht mehr, wie viele seinen Körper und die Beine.

Er war hart gestorben.

Trotzdem ließ mich sein Tod unberührt.

 

***

Die Ruhe, die danach eintrat, war geradezu gespenstisch.

Aber nur für einen Augenblick. Dann donnerte von den wartenden Nayanos her ein ohrenbetäubender Lärm voll von Flüchen und Schreien nach Tod zu uns herüber. Die auserwählten Krieger am Zaun schlugen, droschen und stachen in wilder Raserei auf mich ein. Ich duckte mich, tanzte zur Seite, wehrte Knüppel vom Kopf ab und teilte dabei auch gehörig aus.

Sicher musste ich einige schmerzhafte Treffer einstecken, aber wenn die Auserwählten nur ein bisschen kühlen Kopf bewahrt hätten, wären meine Chancen, das Ziel zu erreichen, gleich null gewesen. Keiner nahm sich mehr die Zeit für einen gezielten Hieb, aufgeputscht durch den Tod eines der Ihren schlugen sie alle beinahe gleichzeitig in blinder Wut nach mir, ohne zu bemerken, dass sie sich dabei gegenseitig behinderten.

Ich hingegen zielte genauer.

Bewusst nahm ich einige Treffer in Kauf, aber dann zahlte ich es ihnen mit gleicher Münze zurück. Ich stieß meinen Stock vor und sein Ende bohrte sich in den Leib eines Auserwählten. Der Krieger beugte sich röchelnd nach vorne. Ich schlug ihm das Holz an den Schädel und der Mann ging zu Boden. Blitzschnell wirbelte mein Stock zur Seite und erwischte einen zweiten, obwohl er auszuweichen versuchte. Er schrie und verschwand ebenfalls von der Bildfläche. Die Angriffsbemühungen der anderen gerieten ins Stocken.

Offensichtlich brachte sie meine rabiate Gegenwehr völlig aus dem Konzept.

Das schien auch der Rest der Nayanos zu spüren, die unweit von uns das Geschehen beobachteten. Zum ersten Mal erlebten sie jemanden, der sich nicht wie ein willenloses Opferlamm zur Schlachtbank führen ließ.

Auch wenn sie eine rohe und gewalttätige Bande waren, Mut schienen sie zu respektieren. Ihre wilden Schreie nach Blut und Tod wurden schwächer und plötzlich schien die Stimmung zu kippen. Die ersten Anfeuerungsrufe ertönten.

Meine Peiniger waren jetzt völlig konfus.

Ich hatte noch etwa ein Viertel der Strecke vor mir und setzte alles auf eine Karte. Ich ignorierte blutige Füße, von Holzspitzen durchbohrte Waden und zerschnittene Unterschenkel und stapfte wie eine Maschine voran.

Das Ziel vor Augen setzte ich den Stock wie beim Stabhochsprung ein und katapultierte mich schließlich mit einem weiten Satz aus der Umzäunung heraus in Sicherheit.

Erschöpft, zitternd und blutend blieb ich im Sand liegen.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, wie ein paar der Nayanos auf mich zukamen.

Sollten sie mich am Ende doch noch töten?

Ich dachte nur wenige Sekunden darüber nach, dann schloss ich die Augen und ergab mich in mein Schicksal, so fertig war ich.

 

***

Irgendwann hob ich den Kopf und blickte mich um.

Tano und ein halbes Dutzend anderer hockten vor mir im Sand und starrten mich an. Ich fühlte mich hundeelend und musste ein Würgen unterdrücken. Mein ganzer Körper war eine einzige schmerzende Wunde. Mühsam wälzte ich mich zur Seite und versuchte auf die Knie zu kommen. Es gelang mir erst nach mehreren Versuchen.

»Du bist der seltsamste Mann, den ich je kennengelernt habe«, sagte Tano leise. »Du bist mutig, du bist stark, du hättest an meiner Seite als der größte Krieger in die Geschichte unseres Volkes eingehen können, aber du hast alles zerstört wegen einer Frau!«

Das letzte Wort spuckte er förmlich aus.

»Jetzt kann ich dir nicht mehr helfen, ich muss tun, was das Gesetz unseres Volkes verlangt.«

Tano erhob sich und seine Stimme klang hart.

»Du hast die Straße der Ehre überlebt, die Götter waren dir wohlgesonnen. Aber du wirst uns jetzt verlassen, du bist verbannt. Du musst den Nayanos für immer fernbleiben, sonst …«

Ich verstand. Ich hatte überlebt, aber das war es auch schon. Ich musste ihr Lager verlassen, sonst war ich ein toter Mann.

Aber das konnte mir eigentlich egal sein. Nackt, ohne Waffen und Wasser war ich da draußen im Buschland spätestens bis zum Abend genauso tot.

Tano und die anderen entfernten sich ohne ein weiteres Wort. Ich richtete mich auf und blickte ihnen nach. Ich konnte Yalla nirgendwo entdecken. Ich empfand eine tiefe, bittere Leere. Als die Nayanos meinem Blickfeld entschwunden waren, machte ich mich auf den Weg.

Der Gang zurück in ihr Lager war mir verwehrt, also beschloss ich zurückzugehen, zum Wrack der Piper, wo alles begonnen hatte. Vielleicht fand ich dort eine Antwort auf all diese Dinge hier, die so unwirklich waren, dass ich immer wieder an meinem Verstand zu zweifeln begann. Meine Gedanken galten Yalla, während ich ostwärts torkelte, halb betäubt von meinen vielen Wunden.

Gegen Mittag wurden meine Bewegungen langsamer.

Ich schwitzte und der allgegenwärtige Sandstaub vermischte sich mit meinem Schweiß und dem Blut zu einer dicken Schicht, die meinen Körper wie eine zweite Haut bedeckte und mir sämtliche Poren verstopfte. Der Staub drang in meinen Mund, trocknete meinen Hals aus und setzte sich bis in den letzten Winkel meines Körpers fest.

Als es Nachmittag wurde, ließ ich mich im Schatten einer Sanddüne nieder.

Ich war völlig ausgepumpt und hatte das Gefühl, mein Kopf würde platzen.

Durst quälte mich, aber um mich herum war nichts als die endlose Weite des australischen Buschlandes, die kein Ende nehmen wollte. Mein Herz sagte mir, dass ich ins Lager der Nayanos zurückkehren musste, um zu überleben, mein Verstand, dass es unmöglich war.

Ich lief weiter.

Irgendwann ließ mich der Durst fast verrückt werden. Meine Haut an Rücken, Schultern und Brust war feuerrot und spannte sich.

Irgendwann fiel ich auf die Knie. Mir war schwarz vor Augen. Meine Gedanken wirbelten durcheinander.

Das ist das Ende!, schoss es mir durch den Kopf.

In diesem Moment bemerkte ich seitlich von mir ein Glitzern. Ich drehte den Kopf und meine Augen begannen sich ungläubig zu weiten.

Das Glitzern war nichts anders als das reflektierende Licht der Sonnenstrahlen, die sich auf dem blank polierten Lauf eines Gewehres spiegelten.

 

Fortsetzung folgt …

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