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Westernkurier 09/2007

Auf ein Wort, Stranger, wie gesetzlos war der Wilde Westen?
Bevor ich jetzt in meiner Kolumne mit diesem Thema ins Detail gehe, möchte ich gleich am Anfang als Quellennachweis darauf hinweisen, dass dieser Artikel ohne die journalistischen Hintergrundberichte eines H.J. Stammel oder Dietmar Kügler in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.

Sicherlich habe ich eigene Recherche und Informationen einfließen lassen, habe mich im Zeitalter von PC und Internet Quellen bedient, die damals nicht so geläufig waren, aber wie gesagt, ohne den schriftlich niedergelegten geschichtsträchtigen Fundus dieser Herren wäre mein Beitrag mit Sicherheit um einiges kürzer ausgefallen.

Aber jetzt genug der Worte!

Wie gesetzlos war der Wilde Westen also wirklich?

Unzweifelhaft war die Pioniergeschichte eine Geschichte voller Gewalt, wie übrigens alle Berichte von Eroberungen gewalttätig sind. Es herrschten damals grundlegend andere Bedingungen als im alten Europa. Die permanente Bedrohung durch eine geradezu menschenfeindliche Natur, geografische und teilweise kulturelle Isolation sowie skalplüsterne Indianerhorden führten zu einer völlig anderen Art der Rechtsprechung, wie wir sie heute kennen. Die Westwanderer waren im Allgemeinen weniger intellektuell als vielmehr praktisch veranlagt, dementsprechend war die Auslegung ihrer Gesetze. Tiefenpsychologische Motivsuche, schwere Kindheit oder zerrüttetes Elternhaus und ähnlich gelagerte Phrasen, die in unserer heutigen Zivilisation gang und gäbe sind und zuerst den Täter und danach erst das Opfer in einem besseren Licht erscheinen lassen, gab es damals nicht. Die Vergeltung traf den Rechtsbrecher gnadenlos und selbst geringe Vergehen wurden mit drakonischen Strafen geahndet.

Pferdediebstahl zum Beispiel wurde in den meisten Fällen mit dem Tod geahndet.

Das war keine Barbarei, sondern entsprang mitten in der Wildnis dem Zwang der eigenen Existenzerhaltung.

So illuster die Rechtsprechung war, so bunt war auch die Schar der Gesetzeshüter. Tabak kauende Richter, Whisky schlürfende Geschworene oder Sheriffs, die mit ihrem Gefangenen noch eine Runde Poker spielten, bevor sie ihn zum Galgen führten, waren durchaus keine Seltenheit.

In Texas beispielsweise gab es einen Richter, einen rotbärtigen Hünen, dessen einziges Buch im Gerichtshof ein in Schafsleder gebundener Versandhauskatalog war. Im Falle eines wegen ruhestörenden Lärms angeklagten Cowboys verurteilte er diesen nach einem raschen Blick in den Katalog zu einer Strafe von 4,88 Dollar. Als der Verurteilte protestieren wollte, wurde ihm lakonisch erklärt, das er dem Himmel dankbar sein solle, zu 10 Paar Socken und nicht zu einem Piano verurteilt worden sein. Richter William B. Allmond, 1849 seines Zeichens Friedensrichter in San Francisco pflegte seine Sitzungen regelmäßig mit der Begründung zu unterbrechen: »Das Gericht ist trocken, die Sitzung wird unterbrochen. Lasst uns einen heben.«

Nach dem Bericht eines Lokalhistorikers endete solch eine Sitzung des öfters mit einem betrunkenen Richter, einer betrunkenen Geschworenenjury, stockbetrunkenen Ankläger und gestotterten Freisprüchen. Wen die Fälle nicht gerade gravierend waren, war allen Beteiligten Recht widerfahren, wenn der Angeklagte die gesamte Zeche zahlte. Es gab allerdings auch andere Fälle, wie eine Grabinschrift in Elizabethtown in New Mexico verkündet.

»Hier ruht Dan Zimmerman, der Richter hatte das letzte Wort und drückte ab.«

Das Gesetz im Westen war nicht nur Papier mit leblosen Regeln und starren Prinzipien. Wer an der Frontier für Recht und Ordnung sorgte, war aus einem besonderen Holz geschnitzt. Er musste sprechen wie die Pioniere, musste denken und handeln wie sie und eine gehörige Portion Lebenserfahrung, Mutterwitz und Geistesgegenwart besitzen.

So eigenwillig, schelmisch, ehrenhaft oder gar brutal die Gesetzesauslegung manchmal auch betrieben wurde, eines hatten all diese Urteile gemeinsam: Ihre Effektivität war unbestreitbar.

Wenn man nur nackte Zahlen sprechen lässt, also Bevölkerungsdichte, Anzahl der Verbrechen, Stärke der Polizeikräfte, dann kommt man sehr bald zu dem Ergebnis, dass der Wilde Westen eigentlich gar nicht so wild und gesetzlos war, wie ihn uns Hollywood immer Glauben machen will.

Vergessen wir also einmal die bluttriefenden Schilderungen der meisten Geschichtenerzähler, die über jene Zeit berichteten und auch heute noch berichten. Viele von ihnen haben vom wirklichen Westen ohnehin soviel Ahnung wie eine Kuh vom Sonntag. Dabei birgt gerade diese Epoche abseits aller Klischees einen schier unerschöpflichen Vorrat an Geschichten, die zwar illusionsloser, bar jeglicher Herz-Schmerz-Szenarien und frei sind von Cowboyübermenschen, die mit ihrem Colt sechsundneunzig Mal schießen, ohne nachzuladen, dabei einen Banküberfall vereiteln, mit der Linken einen edlen Mustang einfangen und gleichzeitig die hübsche Tochter eines Großranchers im heißen Wüstensand beglücken. Das wirkliche Leben im Westen war dennoch nicht weniger abenteuerlich und faszinierend, wenn auch nicht bei Weitem so wild und gesetzlos wie allgemein angenommen wird.

Hierzu will ich gerne mal ein kleines Beispiel geben zwischen den Bürgern der Städte im Allgemeinen mit ihren starren Regeln und ihrer lebensfremden Moral und Glaubensansichten und dem Prototyp des Wilden Westens schlechthin, dem Cowboy.

Zwischen 1867 und 1887, in zwanzig Jahren also gab es beispielsweise in den fünf Rinderstädten Abilene, Newton, Wichita, Caldwell und Dodge City, die als Westernstädte par excellence in die amerikanische Geschichte eingingen, ganze fünfundvierzig Morde. Davon wurden 22 von den Cowboys und 23 von den Stadtbewohnern begangen. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass während dieser Boomzeit sich der Menschenschlag des Frontier gegenüber dem des städtischen Bürgers in etwa 30-facher Überzahl befand und bedenkt, dass jeder Cowboy, Büffeljäger oder Goldsucher bewaffnet war, aber nur jeder 10. bis 15. Städter ebenso regelmäßig eine Waffe mit sich führte, kommt man schnell zu einem eindeutigen Ergebnis.

Der sogenannte gesetzlose Westen wurde nämlich nicht von Abenteurern und Coltrittern geprägt, sondern von Männern und Frauen, die ausgezogen waren, mit ihrer Hände Arbeit dieses Land zu zivilisieren.

Als Fazit bleibt: In dem ach so wilden, wilden Westen mit all seinen Revolvermännern, Banditen und Gamblern war die Möglichkeit, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, um ein mehr als Hundertfaches niedriger wie im heutigen, modernen und angeblich zivilisierten Amerika.

Quellen:

In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal.

Euer Slaterman