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Mit einem Lächeln auf den Lippen

Einen derart heißen Sommer hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Die Sonne brannte vom Himmel als müsste sie ihre Zurückhaltung in den vergangenen Jahren gerade in dieser Woche nachholen. Zum Glück verfügte der Firmenwagen über eine anständige Klimaanlage, sonst wäre Lisa wohl längst im eigenen Saft gar gekocht.

In ihrem eleganten Kostüm fühlte sie sich eingeengt und unwohl. Bei diesem Wetter sollte man andere Klamotten tragen, leichtere Sachen, aber auf Dienstreisen war das Tragen legerer Kleidung untersagt. Immerhin repräsentierten die Mitarbeiter im Außendienst eine der erfolgreichsten Banken Deutschlands.

Lisa arbeitete in der Abteilung, die hauptsächlich auf Firmenfinanzierungen ausgelegt war, zudem betreute sie höhere Beamte und sehr gut situierte Manager. Da mussten gewisse Opfer gebracht werden. Selbst lange vor einem Termin hatte sie gut auszusehen, denn Kunden konnten ihr überall begegnen.

Im Gegenzug dazu verdienten die Top-Frontkämpfer mehr als gut. Für Lisa ein unbedingtes Muss, wenn sie ihren Lebensstandard halten wollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne Markenprodukte auskommen zu müssen, keinen Nobelfriseur oder überteuerten Nagelstudios mehr aufsuchen zu können. Billige Sachen überließ sie lieber denen, die sich nicht ins Zeug gelegt und für einen guten Job gekämpft hatten. Auf der Versagerschiene mochten ihre Eltern und die ehemaligen Freunde glücklich sein. Ihre Welt war eingerahmt von Prestigeobjekten und Eleganz.

Sollten die nächsten Termine erfolgreich verlaufen – und davon war Lisa felsenfest überzeugt – durfte sie sich auf eine Beförderung freuen. Ein Grund mehr, alles Notwendige zu tun, selbst wenn es sich als unbequem erwies.

Die Hitze hätte sie ohne Murren ertragen, wäre da nicht diese verdammte Umleitung gewesen. Auf der Autobahn hatten sich mehrere Unfälle ereignet und nun war sie gezwungen, einen Umweg über Landstraßen zu nehmen. Zeitlich gesehen kein Problem, denn den ersten Termin hatte sie erst am nächsten Tag, aber sie fuhr nicht gerne durch ländliche Gebiete. Alles wirkte so verlassen und trostlos. Gerade in Thüringen wimmelte es von Wald- und Kurgegenden. Kleine Städte wechselten sich ab mit noch kleineren Dörfern. Ihr blieb es unverständlich, wie man hier wohnen konnte. Es fehlte doch wohl an allem.

Stadtmenschen gehörten nicht hierher. Ihre Ansprüche konnten überhaupt nicht erfüllt werden.

Laut den Angaben ihres Navigationsgeräts müsste sie bald das Hotel erreichen, in dem ihr Chef für sie ein Zimmer gebucht hatte. Lisa fragte sich, ob es in dem Ort Möglichkeiten gab, sich ein wenig die Zeit zu vertreiben, glaubte aber nicht wirklich daran.

Ihre Befürchtung wurde bestätigt, als sie nach endlos scheinender Waldstrecke endlich das Ortsschild passierte. Fachwerkhäuser, einige Bauernhöfe und in der Dorfmitte das »Landgasthaus Rhöndistel«. Na, super. Ein schäbiger Gasthof. Entweder hatte ihr Chef sich nicht richtig informiert oder es war einer seiner albernen Streiche. Tief im Innern versteckte sich bei Herrn Dr. Höhn noch immer ein kleines Kind, dem er hin und wieder freie Hand ließ.

Lisa blieb nichts anderes übrig als sich mit der Situation abzufinden und das Beste daraus zu machen. Diese drei Tage Aufenthalt waren zu verkraften. Lange genug um Depressionen zu bekommen, dachte sie bitter und parkte ihren BMW im Hinterhof des Gasthauses. Schlaglöcher, Schotter, eine ungepflegte Hecke als Begrenzung – nein, das war ganz und gar nicht nach Lisas Geschmack. Blieb nur zu hoffen, dass es drinnen ansprechender aussah.

Nachdem sie eingecheckt und missmutig ihr kleines Zimmer mit dem unbequemen Bett inspiziert hatte, begab sich Lisa in das Lokal und bestellte einen Salat. Mehr hatte die Speisekarte für figurbewusste Frauen nicht zu bieten. Schon gar nicht für Vegetarier.

Im Radio wurde von weiteren Massenkarambolagen auf deutschen Autobahnen berichtet. Diese Meldungen hatten etwas Unheimliches, denn es konnten unmöglich alle Autofahrer plötzlich das Fahren verlernt haben. Bevor der Wirt, dem die Nachrichten wohl zu langweilig waren, den Sender wechselte, hörte Lisa Bruchteile einer anderen Meldung:

»Augenzeugen berichteten von mehreren Menschen, die wankend über die Fahrbahnen …«

Plötzlich wurde der Sprecher durch einen alten Abba-Hit ersetzt. Mist, Lisa hätte gerne weiter den Nachrichten gelauscht. Irgendetwas stimmte nicht. Lisa blieb gern auf dem Laufenden, aber sie wollte den Wirt nicht bitten, wieder zu den Nachrichten zu wechseln. Der Kerl starrte ohnehin die ganze Zeit anzüglich zu ihr herüber.

Ein kurzer Spaziergang würde ihr wohl die Langeweile vertreiben. Wenn schon keine Shoppingtour möglich war, so wollte sie zumindest von der hochgelobten frischen Luft profitieren.

Auf der Straße herrschte gähnende Leere, es war frustrierend. Lisa schlenderte an einigen Vorgärten vorbei, betrachtet die Blumenvielfalt und bog schließlich in einen Feldweg ein, der am Friedhof vorbei zum See führte. Außer dem Gewässer gab es keine örtlichen Sehenswürdigkeiten. Kein Wunder, dass unter der Landbevölkerung die Sauferei zum guten Ton gehörte, die hatten sonst einfach nichts zu tun.

Über eine niedrige Mauer blickte die Bankangestellte auf Gräber in wirklich armseligem Zustand. Zuweilen gab es nur leere Löcher. Aufgewühlte Erde lag um die Einfassungen herum und selbst die Gehwege waren verdreckt.

Vermutlich wurde Friedhofspflege ebenso vernachlässigt, wie das gesamte Leben selbst. Sogar umgeworfene Gedenksteine hatte der Gottesacker zu bieten. Schlimm, wirklich grauenvoll. Ein wenig könnte doch darauf geachtet werden, dass nicht alles in einem Dorf einer Müllhalde glich.

Aus dem Ort ertönte ein lauter Knall, der Lisa augenblicklich zusammenzucken ließ. Sie schaute sich um, konnte jedoch nichts sehen. Das war eindeutig ein Schuss gewesen. Wer, um Himmels willen, ballerte mitten am Tag mit einer Waffe herum?

»Alles Hinterwäldler«, schimpfte sie laut.

Dann ein weiterer Schuss und noch einmal. Sie wäre besser im Gasthaus geblieben, hier gab es offenbar Verrückte mit Schusswaffen.

Gellende Schreie einer Frau, wieder dieser laute Knall. Das Echo von Schuhsohlen, die hart auf Asphalt trafen. Jemand rannte und Lisa beschlich das ungute Gefühl, dass sich diese Person in ihre Richtung bewegte.

Rasch schlüpfte sie durch das Friedhofstor und ging hinter der Mauer in die Hocke. Sie war darin geschult, selbst in Krisensituationen nicht leicht in Panik zu geraten. Bankangestellte konnten leicht in brenzlige Lagen geraten. Immer einen kühlen Kopf bewahren, lautete ihre Lebensphilosophie. In jeder nur erdenklichen Lage.

Vorsichtig lugte sie über die Mauer und sah einen jungen Burschen mit langen Haaren, der aus dem Dorf zum Friedhof rannte. Er war ganz in Schwarz gekleidet, bei dieser Hitze und dem klaren Himmel nicht die klügste Wahl. An den Handgelenken trug er breite Lederbänder mit kleinen Metallstacheln. Wirklich bedrohlich wirkte aber vor allen Dingen das Gewehr in seiner Hand.

Sofort verschwand Lisa wieder vollständig hinter ihrer Deckung, machte sich klein. Wer so aussah, eine Waffe bei sich trug und zudem rannte, konnte nur Dreck am Stecken haben. In ihrer Heimatstadt Frankfurt gab es durchaus Gegenden, die nicht weniger unsicher waren als dieses Kaff. Von denen hielt sich Lisa grundsätzlich fern, doch hier blieb ihr keine Wahl.

Entgegen jeder Vernunft hob sie noch einmal ihren Kopf. Sich zu verstecken war eine Sache, aber man musste auch wissen, wann sich die Gelegenheit zur Flucht ergab.

Lisas Blick ragte über die Friedhofsmauer und sie sah etwas, das ihr ganz und gar nicht gefiel. Ein auf ihren Kopf gerichteter Gewehrlauf ließ die Businesslady augenblicklich erstarren.

Kurz darauf senkte der Langhaarige seine Waffe und sagte: »Sie sind nicht von hier. Kommen Sie, wir müssen weg. Hier kriegen die uns ganz leicht.«

Behutsam erhob sich Lisa und starrte den Typen verständnislos an. Nur keine hektischen Bewegungen, schoss es ihr durch den Sinn. Keinen Grund liefern, bloß nicht.

»Die Kacke ist ganz schön am Dampfen. Wir müssen uns beeilen. Außerdem – diesen Platz hier würde ich an Ihrer Stelle lieber meiden.«

Endlich fasste sich Lisa ein Herz und meinte: »Was soll das alles? Haben Sie geschossen? Überhaupt: Warum rennen Sie mit einem Gewehr durch die Gegend?«

»Ah, alles klar. Sie wissen noch gar nichts darüber.«

»Wissen? Was soll ich denn wissen?« Er lag vollkommen richtig. Lisa wusste nicht, was sie von alledem halten sollte. Wichtig war, dass sie sich diesem Rocker gegenüber ruhig verhielt. Offensichtlich hatte er nicht mehr alle Tassen im Schrank.

Sie lächelte ihn an und stellte sich vor: »Ich heiße übrigens Lisa Kern, aus Frankfurt. Bin hier nur auf der Durchreise.«

Immer lächeln, das wirkte beruhigend und löste so manche Spannung. Im Zweifel: Immer schön lächeln.

»Ja, gut. Robert. Robert Helmich«, erwiderte der junge Mann. »Sie scheinen wirklich noch nicht Bescheid zu wissen.«

Ihr fragender Blick veranlasste Robert dazu, fortzufahren: »Wir befinden uns hier auf dem Präsentierteller, also fasse ich mich kurz: In der Nacht hat es angefangen, da sind die Toten aus ihren Gräbern gekommen. Ich war gerade unterwegs gewesen, ein wenig die Beine vertreten … dann hab’ ich es selbst gesehen. Hier auf dem Friedhof ging es richtig ab. Drei oder vier Leichen haben sich einfach ausgebuddelt und sind in den Wald marschiert. Ich legte mich daheim erst mal aufs Ohr, weil ich es nicht glauben wollte. Das kennt man nur aus Filmen. Außerdem …«

Er machte ein etwas verlegenes Gesicht, während er um die richtigen Worte rang.

»Na ja, ich war ziemlich dicht. Wir hatten ‘ne Metalparty … verstehen Sie?«

Nun schüttelte Lisa den Kopf. Sie konnte nicht anders, musste diesen Robert anstarren. Was redete der da für einen Schwachsinn über Leichen, die den Friedhof verlassen haben? Vermutlich waren außer Alkohol noch ganz andere Substanzen im Spiel gewesen. Robert bemerkte, wie sich Lisa gegen seine Erklärung sträubte.

»Hören Sie, ich weiß selbst, dass es sich albern anhört, aber Tatsache ist, ich habe vor ein paar Minuten einige Leute erschossen, die ich schon seit meiner Kindheit kannte. Die hätten Sie mal sehen sollen. Da hing der halbe Körper in Fetzen und trotzdem kamen die auf mich zu. Mir blieb gar keine Wahl.«

Plötzlich schnellte Roberts Arm nach vorne und seine Hand packte Lisa fest an der Schulter. Mit Wucht schubste er sie zur Seite und sie konnte lediglich mit einem wütenden »Hey« reagieren. Eine Sekunde später legte der Metalfan das Gewehr an und drückte ab. Lisa glaubte, ihr Trommelfell würde platzen. Sie drehte sich um und sah wenige Meter hinter sich einen Körper in löchrigem Anzug auf einem Grab liegen. Was von dem Gesicht noch übrig geblieben war, zeigte deutliche Spuren fortgeschrittener Verwesung.

Lisa schrie auf, wurde bleich und ging einen Schritt zurück, wobei sie gegen die Mauer stieß und beinahe darüber gefallen wäre. Robert fing sie gerade noch rechtzeitig auf, was ihm eine heftige Ohrfeige einbrachte.

Wieder schrie sie auf. Etwas anderes fiel ihr nicht ein, denn ihr Weltbild lag in Scherben. Lisa war sich darüber völlig im Klaren, dass Robert jemanden erschossen hatte, der schon vorher tot gewesen sein musste. Vielleicht gab der Kopf nicht mehr allzu viel her, aber an den Händen erkannte sie die Spuren des körperlichen Verfalls überdeutlich. Etwas in ihr wehrte sich dennoch vehement gegen die Existenz von lebenden Toten. Diesen Blödsinn wollte sie nicht glauben, ungeachtet des direkt vor ihr liegenden Beweises.

»Sind Sie irre?«, schrie sie Robert an. »Sie haben gerade einen Menschen erschossen, Herrgott. EINEN MENSCHEN!«

Robert versuchte, die ausflippende Geschäftsfrau zu beruhigen, blieb aber auf Abstand. Die Ohrfeige hatte gesessen.

»Das war kein Mensch«, sagte er. »Da, schauen Sie, der verfault ja schon. Das da ist ein waschechter Zombie.«

»So ein Schwachsinn«, entgegnete Lisa knapp und kramte in ihrer Handtasche. Sie brachte einen Elektroschocker zum Vorschein und richtete ihn auf den Rocker. Sofort wich Robert etwas weiter zurück. Er hatte die besseren Trümpfe in der Hand, aber er war kein Killer. In Panik konnte ein Mensch unberechenbar sein und die blödesten Dinge tun, das wusste er. Sie meinte es nicht böse, versuchte nur, das Geschehene irgendwie zu verarbeiten.

Beschwichtigend hob Robert die Hände: »Hören Sie, mir schmeckt das auch nicht, aber es ist nun mal so. Das Biest hätte Sie bei lebendigem Leib gefressen. Ich musste schießen.«

»Woher wollen Sie das wissen, Sie … Sie … vollkommen übergeschnappter, verblödeter …«

Nun platzte Robert endgültig der Kragen. Langsam sollte die Tussie wieder zur Besinnung kommen und das akzeptieren, was um sie herum geschah. Er brauchte sie nicht, im Gegenteil. Floh er alleine, würde das seine Überlebenschance nur vergrößern.

Vielleicht sollte er die Situation noch einmal erklären. Geschäftsleute waren immer etwas schwer von Begriff, wenn sie das bisherige Realitätsempfinden überdenken mussten.

»Es ist ganz einfach. Die Toten kehren ins Leben zurück, wollen uns fressen und wer einfach nur gebissen wird, verwandelt sich auch in einen Zombie. Töten kann man sie nur, wenn man deren Gehirn zerstört. Jetzt wissen Sie Bescheid.«

»ES GIBT KEINE ZOMBIES!«, schrie Lisa außer sich vor Wut.

Auch Robert ließ sich dazu hinreißen, seine Stimmbänder mehr zu strapazieren. Es wurde ihm allmählich zu dumm: »DA LIEGT ABER EIN ZOMBIE!«

Ihren Streit hätten die beiden weitergeführt, wäre ihnen nicht ein Kreischen aus dem Dorf in die Quere gekommen. Sie schauten zur Ortsstraße. Eine Frau rannte schreiend vor einer Meute stöhnender Wesen davon. Die Untoten bewegten sich langsam, beinahe wie in Trance. Sie streckten ihre Arme nach der Flüchtenden aus, humpelten, wankten. Wenn Lisa es sich genau überlegte, stellten diese … Kreaturen – das Wort Zombie wollte sie nicht akzeptieren – keine wirkliche Bedrohung dar, solange man nur schneller war. Bedenklich schien jedoch die Anzahl der wandelnden Leichen zu sein. Die Vorhut einer kleinen Armee toter Leiber wälzte sich dort über den Asphalt. Einigen fehlten Gliedmaßen und an ihren Körpern hingen blutige Fetzen, was ehemals ihre Kleidung dargestellt haben mochte. Wieder anderen baumelten die Eingeweide um die Füße und dann gab es noch jene, die nur mehr aus verfaulendem Fleisch bestanden. Stinkende Hautlappen und sich verflüssigendes Muskelgewebe, das sich an einigen Stellen bereits vollständig von den Knochen gelöst hatte.

»Großer Gott«, keuchte Lisa und schaute wie gebannt zu dem grässlichen Schauspiel.

Robert zielte bereits mit seinem Gewehr und drückte ab. Sekundenbruchteile später stürzte die flüchtende Frau auf die Straße und umklammerte ihr Bein. Einige der Untoten waren auf den Schützen aufmerksam geworden und änderten die Richtung, während der Großteil weiterhin auf die verzweifelt über den Boden kriechende Verletzte zusteuerte.

»Was zum … wieso haben Sie denn auf die Frau geschossen? Die ist doch vor diesen Monstern geflohen.«

»Ach, das war eine alte Nebelkrähe. Eine ehemalige Nachbarin von mir, die hat es nicht anders verdient«, meinte Robert fast beiläufig. »Wir sollten uns auf den Weg machen, sonst …«

Er deutete auf die Leichen, die sich unaufhaltsam in Richtung des Friedhofs bewegten. Vielleicht war Robert ein Psychopath, vielleicht richtete er auch einmal die Waffe gegen Lisa, aber eine andere Alternative als mit ihm gemeinsam das Weite zu suchen, gab es nicht.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schlüpfte sie aus den Pumps, nahm sie in die Hand und rannte los. Robert folgte ihr auf dem Fuß.

»Wo sollen wir überhaupt hin?«, fragte Lisa.

»Einfach nur dem Weg folgen«, kam Roberts Anweisung, der sich dicht hinter ihr befand. »Wir kommen dann irgendwann zum Nachbardorf. Das ist so winzig – vielleicht wurden die bis jetzt von der Plage verschont.«

Eine Dienstreise hätte es werden sollen, eine weitere Möglichkeit, die Karriereleiter nach oben zu klettern. Jetzt lief Lisa gemeinsam mit einem schießwütigen Metal-Fan durch den Wald und versuchte, lebenden Toten zu entkommen. Biester, die es gar nicht geben dürfte.

Nach einigen Minuten verlangsamten sie ihr Tempo, denn der Vorsprung vor den Untoten mochte groß genug sein. Dennoch behielt Robert die Umgebung genau im Auge. Zombies tauchten regelmäßig dort auf, wo man sie nicht vermuten würde.

Lisa setzte sich auf den Boden. Eine kleine Weile, nur um sich zu erholen. Auch Robert ging in die Hocke. Wachsam lauschte er und ließ seinen Blick von einem Baum zum anderen schweifen.

»Wir sollten jemanden anrufen, vielleicht die Polizei«, gab Lisa zu bedenken. Gleich darauf suchte sie in der Handtasche nach ihrem Handy. Während sie emsig wühlte, versteifte sich ihr Begleiter. Irgendetwas war im Wald zu hören. Es war kein Rascheln, wie es Zombies auf dem mit Laub und Nadeln bedeckten Boden verursachen würden. Dennoch kroch etwas durchs Unterholz.

»Scheiße, kein Empfang.«

Frustriert ließ die Geschäftsfrau das Mobiltelefon wieder in ihre Tasche fallen. Dann schaute sie Robert an und fragte: »Ist etwas passiert? Ich meine, gab es einen Virus oder einen Chemieunfall? Das alles geschieht doch nicht einfach so.«

Er zuckte mit den Schultern, lauschte weiter. Ganz deutlich war es zu hören. Bewegungen im Unterholz. Unruhig wippte er ein wenig auf und ab.

»Sie kennen sich doch mit diesen … Wesen aus. Wie kann es denn so was überhaupt geben?«

»Das weiß ich doch nicht«, gab Robert zurück und wurde immer ungeduldiger. »Muss ja nicht immer an etwas liegen. Kann ja auch sein, dass der Tod Urlaub macht. Bevor ich mein Haus verließ, habe ich nur einige Meldungen von einer Art Ausnahmezustand in Berlin gehört. Vermutlich ist das Phänomen überall aufgetreten.«

»Und warum wissen Sie, wie man die Dinger tötet? Wo haben Sie überhaupt so gut schießen gelernt?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schnaubte Lisa verächtlich und meinte: »So, wie Sie aussehen, sind Sie wahrscheinlich Fan von diesen schrecklichen Killerspielen. Da lernt man ja das Töten.«

Er bedachte Lisas Theorien mit einem Lächeln. Immer lächeln, das half. Vorurteile, wie diese, waren ihm nicht fremd, damit konnte er leben. Es störte nur, dass selbst in einer solchen Situation die Leute mit solchem Blödsinn anfingen. Dabei sollte sich diese Schnepfe glücklich schätzen, dass er sie nicht einfach zurückgelassen hatte. Was hätte sie denn tun wollen? Die Zombies mit ihrem Elektroschocker braten? Ihnen ihre Designer-Handtasche um die Ohren hauen?

Ihm kam die Nachbarin in den Sinn. Auch die war ihren Vorurteilen verfallen gewesen. Dämliche Hexe. Durch die hatte er oft genug die Polizei im Haus gehabt, weil sie ihm so gerne etwas angehängt hätte. Abgesehen davon hatte sie dazu beigetragen, dass etliche Leute im Ort ihren Job verloren oder Ärger mit dem Jugendamt wegen unbegründeter Anzeigen bekommen hatten. In der alten Welt hätte er nie und nimmer auf einen Lebenden geschossen, nur um sich zu rächen. Nun hatte sich die Welt aber geändert und er hatte nichts weiter getan, als einen kleinen Beitrag zur beginnenden Anarchie zu leisten.

Woher kamen dann diese Gewissensbisse? Warum musste er sich immer wieder sagen, dass seine Tat doch nicht so in Ordnung gewesen war, wie er es sich gerne einredete?

»Schießen habe ich während meiner Zeit bei der Bundeswehr gelernt und die Knarre stammt aus dem Vereinshaus der örtlichen Sportschützen«, verteidigte er sich. »War nicht schwer, dort einzubrechen. Eigentlich kann ich keine echten Waffen ausstehen, aber was bleibt einem denn übrig, wenn die Toten einen fressen wollen? Tja, und wie man Zombies tötet … ich habe genügend Filme gesehen und es dann einfach ausprobiert. Wie Sie gesehen haben, klappt es. Weg mit dem Gehirn und sie bleiben liegen. Trifft man die Brust oder den Bauch, latschen sie einfach weiter. Learning by Doing.«

Wieder diese Geräusche aus dem Wald, wesentlich näher als zuvor. Dieses Mal hörte auch Lisa das leise Scharren und fuhr augenblicklich herum. Sie sprang auf, klammerte sich an den bereits stehenden Robert, der sein Gewehr auf die Bäume richtete. Viele kleine Füße wühlten das Laub auf und schließlich sahen sie, was der Ursprung der Laute war. Tiere. Untote Waldtiere kamen auf sie zu. Vögel, Eichhörnchen, Mäuse. Sogar einige Rehe erschienen im Dickicht. Meist waren die Körper zerfallen, Gedärme wurden über den Waldboden geschleift und Augen fehlten in ihren Höhlen. Neben dem schrecklichen Anblick gab es einen Gestank, der den stärksten Magen an seine Grenzen führte. Hunderte Tierkadaver rotteten sich zusammen und gierten nach frischem Fleisch.

Von wegen Pflanzenfresser, dieses Schulwissen konnte getrost vergessen werden.

»Ach du Kacke«, kam als Flüstern aus Roberts Mund. »Da sieht man mal, was im Wald so alles vor sich hin rottet. Los, kommen Sie!«

Schmerzen und Erschöpfung ignorierend, hielt Lisa mit Robert Schritt. Sie wollte gewiss nicht von Eichhörnchen zerfleischt werden. Ganz abgesehen von den widerlichen Mäusen.

Auf ihrer Flucht entdeckten sie zwischen den Bäumen einen Jogger, über den sich drei Rehe hermachten. Der Typ war längst nicht mehr am Leben und zwei der Biester stritten sich gerade um ein langes Stück Darm, während das dritte Reh genüsslich Fleischstücke aus dem Toten riss. Zufrieden mit ihrer Mahlzeit, beachteten sie die Flüchtenden nicht weiter.

Schließlich führte der Feldweg auf eine befestigte Straße. Hinter ihnen hatten sich immer mehr zombifizierte Tiere zusammengefunden, die unaufhaltsam dem Geruch warmen Blutes folgten. Wie Robert gesagt hatte, gab es inmitten der Einöde ein Dorf mit einigen Häusern. Sie brauchten nicht lange, um zu erkennen, dass auch hier bereits die Hölle ihre Pforten weit geöffnet hatte. Was immer die lebenden Toten anlockte, sobald sich Lebende in ihrer Nähe aufhielten, wussten sie es einfach. Nicht lange und in der einzigen befestigten Straße wimmelte es von hungrigen Leichen. Sie gingen nicht systematisch vor, folgten keiner Strategie, aber dennoch hatten sie es geschafft, Lisa und Robert zu umzingeln. Der Langhaarige streckte einige von den Bestien mit Kopfschüssen nieder. Gehirnmasse klebte an denen, die sich in zweiter Reihe befanden, doch das kümmerte sie nicht. Allein die Aussicht auf Frischfleisch bestimmte deren Handeln.

Robert umfasste den Gewehrlauf und schwang die Schusswaffe gleich einer Keule. Unter wuchtigen Hieben zerbarsten Schädel. Zombies verfügten wohl über sehr weiche Knochen. Nun, um so besser, dachte Robert.

Da die wandelnden Toten nicht in der Lage waren, auf plötzlich auftauchende Hindernisse, wie fallende Körper zu reagieren, entstand in ihren Reihen bald eine Lücke. Die letzte Möglichkeit zur Flucht für Robert und Lisa.

Bleiche Hände griffen nach ihnen. Lisa wurde an der Schulter gepackt und schrie auf. Wild schlug sie mit einem ihrer Schuhe auf den Angreifer ein und schaffte es, den Absatz tief in sein Auge zu treiben. Augenblicklich sackte der Untote zusammen.

»He, kommen Sie her! Los, schnell!«

Am ersten Haus stand Robert vor offener Eingangstür und winkte Lisa zu. Sie ignorierte die Bestien und rannte einfach los. Geschickt wich sie den nach ihr greifenden Händen aus und schaffte es, gemeinsam mit ihrem Retter im Inneren des Gebäudes zu verschwinden. Rasch warf sie die Tür ins Schloss, während Robert schon Möbelstücke zum Verbarrikadieren heranschleppte. Die Fenster waren von draußen nur für gute Kletterer zu erreichen und beide zweifelten daran, dass die schwerfälligen Wesen dazu in der Lage waren.

Wie erwartete versammelte sich das gesamte Leichenpack vor der Eingangstür und hämmerte stumpfsinnig gegen das Holz.

»Sollten wir nicht ins obere Stockwerk?«, frage Lisa und war schon dabei, die alte Holztreppe zu erklimmen.

»Blödsinn, das bringt doch nichts. Dann sind wir dort oben gefangen. Auf offenem Feld hätten wir mehr Chancen, hier drinnen befinden wir uns auf dem Präsentierteller und … AU!«

Plötzlich schlug sich Robert mit der Hand auf seinen Nacken. Ein kleines Etwas fiel auf den Flurteppich und Lisa erkannte eine malträtierte Hausspinne. Zwei der acht Beine fehlten und der Körper war zum Teil bereits ausgetrocknet.

»Verflucht!«, brüllte Robert und zerstampfte die sich windenden Überreste. »Das Vieh hat mich gebissen!«

Traurigkeit lag in seinen Augen, als er Lisa anstarrte. Traurigkeit und Resignation.

»Hauen Sie ab«, sagte er mit tonloser Stimme. »Ich habe einmal gelesen, dass Arachniden über ein Gehirn verfügen. Also können auch sie von den Toten auferstehen. Lassen Sie mich allein, Lisa. Mal sehen, wie es auf der Seite der Fresser ist.«

Lisa wusste nicht, ob ein Biss wirklich dazu genügte, jemanden in einen Zombie zu verwandeln. Auf einen Beweis wollte sie aber nicht warten. Wortlos drückte sie Roberts Schulter und nahm sich das Gewehr.

»Ist nur noch eine Kugel drin. Schlagen sie einfach mit dem Kolben auf die Zombies ein, das wirkt auch. Ich habe bemerkt, dass sie relativ weiche Schädel haben. Muss wohl an der Verwandlung liegen – was weiß ich.«

Sie nickte und ließ Robert allein. Er hatte ihr geholfen, aber dennoch war er nicht mehr als ein Spinner, der einfach Leute, die er nicht leiden konnte, von Untoten fressen ließ. Wirklich trauen konnte man ihm nicht. Zudem schwand ihre Hoffnung. Wo sollte sie hin? Wenn sich diese Seuche ausbreitete, gab es keinen sicheren Ort mehr.

»Lächeln macht vieles leichter«, flüsterte sie ihm zum Abschied noch zu. Er lächelte.

Durch die Fenster sah Lisa, dass sich unzählige Zombies um das Haus versammelt hatten. Ganz gleich, wo sie einen Ausbruch wagen sollte, die lebenden Toten würden sie erwischen und zerfleischen. Sie fürchtete den Schmerz, das langsame Sterben.

Lisa setzte sich an den Küchentisch. Dort, wo Robert sie nicht sehen konnte. Mit ihrem Mund umschloss sie den Gewehrlauf, atmete tief ein. Das Metall war kühl, schmeckte scheußlich, aber das störte sie nicht mehr. Alles hatte seine Bedeutung verloren, auch das Leben. Wenn die Welt den Toten gehörte, waren Lebende, die nicht als Nahrung enden wollten, überflüssig.

Mit einem Lächeln auf den Lippen betätigte Lisa den Abzug.

Copyright © 2010 by Sven Später