Mountain Men Teil 6
Mountain Medizin – Gesundheitsfürsorge in den 1800er Jahren
In den frühen 1800er Jahren wurde im Allgemeinen angenommen, dass Krankheiten durch Ansammlung von Giften im Körper verursacht wurden. Würde man diese beseitigen, so die Ansicht damaliger Mediziner, würde der Erkrankte wieder genesen. Drei der wichtigsten therapeutischen Grundsätze für die Behandlung von Krankheiten waren folgende:
- Aderlass durch Öffnung einer Vene,
- Reinigen des Magen-Darm-Systems mit Laugen, Abführ- und Brechmittel sowie Einläufe,
- Schwitzen.
In Zeiten schlechter Hygiene und schlechter Umgang und Lagerung von Nahrungsmitteln traten Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts sehr oft auf.
Menschen, welche im 18. und frühen 19. Jahrhundert lebten, waren in puncto gesunder Lebensweise weitgehend hilflos. Die Angst vor einem plötzlichen Tod durch Krankheiten wie die Pest und andere Seuchen, Lungenentzündung oder durch einen Unfall begleitete sie ständig. Briefe, welche die Menschen in jener Zeit schrieben, begannen oft mit der Frage nach dem Gesundheitszustand und endeten in der Regel damit, dass sie dem Empfänger des Briefes auch weiterhin beste Gesundheit wünschten.
Die meisten Ärzte lernten ihr Handwerk im Alter von 15 Jahren, indem sie bei niedergelassenen Ärzten für 2 bis 6 Jahre lebten und ihnen zur Hand gingen. Diejenigen, welche es sich leisten konnten, besuchten für weitere zwei bis vier Jahre eine Medizinschule.
Zu berücksichtigen ist die Tatsache, dass zu Beginn der 1800er Jahre die meisten Ärzte ihre Praxen ohne akademischen Grad oder Weiterbildung eröffneten.
Staatliche Arztkonzessionen wurden nur sporadisch vergeben, Arztpraxen kaum überprüft. Somit konnten Quacksalber und Scharlatane unkontrolliert praktizieren. Zudem war es deutlich schwieriger geworden, festzulegen, welche Behandlungsmethoden erfolgreich wären. Häufig basierten diese auf Vorstellungen und Vermutungen, die keineswegs wissenschaftlich-medizinischen Grundlagen entsprachen und durch Quacksalberei und Scharlatanerie mehr Schaden als Nutzen brachten. Ein Beispiel dafür sind die »Impfungen«, die während der Pockenepidemie von 1837 bei Fort Union durchgeführt worden sind. Diese basierten zwar auf den besten Methoden und in The Modern Practice of Physic als Standardleitfaden für die Behandlung von Krankheiten jener Zeit genau beschrieben, doch das Misstrauen der Menschen gegenüber den Ärzten war so hoch, dass diejenigen, welche sich mit der Pockenkrankheit infiziert hatten, eher auf ihre eigene Hausmedizin oder auf die indianischen Heilmethoden griffen als professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Thomas Jefferson schrieb: »Ich glaube, wir können bestätigen, dass die unerfahrene und sich anmaßende Schar von medizinischen Tyrannen, losgelassen auf die Welt, in einem Jahr mehr menschliches Leben zerstört hat als alle Robin Hoods, Cartouches und Macbeths in einem Jahrhundert.« Es ist anzunehmen, dass gerade die Mountain Men in der Wildnis einige Krankheiten erfolgreich bekämpfen konnten, weil sie keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zur professionellen medizinischen Versorgung hatten.
Die ersten zarten Lichtblicke in der modernen medizinischen Praxis und Wissenschaft gab es in den frühen 1800er Jahren. Um 1800 war allgemein bekannt, dass an Kuhpocken erkrankte Menschen nach der Genesung nicht nur immun gegen Kuhpocken, sondern auch immun gegen Pocken waren. Thomas Jefferson, seine Familie und Meriwether Lewis ließen sich jedoch gegen Pocken impfen, was den anderen Männern der Lewis & Clark Expedition nicht vergönnt war.
1832 sandte die US-Regierung zwei Ärzte aus, um alle Indianer entlang des Missouri River zu impfen. Überlieferungen belegen, dass sich etwa die Hälfte der Indianer impfen ließen. Viele Indianer verweigerten die Impfungen, misstrauisch darüber, da die Medikamente ohne Nachweis einer Erkrankung verabreicht worden waren.
Auf Ausdehnung des Landes erpicht schickte Präsident Thomas Jefferson Captain Meriwether Lewis und Captain William Clark im Jahre 1803 auf eine Expedition, um das Territorium von Louisiana zu erkunden. Das »Corps of Discovery« reiste mehr als 8.000 Meilen ohne einen Arzt. Glücklicherweise kannten sich beide Captain in der Heilkunde der Frontier ein wenig aus. Während der gesamten Reise traten eine Vielzahl an medizinischen Fällen auf. Stellvertretend dafür sollen einige von ihnen genannt werden:
- Am 1. Mai 1805 klagte Private John Shields klagte über Rheuma. Er wurde mit Ingwer-Auszügen behandelt. Kurz danach bekam Private Joseph Fields Durchfall und hohes Fieber. Glaubersalz, ein drastisches und harntreibendes Abführmittel, sowie Laudanum, eine Opiumtinktur aus getrocknetem Milchsaft der unreifen Samenkapseln des Schlafmohns, aufgelöst in Wasser und Alkohol, brachte Linderung.
- Medizinische Fälle während der Expedition beschränkten sich nicht nur auf den Menschen. Am 19. Mai 1805 biss ein Biber, welcher von einem der Männer angeschossen wurde, Lewis’ Hund Seaman, als dieser das Tier apportieren sollte. Der Biss durchtrennte eine Arterie im Hinterbein Seamans. Die Männer verödeten und vernähten die Wunde.
- Da viele der Tiere in den Plains von Bandwürmern befallen waren, wirkte sich dies negativ auf die Nahrung aus. Der Genuss befallenen Fleisches verursachte Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbrüche, Hautausschläge und Schwellungen.
- Dr. Rushs Gallenpillen, auch »Donnerschläge« genannt, beseitigten unter anderem relativ schnell Verdauungsprobleme. Lewis verwendete Chokecherry-Tee und Chinarinde für einige seiner eigenen Leiden.
- Hautprobleme wie Furunkel und Fußinfektionen waren an der Tagesordnung und wurden mit verschiedenen Salben behandelt. Augenreizungen durch Wind und Staub linderte man mit Lösungen aus weißem Vitriol oder Zinksulfat, mit Bleiacetat kombiniert.
- Im Jahre 1800 war der Aderlass eine weitverbreitete Behandlung für fast alle Krankheiten. Ein kleiner Einschnitt wurde in eine Armvene gemacht und etwa zwei Liter Blut aus dem Körper abgeführt. Man nahm an, dass dies die Keime, welche die Krankheit verursachten, beseitigen würde. Als Sacagawea im Juni 1805 sehr krank wurde, vollzog Clark bei ihr mehrere Male einen Aderlass, doch sie dehydrierte immer wieder. Lewis gab ihr Chinarinde, Laudanum und Wasser aus einer Mineralquelle in der Nähe der Great Falls des Missouri. Sie erholte sich zusehends. Die Quelle erhielt später den Namen Sacagawea Springs.
- Der 11. August 1806 war kein guter Tag für den einäugigen Dolmetscher und Geiger Pierre Cruzatte. Auf der Rückreise hielt Cruzatte während einer Jagd in North Dakota Captain Lewis für einen Elch und schoss auf ihn. Das Projektil durchschlug dessen Pobacken, ohne dabei einen Knochen zu verletzen.
Lewis und Clark hatten das Glück, mehr als 8.000 Meilen mit relativ wenigen gesundheitlichen Problemen zu reisen. Ihre medizinische Einfallsreichtum erlaubte ihnen zu erforschen, zu dokumentieren und den Westen für die Vereinigten Staaten zu öffnen.
Mögliche Ursachen von Krankheiten waren unter anderem:
- Frostbeulen
- Schneeblindheit
- Hagelschlag
- Magen-Darm-Erkrankung von Nahrung und Wasser
- Krankheiten von Begegnungen mit Einheimischen
- Grizzlybären
- Klapperschlangen
- Hunger
- schlecht ausgewogene Ernährung
- Müdigkeit
- durch Zecken übertragene Krankheiten
- Haut-und Atemwegsinfektionen
- Verrenkungen von Gelenken
- Parasiten
- Schussverletzungen
Einige Heilmittel:
- Dr. Rushs Gallenpillen – eine starke Kombination von Chemikalien und Kräutern, die einer Person das Verdauungssystem schnell säuberte. Für viele Übel während der Expedition führte Lewis 50 Dutzend davon mit.
- Türkisches Opium – Dieses Extrakt einer Mohnpflanze wurde verwendet, um Schmerzen und Nervosität zu lindern. Gemischt mit Alkohol bekam man ein konzentriertes Beruhigungsmittel, welches in der Medizin seit 1510 benutzt wurde.
- Copaiba-Balsam – ein öliger Saft, aus dem südamerikanischen Baum Copaiba gewonnen, welcher eine keimtötende Säure enthält. Das Heilmittel beruhigt den Magen und lindert Blähungen. Als Lotion wurde er zur Behandlung von Schwellungen der Haut benutzt.
- Quecksilbersalbe – Diese wurde verwendet, um Verletzungen zu behandeln. Der Patient wurde damit solange behandelt, bis er Anzeichen einer Quecksilbervergiftung wie zum Beispiel vermehrter Speichelfluss oder entzündetes Zahnfleisch zeigte.
- Chinarinde – »Das Corps of Discovery« hatte davon mehr als jede andere Medizin. 15 Pfund in Pulverform führte es mit sich. Gewonnen vom Cinchona, ein Baum in Peru und nichts mit dem Land China zu tun (abgeleitet aus dem peruanischem Wort Kina, das soviel wie Rinde bedeutet), wurde es als Teeaufguss getrunken und bei Fieber, Schlangenbissen, Bauchschmerzen und was sonst noch verwendet. Die Rinde enthält Chinin und wurde früher als Medikament gegen Malaria genutzt.
- Kampfer – Nach oraler Anwendung kommt der Patient stark ins Schwitzen, wirkt somit fiebersenkend. Gewonnen aus dem immergrünen Kampferbaum wurde Kampfer unter anderem bei Gelenkschmerzen und Muskelkater verwendet, was ein Gefühl von Wärme und Linderung hervorrief. Das Mittel wirkt entzündungshemmend, krampflösend, kreislauf- und nervenanregend, verdauungsfördernd und tötet Parasiten ab.
Die Mountain Men hatten wahrscheinlich alle möglichen Arten von Wunden und Verletzungen durch Tomahawks und Messer sowie Schuss-und Pfeilwunden auszukurieren. Auch Geschlechtskrankheiten wurden zwischen ihnen und den Indianerstämmen, mit denen sie assoziiert waren, übertragen. Dazu gehörten Syphilis, Gonorrhoe und möglicherweise auch Chlamydien. Ausbrüche von Malaria und Gelbfieber wirkten sich ebenfalls negativ auf die Mountain Men aus. Cholera, die periodisch entlang des Missouri River grassierte, konnte ohne medizinische Hilfe innerhalb von zwei Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome tödliche Folgen haben. Erinnert sei an dieser Stelle an die Choleraepidemie vom Oktober 1832 bis Februar 1833.
Unterkühlung des Körpers aufgrund des langen Aufenthaltes im eiskalten Wasser, um Fallen aufzustellen, schwächte das Immunsystem der Männer, und während der Wintermonate war das Risiko von Erfrierungen ein ständiger Begleiter. So wurden zum Beispiel im Winter 1803/04 in den Plains Temperaturen von -42 Grad Celsius gemessen.
In den Tagebuchaufzeichnungen von Lewis und Clark findet man ein umfangreiches Inventar an Arzneimitteln, welche auf die Expedition mitgenommen worden waren. Vom Wesen her war es eigentlich militärische Expedition und die Offiziere für die Gesundheit ihrer unterstellten Männer verantwortlich. Aus diesem Grund unternahmen sie beträchtliche Anstrengungen, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Ein ausgebildeter Arzt begleitete die Expedition nicht. Lewis bekam in Philadelphia kurz vor der Abreise eine kleine Unterweisung durch Dr. Benjamin Rush. Doch im Verlaufe der Expeditionen stellte sich heraus, dass es Clark war, der sich um die Leiden der Indianer bekümmerte, vielleicht deshalb, weil er eine beruhigend wirkende Art und Weise an den Tag legte. Die Behandlung der Indianer half ihnen später bei der Rückreise nach St. Louis. Bei dieser waren die Reserven an Handelsgüter fast erschöpft, sodass sie die geleisteten medizinischen Dienste gegen Pferde und Nahrungsmittel eintauschen konnten.
Medizinische Theorien und Praktiken in den frühen 1800er Jahren waren nicht wirksamer als indianische Medizin. Die Verwendung von Mitteln, die aus heutiger wissenschaftlicher Betrachtungsweise giftige Substanzen enthalten, waren für das menschliche Leben und die Gesundheit vielleicht zerstörerischer.
Weitaus mehr und detaillierte Informationen über das Gesundheitswesen in den 1800ern gibt es unter anderem in
- Marc McCutcheon: The Writer’s Guide to Everyday Life in the 1800’s. Writer’s Digest Books, 1993.
Gesundheitliche, medizinische und hygienische Themen in den 1800er Jahren sowie typische Behandlungsmethoden aus dieser Zeit - Bruce C. Patton: Lewis & Clark: Doctors in the Wilderness. Fulcrum Publishing, Golden Colorado, 2001.
Eine hervorragende Beschreibung von Krankheitstheorien, Medizinpraktiken, eine Analyse verschiedener Krankheiten und Heilmittel, beschrieben in den Tagebuchaufzeichnungen von Lewis und Clark. - Bruce C. Patton: American Indian Medicine. University of Oklahoma Press, 1970.
Diese Schrift enthält eine komplette Beschreibung indianischer Krankheitstheorie, Heilmittel und die Wirkung indianischer Medizinpraktiken auf die weiße Zivilisation.
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