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Die lebenden Träume – Assjah 1

Juliane Seidel
Die lebenden Träume – Assjah 1

Fantasy-Jugendroman, Taschenbuch, bookshouse Verlag, Pano Akourdaleia , 01. Februar 2013, 288 Seiten, 12,99 Euro, ISBN 9789963722259, Illustrationen von Tanja Meurer

www.assjah.de

Während einer Mutprobe, in einer verlassenen Wiesbadener Villa, entdeckt der 10-jährige Kim eine edelsteinverzierte Lupe, der zwar der Glaseinsatz fehlt, die sich aber alsbald als magischer Gegenstand entpuppt, als ein Portal zu den Träumen des Jungen, ein sogenannter Traumspiegel.
Mithilfe dieser Zauberlupe gelingt es Kim, zwei Feen aus seiner erdachten Welt Assjah, Silberfünkchen und Goldlöckchen, in die reale Welt zu rufen und ihnen Gestalt und Leben zu verleihen. Das nächste mythische Wesen ist ein gewaltiger Drache namens Fineas, den Kim – unbeabsichtigt – in die Realität holt. Doch ein riesiger Drache in einer Welt, die keine magischen Geschöpfe kennt, wie soll das gut gehen? Hat Kim doch festgestellt, dass sich ein einmal erschaffenes Wesen nicht mehr in die Welt der Fantasie zurückschicken lässt. Also bringt Kim noch den Zauberer Annatar nach Wiesbaden, der zwar Abhilfe schafft, indem er den Drachen schrumpft, sodass aus dem mächtigen Fineas der putzige Rattendrache Finn wird, doch hat Kim am Ende nur ein altes gegen ein neues Problem getauscht, wohin mit dem Magier? Schnell stellt sich dieser Umstand jedoch als das geringste aller Übel heraus, denn eine Bedrohung beider Welten manifestiert sich in Form unheimlicher Schattenwesen, sogenannter Namaren, die sich selbst als Wächter des Gleichgewichts zwischen Fantasie und Realität sehen. Die Schatten machen Jagd auf Kim, wobei zahlreiche Geschöpfe seiner Traumwelt dem Verschwinden anheimfallen.
Doch Kim verliert, trotz aller Schwierigkeiten, sein ursprüngliches Ziel nicht aus den Augen, nämlich einen Weg zu finden, wie er seine neuen Freunde wieder in ihre Welten zurückbringen und Finn seine ursprüngliche Gestalt wiedergeben kann.
Kein leichtes Unterfangen mit den Namaren im Nacken, die einen Teil seiner Fantasie einfordern. Aber Kim ist fest entschlossen, seine Träume zu verteidigen und die Schatten zu vertreiben.

Mit Die lebenden Träume ist der erste Band der auf 5 Romane konzipierten fantastischen Kinderbuchreihe Juliane Seidels um Assjah und die daran angrenzenden Welten erschienen. Eine mehrjährige Entwicklung hat die zugrunde liegende Handlung, von der ersten Idee bis zum nun bei bookshouse erschienenen Debüt, durchlaufen, wie die Autorin in ihrer Danksagung anmerkt.
Entstanden ist ein wahrhaft fantasievolles Buch, welches deutlich zeigt, dass die Autorin nicht unerfahren ist im Genre der Phantastik, hat sie mit Assjah und Adaan doch Fantasy-Welten mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, eigenen Wesen erschaffen, Welten, die sich mit der Handlung entwickeln, wachsen, veränderlich und somit ausbaufähig sind. Quasi ein Multiversum der Fantasie, denn Assjah kann betrachtet werden als eine Art Verteilerknoten, von dem aus sich Wege in alle vier Himmelsrichtungen erstrecken, auf denen man zu Welten wie Adaan gelangen kann, die im vorliegenden Roman einen der Hauptschauplätze der Ereignisse darstellt und u.a. die Heimat der Magier und Drachen ist. So wie sich einst Dorothy auf den gelben Ziegelsteinweg begab, um zum Zauberer von Oz zu gelangen, so führt ein violetter Kiesweg Kim und seine Freunde in die mittelalterliche Welt Adaan. Der Fabulierkunst der Autorin ist somit durch das von ihr geschaffene Konstrukt  keine Grenzen gesetzt, außer der der eigenen Fantasie bzw. der ihres Protagonisten Kim.
Kim, ein 10-jähriger Junge, ein Scheidungskind, das zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in Wiesbaden, der hessischen Landeshauptstadt, lebt. Nicht die Geburts-, aber auch die aktuelle Heimatstadt von Juliane Seidel, die ihre Ortskenntnis nutzt und ihre Figuren durch Wiesbaden streifen und sie an bekannten Plätzen wie der Fußgängerzone oder der Villengegend agieren lässt. Für Nicht-Wiesbadener hätten es dabei manchmal sicher ein paar Sätze mehr zu den örtlichen Gegebenheiten sein dürfen, um sich die Schauplätze besser vergegenwärtigen zu können. Auf jeden Fall hat Wiesbaden, nach Regionalkrimis und biografischen Romanen, nun auch Einzug in die literarische Fantasy gehalten.

Als Rollenspieler versteht sich Kim auf das Erschaffen von Welten, die er aber nicht nur auf dem Spielbrett erforscht, sondern auch in seinen Träumen besucht. Durch das Auffinden des Traumspiegels, diesem magischen Artefakt, dessen Herkunft bisher noch ungeklärt ist, verändert sich Kims Leben mit einem Schlag. Realität und Fiktion durchmischen sich und ähnlich Bastian Bux`, der selbst zu einem Teil der Unendlichen Geschichte wurde, wird auch Kim zum entscheidenden Handlungsträger seiner imaginierten Welt.

Viel gibt es auf den knapp 300 Seiten des Buches zu erleben, so manches Wunder zu bestaunen, an so manchem Abenteuer teilzuhaben und unbekannten Gefahren zu trotzen. Manchmal habe ich mir als Leser mehr Raum für die fantasievollen Ausführungen der Autorin gewünscht. Etwas zu kurz kommen zudem das familiäre Umfeld von Kim wie auch seine Freunde Florian und Chris, die schnell zu einem Statistendasein verdammt sind.
Wer die Autorin etwas näher kennt, entdeckt beim Lesen sogar diverse autobiografische Züge wie zum Beispiel bei der Schilderung der Wohnungseinrichtung, der Hobbys, bis hin zu dem ein oder anderen erwähnten Kleidungsstück. Zusammen mit dem geschilderten Lokalkolorit erhält das Buch dadurch auch eine sehr persönliche Note.

Bei all dem abenteuerlichen Geschehen versäumt es Juliane Seidel aber auch nicht, die ein oder andere Sinnfrage zu stellen, so wie sie sich auch keinem Gut-/Böse-Schema bei den Konflikten hingibt. Beispielsweise erfüllen die Schattenwesen, die Namaren, in ihrer Funktion als Wächter über das Gleichgewicht, eine durchaus sinnvolle und plausible Aufgabe. Und direkt philosophisch wird es als der Magier Annatar seine Existenz hinterfragt. Für eine erdachte Figur wie ihn ist Kim als sein Schöpfer gleichbedeutend mit Gott. Verfügen er, der Zauberer, wie auch die anderen Geschöpfe von Assjah, Adaan und den übrigen Welten überhaupt über einen eigenen Willen? Wie frei sind sie denn bei ihren Entscheidungen und Handlungen wirklich? Diese Passagen zeigen zudem, dass es sich bei Die lebenden Träume beileibe nicht um ein reines Kinderbuch handelt. Vielmehr gehe ich mit der Empfehlung der Autorin absolut konform, nach der das Buch für »Leseratten ab 10 Jahre« geeignet ist. Aber auch jung gebliebene Erwachsene können daran ihre Freude haben. Protagonist Kim ist mit seinen 10 Jahren selbst bereits sehr reif und weiter entwickelt als viele seiner Altersgruppe, aber natürlich sieht auch er sich mit ganz normalen Alltagsproblemen konfrontiert.
Selbst die Feen Silberfünkchen und Goldlöckchen, deren Namensgebung ja eher kindlich, niedliche Assoziationen hervorruft, sind stellenweise Kims personifiziertes Gewissen, hinterfragen Dinge und nehmen so auch gerne die Position des Lesers ein, der manchmal bestimmt dieselben Fragen gestellt hätte, wären ihm die Feen nicht zuvor gekommen.
Auch geht es der Autorin um die Vermittlung von Werten wie Freundschaft und Vertrauen. Zwei der wichtigsten Werte im Leben, die einander bedingen.
Von Vorteil kann es sein, wenn man als Leser bereits selbst einmal etwas von Fantasy-Rollenspielen gehört oder besser noch, sich selbst damit beschäftigt hat.
Übrigens erschloss sich mir anfangs nicht gleich der Unterschied bzw. der Zusammenhang der Welten Assjah und Adaan, da die Schilderungen hier nicht so ganz eindeutig sind.

Ein besonderes Augenmerk gebührt zudem der liebevollen Gestaltung des Buches und damit den Illustrationen Tanja Meurers. Das farbige Titelbild zeigt Kim und eine entscheidende Szene des Prologs. Noch vor der Einleitung werden die wichtigsten Charaktere des Buches in Wort und Bild vorgestellt, wobei besonders die filigrane Zeichnung des Magiers Annatar besticht. Weiterhin ist jeweils der erste Großbuchstabe eines Kapitelanfangs mit einer hübschen Vignette verziert und zum Abschluss gibt es noch eine Karte Adaans, die man sich aufgrund ihrer detaillierten Gestaltung wenigstens in doppelter Größe wünschen würde.

Assjah 1 – Die lebenden Träume ist ein fantasievolles, gut lesbares und unterhaltsames Jugendbuch, dessen Handlung der Spagat zwischen Realität und Fiktion gelingt, der Autorin viele Möglichkeiten eröffnet, ihre Fantasie auch künftig auszuleben, dem Leser aber ein befriedigendes Ende bietet, welches nicht an eine Fortsetzung gebunden ist. Fans können sich aber jetzt schon auf Band 2 der Reihe, Die vergessenen Kinder, freuen, der am 15.10.2013 erscheinen wird.

(stb)