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Der Welt-Detektiv Band 6

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Colorado Sunrise – Folge 1

Es geschah in New York

New York City, 1871

Das Streitgespräch, das Francesca aus dem Arbeitszimmer vernahm, irritierte sie. Trotzdem schritt sie die Stufen würdevoll hinunter, wie es sich für eine Lady geziemte. Als angesehener Anwalt legte ihr Ehemann sehr großen Wert auf Etikette. Plötzlich hörte sie einen Knall. Alarmiert beschleunigte sie ihre Schritte und klopfte an seine Tür. Da sie keine Antwort erhielt, klopfte sie erneut und öffnete. »Eduard …« Eine Hitzewelle durchfuhr sie. Im flackernden Licht der Kerze, die auf dem Tisch stand, sah sie ihren Mann am Boden liegen. Sie eilte zu ihm, packte ihn bei den Schultern und drehte ihn auf den Rücken. Seine hellbraunen Augen sahen ins Nichts. Für einen Augenblick war sie völlig benommen. »Eduard«, wisperte sie.

Unter seinem verschobenen Jackett bemerkte sie einen dunklen Fleck auf dem Hemd und strich darüber. Das Blut fühlte sich klebrig auf ihren Fingern an. Sie rang nach Luft, ihre Hände zitterten. Ihr war, als greife eine eisige Klaue nach ihrer Kehle. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Ihr Mann war ermordet worden. Wer hatte so etwas Schreckliches getan? Und warum? Wie gebannt starrte sie auf seinen leblosen Körper.

Plötzlich zuckte ihr Kopf hoch. Ein Geräusch. Mit aufgerissenen Augen fixierte sie die Tür, die ihm Dunkeln lag. Sie war nicht allein. Ihr Puls raste, ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Der Mörder! Sie würde ebenfalls sterben. Die schattenhafte Kontur eines Menschen wurde sichtbar.

Fast hätte Francesca befreit aufgelacht, als sie die Person erkannte.

»Meine Güte, hast du mich erschreckt«, keuchte sie. »Jemand hat Eduard ermordet. Vielleicht befindet sich der Mörder noch im Haus. Wir müssen sofort die Polizei verständigen.«

»Mach das. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: Tochter des berühmten Arztes Richard Westinghouse hat ihren Ehemann, den Anwalt Eduard Sedwick ermordet. Dein Vater wird dich für diesen Skandal hassen.«

»Wie kannst du so etwas Schreckliches sagen?« Francesca schob Eduards Oberkörper von ihren Knien und erhob sich. Schwindel erfasste sie und sie taumelte.

»Sieh dich doch an. Du hast das Blut deines Mannes an den Händen und du weinst ihm keine Träne nach. Eine gute Ehefrau weint um ihren Mann.«

Francesca enthielt sich einer Antwort, starrte auf die Pistole, die auf sie gerichtet war. Ihre Verwirrung war groß. Sie konnte nicht glauben, was sie sah.

»Du? Bitte, sag, dass es nicht wahr ist. Das glaube ich nicht.« Trotz der warmen Temperatur im Raum fröstelte sie.

»Willkommen in der Wirklichkeit, Francesca Sedwick.«

Glucksendes Lachen war die Antwort auf Francescas verzweifelten Blick zur Tür.

»Wir sind alleine. Hast du vergessen? Es ist der freie Abend deines Butlers und die Köchin ist schon lange außer Haus.«

Francescas Augen weiteten sich. »Mein Gott, du hast es geplant. Warum? Ich begreife es nicht.« Der Versuch aufsteigende Tränen zu bekämpfen, scheiterte. Ihre Blicke trafen sich. Das hämisch grinsende Gesicht ließ Francesca schaudern.

»Das ist auch nicht von Nöten. Falls du denkst, man wird dir die trauernde Witwe abnehmen, muss ich dich enttäuschen. Dein Mann hatte eine Affäre. Du hast also ein Motiv.«

»Du lügst!« Francescas Stimme klang unnatürlich schrill. Unwillkürlich trat sie einige Schritte zurück.

»Cecilia Van Buren. Du kennst sie, nicht wahr?«

Francesca antwortete nicht. All das brach wie ein Gewitter über sie herein.

»Jeder kennt sie. Sie pflegt gute Beziehungen in allerhöchste Kreise, wie du weißt.«

»Was hab ich dir getan, dass du mich so quälst?«

Heißer Atem streifte Francescas Gesicht. Der Tisch hinter ihr, hinderte sie daran, auszuweichen.

»Das fragst du? Dein Leben, so wie du es gekannt hast, ist nun vorbei. Nur zu. Verständige die Polizei.«

»Du zerstörst mein Leben«, flüsterte Francesca.

»Ach, bevor ich es vergesse. Dein Vater weiß ebenfalls von dieser Affäre. Die ganze Stadt weiß, dass Cecilias neueste Eroberung Eduard Sedwick heißt.«Die Stimme triefte vor Hohn. »Du bist verloren.«

Schritte entfernten sich langsam und wenig später fiel die Haustür ins Schloss.

***

Francesca ließ sich wieder an der Seite ihres toten Mannes nieder. Wie in ihren Kreisen üblich, war die Heirat arrangiert gewesen und sie hatte sich gefügt, weil das von ihr erwartet wurde. Respekt, Achtung und einen Erben, all das hatte sie erbracht, wie man es von einer guten Ehefrau erwartete. Niemand konnte ihr etwas vorwerfen. Sie glaubte nicht, dass Eduard eine Affäre gehabt hatte. So etwas würde er ihr niemals antun. Es war nicht die große Liebe zwischen ihnen gewesen, doch er hatte sie gerne gemocht und ihre Schönheit bewundert. Lange starrte sie in seine gebrochenen Augen, in das Gesicht, das jetzt so wächsern aussah. Wenn es doch der Wahrheit entsprach? Cecilia Van Buren. Es gab jede Menge Klatsch über eine der schönsten, aber auch anrüchigsten Frauen New Yorks, die sich keinen Deut um Diskretion bemühte. Tränen rannen ihre Wangen herab und nässten die spitzenbesetzte Litze ihres hochgeschlossenen Kleides.

Wer würde ihr Glauben schenken? Ihr Vater? Die Polizei? Wenn die Beziehung der beiden ein offenes Geheimnis war, dann war sie verloren. Dann dachten alle, sie hätte ihren Ehemann aus Eifersucht ermordet. Der Weg ins Gefängnis war ihr sicher, oder gar an den Galgen. Warum der Mord an Eduard? Das ergab keinen Sinn.

Ihr Vater liebte sie, doch galt seine Liebe auch einer Mörderin? Gesellschaftliches Ansehen bedeutete ihm sehr viel. Würde er sie fallen lassen, sich von ihr abwenden? Die Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn: »Du bist verloren.«

Wie in Trance schleppte sie sich die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Dort brach sie zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Von einem Augenblick auf den anderen war ihr Leben zerstört, ihre Zukunft vernichtet. Das Schlimmste war, sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Sie konnte sich niemandem anvertrauen. Welchen Rat hätte ihr Eduard als Anwalt gegeben? Bleiben und um ihr Recht kämpfen oder fliehen? Beschämend gestand sie sich ein, wie wenig sie von vielen Dingen wusste. Ihr Vater hatte ihr in ihrer Jugend kleine Freiheiten zugestanden, doch als Eduards Ehefrau lebte sie in einem goldenen Käfig.

Sie wollte ihren Sohn Trevor nicht zurücklassen, aber hatte sie das Recht, ihn mitzunehmen? Auf eine Flucht ins Ungewisse? Sein Kinderzimmer lag im Nordtrakt des Hauses und das Kindermädchen hatte das Zimmer nebenan, die Verbindungstür stets geöffnet. Es war unmöglich, ihn unbemerkt aus seinem Zimmer zu holen. Außerdem wäre es unverantwortlich, ihn aus seiner gewohnten Umgebung herauszureißen. Gab es eine Zukunft? Sie dachte an Trevors Händchen, seine Fingerchen, die mit ihrem Haar spielten, sich an ihr festklammerten. »Trevor«, schluchzte sie. Durch einen Tränenschleier sah sie sein Gesicht, von dunklen Locken umrahmt, seine blauen Augen, die sie liebevoll ansahen. Sie grub ihre Fingernägel in die Handballen, doch der Schmerz war nichts gegen das Leid in ihrem Herzen. Wie sollte sie ertragen, nie wieder sein glockenhelles Lachen zu hören, ihn nie wieder zu spüren? Sie konnte ihn nicht zum Abschied umarmen. Ihre Tränen wollten nicht versiegen, immer wieder rief sie nach ihrem Sohn. Er war ihr größtes Geschenk. Würde er seine Mami vermissen? Sie spürte einen Stich im Herzen. Ihr Kind zu verlassen war wie sterben. Wenn sie floh, war sie in den Augen der anderen schuldig und würde als Mörderin gesucht werden, blieb sie dagegen hier …

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