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Der Fluch von Fort Henry

Ronda Baker-Summer
Der Fluch von Fort Henry

Thriller, Hardcover, TraumFänger Verlag, Hohenthann, Oktober 2013, 280 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 9783941485228

Kurzinhalt:
Ein spannendes Abenteuer liegt vor den 16 Studenten aus Ottawa, als sie gemeinsam mit Ihrem Professor in Kingston am St.-Lorenz-Strom eine Reise in die Vergangenheit Kanadas antreten. Auch in diesem Sommer soll im Fort Henry das historische Leben des 18. Jahrhunderts nachgestellt werden. Duncan Bright und seine Freunde haben sich gut vorbereitet und dringen tief in die Vergangenheit des Forts und seiner Bewohner ein. Dabei stößt Duncan auf alte Gerichtsakten, die ihn fesseln: Ein indianischer Schamane war des Mordes beschuldigt und zum Tode verurteilt worden. Am Tag vor seiner Hinrichtung verfluchte er den Kommandanten des Forts und alle seine Nachkommen. Von seinen Freunden wird Duncan wegen seiner Begeisterung für das »Übersinnliche« belächelt. Auch als eines Abends einer der Studenten aus Ottawa spurlos verschwindet, glaubt zunächst nur Duncan daran, dass dies etwas mit diesem seltsamen Fluch zu tun haben könnte. Nur in der jungen Buchhändlerin Marie-Jo findet er Unterstützung, die in Kingston unter ihrer indianischen Abstammung zu leiden hat. Und dann verschwindet auch Duncan Bright. Treibt hier ein Serienmörder sein Unwesen oder sind es tatsächlich die Schatten der Vergangenheit, die sich über die Stadt und das Fort legen?

Die Autorin

Ronda Baker-Summer ist das Pseudonym der deutschen Autorin Renate Behr.
Bei Ronda Baker-Summer handelt es sich um die Protagonistin einer Abenteuer-Roman-Serie aus der Feder von Renate Behr. Als Journalistin kommt Ronda Baker-Summer in die kanadische Stadt Whitehorse. Hier, in der Hauptstadt des Yukon-Territoriums, schreibt sie unter anderem Artikel und Geschichten über ungeklärte Verbrechen aus der Zeit des Goldrausches am Yukon und in Alaska. Später veröffentlicht sie über ihre außergewöhnlichen Abenteuer diverse Romane.
Renate Behr, Jahrgang 1954, lebt in der Gemeinde Herbern (Ascheberg) im südlichen Münsterland. Sie ist auch als Autorin der Werne-Krimi-Reihe um Kommissar Jens Wischkamp bekannt, welche im Candela Verlag erscheint.
Zahlreiche weitere Veröffentlichungen in Anthologien namhafter Verlage zeigen die literarische Vielfalt und Ausdrucksfähigkeit der Autorin.
Mehr über Renate Behr finden unter www.renatebehr.de

Leseprobe

23. Juni 1859— Fort Henry, Kingston, Ontario, Kanada

Colonel Peter James, der Kommandant von Fort Henry, stützte den Kopf in die Hände. Er war verzweifelt. Seine Frau Elisabeth würde sterben, und zwar schon sehr bald, wenn nicht ein Wunder geschah. Genau das hatte der alte Arzt ihm vor ein paar Minuten gesagt.
»Colonel, es tut mir leid. Es gibt keine Hoffnung für Ihre Frau. Sie sehen es ja selbst, jeden Tag wird sie schwächer. Ich kann nichts mehr für sie tun.«
Wunder waren selten in der Welt, in der er lebte, hier in der kanadischen Wildnis. Aber Peter James wollte es einfach nicht wahrhaben. Dreißig lange Jahre hatte er Tisch und Bett mit Elisabeth geteilt. Zwei Söhne hatte sie ihm geboren. Beide lebten wieder in der alten Heimat, drüben in England. Dort hatten sie die Schule besucht und waren geblieben. Elisabeth hatte es klaglos hingenommen, jedoch jetzt wusste er, dass sie es nie verwunden hatte. Manchmal, wenn sie dachte, er würde es nicht bemerken, hatte sie geweint. Er wusste, dass Elisabeth Heimweh nach England hatte. Immer wieder hatte er sie vertröstet. Bald, hatte er gesagt, bald werde ich abgelöst und dann fahren wir heim. Aber es war nie dazugekommen und nun war es zu spät. Sie würde England und die beiden so schmerzlich vermissten Söhne nie wiedersehen.

Aber vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung? Er dachte an ein Gespräch, das er belauscht hatte. Ein junger Corporal hatte sich mit einem indianischen Fährtensucher unterhalten. Der hatte von einem Weisen, einem Schamanen seines Stammes erzählt, der schon viele Wunder vollbracht hatte. Eigentlich glaubte Peter James nicht an solchen Humbug, aber er war verzweifelt. Konnte es schaden? Vermutlich nicht! Vielleicht würde es ja aber funktionieren, auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass so etwas eigentlich völlig unmöglich war. Er stand auf. Gleich morgen früh wollte er sich nach dem Schamanen erkundigen. Und dann würde man weitersehen.
Der alte Indianer sah den Colonel an. »Du suchst nach Hoffnung, wo es keine mehr gibt. Und nun, wo alles für dich ausweglos erscheint, greifst du nach dem letzten Strohhalm. Du hättest früher zu mir kommen sollen.«
Der Colonel wollte aufbegehren, dann zuckte er nur resigniert mit den Schultern. »Ich weiß, warum du erst jetzt kommst. Dir fehlt der Glaube in die Kraft der Geister. Aber eure Medizin ist machtlos, wenn die Seele erkrankt. Bring deine Frau heute nach Einbruch der Dunkelheit hierher. Ich werde das tanzende Zelt für sie aufbauen.«
»Das tanzende Zelt? Was meinst du damit?«
Der Schamane lächelte leicht. »Ich werde versuchen, die guten Geister deiner Frau um Hilfe zu bitten. Ich hoffe für sie, dass es noch nicht zu spät ist. Wenn meine Macht versagt, ist es deine Schuld. Du hättest früher kommen müssen.«
Peter James erhob sich. Er wusste, dass er seine Frau hierher würde tragen müssen. Gehen konnte sie schon lange nicht mehr. Und es durfte ihn niemand sehen. Was würden seine Untergebenen denken, wenn ein britischer Colonel zu einem Schamanen der Ojibwe ging? Er jedoch war inzwischen so verzweifelt, dass ihm jedes Mittel recht erschien. Vielleicht geschah ja doch noch ein Wunder.

Am selben Abend hüllte der Colonel seine Frau liebevoll in warme Decken. Beruhigend strich er ihr über die schweißnasse Stirn. Ihre Augen waren blicklos auf ihn gerichtet.
»Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, Liebes. Ich bringe dich nun zu einem weisen Mann. Er ist meine letzte Hoffnung. Ich kann es nicht ertragen, dass du mich verlässt. Aber niemand darf uns sehen oder hören. Also bitte, wenn du mich verstehst, verhalte dich ruhig.«
Dann nahm er seine Frau in die Arme und hob sie hoch. Sie hatte viel an Gewicht verloren, aber für ihn wog sie unendlich schwer in seinen Armen. Er war sich nicht sicher, ob er das Richtige tat, aber er klammerte sich an diese letzte Hoffnung. Er wollte, dass es dem Alten gelingen würde, seine Elisabeth wieder gesund zu machen.
Als er den Treffpunkt erreichte, stand ein bleicher Mond am Himmel über dem Ufer des St.-Lorenz-Stroms. Peter James sah sich um. Der Alte hatte von einem tanzenden Zelt gesprochen, aber hier standen nur ein paar Baumstämme im Kreis, die mit Rinde und Fellen bedeckt waren.
»Ja, das ist es, das tanzende Zelt meiner Vorfahren. Bist du sicher, dass du mir das Leben deiner Frau anvertrauen willst?« Peter James schluckte, dann nickte er. Seiner Stimme traute er im Augenblick nicht. Der Schamane hob ein Fell an und bedeutete ihm, er möge seine Frau in das Innere bringen und das tanzende Zelt wieder verlassen.
»Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis ich die Pawaganak, die guten Geister deiner Frau, erreiche. Du musst nicht warten. Wenn du es doch tun willst, dann geh ans Ufer und bleib dort, bis ich dich rufe. Hier bist du nur im Weg.«

Widerspruchslos ging der Colonel zum vom Mondlicht schwach erhellten Ufer des großen Stroms und setzte sich ins Gras. Lange Zeit geschah nichts. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem, was der Schamane als tanzendes Zelt bezeichnet hatte. Plötzlich schienen sich die zwei Meter hohen Baumstämme zu bewegen. Es sah unwirklich aus im Mondlicht, fast so, als tanzten die Stämme. Dann war es wieder still, unheimlich still.
Nach einer Zeit, die dem verzweifelten Engländer fast wie eine Ewigkeit erschienen war, kam der Schamane langsam zum Flussufer hinunter und setzte sich ebenfalls ins Gras.
»Was …?« Peter James sprang auf.
»Setz dich», antwortete der Schamane.
»Aber meine Frau …«
»Setz dich!«
Die Stimme klang schärfer und ein wenig zornig. Peter James ließ sich wieder in das Gras fallen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
»Die Pawaganak haben deine Frau verlassen. Ich konnte nichts mehr für sie tun. Ihre Seele hat die Erde verlassen.«
»Was soll das heißen?« Peter James schrie diese Frage in die Nacht.
»Sie ist tot. Wenn du ihr noch einen letzten Dienst erweisen willst, bring sie nach Hause in das Land ihrer Väter, damit ihre Seele Frieden findet.«
Der alte Mann wollte sich erheben, aber Colonel James hielt ihn zurück.
»Du hast sie umgebracht. Sie lebte, als ich sie dir brachte und du hast sie getötet.«
Der Schamane schüttelte den Griff des Engländers ab. »Sie war schon lange tot. Sie hat noch geatmet, aber ihre Seele hatte den Körper längst verlassen. Du hast sie getötet, weil du sie gezwungen hast, hier zu leben, fern von ihrer Heimat, fern von ihren Kindern, die sie mehr geliebt hat als dich. Ich habe gar nichts getan.«

Und dann war Peter James allein. Mit schweren Schritten näherte er sich dem Gebilde, dass der alte Indianer als das tanzende Zelt seiner Vorfahren bezeichnet hatte. Es wurde langsam hell und im Fort über ihm erwachte das Leben. Er würde seine Frau nicht ungesehen in sein Haus bringen können. Verzweifelt dachte er nach, was zu tun sei. Unmöglich war es für ihn zuzugeben, dass er den Weg zu diesem Schamanen gesucht hatte. Er verstand es jetzt auch überhaupt nicht mehr. Humbug war das und der Alte hatte seine Frau getötet. Immer wieder hämmerte er sich diesen Satz ins Bewusstsein. Und dann fiel ihm die Lösung für seine Probleme ein.
Ohne noch einen Blick auf seine geliebte Frau zu werfen, rannte er zum Fort und schlug Alarm. Seine Frau sei von einem Indianer entführt worden, irgendwann in der Nacht. Er habe sie gesucht und gefunden, unten am Flussufer in einer Art Zelt aus Baumstämmen und Fellen. Er sei sicher, dass der Indianer sie getötet habe.
Sofort machte sich eine berittene Einheit seiner Soldaten auf den Weg zum Dorf der Ojibwe. Wenig später kamen sie zurück, den alten Schamanen hatten sie auf ein Pferd gefesselt.

***

Als Kommandant von Fort Henry hatte Colonel Peter James den Vorsitz als Richter bei der Gerichtsverhandlung gegen den alten Indianer. Formell wurde diesem ein Verteidiger aus den Reihen der Engländer zur Seite gestellt. Allerdings weigerte sich der alte Mann, irgendetwas zu seiner Verteidigung vorzubringen. Das Urteil von Colonel James wurde schnell gesprochen und war eindeutig.
»Anashibene vom Stamm der Eibwe, du hast dich schuldig gemacht der Entführung und Ermordung von Elisabeth James. Im Namen ihrer königlichen Majestät, Königin Victoria, verurteile ich dich zum Tode. Du wirst morgen früh bei Sonnenaufgang auf dem Richtplatz am Halse aufgehängt, bis der Tod eintritt. Hast du uns noch etwas zu sagen?«

Der alte Schamane erhob sich. Während der gesamten Gerichtsverhandlung hatte er stumm dagesessen und Peter James ins Gesicht gesehen. Nun erhob er seine Stimme:
»Ja, ich habe dir etwas zu sagen, Peter James. Sonntag für Sonntag predigst du hier deinen Soldaten von eurem Gott, der Güte und Gerechtigkeit walten lässt unter denen, die an ihn glauben, und der diejenigen bestraft, die sich an ihm versündigen. Aber die Güte und Gerechtigkeit deines Gottes, Peter James, sie ist nicht die deine. Du kamst zu mir, als dich die Hoffnung bereits verlassen hatte. Du brachtest sie mir, diese arme Frau, die sich vor Sehnsucht nach ihren Kindern verzehrte und es doch nie gewagt hat, sich dir zu widersetzen. Wo war sie, deine Güte und Gerechtigkeit, als deine Frau um ihre Kinder weinte?«

Der alte Mann richtete sich kerzengerade auf und seine Stimme wurde hart. »Gehe heim in das Land deiner Väter, Peter James, und kehre niemals wieder an diesen Ort zurück. Denn ich sage dir, du und jeder, der zu deinem Geschlecht gehört, ist verflucht, sobald er seinen Fuß in das Land der tausend Inseln setzt. Ich, Anashibene vom Stamm der Ojibwe, verspreche dir: Jeder, der von deinem Blut ist, wird sterben auf grausame Art, wenn er an diesen Ort kommt, mag es morgen oder in tausend Jahren geschehen.«
Im Gerichtssaal herrschte eisiges Schweigen und Colonel James war blass geworden. Er sprang auf und deutete auf Anashibene, der ganz ruhig wieder seinen Platz eingenommen hatte. »Schafft ihn fort und bereitet die Exekution vor«. Seine Stimme klang kraftlos. Schweren Schrittes verließ er das Gerichtsgebäude. In den Akten fand sich später der Vermerk:

»Die Exekution von Anashibene, Schamane vom Stamm der Ojibwe, wurde im Morgengrauen des 10. Juli 1859 auf Veranlassung und durch das Urteil des Kommandanten, Colonel Peter James vollstreckt. Der Leichnam des Delinquenten wurde außerhalb des Forts verscharrt.«

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages