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Brasada – Folge 19

Taylors letzter Coup

Schon seit einer Woche ist ganz Tascosa von einer seltsamen Geschäftigkeit befallen.

In allen Häusern wird geschrubbt und geputzt, viele Fassaden werden sogar neu gestrichen und selbst die ausgetretenen Stepwalks erstrahlen plötzlich in neuem Glanz. Ja, auch die staubige Mainstreet wird mit Reisigbesen und Schaufeln behandelt und deshalb ist nirgendwo auch nur der kleinste Papierschnipsel oder sonstiger Unrat zu entdecken.

Statt des Gestanks von verbranntem Essen, Rinderscheiße, Sattelleder und Pferdeschweiß hängt jetzt der liebliche Duft von frisch gebackenem Kuchen, Zitronenlimonade und feinen Bratenstücken wie eine Glocke über der Stadt. Es ist der dritte Juli und man beginnt schon am Mittag damit, ganz Tascosa in ein Meer aus blauweißroten Girlanden, Blumen und Fähnchen zu verwandeln.

Am Morgen des nächsten Tages dann erreicht das Treiben seinen Höhepunkt.

Überall in der Stadt werden Tische und Bänke aufgestellt und auf der Plaza brät man über Holzkohlenfeuer halbe Ochsen, Schweine und Hühner. Aus dem Mexikanerviertel sind Gitarrenklänge zu hören und auch auf der Mainstreet wird hier und da schon gefiedelt und geklatscht.

»Eigentlich ist es doch immer das Gleiche«, sagt Ben Allison, als er geschmeidig aus dem Sattel steigt. »Warum tun wir uns das nur jedes Jahr an?«

»Wie meinst du das?«, fragt Lee Marlowe, sein Sattelpartner.

Ben zuckt mit den Schultern.

»Na wie wohl? Sieh dich doch einfach mal um. Das ganze Jahr über reiten, schießen und fluchen sich alle durch Tascosa, dass es selbst dem Reverend manchmal zu viel wird und McQuiston kann, wie ihr alle wisst, so einiges vertragen. Nur am vierten Juli benehmen sich alle wie die Sonntagsschüler. Man gibt seine Waffen am Stadteingang ab, sagt brav Bitteschön oder Dankeschön und stellt sich ohne Murren am Kuchenstand der Frauenliga an. Man sieht einem Pferderennen zu, nimmt am Hufeisenwerfen teil, trinkt selbst gemachte Zitronenlimonade und alle haben sich lieb. Aber schon am Tag darauf kleben Doc Hoyt oder unser Richter wieder mit der Nase am Fußboden, weil ihnen die Kugeln irgendeiner wild gewordenen Treibherdenmannschaft um die Ohren fliegen, während diese schießend in die Stadt einreitet.«

»Jetzt hör doch auf zu nörgeln.« sagt Big Bill Baker. »Es ist schließlich nur einmal im Jahr Nationalfeiertag.«

»Sicher Bill, aber warum können sich manche Leute danach nicht genauso anständig benehmen, wie sie das an diesem Tag tun?«

Bill verzieht das Gesicht, weil er darauf auch keine Antwort weiß.

Bevor die drei Männer von der Balken Ranch sich weiter über dieses Thema auslassen können, kommen ihnen zwei mexikanische Peones entgegen, die Sheriff Willingham persönlich ausgewählt hat. Sie führen ihre Pferde in den Mietstall und nehmen die Waffen in Empfang. Nachdem sie die Revolvergürtel an einem Haken an der Stallwand aufgehängt haben, erhalten die Texaner drei Zettel mit Nummern.

»Irgendwie fühle ich mich jetzt nackt«, sagt Lee Marlowe, als sie Richtung Plaza laufen. Dabei streicht er mit der Rechten immer wieder über seine Hüfte.

»Lass das bloß keine Lady aus der Frauenliga hören, sonst schmeißen sie uns womöglich noch aus der Stadt. Ich muss nämlich unbedingt wissen, wer das Rennen gewinnt. Schließlich habe ich verdammt viel Geld auf Pete Evans und seinen Gaul gesetzt«, empört sich Big Bill.

***

»Und du bist sicher, dass es klappt?«

Bob Taylor macht ein Gesicht, als hätte er einen Kaktus geküsst. Während er den Kopf zur Seite dreht, verzieht er die Lippen zu einem bösartigen Grinsen.

»Natürlich wird es klappen«, sagt er zwar freundlich, aber seine Augen bleiben dabei glasklar und hart. »Wir haben das Ganze doch schon hundert Mal durchgekaut, also was soll die Frage, Jim?«

Jim Mortimer hebt seinen Hut an und kratzt sich nachdenklich am Kopf.

»Darüber reden ist eine Sache, es zu tun, eine andere. Ein Mann sollte nur solche Töne pfeifen, die er auch beherrscht. Mann, Bob, in dieser Stadt gibt es mindestens einhundert wilde Texascowboys, die sich freiwillig nicht mal einen Knopf wegnehmen lassen, und du willst sie gleich um tausend Dollar erleichtern.«

Bob Taylor schüttelt den Kopf. »Nicht nur tausend, bei dieser Sache ist mindestens das Fünffache drin, wenn nicht sogar mehr. Also hör jetzt auf zu jammern und halte dich an den Plan. Ich hoffe, du weißt noch, was du zu tun hast?«

»Natürlich!«, beeilt sich Mortimer mit der Antwort.

Dabei nickt der rotköpfige Mann so heftig mit seinem Schädel, dass Taylor befürchtet, dass ihm dieser jeden Moment von den Schultern fallen wird.

»Natürlich«, versichert er nochmals.

»Das große Pferderennen zum Unabhängigkeitstag wird auch dieses Jahr wieder unzählige Reiter anlocken. Da jeder Teilnehmer ein ansehnliches Startgeld entrichten muss und sich auch Tascosa nicht lumpen lässt, wird dieser Betrag durch die ortsansässigen Geschäftsleute und die Rancher noch mal verdoppelt. All dieses Geld wird im Haus des Richters deponiert, und weil außer Sheriff Willingham jeder Mann in der Stadt seine Waffen abgegeben hat, besitzen wir mit unseren versteckten Colts gegenüber den anderen einen gewaltigen Vorteil.«

»Genau und wann holen wir uns dieses Geld?«

»Kurz vor der Siegerehrung, wenn sich die ganze Stadt unten am Fluss versammelt hat, um zu sehen, wer als Erster durchs Ziel reitet. Dann befindet sich außer dem Sheriff höchstens noch der Richter mit dem Geld in seinem Haus. Während ich die Mexikaner am Mietstall ausschalte und die Pferde zum Haus des Richters bringe, wirst du dort das Geld einsammeln.«

»Richtig, und bis es soweit ist, benimmst du dich möglichst unauffällig, wirst dich nicht betrinken und gehst jedem Streit aus dem Weg, verstanden?«

Während Mortimer erneut zu nicken beginnt, fängt Taylor nun an verwegen zu grinsen.

Yeah, genauso werden wir es machen, denkt er. Er hat sich das Ganze von seinem Partner nur noch einmal erklären lassen, weil er weiß, dass Mortimer nicht gerade das ist, was man gemeinhin als große Leuchte bezeichnet. Er hat keine Lust, dass durch dessen Einfältigkeit die ganze Sache doch noch in die Hose geht. Eigentlich hatte er diese Idee mit jemand anderem entwickelt, aber dessen Gesicht war leider auf zu vielen Steckbriefen zu sehen und nachdem er durch einen Sternträger an Bleivergiftung starb, wurde die Zeit knapp. Nur deshalb kam Mortimer ins Spiel.

Als sie die Hügel hinunter reiten und die ersten Häuser mit ihren falschen Fassaden erreichen, ist Bob Taylor plötzlich so aufgeregt wie ein Junge vor seinem ersten Rendezvous. Er sieht sich bereits mit funkelnagelneuen Stiefeln, neuem Hemd und neuer Hose irgendwo die Hauptstraße von El Paso oder Santa Fe entlangspazieren, mit Taschen voller Geld und Mädchen im Arm, die einem das Paradies versprechen.

Aber wie sagt ein altes Sprichwort: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

***

Gegen Mittag erreichen die Feierlichkeiten zu diesem Tag ihren Höhepunkt.

Die Plaza von Tascosa ist schwarz vor lauter Menschen, als Richter Dills in seinem besten Anzug auf ein Podest steigt und seine alljährliche Nationalfeiertagsansprache hält. Zu Dutzenden drängen sich die Leute auf dem Platz und es wird totenstill in der Stadt. Nach dem Ende der Rede aber brandet lauter Jubel auf und alle Menschen schieben und drängen sich nun unter lautem Geschrei zum westlichen Stadtrand und zum Fluss hin, dorthin, wo jetzt das große Rennen stattfinden wird.

Alle?

Nein, eine Handvoll Männer bleiben aus unterschiedlichen Gründen in Tascosa zurück, das jetzt leer und verlassen wie eine Geisterstadt wirkt.

Da sind zunächst einmal Paco und Miguel, die beiden Mexikaner, die im Mietstall auf die Waffen der Feiernden aufpassen, Sheriff Willingham, der im Haus des Richters mit einer Schrotflinte vor einer verschlossenen Eisenkassette sitzt, in der sich das Preisgeld für das Rennen befindet, und Ben Allison. Dieser steht jetzt vor Dunns Saloon und starrt kopfschüttelnd der johlenden Menge nach. Er ist weder ein Freund von großen Menschenansammlungen noch von selbst gebackenem Kuchen und irgendwelchem Zuckerwasser, das nach Zitrone oder Minze schmeckt. Er hat sich im Mexikanerviertel einen Teller mit scharfen Frijoles genehmigt und würde das Brennen des Bohnengerichts in seinem Magen jetzt gerne mit einem ordentlichen Schluck Whisky löschen. Aber der Saloon ist zu, weil Dunn ebenso wie alle anderen beim Rennen ist.

Deshalb bemerkt er auch als einziger die beiden abgerissen wirkenden Gestalten, die heimlich durch die Stadt schleichen. Eine nähert sich dem Haus des Richters, die andere läuft solcherart unauffällig auf den Mietstall zu, dass es schon wieder auffällig ist. Ein ungutes Gefühl nimmt von Ben Besitz, zumal er diese Gestalt kennt. Jim Mortimer gilt hier in der Gegend als Taugenichts und Herumtreiber. Kein Mensch weiß, mit was er seinen Lebensunterhalt bestreitet, aber weil er ständig Geld besitzt, ohne dass ihn jemand arbeiten sieht, vermutet man, dass er sich jenseits des Gesetzes bewegt.

Als er dann auch noch eine Waffe in den Händen des Herumtreibers erkennen kann, ist für Ben sofort klar, was hier geschieht.

Die beiden haben es auf das Preisgeld des Rennens abgesehen. Während einer den Mietstall unter Kontrolle bringt und somit alle Waffen der Stadt, wird der andere sich um den Sheriff und das Geld kümmern. Der Zeitpunkt könnte nicht besser gewählt sein, denn die Stadt ist menschenleer und Willingham wird mit allem Möglichen rechnen, nur nicht mit einem Überfall am Nationalfeiertag.

Allison stößt einen ärgerlichen Laut aus und spuckt zu Boden.

Na wartet, denkt er, euch werde ich die Suppe versalzen.

***

Vorsichtig folgt Allison Mortimer zum Mietstall hin, immer bemüht dabei kein Geräusch zu verursachen. Denn im Gegensatz zu dem Herumtreiber ist er im Moment unbewaffnet. Also muss er einen Trick anwenden, um ihn auszuschalten. Dabei kommt ihm Mortimers einfältiges Wesen zugute. Als er sich nur noch durch einen Gartenzaun getrennt in seinem Rücken befindet, hebt er einen faustgroßen Stein vom Boden auf und schleudert ihn nach links auf den Mietstall zu. Der dumpfe Aufprall hallt überlaut durch die verlassene Stadt.

Danach geschehen mehrere Dinge gleichzeitig.

Jim Mortimer geht auf jene Stelle zu, von wo das Geräusch erklang, die Tür zum Mietstall öffnet sich, Miguel streckt seinen Kopf neugierig ins Freie und Ben springt im gleichen Moment über den Gartenzaun. Das ist mehr, als Mortimers Spatzenhirn verarbeiten kann und deshalb ist Ben bei ihm, noch bevor dieser seine Waffe einsetzen kann.

Er trifft ihn mit seinen Fäusten hart und schnell. Mortimers Kopf wird erst nach links und dann nach rechts geworfen. Danach fällt er auf die Knie, seinen Colt hat er dabei längst verloren. Ben lässt ihm keine Zeit, wieder auf die Füße zu kommen. Zielgenau nimmt er Maß und dann trifft seine Rechte direkt auf den Punkt. Mortimer verdreht die Augen wie ein Fisch auf dem Trockenen, fällt zur Seite und rührt sich nicht mehr.

Erst jetzt bemerkt Ben die beiden Mexikaner in seinem Rücken, die ihre Colts auf ihn gerichtet haben.

Es bedarf aber nur weniger Worte und schon machen sich alle drei bewaffnet auf den Weg zum Haus des Richters. Kurz bevor Allison seine Rechte um die Klinke der Haustür legen kann, ertönt drinnen das helle Krachen einer Taschenpistole, dem das dumpfe Wummern einer großkalibrigen Waffe folgt.

Als er voller Sorge die Eingangstür aufreißt und ins Innere des Gebäudes stürmt, kommt ihm im Flur auch schon Cape Willingham entgegen. Er kommt ziemlich gekrümmt daher und sein Gesicht hat die Farbe grauer Asche angenommen.

»Was ist passiert, Cape?«

Der Sheriff zerquetscht einen wilden Fluch zwischen den Lippen, bevor er antwortet.

»Da wollte sich wohl jemand das Preisgeld unter den Nagel reißen. Ha, da war er bei mir aber an der falschen Stelle. Als dieser Hurensohn seinen versteckten Ladykracher abfeuerte, musste ich ihm doch glatt zeigen, was man mit einem anständigen Gewehr so alles anstellen kann.«

»Hast du ihn wenigstens getroffen?«, erwidert Ben und kann sich dabei ein Grinsen kaum verkneifen.

»Natürlich, der Bastard liegt dahinten. Er hat jetzt ein Loch im Bauch, das groß genug ist, um ein Pferd durchspringen zu lassen. Ich schätze mal, dass er den nächsten Tag nicht überleben wird.«

Danach verdreht der Sheriff einfach die Augen und fällt rücklings zu Boden. Erst jetzt bemerkt Ben, dass Willinghams rechte Seite voller Blut ist.

***

Nur wenige Tage später ist Bob Taylors letzter Coup bereits schon wieder vergessen. Er selber ist an der Schusswunde gestorben, sein Partner Mortimer wandert für sechs Jahre hinter Gitter und der eisenharte Cape Willingham patrouilliert schon wieder durch die Straßen von Tascosa. Er hat den Schulterschuss weggesteckt wie einen Mückenstich und weiß immer noch nicht, ob er über den Ausgang der Geschichte wütend sein oder sich über die Tatsache freuen soll, dass er noch am Leben ist.

Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass Pete Evans das Rennen tatsächlich gewonnen hat und Big Bill deshalb ganze zweiundvierzig Dollar an Gewinn einstreichen durfte. Aber nach ein paar Lokalrunden in Dunns Saloon und der Gesellschaft einer feurigen Mexikanerin besitzt er, als er am anderen Morgen auf der Drei Balken erwacht, außer einem gewaltigen Brummschädel nur noch lumpige vier Dollar und zweiunddreißig Cent.

Aber das ist ihm egal.

Er hat sich in dieser Nacht sein Leben sozusagen um den Hals gehängt, die Stunden mit jeder Faser seines Körpers genossen und deshalb sind für ihn die Erinnerungen daran nicht mit Geld aufzuwiegen.

Copyright © 2010 by Kendall Kane