Timetraveller – Episode 6
Im Fadenkreuz der Regulatoren
Die vier Timetraveller landen in einem Amerika der Zukunft, mitten im Winter. Nachdem sie nur knapp dem Tod durch Erfrieren entgangen sind, erreichen sie eine kleine Siedlung, in der merkwürdige Zustände herrschen. Die Bewohner sind offenbar in zwei Klassen geteilt. Es gibt die sogenannten Regulatoren und die Erwählten. Während die Letztgenannten Menschen ohne Rechte zu sein scheinen, besteht die einzige Aufgabe der Regulatoren darin, nach einem für die Studenten nicht nachvollziehbarem System immer wieder Erwählte in die Berge zu bringen. Allerdings kehren kurze Zeit später nur die Regulatoren zurück …
Die Soldaten kamen um Mitternacht.
Ein eiskalter Wind fauchte über das zerklüftete Land, als Ben Thorpe seine Abteilung auf einer schneeverwehten Anhöhe anhalten ließ. Der Mond hatte seinen höchsten Stand erreicht und tauchte das unwirtliche Land in fahles Licht. Die sieben Männer hatten die Gesichtsvisiere ihrer Schutzhelme heruntergelassen und die Kragen ihrer Uniformjacken hochgeschlagen, aber trotzdem konnten sie der grimmigen Kälte des Winters nicht entgehen.
Stumm beobachteten die Uniformierten die kleine Containersiedlung, die vor ihnen lag. Die Motoren heulten ein letztes Mal mit dem tobenden Wind um die Wette, Hebel wurden umgelegt, Schalter gedrückt und Lichter gelöscht.
»Ihr wisst, was ihr zu tun habt!«
Thorpe sprach schnell, seine Stimme klang schrill und aufgeregt. Mit einer flüssigen Bewegung zog er seine Schusswaffe aus einem Halfter, das an seinem Gürtel befestigt war.
Die anderen nickten.
»Was passiert, wenn der Kerl nicht spurt? Angeblich fangen die Erwählten so langsam an, Ärger zu machen.«
»Niemand widersetzt sich den Anordnungen der Regulatoren!«, erwiderte Thorpe kalt.
»Wir gehen jetzt zu Fuß da runter. Ich will nicht, dass der Mann durch den Motorenlärm unserer Maschinen irgendwie vorgewarnt wird.«
Mit einer knappen Handbewegung setzte Ben Thorpe seine Abteilung in Bewegung.
Mühsam stapften die Männer durch den hohen Schnee auf ein Wohnhaus in der Mitte der Siedlung zu. Es bestand aus grob verschweißten Metallplatten. Auf ein Zeichen von Thorpe hin umringten sie den würfelförmigen Wohncontainer und schalteten nacheinander die Leuchtstrahler ihrer Schutzhelme an. Das kalte Licht ließ das ganze Geschehen gespenstisch und unheimlich erscheinen. Thorpe trat vor, bestieg den Treppenvorbau und rammte den Kolben seiner Schusswaffe gegen die Eingangstür.
Die dumpfen Schläge klangen überlaut durch die Nacht und aus einem der naheliegenden Häuser ertönte das Weinen eines Kindes.
Hinter dem einzigen Fenster des Wohncontainers flammte ein Licht auf.
»Verdammt, wer ist denn da?«, kam es aus der Gegensprechanlage.
»Hier sind die Regulatoren! Mach die Tür auf, Bürger Mortimer!«
Eine gemurmelte Verwünschung ertönte aus der Sprechanlage, dann wurde ein Riegel zurückgelegt und die Tür zur Seite geschoben.
Auf der Schwelle erschien ein mittelgroßer Enddreißiger in verblichenem, fadenscheinigem Unterzeug. Neben ihm öffnete sich eine Zimmertür und die zierliche Gestalt einer Frau tauchte in seinem Rücken auf. Fröstelnd zog der Mann die Schultern hoch.
Das schwarze Haar hing ihm wirr ins Gesicht und mit seinen verschlafenen Augen erkannte er undeutlich, wer ihn da mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hatte. Mit fahrigen Handbewegungen strich er sich über das unrasierte Gesicht.
»Was wollt ihr denn hier? Weiß einer von euch eigentlich, wie spät es ist?«
»Bürger Mortimer, das Los ist auf dich gefallen.«
Der Uniformierte zielte mit seiner Waffe direkt auf die Brust des Mannes.
»Du bist auserwählt.«
Steve Mortimer verspürte plötzlich Angst. Todesangst!
»Was … was redest du da?«
»Stell dich doch nicht dümmer, als du bist. Pack deine Sachen und komm mit. Aber beeile dich gefälligst, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
»Ihr könnt mich nicht mitnehmen, meine Frau erwartet ein Baby.«
Der Uniformierte wischte den Einwand des Mannes mit einer abfälligen Handbewegung zur Seite.
»Halts Maul, du Idiot. Als ehemaliges Mitglied unseres Vereins kennst du die Regeln.«
Trotz seiner verzweifelten Lage stieg langsam kalte Wut in Steve Mortimer auf. In ohnmächtigem Zorn ballte er die Hände und starrte mit brennenden Augen auf sein Gegenüber.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Sollen wir deine Frau und deinen Sohn auch gleich mitnehmen?«, antwortete der Uniformierte mit einer Gegenfrage.
Erst jetzt erfasste Steve die ganze Tragweite des Geschehens. Er hatte das Gefühl, der Boden unter seinen Füßen beginne zu wanken. Hastig blickte er sich um.
Nie mehr in seinem ganzen Leben würde er den verzweifelten Ausdruck in den Augen seiner Frau vergessen. Ihr Bild hatte sich unauslöschlich in sein Gehirn gebrannt. Dieser sanfte weiche Körper mit jener Wölbung am Bauch, die sich trotz des weit geschnittenen Nachtkleides deutlich unter dem Stoff abzeichnete, und dazu das namenlose Entsetzen in ihrem Gesicht. Er bemerkte, wie sich ihre Zähne in die Unterlippe gruben, bis kleine Blutstropfen hervorquollen und sie dann von stummem Grauen gepackt in das Zimmer rannte, in dem ihr Sohn schlief.
Seine Augen begannen zu flackern. Die Schultern fielen herab und sein Kopf senkte sich soweit nach unten, dass sein Kinn fast die Brust berührte.
Langsam wandte er sich um, setzte mit seltsam mechanisch wirkenden Bewegungen einen Fuß vor den anderen und ging ins Schlafzimmer zurück um sich anzuziehen.
Das Ganze erschien ihm wie ein einziger entsetzlicher Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gab. Er wusste, dass keiner der Erwählten jemals zurückkam, wenn er erst einmal durch das Tor am verbotenen Berg getreten war. Dort mussten selbst die Regulatoren zurückbleiben.
Erst als Steve schließlich angekleidet zwischen den Uniformierten im Schnee stand, glomm sein Überlebenswille noch einmal auf.
Er wusste, dass in dem Gewirr der schneebedeckten Felsen ein Entkommen möglich war. Eine winzige, lächerliche Chance zwar, aber es war eine Chance. Steve reagierte innerhalb von Sekundenbruchteilen. Er warf sich herum, schlug den ihm am nächsten stehenden Mann zu Boden und rannte los.
Aber die Uniformierten waren darauf vorbereitet.
Steve Mortimer hatte nicht einmal ein halbes Dutzend Schritte hinter sich gebracht, als ihn etwas mit solch elementarer Wucht am Hinterkopf traf, das die Welt für ihn in einem Reigen aus bunten feurigen Kreisen unterging.
Er krachte mit dem Gesicht voraus in den Schnee und verlor das Bewusstsein.
***
Das Erwachen war grausam.
Er hatte das Gefühl, als schlügen bei jedem Herzschlag tausend tobende Teufel mit glühenden Hämmern auf seinen Schädel ein. Seine Zunge lag wie ein nasser Putzlappen in seinem Rachen, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Ihm war speiübel und er fror.
Vorsichtig hob er den Kopf und blickte sich um.
Ein unheimliches Gefühl stieg in ihm auf und namenloses Entsetzen legte sich langsam wie eine eiskalte Hand um seine Kehle.
Er lag auf einem Labortisch, vollkommen nackt und gefesselt!
Seine Arme und Beine waren in geradezu grotesker Weise vom Körper abgewinkelt worden und mit breiten Lederriemen an das jeweilige Ende des kalten Metalltisches gebunden. Der trübe Schein einer undefinierbaren Lichtquelle erhellte den Raum nur spärlich. Die Einrichtung des Zimmers bestand außer dem Tisch, auf dem er lag, lediglich aus drei großen, kalt wirkenden Metallschränken.
Da er sich nicht aufrichten konnte, erahnte er nur in etwa die Lage der Zimmertür.
Panik kam in ihm hoch.
»Hallo, ist da jemand?«, rief er krächzend in das Halbdunkel des Raumes hinein. Keine Antwort. Nur absolute Stille umgab ihn, eine Stille, die ihn langsam wahnsinnig machte.
»Hallo, hört mich hier keiner?«
Die gespenstisch wirkende Ruhe und das düstere Licht zerrten an Steve Mortimers Nerven.
Verzweifelt rüttelte er an seinen Fesseln, doch die Ledergurte gaben nicht nach. Im Gegenteil, bei jeder weiteren Bewegung schnitten sie ihm immer tiefer ins Fleisch. Schließlich sah Mortimer die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen ein und ergab sich keuchend in sein Schicksal.
Angespannt lauschte er in die gespenstische Stille.
Plötzlich öffnete sich die Tür.
So gut es ging, hob Steve den Kopf. Die Haare in seinem Nacken richteten sich auf, eisige Schauer durchfluteten seinen gefesselten Körper und kalter Schweiß rann von seiner Stirn, als er die Umrisse jenes geheimnisvollen Besuchers erkannte.
Er schloss die Augen und öffnete sie wieder in der verzweifelten Hoffnung, endlich aus diesem Alptraum aufzuwachen. Aber das Bild blieb stets das gleiche.
Ein großes dünnes Schattengebilde, das nur annähernd menschenähnliche Umrisse besaß, schob wortlos einen fahrbaren würfelförmigen Metalltisch ins Blickfeld des gefesselten Mannes. Verschiedenartige Instrumente glänzten unheimlich im kalten Licht des Raumes.
Steve Mortimer kannte die Bedeutung der Instrumente zwar nicht so genau, aber eine grauenvolle Ahnung beschlich ihn und mit einem schrillen Schrei brüllte er seine Angst durch das Zimmer.
»Neeein!«
Urplötzlich durchdrang eine Stimme, die nicht von dieser Welt zu kommen schien, jede Zelle seines Kopfes. Die Stimme schwoll an, erhob sich zu einem schrillen Kreischen und jedes einzelne Wort brannte sich in Mortimers Schädel ein.
»Warum wehrst du dich, Mensch? Du darfst mir jetzt dienen.«
‚Ein Verrückter!’, durchzuckte es Steve. ‚Mein Gott, ich bin in die Hände eines Irren geraten!’
»Was … was wollen sie von mir?«
Die dunkle Gestalt schüttelte sich.
»Dich!«
Ein beklemmendes Gefühl stieg in Steve hoch.
»Ich werde dir jetzt zeigen, was ich mit dir vorhabe. Genau so, wie ich es allen anderen Erwählten vor dir auch gezeigt habe, bevor sie mir gedient haben.«
Steve Mortimer zuckte zusammen.
Obwohl es ihn brennend interessierte, was mit den Erwählten geschah, so hatte er doch panische Angst davor, die Wahrheit zu erfahren.
»Lassen sie uns doch über alles noch einmal in Ruhe reden. Wir sind doch beide erwachsene Menschen.«
»Das stimmt allerdings nur zur Hälfte«, sagte die Gestalt emotionslos.
Das Kreischen im Raum schwoll zu einem schier unerträglichen Lärm an. Der hünenhafte Schatten wirbelte einem Schemen gleich durch das Zimmer und plötzlich, wie von Geisterhand bewegt, begannen sich die Türen der Metallschränke zu öffnen und ihr Inhalt offenbarte sich Steves entsetztem Blick.
Dem Wahnsinn nahe öffnete er den Mund zu einem lautlosen Schrei. Sein Herz schien stillzustehen und sein Verstand weigerte sich, das zu begreifen, was seine Augen mit entsetzlicher Deutlichkeit sahen.
Alle Schränke waren mit durchsichtigen Glasbehältern unterschiedlicher Größe bestückt und bis zum Rand mit einer lichtdurchlässigen Flüssigkeit gefüllt.
Und dieser Inhalt war es, der Steve beinahe um den Verstand brachte.
»Was haben sie getan?«, fragte Steve und unterdrückte nur mühsam das würgende Geräusch in seinem Hals.
Der Schatten zuckte. Sein schrilles Kreischen, das sich diesmal wie ein gespenstisches Lachen anhörte, dröhnte in Mortimers Schädel.
»Ich habe getan, was getan werden muss.«
»Wer in aller Welt bist du?«, fragte Steve leise.
Er war mit den Nerven am Ende, seine Stimme ging in haltloses Schluchzen über. Tränen rannen über sein hageres Gesicht, Tränen der Angst und der Verzweiflung.
Das hier konnte kein normaler Mensch getan haben.
In diesem Moment schälte sich die bis dahin nur verschwommen wirkende Gestalt aus dem dunklen Schatten des Zimmers.
Steve glaubte nun endgültig verrückt zu werden.
All seine tief in seinem Innern verborgenen ureigenen Ängste schienen mit einem Schlag wahr geworden zu sein. Das Blut in seinen Adern schien zu Eis zu erstarren und etwas, das er bis zu dieser Stunde als völlig absurd aus seinen Gedanken gestrichen hatte, fraß sich jetzt förmlich in sein Gehirn hinein, das langsam begann, in die Klauen des Wahnsinns hinüber zu gleiten.
Er schloss die Augen und begann zu wimmern.
Ein riesiges, fast drei Meter großes Alptraumwesen, das aussah wie die fleischgewordene Karikatur eines Menschen, kam langsam auf ihn zu. Zwei umherzuckende Stielaugen und ein weitaufgerissener Rachen, aus dem ständig eine blaue schleimige Zunge herauszuckte, waren alles, was in dem ovalen Schädel auf ein Gesicht hindeutete. Zwei Arme an jeder Seite eines Torsos, der nicht viel dicker war als der Unterarm eines Erwachsenen, und ein paar gekrümmte Beine vervollständigten das Erscheinungsbild der Kreatur, die niemals von dieser Welt stammen konnte. Unter der durchsichtigen geleeartigen Haut erkannte er eine blaue Substanz, die durch den Körper pulsierte. Als das Wesen ihn erreicht hatte, fuhr es mit einem der Arme über seine Füße.
Unheimliche Gedanken erreichten Steves Gehirn und schalteten danach einfach dessen Primärfunktion aus.
»Es ist schon lange her, dass ein Erwählter zu mir gebracht wurde. Dabei brauche ich euch doch so dringend.«
Nur allmählich drangen diese Sätze in Mortimers Bewusstsein. Fassungslos sah er mit an, wie die Kreatur begann, mit Hilfe eines der Instrumente seinen rechten Unterschenkel fachgerecht zu häuten. Steves Verstand setzte einen Moment lang aus, so als habe man tief in seinem Inneren einfach einen Schalter umgelegt. Schockiert und gleichermaßen fasziniert starrte er auf das nackte, unregelmäßig zuckende Fleisch seines Beines, auf freigelegte Muskelstränge und auf das viele Blut.
Erst als ein weiterer Arm des Wesens die Spitze eines Metallbohrers auf seinem Brustbein ansetzte, begann Steve Mortimer zu schreien.
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