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Jackson – Teil 4

Yalla

Sie stand einfach da und starrte mich an.

Sie war jung, kaum mehr als zwanzig, und hager wie ein Wüstenfuchs. Trotzdem wirkte sie kräftig und zäh.

Sie musste kurz nach dem Unwetter wieder durch die Gegend gelaufen sein. Ihr schulterlanges Haar glänzte feucht und ihr bloßer Oberkörper war mit unzähligen Schlammspritzern bedeckt.

Dennoch war sie im Grunde genommen ein netter Anblick, wenn es da nicht die starren, kalt schimmernden Augen gegeben hätte und das blutverschmierte Messer.

Das verfluchte Ding war ungefähr so lang wie mein Unterarm und die Klinge leicht nach oben gekrümmt. Im gleichen Augenblick, in dem ich sie ansprechen wollte, hob sie das Messer ein Stück weit an und zielte mit der Spitze auf meine Brust. Als ich das Blitzen in ihren Augen sah, rollte ich zur Seite und federte hoch.

Ich unterlief ihre Waffenhand und rammte ihr im Gegenzug meine rechte Schulter in den Bauch. Sie grunzte wütend und ließ das Messer fallen, während sie rücklings zu Boden stürzte. Ich fiel genau auf sie und sie versuchte sofort, mir die Finger in die Augen zu stoßen.

Ich packte sie an den Handgelenken und drückte ihre Arme mühelos zu Boden. Sie bäumte sich auf und versuchte mich abzuschütteln, aber sie hatte gegen mich nicht den Hauch einer Chance.

Sie versuchte es dennoch immer wieder.

»Jetzt ist es aber genug«, sagte ich irgendwann verärgert. »Wenn du nicht sofort mit dem Blödsinn aufhörst, werde ich wirklich böse, ist das klar?«

Statt zu antworten, stieß sie den Kopf vor, um mir das Nasenbein zu zertrümmern. Ich konnte gerade noch den Kopf zur Seite nehmen, als ihre knochige Stirn auch schon mit voller Wucht gegen meine Schulter knallte.

Danach war bei mir Schluss mit lustig.

Für einen Moment vergaß ich meine guten Manieren und schlug zu.

Ich war noch längst nicht wieder im Vollbesitz meiner Kräfte. Mein Kopf dröhnte erneut wie eine Kesselpauke und jede Faser meines Körpers schrie geradezu nach Ruhe. Ich konnte es mir nicht leisten, mich mit dieser Wildkatze auf eine längere Auseinandersetzung einzulassen und traf sie voll auf den Punkt.

Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert und dann lag sie da wie tot.

Ich ließ sie los und richtete mich auf. Nach einem kurzen Blick auf die leblose Gestalt verwendete ich die nächsten Minuten darauf, meine Umgebung zu inspizieren. Ich hatte die Männer in ihren weißen Ganzkörperoveralls nicht vergessen, das Geschehen der letzten Stunden lief immer noch ständig wie ein billiger Trash-Film vor meinem inneren Auge ab.

Es schien jedoch, als ob sich dieses Problem erledigt hatte, wenigstens vorläufig. Obwohl ich das umliegende Land minutenlang angestrengt beobachtete, bekam ich nichts anderes zu sehen als eine sonnenverbrannte Wüstenlandschaft, aus der hier und da mannshohe Dornensträucher emporragten.

Keine Spur von irgendwelchen weißen Gestalten. Die Ebene vor mir war einfach nur leer, einsam und still. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, kamen vom Wind, der von den Hügeln im Westen über das Land strich und die Luft mit Sand und Staub erfüllte.

Während ich die Gegend musterte, ertappte ich mich dabei, wie ich ständig zu der Frau hinüberblickte. Sie lag immer noch reglos auf dem Rücken.

So langsam begann ich mir Sorgen zu machen.

Verdammt, so fest hatte ich doch gar nicht zugeschlagen. Selbst wenn ich sie voll erwischt hätte, wäre sie höchstens für ein, zwei Minuten im Reich der Träume gelandet. Meine Faust war schließlich nicht aus Eisen.

Sichtlich erleichtert bemerkte ich, wie sie endlich ein Lebenszeichen von sich gab, auch wenn es nur eine Drehung mit dem Kopf war. Beiläufig registrierte ich, dass ihre Schultern immer wieder krampfartig zuckten. Offensichtlich weinte sie.

Ich gab ihr etwas Zeit, bis ich auf sie zuging. Als ich sie ansprach, richtete sich die Frau auf. Sie hatte inzwischen aufgehört zu weinen.

»Und? Hast du dich jetzt wieder beruhigt?«

»Ja«, sagte sie, ihre Stimme klang heftig. »Ich habe mich wieder beruhigt.« In ihren Augen blitzte es zornig.

»Warum bist du mit dem Messer auf mich losgegangen? Ich habe dir doch gar nichts getan.«

Statt einer Antwort kam eine Gegenfrage. »Wer bist du?«

»Mein Name ist Adam Jackson«, sagte ich. »Und du?«

»Yalla«, erwiderte die Frau und wischte sich mit dem Handrücken den Rotz von der Nase.

»Yalla?« Ich blinzelte verständnislos.

»Mein Name ist Yalla«, erklärte sie.

»Was macht eine junge Frau wie du hier in dieser Einöde?«, wollte ich wissen.

»Später, zuerst müssen wir von hier weg.«

Im ersten Augenblick konnte ich ihre plötzliche Nervosität überhaupt nicht verstehen. Sie fuchtelte hektisch mit den Armen und gab mir mit knappen Gesten zu verstehen, dass wir so schnell wie möglich von hier verschwinden mussten.

Aber wieso?

Um uns herum war nichts als Wüste, Sand und Staub.

Die Sonne ging allmählich im Westen unter und es war immer noch heiß, sehr heiß.

Weshalb warteten wir also nicht bis zum Abend und marschierten weiter, wenn die Temperaturen auf ein erträgliches Maß gesunken waren? Unser Platz hier war so gut wie jeder andere.

Daraufhin angesprochen schüttelte Yalla energisch den Kopf. Irgendwie wirkte sie seltsam angespannt. Ich wollte es nicht beschwören, aber als ich sie ansah, vermeinte ich eine Sekunde lang so etwas wie Angst in ihren Augen gesehen zu haben.

Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht, jedenfalls bekam ich keine Antwort. Stattdessen ging sie in die Knie, um ihr Messer vom Boden aufzuheben. Für einen Atemzug hatte ich ein seltsames Ziehen in der Magengegend.

»Woher stammt das Blut?« Meine Stimme klang seltsam belegt, indes ich fortwährend auf die Waffe in ihren Händen starrte.

»Ich war jagen«, erwiderte sie spröde, drehte sich einfach um und eilte, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, gen Westen.

Ich folgte ihr. Je länger ich ihr dabei hinterherlief, umso mehr begann ich mich in Gedanken zu verfluchen. Was war ich bloß für ein Idiot! Bei meiner überstürzten Flucht aus dem Wrack der Piper hatte ich so ziemlich alles zurückgelassen, was mir hier in dieser Einöde hätte weiterhelfen können. Verbandskasten, Wasserflasche, einen Hut, um mich vor der sengenden Sonne zu schützen, irgendeine Waffe oder Proviant. Eines der Riesensandwichs aus Amelias Tasche hätte für mich als Notration bestimmt zwei Tage gereicht.

Aber all diesen Dingen jetzt nachzutrauern war ebenso müßig wie sinnlos. Sie waren genauso wie das Flugzeug längst Geschichte: zerfetzt, verbrannt, ihre Asche in alle Winde zerstreut.

 

***

Wenn mir noch vor einer Woche jemand gesagt hätte, dass ich neben einer schmächtigen Frau wie Yalla wie ein Großvater daherkommen würde, ich glaube, ich hätte demjenigen entweder ins Gesicht gelacht oder so ein Brett verpasst, dass er bis an sein Lebensende aus einer Schnabeltasse trinken musste.

Aber es war Wirklichkeit.

Okay, ich hatte seit Stunden nichts getrunken oder gegessen und wanderte stattdessen mit einer ausgewachsenen Gehirnerschütterung durch einen Backofen, der sich Australien nannte.

Aber es wurmte mich trotzdem, dass ich Mühe hatte, ihr zu folgen, wobei das Schlimme war, dass sie mich diesen Umstand auch ständig spüren ließ. Immer wieder, wenn sie mir ein paar Schritte enteilt war, blieb sie stehen und musterte mich ungeduldig.

»Verdammt«, fragte ich, als ich wieder einmal keuchend zu ihr aufgeschlossen hatte. »Warum rennen wir hier eigentlich wie die Verrückten durch die Gegend?«

Yalla blieb abrupt stehen und bedachte mich mit einem Blick, als hätte ich soeben die dümmste aller Fragen gestellt, die man in unserer Situation von sich geben konnte.

»Wir befinden uns im verbotenen Land. Wir sollten nicht hier sein, denn wenn uns die Männer vom weißen Volk hier finden, werden sie uns töten.«

»Das weiße Volk? Meinst du etwa diese verdammten Maskierten?«

Yalla riss entgeistert die Augen auf. »Du bist ihnen schon begegnet?«

Statt einer Antwort zuckte ich vielsagend mit den Schultern und blickte mich um.

Ihren Aussagen nach zu urteilen vermutete sie, dass wir jederzeit mit dem Erscheinen dieser weiß gekleideten Gestalten mit ihren schrecklichen Waffen rechnen mussten. Aber es geschah nichts dergleichen.

»Keine Angst«, sagte sie beruhigend, nachdem sie meine nervösen Blicke bemerkt hatte. »Ich kenne ein paar geheime Pfade, auf denen wir ungesehen bis zu den Hügeln kommen. Wenn wir erst einmal dort sind, werden sie uns nicht mehr verfolgen. Vor meinem Stamm, den Nayano, hat selbst das weiße Volk Respekt.«

»Wer oder was zum Teufel sind die Nayano?«

Yalla starrte mich ungläubig an. Diesmal ließ ihr Gesichtsausdruck keinen Zweifel daran, dass sie an meinem Verstand zweifelte.

»Du bist wirklich ein seltsamer Mann, Jackson«, sagte sie kopfschüttelnd. »Woher kommst du eigentlich?«

»Aus dem Süden«, sagte ich schnell.

Ich wusste im ersten Augenblick selber nicht, warum ich sie angelogen hatte, aber irgendwie sagte mir mein Bauchgefühl, dass es vielleicht besser war, wenn ich ihr nicht die ganze Wahrheit über meine Herkunft erzählte, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.

Diese Geschichte, in die ich da hineingeschlittert war, wurde immer verrückter.

Das weiße Volk, die Nayano, eine halb nackte Frau namens Yalla, die mit einem blutigen Messer durch den australischen Busch lief … ich wagte gar nicht daran zu denken, was wohl noch alles auf mich zukommen konnte.

Yalla ging jedenfalls nicht weiter auf meine Antwort ein, sondern drehte sich um und schien die Umgebung zu mustern. Einen Augenblick später wandte sich sie nach links und zerrte dabei ihr Messer hinter dem Strick hervor, der ihren Fellrock anstelle eines Gürtels um die Hüften hielt. Augenblicklich meldete sich wieder jenes gewisse Kribbeln in meinem Bauch.

Als sie mit dem Messer ausholte, spannte ich unwillkürlich die Muskeln an und zog den Kopf zwischen die Schultern.

Aber meine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Die unverhoffte Messerattacke galt nicht mir, sondern einem der Dornenbüsche, die hier überall aus dem Boden wuchsen. Mit einem gezielten Hieb trennte sie das Buschwerk vom eigentlichen Stamm. Vorsichtig legten sich ihre Hände um den verbliebenen Strunk, der noch knapp einen Fuß hoch aus dem Boden ragte, und riss ihn mit einem Ruck aus dem Sand.

Das Wurzelwerk erinnerte mich an eine übergroße Kartoffel.

Bevor ich etwas fragen konnte, teilte sie die Knolle mit ihrem Messer in zwei etwa gleichgroße Stücke und warf mir eines davon zu. Als ich das Ding auffing, lief mir sofort ein milchig weißer Saft über die Hände.

»Trink!«, forderte mich Yalla auf, hob ihre Hälfte über den Mund und presste sie wie eine Zitrone aus.

Ich folgte ihrem Beispiel und wurde angenehm überrascht. Der Wurzelsaft hatte einen süßlich herben Geschmack und war erstaunlich durststillend. Ich prägte mir das Aussehen und die Beschaffenheit der Pflanze umgehend ein, denn dieses Wissen konnte für mich noch einmal sehr nützlich sein.

Nachdem wir eine zweite Wurzelknolle ausgepresst hatten, vergrub Yalla die Reste der Büsche bis auf ein paar Zweige im Sand und verwischte damit sorgfältig alle Spuren.

Danach machten wir uns wieder auf den Weg.

Yalla blieb dabei ungefähr alle zehn Schritte stehen und wischte mit den Zweigen über den Boden. Die fingerlangen Dornen pflügten tief durch den sandigen Boden und machten unsere Fährte fast unkenntlich. Sie hörte damit erst auf, als wir am Fuß der Hügelkette standen. Dann versteckte sie die Zweige hinter einem Felsen und blickte ein letztes Mal auf unserer Spur zurück. Als sie mir wieder in die Augen sah, lag ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht.

»Das müsste genügen. Bis sie unsere Fährte wieder aufnehmen können, sind wir längst in Sicherheit.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sie sich um und stürmte mit derart ausladenden Schritten auf die Hügelkette zu, dass ich einmal mehr Mühe hatte, sie nicht aus den Augen zu verlieren.

Was blieb mir aber auch anderes übrig? Alleine, mitten im australischen Busch, ohne Orientierung, ohne Waffe und ohne Wasser waren meine Chancen, die nächsten vierundzwanzig Stunden zu überleben, nicht größer als die einer Schneeflocke auf einer heißen Herdplatte.

Ich musste mir, wenn auch zähneknirschend, eingestehen, dass ich dieser seltsamen Frau im Grunde genommen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.

 

***

 

Es dämmerte, als wir die Hügel erklommen. Die untergehende Sonne tauchte das Land in rot glühendes Licht. Die Luft kühlte merklich ab. Nach der brütenden Hitze des Tages war es jetzt direkt angenehm. Auch mir ging es langsam wieder besser, sogar meine Kopfschmerzen klangen allmählich ab.

Während ich Yalla einem folgsamen Hund gleich hinterher trottete, dachte ich darüber nach, mit welchen Worten ich sie wohl dazu bringen konnte, mich über gewisse Dinge aufzuklären, ohne dass sie gleich misstrauisch wurde oder abblockte.

Irgendwie hatte ich immer noch das Gefühl, dass alles nur ein böser Traum war.

Die weiß gekleideten Mörder, Yalla, alles war bestimmt nur ein einziger Albtraum, aus dem ich gleich wieder erwachen würde.

Ich schloss für einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf. Doch als ich mich wieder umschaute, lief ich immer noch durch den australischen Busch und die Frau mit dem blutigen Messer befand sich auch noch vor mir.

Ich wollte gerade mit meinem Frage- und Antwortspiel beginnen, als sie die Richtung änderte und unvermittelt nach rechts lief. Im fahlen Licht der Dämmerung war die Umgebung nur noch schwach zu erkennen. Trotzdem spürte ich deutlich, wie der sandige Weg übergangslos felsig wurde und nach wenigen Yards steil nach oben führte.

Nach einigen Minuten blieb ich abrupt stehen.

Wir hatten inzwischen ein höher gelegenes Plateau erreicht und in dem immer dunkler werdenden Licht des sterbenden Tages war die Sichtweite inzwischen bis auf wenige Schritte eingeschränkt. Es würde nicht mehr lange dauern und es war stockfinstere Nacht.

Meiner Meinung nach machte es keinen Sinn, dann weiter in der Dunkelheit herumzuirren und sich in dem unwegsamen Gelände womöglich noch alle Knochen zu brechen. Der Pfad, den Yalla gewählt hatte, bot jetzt schon alles andere als einen Spaziergang. Ständig rutschte ich auf irgendwelchem Geröll aus oder riss mir die Haut an den scharfkantigen Felsen.

Mit einem leisen Pfiff versuchte ich, meine junge Begleiterin zum Anhalten zu bewegen.

Yalla drehte sich um und brummte ungehalten. Gleichzeitig vernahm ich seitlich von mir ein leises Scharren.

Bevor ich reagieren konnte, packte mich jemand von hinten am Kragen und hielt mir ein Messer an die Kehle.

 

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Jackson – Teil 4