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Im Gespräch mit Nicole Steyer

Das Licht der Welt erblickte Nicole Steyer 1978 in Bad Aibling und wuchs in Rosenheim auf. Nach der Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation arbeitete sie einige Jahre in der IT-Branche in München und zog 2001 nach Idstein im Taunus. Nicole Steyer ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Geschichten begleiten die Autorin seit ihrer Kindheit. Bereits im Alter von acht Jahren verkaufte sie ihre ersten selbst gebastelten Bücher. Sie begann Kindergeschichten zu schreiben, welche sie ihren Töchtern vorlas, und  veröffentlichte die Storys in einem kleinen Verlag. Seit 2008 ist Nicole Steyer als freie Autorin tätig.
Der Geisterspiegel erhielt die Möglichkeit, der Autorin einige Fragen zu stellen.

Geisterspiegel: Vom Kinderbuch zum historischen Roman ist es bestimmt ein großer Schritt. Wie gelang es dir, diesen in die Tat umzusetzen?

Nicole Steyer: Die beiden Genres sind nur schwer zu vergleichen. Wirklich viel habe ich im Kinderbuchbereich auch gar nicht gemacht, das waren ja nur meine Anfänge. Kindergeschichten habe ich hauptsächlich für meine Mädchen geschrieben.

Geisterspiegel: Was bedeutet für dich das Mittelalter im Allgemeinen und die Zeit der Hexenverfolgung im Besonderen?

Nicole Steyer: Das Mittelalter selbst zieht mich eigentlich nicht sonderlich an. Ab und an gehe ich ganz gerne auf einen der vielen Mittelaltermärkte in der Region, die uns natürlich eine romantische Mittelalterwelt vorgaukeln, wie sie nicht gewesen ist. Mein Hauptaugenmerk liegt auf dem 17. Jahrhundert, dorthin zieht es mich auch immer in meinen Romanen.

Auf das Thema Hexenverfolgung bin ich in meiner Heimatstadt Idstein aufmerksam geworden. Die Zeit der Hexenverfolgung ist ja hauptsächlich die frühe Neuzeit gewesen. Besonders im Dreißigjährigen Krieg waren viele hohe Verfolgungswellen. Die Idsteiner Verfolgungen unter dem Grafen Johannes waren vergleichsweise spät. 1676 war Hexenverfolgung in vielen anderen Regionen bereits verpönt. Allerdings wurde die letzte Hexe in Europa in Südpreußen 1793 hingerichtet.

Was ich speziell an den Hexenverfolgungen so interessant fand, war der unglaubliche Aberglaube, der dahinter stand. Aber auch die Machtgier und die Rachsucht der Menschen spielt hier eine große Rolle.

Besonders haben mich die Schicksale der Opfer und ihrer Angehörigen berührt. In Idstein gibt es eine Gedenktafel, vor der ich auch heute noch oft stehe und mir die Namen durchlese. Immer noch frage ich mich, was sie für Menschen gewesen sind, wie sehr sie gelitten haben mussten. In meinem Roman wollte ich ihnen ein Gesicht, einen Charakter geben. Diese Menschen sind nur Namen auf einer Liste, die wir kurz lesen, dann gehen wir weiter. Manch einem von uns läuft ein Schauer über den Rücken oder er fühlt Beklemmung vor dieser Tafel. Aber wirklich nachfühlen, was sie durchmachen mussten, können wir alle nicht.

Aber auch die andere Seite war mir wichtig. Was für ein Mensch war Graf Johannes, wie dachte er und warum hat er so gehandelt. Heute denken wir, wie grausam muss jemand sein, der Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrennt. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Grausamkeit damals dazugehörte. Gerichtsbarkeit und Rechtsprechung anders waren. Dazu gehört ein anderes Weltbild, ein anderes Denken der Menschen. Graf Johannes war ein alter Mann, als er die Verfolgungen in Gang gesetzt hat. Er hat zwei Ehefrauen und den Großteil seiner Kinder verloren. Sicher spielten bei ihm Wut und Trauer eine große Rolle. Er gab den Hexen die Schuld an seinem familiären Unglück, wollte mit den Hexenprozessen aber auch Punkte sammeln, auf seinem Weg ins Paradies.

Geisterspiegel: Bei deinen Recherchen zum Roman Die Hexe von Nassau hast du sicherlich einige historische Dokumente in Augenschein und vielleicht selbst in die Hand nehmen können. Was würdest du von diesen Sachzeugen zusätzlich zum Gelesenen erfahren wollen, wenn sie »sprechen« könnten?

Nicole Steyer: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Was würde passieren, wenn ich auf einmal mit ihnen reden könnte? Ich glaube, es wäre wunderbar mit ihnen reden zu dürfen. Allerdings weiß ich nicht, ob sie tatsächlich so wären, wie ich mir das vorstelle. Es wäre sicher spannend, wie sie auf die ein oder andere Frage reagieren würden. Immerhin war ihr ganzes Weltbild ein anderes, sogar ihre Sprache eine andere. Ich glaube, ich würde ihnen viele Fragen zu ihrem täglichen Leben stellen, wie ihr Tagesablauf ist, ob es ihnen gut geht, ob sie zufrieden sind. Ich würde sie fragen, ob sie wirklich an Hexen glauben oder Angst haben. Schön wäre es, mit dem Grafen zu sprechen, ihn zu fragen, was ihn wirklich dazu bewogen hat, das alles zu tun. Aber eine befriedigende Antwort erwarte ich mir von ihm nicht. Dazu wäre er wahrscheinlich gar nicht in der Lage. Denn er war wie all diese Menschen ein anderer Mensch in einer anderen Zeit.

Geisterspiegel: Während der Amtszeit des Grafen Johannes von Nassau-Idstein wurden zwischen dem 3. Februar 1676 und 31. März 1677 31 Frauen und 8 Männer in Idstein hingerichtet. Eine von diesen war Eva Heinemann, auch die Rothköpfin genannt. Was hat dich bewogen, die Lebensgeschichte der Tochter Katharina aufzugreifen?

Nicole Steyer: In Idstein gab es eine Altersgrenze. Es wurden nur Frauen ab 40 Jahren hingerichtet. Die jungen Frauen sollten geschont werden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatten sich die Geburtenraten gerade wieder erholt und der Graf wollte mit der Altersgrenze verhindern, dass ganze Dörfer aussterben, wie es bei anderen Verfolgungen durchaus vorgekommen ist.

Die Tochter der Rothköpfin, Katharina, wie ich sie nenne, denn ihren tatsächlichen Namen habe ich leider nicht finden können, wurde damals wegen einem Vorfall in den Stallungen des Gassenbacher Hofes eingeholt. Sie ist fortgelaufen, als dort alle Kleider verbrannt werden sollten. Allerdings wurde sie nach einer relativ kurzen Befragung unbehelligt wieder laufen gelassen, da sie sehr weit unterhalb der Altersgrenze von 40 Jahren lag.

Das gab bei mir den Ausschlag, gerade sie zu nehmen. Sie würde ihre Mutter verlieren und war selbst in Verdacht geraten, das war ein starker Hintergrund für eine gute Geschichte.

Geisterspiegel: Auf gleicher Augenhöhe mit bekannten Autoren wie Iny Lorentz, Sabine Ebert, Rebecca Gablé oder Ulf Schiewe, welche selbst im literarischen Genre History unterwegs sind, genannt zu werden, ist Ausdruck dafür, dass der Roman von den Lesern angenommen wird. Wie gehst du mit diesem plötzlichen Erfolg persönlich um?

Nicole Steyer: Wirklich? Ich werde auf gleicher Augenhöhe genannt? Nein, soweit bin ich noch nicht. Das sind echt große Namen und ich stehe erst ganz am Anfang. Ich freue mich natürlich sehr darüber, dass mein Roman so gut bei den Menschen ankommt, sie berührt und auf die Reise mitnimmt. Aber um auf Augenhöhe mit Rebecca Gablé oder Ulf Schiewe genannt zu werden, ist es noch ein weiter Weg.

Geisterspiegel: Nicht immer ist man in der Lage, seine Ideen kontinuierlich in einem Manuskript umzusetzen. Vieles hängt von der jeweiligen Tagesform ab. Erfolg und Misserfolg stehen unmittelbar nebeneinander. Hast du Angst davor, auch mal einen Verriss zu fabrizieren?

Nicole Steyer: Ich glaube, davor hat jeder Autor Angst. Aber wie genau sieht Misserfolg aus? Schlechte Rezensionen und Verkaufszahlen werden da sicher genannt. Aber für mich fängt Misserfolg ganz woanders an. Ich fürchte mich davor, den Bezug zu meinen Protagonisten zu verlieren, nicht mehr bei ihnen sein zu dürfen. Vielleicht sind sie mir irgendwann nicht mehr wichtig, ihre Geschichte zu erzählen lohnt nicht mehr. Das ist für mich eine schreckliche Vorstellung. Oder aber, man nimmt mir die Zeit, die ich für sie brauche. Zeitdruck beim Schreiben ist für mich eine schreckliche Vorstellung. Ich glaube, dann könnte ich einen Verriss produzieren, denn ich darf meine Protagonisten nicht richtig kennenlernen. Nehmen wir Katharina. Sie war immer bei mir, ich kenne sie in und auswendig. Sie ist natürlich auch etwas Besonderes, denn sie war meine erste Hauptdarstellerin. Aber auch all die anderen sind ganz nah bei mir. Ich habe sie geschaffen, ihnen ein Gesicht gegeben, Charakter. Das geht nicht innerhalb von drei Wochen, so etwas braucht Zeit.

Erst dann kann ich ihre Geschichte erzählen, was niemals gehen würde, wenn mich jemand zeitlich unter Druck setzt.

Geisterspiegel: Als freie Autorin musst auch du dir ein bestimmtes Zeitlimit für die Erstellung eines Romans setzen. Wie disziplinierst du dich selbst?

Nicole Steyer: Das ist nicht immer einfach, denn das Wort Abgabetermin kenne ich noch nicht. Ich habe einen sehr langen Vorlauf mit meinen bereits fertigen Romanen und bin völlig frei beim Schreiben. Das ist auf der einen Seite sehr schön, sorgt aber schon dafür, dass es öfter an der nötigen Disziplin mangelt. Allerdings schaffen es dann meine Protagonisten mich an den Laptop zu bringen, denn ihre Geschichte will ja erzählt werden. Irgendwie klappt es dann immer, auch wenn die Organisation manchmal chaotisch ist.

Geisterspiegel: Und wie bringst du dabei Schreiben, Recherche, Lesungen und Familie unter einen Hut?

Nicole Steyer: Ja, das frage ich mich manchmal auch (lach).

Ich schreibe in der Regel am Vormittag, wenn die Kinder in der Schule sind. Dann recherchiere ich auch. Allerdings sind die Mädchen jetzt doch schon etwas älter und oftmals bleibt mir auch am Nachmittag noch genügend Zeit zum Schreiben. Wenn ich mittendrin bin, ziehe ich mich auch abends zum Schreiben zurück.

Die Lesungen finden im Moment noch in der Nähe statt, was mit der Familie sehr leicht zu vereinbaren ist, denn ich komme nach der Lesung wieder nach Hause. Mein Mann passt dann auf die Kinder auf.

Geisterspiegel: Apropos Lesungen. Du bist seit dem Erscheinen von Die Hexe von Nassau sehr viel unterwegs. Wie nehmen die Besucher und der Verlag deine Lesungen auf. Welche Resonanz spürst du während der Lesung bzw. bekommst du in den Diskussionsrunden?

Nicole Steyer: Die Resonanz ist großartig. Besonders der Verlag findet die vielen Lesungen toll und unterstützt mich, wo er nur kann. Bei den Lesungen selbst bin ich immer wieder von den vielen positiven Rückmeldungen überwältigt. Meistens sind die Lesungen gut besucht, oftmals ausverkauft. Viele Leser kommen bereits mit dem Buch, geben mir Feedback, möchten es gerne signiert haben.

Ich lese nicht nur vor, sondern erzähle auch immer viel zu den Hintergründen, berichte über die Hexenverfolgung, wenn möglich auch aus der jeweiligen Region, in der ich gerade lese. Besonders das kommt bei den Besuchern sehr gut an, denn viele wissen gar nicht, was in ihrer Region oder Heimatstadt gewesen ist.

Die Diskussionsrunden nach der Lesung sind immer unterschiedlich. Manchmal werden viel Fragen gestellt, manchmal nur wenige.

Geisterspiegel: Die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Welche Aspekte konstruktiver Kritik seitens deiner Leser greifst du auf, um diese für weitere Romane zu berücksichtigen? Wie gehst du mit Negativkritik um?

Nicole Steyer: Konstruktive Kritik versuche ich immer anzunehmen, auch von Lesern. Was ich nicht mag, ist Kritik, die gegen mich als Autorin geht oder nur oberflächlich ist. Alle Autoren treffen solche Kritiken, die nicht nachvollziehbar sind oder gegen sie persönlich gehen. Getroffen bin ich auch, wenn jemand nicht versteht, was ich mit meinem Roman transportieren möchte, wenn der Leser die Charaktere nicht nachvollziehen kann oder nicht in die Geschichte hineinfindet. Dann denke ich, ich habe etwas falsch gemacht, wie kann ich es beim nächsten Buch verbessern.

Kritik an meinen Büchern, in welcher Form auch immer, trifft mich aber jedes Mal. Wäre das nicht so, wäre sicherlich etwas falsch. Meine Bücher sind wie meine Kinder, ich bin ihre Mutter. Wenn jemand mein Kind kritisiert bin ich auch gekränkt und verteidige es. Das ist doch ganz normal.

Geisterspiegel: Was wird es demnächst von der Autorin Nicole Steyer geben?

Nicole Steyer: Mein nächster Roman heißt Das Pestkind und wird im Herbst bei Weltbild und im März 2014 bei Knaur erscheinen. Er spielt im Jahr 1648 in meiner Heimatstadt Rosenheim und greift die letzten Monate des Dreißigjährigen Krieges auf.

Geisterspiegel: Zum Abschluss des Interviews eine Gelegenheit, dich dazu zu äußern, was du schon immer deinen Lesern und Fans sagen wolltest.

Nicole Steyer: Ich finde es großartig, wie sehr Katharinas Schicksal die Leser berührt hat. Es ist mir immer wichtig gewesen, dass die Menschen sie kennenlernen durften, ihre Geschichte erzählt wird. Vielen Dank für die vielen großartigen Rezensionen, E-Mails und Feedbacks.

Ja, ich habe auch mit ihr geweint, gelacht und gehofft, bis zum Schluss.

Geisterspiegel: Vielen Dank, Nicole, für das Beantworten unserer Fragen.


Die Fragen stellte Wolfgang Brandt via E-Mail.

Bilderveröffentlichungen mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Copyright © 2013 by Wolfgang Brandt