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Westernkurier 02/2008 – Mann oder Memme

Auf ein Wort, Stranger, Mann oder Memme?

Mit dieser Ausgabe des Westernkuriers möchte ich einmal ein Thema aufgreifen, dass im Allgemeinen in der gängigen Westernliteratur etwas stiefmütterlich behandelt wird.

Logisch, wer erwartet bei Heftromanen, die im Knall-Bumm-Päng Sektor angesiedelt sind, denn auch historischen Background zu Fragen wie beispielsweise über das Gesundheitswesen im Wilden Westen?

Dennoch, gerade Berichte über die banalen Dinge des Lebens wie der Alltag auf einer Ranch, das Kinderkriegen, Kochrezepte oder eben die Heilkunde der Pioniere geben erst ein wirkliches Spiegelbild jener damaligen Zeit wider.

Kein verklärter Blick auf Lagerfeuerromantik, edlen Recken mit tief geschnallten Colts und finsteren Mordgesellen, die es auf die eine oder andere Weise auf den Alabasterkörper einer holden Ranchermaid abgesehen haben, sondern nüchterne Erzählungen über eine Zeit, die alles andere als romantisch war.

Deshalb nun ein paar Anmerkungen zu der sogenannten Pioneer oder Cowboy Medicine.

Die Wundbehandlung in jenen Tagen war denkbar einfach.

Es gab keine Ärzte in den unendlichen Weiten der Prärie und nur selten welche in den spärlich gesäten Städten. Fleischverletzungen wurden deshalb einfach mit Wasser gesäubert, Hautfetzen mit dem Messer abgeschnitten und Blutungen gestillt, indem man die Wunden mit einem rot glühenden Eisen oder entzündetem Schießpulver ausbrannte. Amputationen nahm man mit dem Bowie-Knife vor oder mit einer Säge, die ansonsten zum Zerkleinern von Feuerholz diente.

Die durchgetrennten Arterien wurden mit Rosshaar abgebunden, Muskel – und Hautgewebe mit Katzendarm zusammengenäht. Als Betäubungsmittel hatte man die Wahl zwischen einem ordentlichen Kinnhaken, einem Hieb mit dem Revolvergriff auf den Hinterkopf oder, wenn man Glück hatte, mit Laudanum.

(Für nicht Eingeweihte: So bezeichnete man damals den eingedickten Saft von unreifen Früchten des Schlafmohns.)

Jedenfalls verlangten derartige medizinische Behandlungen wahre Pferdenaturen. Mann oder Memme war hier die Devise. Bei Letztgenanntem waren meistens 2 bis 4 Männer nötig, die den Patienten an Armen und Beinen festhielten und ihm ein Stück Holz zwischen die Zähne schoben.

Apropos Zähne, vereiterte zum Beispiel wurden ohne Narkose mit der Kugelzange gezogen.

Wurde jemand von einer Klapperschlange, einem tollwütigen Stinktier, einem Gilamonster oder einem Skorpion gebissen, so hackte man ihm auf der Stelle Hand, Arm oder Bein ab oder schnitt wenigstens 2 Pfund Fleisch aus dem betroffenen Körperteil heraus.

Erwies sich der Stich oder Biss eines dieser giftigen Tiere trotz der Radikalbehandlung dennoch als tödlich, so pflegte sich in der Regel der Betroffene selbst zu erschießen oder seine Gefährten, Bekannte oder Verwandte übernahmen selbstlos dies für ihn.

Gegen das stark verbreitete Wundfieber, den Wundstarrkrampf oder gegen Entzündungen halfen nach Ansicht der Pioniere generell nur hochprozentige Whiskykuren, diverse Salben und Tinkturen. Eiternde Wunden schnitt man mit dem Messer auf und legte danach Drainagen zum Abfluss des Eiters an.

Wie schon angedeutet, krank sein war in jenen Tagen verdammt gefährlich.

Es gab allerdings auch Alternativen.

Vor allem die Mountain Men und später die Cowboys waren durch sogenannte Curanderas, sprich Kräuterfrauen indianischer oder mexikanischer Abstammung, in der Naturheilkunde unterwiesen, und es gab damals kaum eine Pflanze, die nicht zu Heilzwecken herangezogen wurde.

Sarsaparilla-Tee wirkte gegen Fieber, Wasserkresse und Löwenzahn heilten Magenschmerzen, Rotwurzel half gegen Durchfall. Wenn im Winter Erkältungen, Lungenentzündungen oder Heiserkeit drohten, hatte jede Ranch und jede Farm ihre eigenen Rezepte dafür. In der Regel jedoch goss man dem Erkrankten literweise Whisky und heißen Ingwertee in den Leib, und wenn der Patient diese Behandlung lebend überstand, war er meistens über dem Berg.

Verletzungen oder gar Operationen verliefen meistens tödlich, die Kindersterblichkeit war hoch, die der Mütter noch höher. Selbst Nierensteine oder eine Blinddarmentzündung waren damals unheilbar.

Hygiene war unbekannt, ganze Familien tranken aus einem Becher, benutzten ein Handtuch.

Dennoch, gerade der Cowboy und auch der Pionier im Indianerland, die bei Verletzungen operative Radikalkuren, Whisky und indianische Kräuterheilkunde bevorzugten, wurden fast doppelt so alt wie der Siedler oder der Städter im Westen.

Hierzu sei erwähnt, dass dort heilkundige Scharlatane und angebliche Wunderdoktoren mit ihren selbst hergestellten Mixturen so manches Leiden aus reiner Geldgier nur noch verschlimmerten.

Da gab es gegen Frühjahrsmüdigkeit, Plattfüße, Wundfieber und abstehende Ohren das berüchtigte Castoria zu kaufen, ein Tonikum, das hauptsächlich Bibergeil enthielt, ein Sekret aus den Afterdrüsen des Bibers. Dazu Botans Blutbalsam, Dr. Miles Herzheil, Nervenbohnen oder Dr. Clarkes Flachs Salbe.

Fast alle dieser angeblichen Wundermedizinen bestanden hauptsächlich aus Hühnerscheiße (sorry, sollte eigentlich Geflügelausscheidungen heißen), aus Bärenfett, Schlangentalg und Schießpulver. Das Ganze wurde anschließend noch mit Terpentin, Senfmehl und Pflanzenabsud mannigfacher Herkunft vermischt, fertig war die Wundermedizin.

Um 1880 bot der Sears Roebuck Versandhauskatalog seitenweise solche Mixturen an, die fabrikmäßig hergestellt die Städte des Westens regelrecht überschwemmten, ob sie nun Morleys TXS Alterstonikum, Ozmantis Orientalpillen oder ähnlich hießen. Selbst ein Princess Bust Developer zur Verschönerung der weiblichen Brust wurde feilgeboten.

Jetzt bitte nicht den Kopf schütteln, das Zeug ging tatsächlich weg wie warme Semmeln, soviel zur Kultur und dem Gedankengut der allwissenden amerikanischen Bevölkerung.

Aufgrund dieser Tatsachen brauchen einen neutralen Betrachter nachstehende Ausführungen nicht zu wundern. Unter den Bewohnern der größeren Städte galt es nämlich zum Beispiel als unumstößliche Tatsache, dass ein lebendig halbiertes Huhn, noch blutend auf eine entzündete Körperstelle gelegt, das Fieber senkte. Getrocknete Antilopenaugen halfen gegen innere Blutungen und gemahlene Rinderhornspitzen steigerten angeblich die Liebesfähigkeit.

Gewiss waren einige der Rezepturen sinnvoll, vieles aber so nützlich wie ein Wagen ohne Räder.

Kein Wunder also, dass der gemeine Städter selten die 50 überschritt, hingegen Cowboys und Männer der Grenze noch mit 90 ihr Tagewerk verrichteten.

Natürlich gab es in den Großstädten des Ostens wie Chicago, New York etc. hervorragende Ärzte. Andrew T. Still, der geistige Vater der Osteopathie, dürfte wohl einer der bekanntesten seiner Zunft sein, aber im dünn besiedelten Westen eben sah es ganz anders aus. Da übernahm schon mal der Hufschmied oder der Friseur den Part des Doc.

Mann oder Memme hieß es da für den Patienten.

Erst mit dem Ende des Wilden Westens wurde die medizinische Versorgung besser, in den Städten jedenfalls. Die Männer der Weide und der Wildnis jedoch vertrauen bis in unsere Zeit immer noch auf indianische Kräuterheilkunde, die sich vor unserer heutigen alternativen Medizin keineswegs verstecken muss. Die große Anzahl der Hundertjährigen in ihren Reihen gibt ihnen anscheinend recht, obwohl ich persönlich eingestehen muss, bei Herzinfarkt, Magendurchbruch, Kopfverletzungen und Ähnlichem ein Krankenhaus in unseren Breitengraden gegenüber einem indianischen Schamanen doch vorzuziehen.

In dieser speziellen Sache lasse ich mal den Mann außen vor und oute mich als Memme.

Quellen:

In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal.

Euer Slaterman