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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jackson – Teil 5

Hetzjagd ohne Gnade

»Nimm sofort das Messer weg!«, rief Yalla.

Der Unbekannte hinter mir schien zu zögern. Obwohl ich ihn nicht sehen konnte, spürte ich deutlich, dass er den Kopf schüttelte.

»Messer weg!«, zischte meine Begleiterin, diesmal bedeutend energischer. »Er ist ein Freund.«

Nach einem Moment der Stille lockerte die Gestalt hinter mir ihren Griff und zog die Klinge zurück. Ich rieb mir über die Kehle und verschmierte Blut.

»Kein Freund, Fremder!« Der Typ spuckte die Worte förmlich aus.

»Jetzt nicht mehr. Jeder, der den weißen Männern begegnet und überlebt, ist unser Freund.«

»Er weißes Volk gesehen?« Der Messermann grunzte überrascht. »Wer das sagen?«

»Er«, entgegnete Yalla und zeigte auf mich. »Und ich glaube ihm.«

»Mann lügt!«

Allmählich begann es mich in den Fäusten zu jucken. Keiner durfte mich ungestraft einen Lügner nennen und schon gar nicht jemand, der sich heimlich hinter meinen Rücken schlich.

Langsam, jedwede hastige Bewegung vermeidend, drehte ich mich um und musterte die Gestalt, die mir das Messer an die Kehle gehalten hatte.

Ich musste mich mit aller Macht zusammenreißen, um nicht erschrocken loszuschreien. Denn das, was mir hier in der Dämmerung mit kleinen, blicklosen Augen entgegenstarrte, war alles Mögliche, nur kein Mensch. Diese Kreatur war ein geradezu groteskes Abbild der Darwinschen Evolutionstheorie. Eine Mischung aus Mensch und Tier, ungewöhnlich stark behaart und bis auf einen Lendenschurz vollkommen nackt. So wie er dastand, mit nach vorne gebeugtem Oberkörper, den krummen Beinen und der gewaltigen, von Muskelsträngen überzogenen Brustpartie, erinnerte er mich eher an einen Gorilla als an einen Menschen. Ein Eindruck, der durch seine niedrige Stirn und die platt gedrückte Nase noch verstärkt wurde.

Andererseits konnte ich mich nicht erinnern, jemals von einem Affen gehört zu haben, der unsere Sprache beherrschte und zudem eine Waffe benutzte, die alles andere als primitiv war.

Soweit ich es im letzten Licht der untergehenden Sonne erkennen konnte, war das Ding aus irgendeinem dunklen Quarzgestein gefertigt und, wie ich bereits unfreiwillig zu spüren bekommen hatte, mit einer rasiermesserscharfen Klinge versehen.

Wer oder was verdammt noch mal war also dieses Wesen?

Sekundenlang standen wir uns gegenüber und musterten uns schweigend.

Für mich war es dabei unmöglich, in seinem ausdruckslosen Gesicht irgendwelche Gedanken zu erraten. Nach einer gefühlten Ewigkeit schaute er zu Yalla und fragte sie etwas in einem Kauderwelsch, das sich für mich wie das Bellen eines Straßenköters anhörte.

»Was hat er gesagt?«, fragte ich meine Begleiterin.

Yallas lächelte. »Skmil hat gesagt, dass du entweder sehr tapfer oder sehr dumm bist, wenn du dich alleine in das Gebiet des weißen Volkes wagst. Er weiß nur noch nicht genau, was von beiden.«

Ich grinste bösartig.

Nachdem das Messer von meiner Kehle verschwunden war und ich meinen Gegenspieler jetzt direkt vor mir hatte, gewann ich allmählich wieder Oberwasser.

»Dann sag diesem Affen, dass ich ihm morgen, sobald ich ausgeruht bin, gerne eine Antwort darauf gebe.«

Der Blick, mit dem mich Skmil daraufhin bedachte, hätte nicht tödlicher sein können.

 

***

»Wo kommst du plötzlich her?«

Skmil, bei dem ich immer noch nicht wusste, ob er Affe oder Mensch war, verzog sein hässliches Gesicht und musterte Yalla beinahe vorwurfsvoll.

»Tano sagen, ich dich suchen.«

»Warum? Es hat doch jeder gewusst, dass ich jagen gehe.«

»Viel lange, schon viermal dunkel«

»Ich kann leider noch nicht fliegen«, erwiderte Yalla schnippisch. »Zu Fuß braucht man nun mal einen Tag und eine Nacht, bis man die Ebenen erreicht hat.«

»Du im verbotenen Land?« Entsetzen machte sich auf dem sonst so ausdruckslosen Gesicht dieses Urmenschen breit.

»Wo denn sonst? Hier in den Bergen gibt es doch schon lange kein Wild mehr und von irgendetwas müssen wir schließlich leben. Oder hast du Lust zu verhungern?«

»Tano böse, wenn ich sage«, sagte Skmil, ohne auf die Frage der jungen Frau einzugehen.

Unvermittelt hob er den Kopf und begann mit seiner platt gedrückten Nase hörbar die Luft einzuziehen.

»Wo Beute?«, fragte er nach geraumer Zeit harsch.

Offensichtlich war er mit dem Ergebnis seiner Witterung nicht zufrieden.

»Die musste ich in der Ebene zurücklassen. Ich hatte Ärger mit den weißen Männern. Aber dafür habe ich ihn gefunden«, erwiderte Yalla und deutete dabei auf mich.

Skmil schnaubte verächtlich. »Viel dürr. Davon werden nicht Kinder satt.«

Seine Stimme klang gedämpft und er war kaum zu verstehen, anscheinend war es hier in der Dunkelheit nicht ratsam, laut zu reden. Doch seine Worte jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken. Trotz der lauen Abendluft begann ich plötzlich zu frieren und zog die Schultern hoch. Ernährten sich Yalla und ihre Leute etwa von …

Bevor ich diesen Gedanken weiterspinnen konnte, war unter uns ein Geräusch zu hören, als ob jemand am Fuß der Hügel auf dem Geröllpfad ausgerutscht war. Mit einem Satz war Skmil am Rand des Plateaus und starrte den Pfad hinunter, auf dem wir hierher gekommen waren.

Ein normaler Mensch hätte dort unten wahrscheinlich nichts mehr erkennen können, aber Skmil war nicht mit normalen Maßstäben zu messen.

»Was ist los?« Yalla glich einer zum Sprung bereiten Raubkatze.

»Weißmänner«, sagte Skmil und starrte weiterhin angestrengt nach unten. Dabei hob er die Linke und streckte Daumen und Zeigefinger in die Luft.

Zwei Männer also.

»Wir müssen weg«, flüsterte Yalla.

»Ich weiß nicht, ob das so sinnvoll ist«, gab ich ebenso leise zurück. »In spätestens einer halben Stunde ist es so dunkel, dass man nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen kann. Wenn wir dann da draußen herumrennen, laufen wir Gefahr, uns sämtliche Knochen zu brechen. Hier zwischen den Felsen haben wir Deckung. Hier könnten wir in aller Ruhe auf sie warten.«

»Aber das kostet Zeit«, widersprach Yalla. »Bis dahin sind die anderen da und dann ist es für eine Flucht zu spät.«

»Welche anderen?«

Der Blick, den mir Yalla daraufhin zuwarf, gab mir das Gefühl, als war sie der Meinung, einen dummen Schuljungen vor sich zu haben.

»Wenn die Weißen in diese Berge kommen, ist es stets mindestens ein Dutzend von ihnen.«

Also zwölf, das war natürlich ein Argument.

»Still!«, mischte sich Skmil in unsere Unterhaltung ein. »Sie kommen, jetzt laufen!«

Ich schwieg, drehte mich um und setzte mich in Bewegung. Yalla war uns inzwischen bereits fünf oder sechs Schritte voraus.

 

***

Wir liefen bis Mitternacht nebeneinander her. Niemand sagte ein Wort, wir mussten mit unseren Kräften haushalten. Ab und zu blieb einer von uns stehen und schaute sich um. Aber noch war von den Verfolgern nichts zu sehen. So liefen wir weiter in der Hoffnung, dass wir unsere Spuren so gut verwischt hatten, dass uns die Weißen nicht folgen konnten.

Irgendwann in der Nacht stießen wir auf ein Wasserloch.

Ich war unterdessen vollkommen erledigt. Meine Füße schmerzten, mein Schädel pochte und ich war so müde, dass ich auf der Stelle einschlafen wollte. Das Einzige, was mich noch auf den Beinen hielt, war die Tatsache, dass es meinen Begleitern nach diesem nächtlichen Gewaltmarsch nicht viel besser ging.

Ich erreichte das Wasserloch als Letzter. Als ich dort ankam, hatten Yalla und Skmil bereits getrunken und badeten ihre brennenden Füße in dem kleinen Tümpel. Ich brachte meine Lippen trotzdem an den Rand des Wassers und begann zu trinken, bis ich das Gefühl hatte zu platzen. Mir wäre es auch egal gewesen, wenn sie ihren Hintern in der Brühe gewaschen hätten. Aber das konnte nur jemand nachvollziehen, der einen halben Tag lang durch den australischen Busch marschiert war und nichts zu trinken bekommen hatte außer einem Schluck Wurzelsaft.

Für mich war das abgestandene Wasser dieses Tümpels geradezu ein Geschenk Gottes.

Ich war gerade dabei, meinen Kopf in das erfrischende Nass einzutauchen, als mir Skmil mit seiner Fußspitze freundschaftlich gegen die Rippen klopfte.

Ich wirbelte herum und war kurz davor, diesem Urzeitmenschen in die Eier zu treten, als mich ein Blick in seine kleinen Augen davon abhielt.

Die Angst darin war unübersehbar.

»Sie kommen!«

Ich hob den Kopf und starrte an Skmil vorbei in die Richtung, in die er deutete. Zuerst sah ich nichts als die schattenhaften Umrisse einiger Felsen, aber dann schob der Nachtwind ein Wolkenband zur Seite, das bisher den Mond verdeckt hatte, und im silbernen Schein des Erdtrabanten konnte ich die Umrisse unserer Verfolger ausmachen.

Mit ihren weißen Uniformen hoben sie sich deutlich vor dem nächtlichen Horizont ab. Sie waren etwa zwei Meilen hinter uns und inzwischen zu viert.

»Kommt!«, knurrte Skmil.

Wir stolperten weiter, bis uns jeder Knochen und jeder Muskel schmerzte. Die Weißen schienen im Gegensatz zu uns absolut nicht zu ermüden. Sie hetzten uns gnadenlos und kamen immer näher. Skmil fluchte heiser und drängte uns zu noch größerer Eile.

Aber so sehr wir uns auch anstrengten, irgendwann waren wir am Ende. Kein Wunder, denn jeder von uns war seit mindestens vierundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Es würde nicht mehr lange dauern und wir mussten anhalten oder fielen um wie die Fliegen.

Ein scheußlicher Gedanke.

Mir war klar, was passierte, wenn sich unser erschöpfter Haufen in einem fremden Terrain einer Übermacht stellen musste.

Ich mobilisierte meine letzten Kräfte.

Neben mir hörte ich das Keuchen von Yalla und Skmil. Ihre Gesichter waren vor Anstrengung verzerrt. Sie hielten beide ihre Messer in den Händen. Skmil rannte an mir vorbei auf eine Felsengruppe zu, in der er vermutlich Deckung suchte.

In diesem Moment blitzte es hinter uns auf.

Skmil wurde zur Seite geschleudert. Er ließ sein Messer fallen und prallte mit der Schulter gegen einen Felsbrocken. Betäubt blieb er am Boden hocken und schüttelte unwirsch seinen kantigen Schädel. Blut rann ihm aus der Schulter. Sein Gesicht war eine einzige Maske aus grenzenloser Verwunderung, Schmerz und Entsetzen.

Die Weißen hatten uns fast erreicht. Unaufhaltsam wie Maschinen stapften sie heran. Jeder von ihnen hielt eine Waffe im Anschlag.

»Tötet nicht alle!«, erschallte eine kalte Stimme.

In hilfloser Wut schleuderte ich dem Vordersten unser Verfolger einen Stein entgegen.

Er duckte sich und lachte höhnisch.

Das war’s dann wohl, dachte ich. Ich ahnte nicht, wie sehr ich mich täuschen sollte.

 

***

Unvermittelt lag ein Rauschen und Rumoren in der Luft, ähnlich den tosenden Wellen eines riesigen Ozeans, das immer lauter wurde. Gleichzeitig wurde der Boden von einem leichten Vibrieren erfasst, das sich immer mehr steigerte. Wir alle, auch die Weißen, verharrten und versuchten, die Ursache der seltsamen Vorgänge zu lokalisieren.

Der Lärm wurde immer lauter und kam näher. Der Boden erzitterte im Sekundentakt wie unter den Hammerschlägen eines imaginären Riesen.

Und dann war es plötzlich vor uns.

Etwas, das so groß wie ein Haus war.

Ich legte den Kopf in den Nacken …

… und erstarrte.

Ich war kurz davor, wahnsinnig zu werden.

Fassungslos starrte ich auf die gigantische, sicherlich 40 Fuß große, geschuppte Echse, die eine Schneise der Vernichtung hinter sich lassend direkt auf uns zukam. Mein Verstand weigerte sich zu begreifen, was er sah.

Aber die Bestie war real.

Ich kannte das monströse Ungetüm, das mit ungeheurer Geschwindigkeit auf uns zustapfte, schließlich war ich in meiner Freizeit ein begeisterter Besucher des Natural History Museums im Londoner Stadtteil South Kensington.

Vor uns stand ein leibhaftiger Tyrannosaurus Rex!

 

Fortsetzung folgt …

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