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Seit ich mich entsinnen kann …

Ich weiß schon nicht mehr genau, wie all das, was ich hier zu berichten beabsichtige, eigentlich begonnen hat und kann auch nicht im geringsten abschätzen, wann dies enden wird. Jedoch befürchte ich, dass ich den Schrecken und meine Verstrickung, in Form etlicher widersinniger Handlungen meinerseits, darin nur äußerst unzureichend für meine Hinterbliebenen beschreiben und erklären kann. Weshalb ich auch auf keinerlei Verständnis oder gar mildtätiger Gnade durch meine durch mich derart geplagten Verwandten oder meine Mitmenschen hoffen kann und werde. Ich vermag es nur alleine hier an dieser Stelle so gut und verständlich wie möglich darzulegen, was mir aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gelingen mag, doch die Entscheidung darüber liegt nun nicht mehr in meinen Händen. Denn wenn man mich dereinst mit, von unzähligen Schrotkügelchen, zerschossenem Schädel hier am Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer finden wird, liegt auf diesem dieses Manuskript hier und nichts aber auch rein gar nichts ist noch von Belang für mich oder besser meinen kalten und steifen Körper …

 

Doch wo, bei einer solch verworrenen Geschichte, soll man beginnen, wenn nicht am Anfang, also bei meiner Geburt, die bereits unter keinem guten Stern gestanden haben soll, wie mir meine Großtante mütterlicherseits bei unzähligen Gelegenheiten mehr oder minder deutlich bis zuletzt vorgehalten hatte und auch sicherlich weiter hätte, wenn ich meinem Leben nicht … oh, entschuldigen Sie bitte, das hatten wir ja schon. Also fahren wir mit unserer Geschichte fort: Wir schreiben den 20. August 1890 und finden uns in einem kleinen verschlafenen Nest namens Providence im amerikanischen Staate New England wieder. Genau genommen direkt über einem der dort angesiedelten einfachen Häuser der Angell Street, das die Hausnummer 194 trägt. Das Geschrei einer schwer leidenden Frau mittleren Alters und die hysterischen Versuche ihrer Schwester drangen fast ungedämmt in die bitterkalte und stockfinstere Novembernacht hinaus, wo sie auch die weniger neugierigen Nachbarn meiner späteren Eltern an meiner Geburt teilnehmen ließen. Doch das konnte man mir nun wirklich nicht anlasten, was ich zumindest damals noch leichtfertig annahm und man wohl meiner bis dahin fehlenden Lebenserfahrung zuschreiben musste. Doch ich sollte mich nicht nur in diesem besonderen Fall irren, wie sich dies über die weiteren Jahre hinweg herausstellen sollte … Doch zurück zu den Schmerzensschreien meiner Mutter, die, wohl gepeinigt von meiner Unentschlossenheit im Bezug auf mein sehnsüchtig erwartetes Erscheinen im Kreise meiner Lieben, sich die Lunge aus dem Leib schrie und einen frühen Hass auf meine damalige Wenigkeit – an der sich im Übrigen bis zum heutigen Tage nichts geändert hat, wie Sie sich sicher denken können – zur Folge hatte. Dis vergaß man mir zwar dank der scheinbar angeborenen Verschwiegenheit vonseiten meiner Eltern glücklicherweise zu sagen, was mir jedoch in soweit nicht sonderlich viel nutzte, da ich es der ebenso von Geburt an mitgegebenen offensichtlichen Zurschaustellung ihrer Gefühle schon sehr früh und äußerst deutlich mitbekommen musste.

 

Erneut schüttelte eine dieser schrecklichen Wehen den zierlichen und vom schweißbedeckten Körper meiner Mutter aufs Heftigste durch, als die Hebamme ihr gerade wieder die krampfhaft in Falten liegende Stirn mit einem feuchten Tuch abtupfte und der Arzt, ein gewisser Dr. Hesekiel Urafal Tuchl – ein noch junger deutscher Emigrant – seinen blutverschmierten Arm mit den folgenden Worten aus dem Unterleib meiner Mutter herauszog: »Ihr Kind hat sich leider nicht rechtzeitig gedreht, Mrs. Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als es mit der Geburtszange zu holen. Dies ist zwar ein neuartiges Verfahren, das aber schon unzählige Male von mir angewendet und zuvor mehrere Jahre an der hiesigen Universität getestet wurde, weshalb sie keinerlei Bedenken bezüglich ihrer Anwendung zu haben brauchen.« Dann drang er mit dem unförmigen Greifwerkzeug in ihren Uterus ein, und während er zu ziehen begann, schrie sie wie ein sich gerade auf der Schlachtbank befindliches Schwein auf. Ihr Rücken bog sich krampfhaft auf das Unnatürlichste durch und fiel gleich darauf wieder auf das schmutzige Laken ihres Bettes zurück. Ein Klirren, wohl von dem Aufschlagen der metallenen Zange auf dem gefliesten Boden des Krankenzimmers, erklang gefolgt vom Schreien eines Neugeborenen und von wirrem Haar umrahmt tauchte der Kopf des Arztes vor dem erschöpften Antlitz meiner Mutter auf, bevor dieser ihr, mit irrem Blick, den beinahe winzig zu nennenden von Blut überzogenen Leib meiner Selbst entgegenstreckte und sie mit fast gütiger Stimme fragte: »Und welchen Vornamen sollen wir dem Jungen denn nun in die Geburtsurkunde eintragen, Mrs. Phillips? Howard?« Sie stöhnte und keuchte hervor: »Und den Nachnamen meines Mannes.«

»Also Howard Phillips Lovecraft, Mrs. Phillips?«

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