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Jimmy Spider – Folge 25

Jimmy Spider und der Sammler

Wie ein Weg in Richtung Himmel wirkte die breite Treppe hinauf zum Eingang des alten Scottish Cinema. Wer allerdings allzu glückselig sein Heil im Weg nach oben suchte, würde recht bald feststellen, dass diese Treppe nichts weiter als eine vermoderte Todesfalle war, die alles verschlang, ob Filmliebhaber oder nicht. Die Erbauer hatten offenbar am Zement gespart, denn die Konstruktion bestand aus einem Gemisch aus Holz und längst verrosteten Eisenteilen.

Seitdem das altehrwürdige Kino vor knapp zwanzig Jahren pleitegegangen war und sich der Besitzer wieder Richtung Schottland abgesetzt hatte, war das Gebäude zu einem wahren Paradies für Obdachlose, Junkies und streunende Tiere geworden. Gemeinhin wurde das Gebäude bereits als Pennerkino bezeichnet. Vor einigen Wochen hatte es allerdings eine große Räumungsaktion der Polizei von Manchester gegeben, um das Stadtbild zu verbessern. Am Zustand des Kinos hatte sich allerdings nichts verändert. In der Dunkelheit entwickelte sich dadurch ein gewisser mysteriöser Charme, der mich im Moment aber herzlich wenig interessierte.

Stattdessen erwartete ich den geheimnisvollen Anrufer, der mir Informationen zu meinem letzten Fall, dem Raub der Mona Lisa, zukommen lassen wollte. Ob es derselbe war, der mich vor Commander Rathbone und seiner Verräterbande gerettet hatte, musste sich noch herausstellen, aber dass er überhaupt davon wusste, bewies mir, dass ich nicht irgendeinem Scherz aufgesessen war – oder einem Hausierer, der völlig neue Methoden anwendete, um seine Ware loszuwerden.

Andererseits konnte es sich aber auch um eine Falle meiner Gegner handeln. Deshalb hatte ich kurz mit dem Gedanken gespielt, meine Kollegen von der TCA zu alarmieren. Aber ich wollte meine Informationsquelle nicht durch einen Großeinsatz schwerbewaffneter Agenten verschrecken.

Zumindest meine Desert Eagle hatte ich mitgenommen. Man konnte ja nie wissen …

Das Scottish Cinema lag nicht an einer viel befahrenen Straße, sondern eher in einer verlassen wirkenden Seitengasse. Das war wohl auch der Grund, warum die Bruchbude nicht schon längst in den Kinohimmel geschickt worden war.

Alte Wohnhäuser, einige mehr als fünf Stockwerke hoch, rahmten die schmale Gasse ein. Da ich kein Auto besaß, hatte ich mich auch nicht um einen Parkplatz kümmern müssen, der in dieser Gegend wohl zum völligen Zusammenbruch des nicht vorhandenen Verkehrs geführt hätte.

Wie um mich einer Lüge zu strafen, hörte ich plötzlich etwas von links heranrollen. Als ich mich umdrehte, erkannte ich einen dunklen Wagen, der in Schritttempo auf mich zufuhr. Es handelte sich um eine schwarze Limousine (zumindest ging ich davon aus, dass sie schwarz war; angesichts der Lichtverhältnisse konnte ich zumindest weiß als Farbe sicher ausschließen). Am Steuer war niemand zu sehen, wahrscheinlich waren die Scheiben abgedunkelt. Etwa zehn Meter vor mir blieb der Wagen stehen.

Zunächst einmal tat sich nichts. Erst als ich mich fragte, ob der Fahrer eingeschlafen war, geschah etwas. Kurz darauf hätte ich mich gefreut, es wäre nicht geschehen.

Ein grelles Licht schoss mir entgegen und blendete mich augenblicklich. Der Fahrer musste die Nebelscheinwerfer eingeschaltet haben.

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, ein paar Schemen zu erkennen. Zumindest mein Gehör funktionierte noch einwandfrei, denn ich bekam mit, dass jemand aus dem Auto ausstieg. Langsam glitt die Gestalt aus dem Fahrzeug, rückte seine Kleidung zurecht und schritt vor seinen Wagen.

Mehr als den Umriss eines Menschen konnte ich allerdings nicht erkennen. Durch das grelle Scheinwerferlicht wurde mein Gegenüber zu einem gesichtslosen Schatten, der allerdings einen Hut trug und etwas größer als ich war.

Sofort wanderten meine Gedanken zu der verkommenen Bahnhofstoilette, in der ich mich vor einiger Zeit mit einem ähnlichen Schattenmann getroffen hatte. Der Kerl war damals nicht ganz ohne mein Einwirken zu einem Häufchen Asche zerfallen. Wollte sich nun das Volk der Schattenmänner an mir rächen? In einer Welt, in der Kobolde Bäume mit magischen Steinen bedienen konnten, war schließlich alles möglich.

»Mister Spider, nehme ich an«, erklang vor mir die raue männliche Stimme meines Gegenübers.

»Das nehme ich auch an. Und mit wem habe ich die Ehre?«

Der Schattenmann machte eine wegwerfende Geste. »Namen sind wie Schall und Rauch. Aber in meinen Kreisen nennt man mich den Sammler

Wie schön, dachte ich. Wo sollte das noch hinführen? »Was sammeln Sie denn?«, fragte ich ungeniert. »Wenn Sie mir gleich mit der Briefmarkensammlungsnummer kommen, sind Sie aber schiefgewickelt. Ich bevorzuge intimen Kontakt eher zu Frauen.«

Der Hutträger ignorierte meine letzte Bemerkung geflissentlich. »Sie werden sich sicher fragen, welche Informationen ich Ihnen liefern kann, dass ich Sie mitten in der Nacht in diese verlassene Straße bestellen muss. Nun, um gleich mit der Wahrheit herauszurücken: Ich habe keine. Wie Sie sich vielleicht schon gedacht haben, handelt es sich hierbei um eine simple Falle.«

Simpel genug, um einen leichtgläubigen Idioten wie mich hineintappen zu lassen, fügte ich gedanklich hinzu. Aber der Sammler war mit seiner Rede noch nicht fertig.

»Aber keine Sorge, Mr. Spider, ich bin nicht am Auslöschen Ihres unbedeutenden Lebens interessiert. Jedenfalls nicht, wenn Sie sich meinen Wünschen entsprechend verhalten.«

Ob das doch noch in Richtung Briefmarkensammlung führte? Bevor ich eine Bemerkung dazu allerdings loswerden konnte, sprach der Sammler weiter.

»Mein besonderes Hobby ist das Sammeln einzigartiger Gegenstände. Unikate, wie etwa den ersten jemals hergestellten Rolls-Royce, den Heiligen Gral, das Bernsteinzimmer oder …«

»… die Mona Lisa«, unterbrach ich ihn, weil mir ein bestimmter Gedanke gekommen war. Hatte ich es hier mit dem Drahtzieher hinter dem Raub der Mona Lisa zu tun – womöglich auch mit dem Diebstahl des goldenen Kätzchens, des Ordens des Tigers und der Kronjuwelen?

Doch der selbst ernannte Sammler machte mir mit seiner Antwort einen Strich durch meine gedankliche Rechnung. »Da täuschen Sie sich aber gewaltig, Mr. Spider. Damit habe ich nichts zu tun. Im Gegenteil, ich verurteile die Taten dieser Verbrecher. Insbesondere, weil Sie mir damit die Möglichkeit nehmen, diese Gegenstände in meinen Besitz zu bringen. Eines können Sie mir glauben: Ich bin genauso daran interessiert, diese Gangster zu finden, wie Sie. Nur meine Methoden sind vielleicht etwas anders.«

»Und was genau wollen Sie nun von mir?«

»Die Antwort ist einfach: Ihre Desert Eagle!«

Es war selten, dass jemand es schaffte, mich sprachlos werden zu lassen, aber in diesem Fall war es so. Meine Desert Eagle wollte er also. Aber das konnte er vergessen. Die Waffe hatte meinem Vater gehört – nein, nicht meinem leiblichen Vater, der war noch quicklebendig und heutzutage eine Legende innerhalb der TCA, obwohl oder gerade weil er sich aus dem aktiven Dienst mehr oder weniger zurückgezogen hatte, nachdem er mit der Verhaftung von Vijay Brahma Singh (einem wahnsinnig gewordenen indischen Terroristen, der von seinen Landsleuten als Halbgott angesehen wurde und versucht hatte, von einer geheimen Insel aus die Welt unter seine Herrschaft zu stellen; heute saß er in einem eigens für ihn eingerichteten Hochsicherheitsgefängnis irgendwo in Sibirien) einen letzten großen Coup gelandet hatte. Wenn die Desert Eagle seine Waffe gewesen wäre, hätte ich sie dem Sammler mit Freuden abgegeben. Nein, die Desert Eagle hatte dem Lebensgefährten meiner Mutter gehört, der mich wie seinen eigenen Sohn aufgezogen hatte, bis er – und daran dachte ich nur sehr ungern – mit meiner Mutter brutal ermordet worden war. Damals hatte ich mir geschworen, dass ich mit dieser Waffe seinen Mörder zur Strecke bringen würde. Das lag längst hinter mir, aber die Waffe hielt ich noch immer in Ehren. Sie hatte einfach einen enormen ideellen Wert. Deshalb würde ich sie niemals freiwillig an den Sammler abgeben.

»Vergessen Sie’s«, antwortete ich schroff.

Mein Gegenüber hob mitleidig die Schultern. »Das ist wirklich sehr schade. Sie müssen wissen, ich suche schon lange nach diesem Exemplar. Nachdem ich vor einiger Zeit erfahren hatte, dass ihr langjähriger Besitzer verstorben war, hatte ich schon befürchtet, dass dieses Stück für immer verloren war. Aber dann haben Sie den Fehler gemacht, einer nicht vertrauenswürdigen Person gegenüber Ihr kleines Geheimnis auszuplaudern.«

Bevor ich fragen konnte, wer das wohl gewesen sein könnte, gab er mir von sich aus die Antwort. »Genauer gesagt war das Hans Schächter, ein Agent des österreichischen Geheimdienstes, der mit der Observation des Projektes ‚Waldsee‘ betraut gewesen war. Dieses Projekt haben Sie netterweise durch Ihr Einschreiten – Sie erinnern sich bestimmt an das Krakenmonster in dem kleinen Tümpel in Deutschland – scheitern lassen. Und da Schächter erhebliche Spielschulden hatte, hat er mir diese Information über ihre Desert Eagle verkaufen wollen. Bezahlt habe ich ihn übrigens mit einer Kugel in den Kopf.«

Gemächlich zog er ein Etui aus seinem Mantel, zog einen kurzen, dicken Stab – vermutlich eine Zigarre – heraus, biss etwas (wohl das Mundstück) ab (welches er sich wieder in die Tasche steckte, sehr hygienisch) und zündete ihn an. Nach einem kurzen Zug nahm er die Zigarre in seine linke Hand und setzte seine Rede fort.

»Wie Sie wissen, ist Ihre Desert Eagle die Erste, die Israel jemals hergestellt hat. Diese Tatsache ist in Form eines Codes unterhalb des Laufs verewigt worden.

Nun, ich habe Ihnen die Möglichkeit gegeben, durch Ihr Entgegenkommen unbeschadet aus diesem Geschäft auszusteigen. Aber was ich nicht freiwillig bekomme, hole ich mir eben mit Gewalt.«

Der Sammler ging nach links aus dem Scheinwerferlicht hinaus. Plötzlich erklang ein Schnippen, die Wagentüren öffneten sich und heraus traten vier dunkle Gestalten. Dass sie bewaffnet waren, war mir klar, aber auch, dass ich im Scheinwerferlicht ein hervorragendes Ziel abgab, um innerhalb von Sekunden zum löchrigsten Schweizer Käse der Welt zu werden.

Nun wurde es Zeit, dem Sammler einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit einer fließenden Bewegung zog ich meine Desert Eagle, entsicherte sie und schoss sofort auf den Wagen.

Ein Splittern erklang, dazu die Schreie der dunklen Gestalten, bevor bei ihnen wortwörtlich die Lichter ausgingen. Ich hatte mit zwei gezielten Schüssen die Scheinwerfer zerstört.

Ohne die Reaktion meiner Gegner abzuwarten, rannte ich in Richtung des alten Kinos. Mochte die Treppe auch noch so morsch sein, sie war die einzige Chance, den Häschern des Sammlers zu entkommen.

Am nicht gerade vertrauenerweckenden Geländer entlang hangelte ich mich förmlich dem Eingang des Scottish Cinema entgegen. Einige der Holzbalken unter meinen Füßen quietschten derart erbärmlich, dass ich fast Mitleid bekam.

Als ich auf wundersame Weise, ohne eingebrochen zu sein, endlich oben angekommen war, warf ich einen ersten kurzen Blick zurück. Vier dunkle Gestalten waren es, die mir über die Treppe hinterher hetzten. Bevor sie auf den Gedanken kamen, mich als Zielscheibe zu benutzen, trat ich kurzerhand die Tür des Kinos ein. Dabei hatte ich allerdings nicht bedacht, dass die Tür schon ziemlich morsch und wahrscheinlich nicht zum ersten Mal aufgebrochen worden war. So fiel ich kopfüber durch den Rahmen.

Hinter mir erklang ein wilder Schrei. Wahrscheinlich hatte es einen der Typen (oder Typinninen) auf der Treppe erwischt. Ich kümmerte mich nicht darum, stattdessen rannte ich durch den erstbesten Gang, vorbei am alten Kassenhäuschen.

Seltsamerweise waren dessen Glasscheiben noch völlig intakt, was sich aber in der nächsten Sekunde änderte, als sie durch eine Kugelgarbe zerfetzt wurden. Sofort duckte ich mich. Einige Splitter strichen unsanft über meinen Nacken hinweg, aber das war wohl das geringere Übel.

Ohne genau zu zielen, hob ich meine Waffe an und schoss zweimal durch die zerbrochenen Scheiben hindurch. Danach sprang ich auf und lief weiter. Irgendwie musste ich den Verbund meiner Gegner auflösen, denn gegen gleich vier Schießwütige auf einmal kam selbst ich nur schwerlich an.

Nach ein paar Metern erreichte ich eine weitere Treppe, die hinauf zu den Kinosälen führte. Um Zeit zu sparen, nahm ich gleich mehrere Stufen auf einmal. Auf halbem Wege wandte ich mich kurz um. Im kalten Mondlicht, das durch die wenigen Fenster schien, erkannte ich einen muskulösen Mann in einem schwarzen Anzug (sehr einfallsreich), der seine Pistole bereits erhoben hatte. Bevor er richtig auf mich zielen konnte, drückte ich bereits ab.

Zwei meiner Spezialgeschosse rissen seine Brust förmlich auf. Er taumelte noch ein paar Schritte zur Seite, bevor er schließlich zusammenbrach.

Hinter ihm erschienen zwei weitere Gestalten, Maschinengewehre in den Händen haltend. Deshalb trat ich lieber die Flucht nach vorne an. Den Rest der Treppe hatte ich bereits überwunden, als die erste Kugelgarbe in die Stufen einschlug. Das kümmerte mich allerdings wenig.

Als ich mich in der neuen Etage umblickte, erkannte ich drei Eingänge zu Kinosälen und eine weitere Treppe. Neben den Türen waren Nummern abgebildet: 11, 12 und 13. Intuitiv entschied ich mich für die Unglücksvariante.

Erneut trat ich die Tür ein. Diesmal war sie wirklich abgeschlossen gewesen. Als ich meine ersten Schritte in den Saal machte, wäre ich beinahe auf eine Rattenfamilie getreten. Eine Mutter säugte eine Unzahl an Miniratten und quiekte jämmerlich, als sie meinen Schuh auf mich zukommen sah. Da ich aber kein Unmensch war, wich ich dem Tierknäuel im letzten Moment aus.

Der Saal war wahrscheinlich einer der größeren. Etwa einhundertfünfzig mehr oder weniger vorhandene Sitzplätze warteten auf Besucher, die nie mehr kommen würden. Selbst die Leinwand war noch vorhanden, auch wenn ein nicht gerade in der Rechtschreibung bewanderter Spaßvogel in großen Lettern I KNOW WAT YU DID LAST SAMMER darauf gekritzelt hatte.

Ich entschied mich eher für die oberen Reihen. Dort war der Saal besser zu überblicken.

Bevor ich allerdings eine geeignete Deckung finden konnte, erklang hinter mir die Stimme einer meiner Verfolger. »Da ist er!«, rief eine recht jung klingende Frauenstimme.

Gerade noch konnte ich mich in der zweitobersten Reihe in Deckung werfen. Ein ganzer Schwarm Kugeln sirrte über mich hinweg.

Durch eine Lücke zwischen den Sitzen konnte ich erkennen, wie meine beiden Verfolger langsam die Sitzreihen entlang in meine Richtung schlichen. Innerhalb des Saals war durch die fehlenden Fenster fast nichts zu erkennen, aber durch den durch den Eingang fallenden Mondschein waren zumindest ein Teil der Sitze schemenhaft zu erkennen. Und damit natürlich auch die Gestalten, die an ihnen vorbeischlichen.

Die Beiden wussten offenbar nicht genau, wo ich mich versteckt hielt. Diesen Vorteil nutzte ich eiskalt aus. Wie ein Kastenteufel sprang ich auf und schoss sofort. Eine der Gestalten – der Stimme nach ein Mann – schrie auf und taumelte zurück. Seine Kollegin aber schoss zurück, doch genauso schnell, wie ich aufgesprungen war, lag ich auch schon wieder auf dem mit Teppich bezogenen Boden.

Hastig robbte ich mich durch die Reihe, unter anderem über ein vergammeltes Kondom und eine gefüllte Popcorntüte hinweg, aus der fiepend eine Ratte entwich.

Am anderen Ende der Reihe befand sich eine weitere Treppe, über die ich geduckt nach unten schlich.

Meine Verfolgerin hingegen glaubte schon, sie sei die sichere Siegerin und schoss blindlings mit ihrer MP in die Reihe, in der sie mich vermutete. Damit hatte sie einen tödlichen Fehler begangen, denn das Mündungsfeuer bot in der Dunkelheit ein ausgezeichnetes Ziel.

Ich richtete mich auf und schoss sofort mehrmals in ihre Richtung. Die Frau kam gar nicht dazu, aufzuschreien, denn ich hörte, wie sie kurz danach auf den Boden aufschlug.

Vorsichtig sah ich mich um. Von dem zweiten Angreifer war weder etwas zu sehen noch zu hören. Aber ob ich ihn tatsächlich tödlich erwischt hatte, wusste ich nicht genau.

Ich riskierte es einfach und schlich auf die Position zu, an der ich die von mir niedergeschossene Frau vermutete.

In der Dunkelheit war lediglich der Umriss ihres Körpers zu erkennen. Zuerst blickte ich mich noch einmal um, bevor ich meine Taschenlampe hervorzog und sie anleuchtete.

Schon auf den ersten Blick sah ich, dass sie tot war. Eine Kugel hatte sie mitten in die Stirn getroffen. Aber was ich erst auf den zweiten Blick erkannte, war, dass die Frau noch ein halbes Kind war, Anfang zwanzig, vielleicht noch jünger. Sie hatte blondes langes Haar und ein leicht rundliches, fast noch kindliches Gesicht.

Mir saß schon ein Kloß im Hals, aber andererseits hatte sie mir keine andere Wahl gelassen.

Ich stellte die Leuchte ab und ignorierte die innere Stimme, die mir begann, Vorwürfe zu machen, einfach. So etwas gehörte leider zu meinem Job.

Aber was war mit dem zweiten Schützen? Und wo lauerte der vierte Mann?

Vorsichtig ging ich wieder in Richtung Ausgang. Auf der vorletzten Stufe trat ich auf einen am Boden liegenden Gegenstand. Ich leuchtete ihn an. Es war eine mit Blut besudelte Maschinenpistole. Aber wo war der Besitzer? Dass er sich noch im Kinosaal befand, glaubte ich nicht. Wahrscheinlich wartete er irgendwo draußen auf mich.

Ich stand vor dem Ausgang, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, direkt in eine Falle zu laufen. Da kam mir eine Idee. Ich stellte meine Taschenlampe an und warf sie einfach durch den Rahmen. Wenn jemand neben der nicht mehr vorhandenen Tür stand, würde ihn das wahrscheinlich überraschen und aus der Reserve locken.

Aber nichts tat sich. Das beruhigte mich schon ein wenig.

Mit erhobener Waffe schlich ich aus dem Kinosaal hinaus.

Über mir erklang plötzlich ein Schnaufen. Hastig drehte ich mich um, doch es war bereits zu spät. Der dritte Angreifer hatte es irgendwie geschafft, sich auf den Rahmen der Tür zu stellen und direkt an der Wand auszuharren. Mit einem wilden Schrei und einem Messer mit großer Klinge in der rechten Hand stürzte er sich auf mich.

Beide stürzten wir zu Boden. Durch mein Gewicht prellte er mir die Desert Eagle aus der Hand, aber ich schaffte es auch, seinen Messerarm zu ergreifen. Während ich versuchte, die Klinge von meinem Körper wegzudrücken, riss ich ihn herum, sodass ich auf ihm lag.

Mit einem Seitenblick erkannte ich, dass seine linke Schulter nur eine einzige große Wunde war. Dies wollte ich für mich ausnutzen. Mit meiner linken Hand drückte ich mit Gewalt auf seine Verletzung. Der Mann brüllte schmerzerfüllt auf, riss aber seinen Waffenarm aus meiner Umklammerung und schlug damit zu.

Seine Faust traf mich an der linken Schläfe und ließ mich für einen Augenblick Sterne sehen. Ein weiterer Schlag traf mein Kinn, zum Glück nicht allzu fest, aber immer noch hart genug, um mich auf den Rücken zu werfen.

Die Wirkung des ersten Treffers klang schnell ab, sodass ich nur wenige Sekunden brauchte, um mich aufzurichten. Mein Blick glitt in Richtung Treppe. Dort lag meine Desert Eagle.

Ich sprang ihr förmlich entgegen, doch auch mein Gegner machte den Sprung mit und riss mich aus der Flugbahn. Dabei hatte er allerdings seinen eigenen Schwung unterschätzt, denn der sorgte dafür, dass wir zusammen die Treppe hinunterstürzten.

Mehrmals überschlugen wir uns, bis es dem Messermann gelang, irgendwie eine Haltestange des Geländers zu ergreifen.

Ohne das Gewicht auf mir kam ich wenige Stufen später ebenfalls zur Ruhe. Bei mir drehte sich noch immer alles, aber was ich sah, reichte völlig aus.

Mein Angreifer erhob sich langsam, richtete sich schließlich auf und grinste. Dann lief er, sein Messer erhoben, direkt auf mich zu, wobei er dabei verdächtig schwankte.

Ich lag mit dem Kopf in Richtung Erdgeschoss auf der Treppe. Als er auf mich zusprang, schaffte ich es irgendwie, meine Beine anzuziehen. Genau in dem Moment, in dem er seine Klinge in meine Brust stoßen wollte, trafen ihn meine Schuhe im Bauchbereich.

Mit letzter Kraft stieß ich seinen relativ schweren Körper über mich hinweg.

Der Mann schrie, bis ich plötzlich ein hässliches Knacken hörte.

Ich richtete mich auf und sah, wie mein Gegner einer Puppe gleich die letzten Stufen hinunter rutschte und schließlich bewegungslos liegen blieb. Ich ahnte schon, was passiert war, und als ich es wankend geschafft hatte, mich ihm zu nähern, erhielt ich die Bestätigung: Der Mann hatte sich das Genick gebrochen.

Einmal atmete ich noch tief durch, bevor ich wieder die Treppe hinaufging und meine Desert Eagle sowie meine Taschenlampe einsammelte. Wegen dieser Pistole hatten bereits mindestens zwei Menschen sterben müssen, aber ich wollte nicht der nächste sein. Deshalb lief ich die Treppe wieder hinunter und dem Ausgang entgegen. Dabei kam ich an dem Mann vorbei, den ich als Ersten niedergeschossen hatte. Auch er war, wie ich bereits vermutet hatte, tot.

Noch bevor ich die Todes-Treppe erreicht hatte, erklang von draußen das Röhren eines Motors. Die Tür war nicht mehr vorhanden, deshalb gelang mir noch ein Blick auf den dunklen Wagen, der in hohem Tempo davon fuhr. Der Sammler hatte also das Weite gesucht. Vielleicht würde er sich ja jetzt doch auf Briefmarken besinnen.

Die Treppe hinab stieg ich auf dem gleichen Weg wie hinauf. Auf halbem Weg entdeckte ich ein großes Loch zwischen den Stufen. Dort hinein war der vierte Mann gefallen. Offenbar hatte ihm niemand von den Gefahren dieser Treppe erzählt. Er hing in einer unnatürlichen Haltung über dem Boden. Noch unnatürlicher war allerdings das dünne Stahlrohr, das aus seinem Rücken hinauslugte.

Unter ihm lag wohl das Hauptquartier der Rattenarmee von Manchester, denn was da herumwuselte, konnte selbst den Rattenfänger von Hameln schreiend in die Flucht schlagen.

Nachdem ich endlich die letzte Stufe dieser Todesfalle sicher überwunden hatte, ließ ich meinen Blick über die leere Gasse wandern.

Niemand war mehr zu sehen, aber etwas erregte doch meine Aufmerksamkeit. Ein weißes Etwas lag genau dort auf der Straße, wo mir der Sammler gegenübergestanden hatte.

Erneut zog ich meine Taschenlampe hervor und leuchtete die Hinterlassenschaft an.

Es war eine Visitenkarte, auf der ein Bild abgebildet war. Zwei schwarze Schlangen, die ihre Körper um eine Erdkugel gewickelt hatten und es schafften, diese einzudrücken. Ihre Mäuler waren wie zum Hohn triumphierend weit geöffnet. Was das wohl bedeuten mochte?

Einem Gefühl folgend drehte ich die Karte herum. Der Sammler hatte mir auf der Rückseite tatsächlich noch eine Nachricht hinterlassen: Der Feind meines Feindes ist zwar nicht mein Freund, aber auch nicht mein Feind.

Eine schöne Pointe, wenn man bedenkt, dass dieser Typ mir gerade vier Killer auf den Hals gehetzt hatte.

Darauf brauchte ich erst einmal eine Zigarre, die ich auf dem Weg nach Hause nachdenklich rauchte.

Copyright © 2010 by Raphael Marques