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Tony Tanner – Agent der Weißen Väter 7.1

Die Hyleg-Schädel – Teil 1

Tony Tanners Tagebuch

Collesalvetti 8.30 Uhr. Die Bedienung bittet zum Frühstück.

8.35 Uhr. Fräulein Lucille Chaudieu ruiniert mir meine Krawatte. Totale Zerknitterung des Seidenstoffes durch übermäßige mechanische Beanspruchung.

8.40 Uhr. Frisur ruiniert.

8.42 Uhr. Beende Kuss wegen akuter Erstickungsgefahr. Negative Reaktion seitens Fräuleins Chaudieu, verbunden mit kritischen Bemerkungen über meine körperliche Fitness. Fortführung der Lippenberührung seitens L.C. Krawatte weiter unter Beanspruchung. L.C. nutzt dieses Accessoire, um mich in eine dunkle Nische zu ziehen.

8.50 Uhr. Ende des zweiten Anlaufes wegen Erscheinens eines Mitglieds des Dienstpersonals. Kehre in mein Zimmer zurück, um die Krawatte zu wechseln. Stelle fest, dass die alte nicht mehr zu retten ist. Muss mir überlegen, ob ich u. U. auf andere Marke wechsele, angesichts des Temperamentes von L.C. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal freiwillig kommen, wenn sie winkt. Verlust der Krawatte jedenfalls zu verschmerzen, hat sich alles in allem gelohnt. (War sowieso eine ältere). Leichtes Lippenbluten wg. Temperamentsanfall seitens L.C. Tolle Zungenarbeit ihrerseits, muss was mit der Sprache zu tun haben, französisch macht die Zunge offensichtlich geschmeidiger. Rein urologisch scheint bei mir alles in Ordnung zu sein, trage zum Glück eine Bundfaltenhose.

9.03 Uhr. Erscheine am Frühstückstisch. Allgemeine Heiterkeit wegen meiner Verspätung, launige Bemerkung seitens Dorkas, deutliche Missbilligung seitens des Conte, Lucille ignoriert mich völlig. 9.07 Uhr. Drei Tassen Tee getrunken. Dorkas isst sein viertes Würstchen und redet über einen Futuristen, der ein Kochbuch schrieb, weil er der Meinung war, die Italiener würden durch Genuss von zu viel Pasta und Reis zu friedfertig und müssten mehr Fleisch zu sich nehmen, um sich das kriegerische Wesen, das er den germanischen Völkern zuschrieb, anzueignen. Anschließende heftige Diskussion, ob das britische Empire auf Frühstückswürstchen fußt und welche Bedeutung das Aufkommen der Corn-Flakes für seinen Niedergang hatte. Dorkas kann die Anekdote eines schottischen Thans, der mit einem Schinken erschlagen wurde, beisteuern.

9.41 Uhr. Zwölfte Tasse Tee getrunken. L.C. ignoriert mich noch immer und unterhält sich angeregt mit Steele, das heißt, sie redet und er sagt keinen Ton. Frage mich, ob ich sie flachlegen sollte, bevor ich sie mit einem Frühstückswürstchen erschlage.

9.45 Uhr. Dorkas doziert über Robert Steele, einen schottischen Prediger des 18. Jahrhunderts, der sich mit dem Versuch beschäftigte, Elfen und Feen mit der christlichen Weltvorstellung zu verbinden. Dorkas vermutet, dass er viel eher den Versuch unternommen hatte, das Christentum vor den Elfen-Gläubigen zu rechtfertigen als umgekehrt.

9.50 Uhr. Muss dringend austreten.

10.00 Uhr. Begegne auf dem Rückweg L.C. L. C. weigert sich, mich weiterhin zu ignorieren und versucht weiteren Anschlag auf meine modischen Accessoires. Muss zur Rettung meiner Krawatte weitgehende Maßnahmen ergreifen. L.C. fühlt sich sehr gut an, trägt leider eine Jeans, die weiteren haptischen Erkundungen wg. Stoffdicke Widerstand entgegensetzt. Urologisch immer noch alles bestens.

10.10 Uhr. L.C. äußert sich nach häufigem Luftholen weitgehend positiv über Verlauf des Kusses und stellt nachhaltige Verschärfung des sozialen Umgangs in Aussicht. Urologischer Zustand lästig. Kann meine Frisur mit Bordmitteln auf dem Gang reparieren.

10.15 Uhr. Kehre zur Frühstückstafel zurück. Dorkas und der Conte diskutieren über bestimmte Bäume, deren Stamm eine gewindeartige Drehung aufweist. Dorkas erläutert, dass dies im Volksglauben mit einem Spiel von Kobolden in Zusammenhang gebracht wurde. Little scheint interessiert, wenn er auch ein gelangweiltes Gesicht macht.

10.33 Uhr. Dorkas beendet seine Erläuterungen. L.C. Ist wieder am Tisch und ignoriert mich. Hat sich umgezogen und trägt ein Sommerkleid aus leichtem Stoff. Frage mich, ob ich sie Miststück nennen darf. Der Conte und Dorkas diskutieren über Kraftfelder und deren Einfluss auf das Pflanzenwachstum. Steele ist der Meinung, dass meteorologische Gegebenheiten zur Erklärung ausreichen, was seitens Dorkas heftig bestritten wird. Ich habe keine Meinung, ignoriere L.C. aber völlig.

10.54 Uhr. Beende meinen Boykott von L.C., nachdem klar ist, dass sich ihre Hand auf meinem Bein befindet.

10.55 Uhr. Dorkas vertilgt ein weiteres Würstchen und macht launige Bemerkung über den englischen Wissenschaftler Francis Galton, den Dorkas als Eugeniker bezeichnet, was immer das bedeuten soll. Galton führte eine Statistik über die Städte mit den hübschesten Frauen im Vereinigten Königreich. Demnach befanden sich in Aberdeen die allerwenigsten ansehnlichen Frauen. Steele merkt an, er habe nicht gewusst, dass in Aberdeen überhaupt Frauen leben. Allgemeine Heiterkeit.

10.56 Uhr. Das Gespräch bewegt sich von Galton auf das Thema Rassenkunde, Rassismus, Menschenzüchtung. Daraufhin wendet sich das Gespräch nationalen Überlegenheitsgefühlen zu, die jenseits rassischer Fragen existieren.

10.58 Uhr. Dorkas erwähnt den Prediger Cotton Mather, der in seiner Schrift Magnalia Christi Americana – hoffe, ich habe den Titel richtig im Gedächtnis behalten – prophezeit, dass am Jüngsten Tag die USA als einziger Staat nicht vom Weltbrand vernichtet werden.

11.00 Uhr. Heftige Diskussion über das Thema Christentum USA – Überlegenheitswahn usw. Dorkas beginnt eine seiner weitschweifigen Ausführungen über das Thema kolonialer Puritanismus und ausgewähltes Volk im Laufe der Geschichte.

11.05 Uhr. Dorkas ist schätzungsweise am Ende des Anfangs des ersten Viertels seiner kulturtheoretischen Vorlesung angelangt. Wird von Steele ziemlich rüde abgebügelt, der Zweifel am tiefer gehenden Einfluss des Christentums auf die US-Bevölkerung hat und stattdessen auf eine Tradition der Eroberung und Gewaltanwendung verweist. Steele weist darauf hin, dass der Gründungsmythos der USA, womit er den Wilden Westen meint, Christen nur als Opfer oder als fanatische Henker von Verbrechern kennt und sie ansonsten ignoriert. Dorkas widerspricht und verweist auf Eroberung des Gelobten Landes durch das auserwählte Volk Gottes. Es entwickelt sich ein heftiges Streitgespräch, in dem plötzlich ziemlich Zunder steckt. Obermiese Stimmung, ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut, zumal L.C. ihre Hand in unziemlichster Weise auf meinem Oberschenkel ruhen lässt. Größtes Interesse seitens des Conte an dem Gespräch. Bemerke, dass er einige Male Öl ins Feuer gießt, anstatt wie sonst ausgleichend zu wirken. Halte das für einen Test – er beobachtet aufmerksam, und zwar weniger denjenigen, der gerade redet, als den anderen. Fordert Little, L.C. und mich zu Meinungsäußerungen auf. Little stottert nur herum, L.C. redet sich auf nette Art heraus und beginnt parallel dazu, meine urologischen Konfigurationen bis an den Rand des Machbaren und gesellschaftlich Schicklichen zu strapazieren. T.T. schwafelt diplomatisch und nichtssagend, gute Leistung, aber der Conte durchschaut den Trick, ohne sich viel anmerken zu lassen.

11.17 Uhr. Der Conte hebt die Tafel auf. Er erklärt, dass L.C., Steele und ich nach einem Kaff namens Loreta fahren sollen. Little soll mit Hilfe von Fräulein Sonnenschein versuchen, seine Fähigkeiten besser zu kontrollieren (zwischen den beiden scheint sich was anzubahnen), Dorkas soll weiter Studien betreiben und sich ansonsten mit diesem Peak-Maude kurzschließen, der sich inzwischen als Kaiserpinguin tituliert, was irgendwas zu bedeuten zu haben scheint. Bin sicher, dass der Conte alle diese Entscheidungen erst in den letzten Minuten getroffen hat.

11.22 Uhr. Kehre in mein Zimmer zurück, um mich für die Abfahrt fertigzumachen. Bin ganz froh, dass ich von Collesalvetti wegkomme. Habe keine Lust mehr auf weitere Schießereien und stelle bei mir eine heftige Hubschrauberallergie fest.

11. 30 Uhr. Steele taucht mit einem offenen französischen Viersitzer älterer Bauart (Napoleon oder schon Ludwig der Soundsovielte?) auf. L.C. ist entzückt, T.T. ist entsetzt.

11.35 Uhr. Gewisse Peinlichkeit, weil mein Gepäck nicht in den Kofferraum passt. Ich habe aus mir nicht näher verständlichen Gründen das meiste Gepäck.

11.37 Uhr. Dorkas nimmt mich zur Seite. Befürchte, er würde mir einen Heiratsantrag machen, aber er kriegt einen roten Kopf und erklärt mir dann, dass das Tragen von einem doppelten Paar Unterhosen ihn stets auf seinen gefahrvollen Reisen vor Erkältungen und anderen körperlichen Unbilden bewahrt habe, weshalb er mir nun dringendst auch dazu raten möchte.

11.38 Uhr. Bedanke mich herzlich für Dorkas’ Fürsorge und gehe in mein Zimmer.

11.52 Uhr. Lachanfall beendet.

11.57 Uhr. Erscheine vor dem Gebäude. Gewisse Peinlichkeit, weil ich der Letzte bin.

11.58 Uhr. L.C. setzt sich auf die Rückbank. Keine Chance, sich neben ihr zu platzieren, um sich weiter befummeln zu lassen. Muss neben Steele Platz nehmen.

16.17 Uhr. Steele hat etwas gesagt. Klang wie Muss tanken.

 

Missgelaunt öffnete Tony Tanner die billige Mappe aus streng riechendem Plastik, dessen Farbe von zweifelhaftem ästhetischem Wert war, und ließ den Inhalt auf den Tisch gleiten.

»Aufregend«, maulte Lucille Chaudieu. Sie meinte das exakte Gegenteil.

Steele knurrte nur und lehnte sich mit verschränkten Armen in seinen Plastikstuhl zurück, so als ginge ihn das alles nichts an.

Lucille ließ die Blicke ihrer schönen, dunklen Augen zwischen ihm und Tony pendeln und entschied sich für ein Lächeln, das wie eine Reklametafel am Straßenrand an alle und keinen gerichtet war. Sie richtete sich auf.

»Ich besorge mir noch einen Espresso. Möchte einer von euch Hübschen was?«

»Cappuccino«, antwortete Tony, während Steele etwas grunzte, das man mit einiger Interpretationskunst als ne Cola verstehen konnte.

Tony blickte Lucille nach, die auf die schäbige Holzbaracke zuschlenderte. Sie ließ sich ganz offensichtlich sehr viel Zeit. Sie empfand es als eine Erleichterung, wenigstens für eine Weile aus der Gesellschaft der beiden anderen entfliehen zu können. Tony ging es genau so und er war sich sicher, dass auch Steele liebend gerne auf seine beiden Begleiter verzichtet hätte.

So war die Stimmungslage, stellte Tony Tanner resigniert fest und lehnte sich zurück. Es war ein Fehler, wie ihm der stechende Schmerz in seinem Rücken sofort deutlich machte.

Die Kollektion blauer Flecken, die er verteilt auf seinem Körper mit sich trug, harmonierte nicht mit der scharfen Kante am oberen Ende der Lehne billiger Plastikstühle.

Steele schien damit keine Probleme zu haben. Jedenfalls nicht in dem Maße, dass sie ihn zu einer anderen Sitzhaltung bewegt hätten. So verharrte er in seiner zurückgelehnten Stellung und ließ die Vorderbeine seines Sitzmöbels in der Luft hängen. Steele wirkte auf Tony wie ein ebenso selbstbewusster wie übel gelaunter Gewerkschaftsführer, der sich von einem Kapitalisten die obszöne Höhe seiner Lohnforderung anhören muss und dabei nicht sehr betroffen wirken will. Und, so sagte sich Tony, um das Bild weiterzuführen, der überhaupt wenig Aufmerksamkeit für die Reden der Gegenseite erübrigte.

 

Mit ausgestrecktem Zeigefinger schob Tony die Papiere auseinander. Irgendetwas musste passieren, beschloss er, nur um Sekunden später diesen Gedanken wieder als frommen Wunsch abzuheften. Seit vorvorgestern, seit sie Collesalvetti verlassen hatten, war die Stimmung gesunken wie ein Bleigewicht. Steele hatte dazu in nicht unerheblichem Maße beigetragen, denn statt auf der A 14 direkt nach Süden zu fahren oder die näher liegende A 1 zu nutzen, um dann auf der A 17 den italienischen Stiefel von West nach Ost zu queren, hatte Steele es vorgezogen, eine Art von Indianerspiel zu inszenieren, in dem er sich bemühte, einen imaginären Verfolger abzuschütteln. Sie waren also über Landstraßen gefahren, hatten nur manchmal eine Autobahn genutzt, hatten inzwischen schon den vierten Leihwagen und waren trotz ständiger Bewegung und zweier nicht sonderlich pompöser Übernachtungen immer noch eine Tagesfahrt von ihrem Ziel entfernt.

Sicherlich, so sagte sich Tony, hatten sie allesamt schon die Erfahrung gemacht, dass Vorsicht angebracht war, weil ihnen eine ganze Reihe mächtiger Leute an den Kragen wollten. Andererseits war es nicht angenehm, ständig und auf penetrante Weise daran erinnert zu werden, dass man möglicherweise in Gefahr schwebte. Vor allem dann nicht, wenn die ganze Aktivität nur noch darin zu bestehen schien, diese Gefahr zu vermeiden, ohne dabei dem eigentlichen Ziel näher zu kommen. Wie immer war auch hier nichts zufällig, alles hatte seine Bedeutung und seinen Wert. Tony war sogar sicher, dass er diesen Sinn fast erkannt hatte – er lag ihm auf der Zunge, wie ein Wort, das sich noch dagegen sträubt, als Ton und Schall ausgesprochen zu werden.

Warum tu ich mir das alles, fragte sich Tony düster. Zumal er es nicht einmal nötig hatte. Er konnte jetzt aufstehen und nach London reisen, um sein altes Leben wieder aufzunehmen. Die Anklage wegen versuchter Vergewaltigung war endgültig aus der Welt geschafft. Der Conte teilte ihm diese erfreuliche Nachricht kurz vor ihrem Aufbruch von Collesalvetti mit (und Tony hatte sich telefonisch bei seinem Anwalt vergewissert. Der Conte di Saloviva besaß beste Beziehungen, soviel war klar. Es war sogar gelungen, Dorkas und Tony aus den polizeilichen Untersuchungen wegen des Überfalls auf die Galerie verschwinden zu lassen.)

Dass diese Mitteilung direkt vor der Abreise gemacht wurde, war natürlich auch alles andere als Zufall. Sie bedeutete für Tony Tanner nichts weniger als eine offizielle Hintertür, durch die er sich aus der gesamten Sache verabschieden konnte. Der Gedanke hatte für Tony immer größeren Reiz entwickelt, während er sich von Steele auf einem scheinbar zufälligen Zickzackkurs zu einem völlig uninteressanten Kaff namens Loreta fahren ließ. Dann allerdings stieg in Tony Widerwillen gegen seine eigene Laschheit auf. Nein, das war nicht sein Stil. Niemand würde jemals die weiße Fahne über Tony Tanners Scheitel wehen sehen! Dann bildete sich in seinen Gedanken der Verdacht, dass auch diese elende Fahrt und das damit verbundene Stimmungstief einer klaren Planung des Conte di Saloviva entspringen könnte. Trotz allem – eine besondere Gier, in das London seines Berufs, das London seiner Eltern und das London Francines zurückzukehren, verspürte Tony Tanner wirklich nicht. In ihm stieg ein Gefühl auf, das mit Pflicht edel genug beschrieben ist.

 

In den letzten Tagen hatte auch Dorkas Beispiele seiner ruhelosen Tätigkeit gezeigt. Es gab häufige Telefonate – Steele bestand darauf, dass sie nur über das Festnetz und von wechselnden Orten geführt wurden. Am Ende dieser verschwörerischen Aktivitäten stand ein Schließfach in einem kleinen Haltepunkt einer Nebenbahn, aus dem Steele diese ominöse Plastikmappe zog, die durch einen Kurier dort platziert worden war, der den Schlüssel an einem vorher abgemachten Ort versteckt hatte.

Die ganze Sache dünstete eine derartige naive Freude an verwickelten Konspirationen aus, dass allen klar war, dass nur Dorkas höchstselbst für die Planung verantwortlich gewesen sein konnte.

Klappernde Tassen rissen Tony aus seinen trüben Gedanken. Lucille schob Tony seinen Cappuccino hin und stellte eine Flasche Cola an Steeles Platz.

»Na, was sagt uns dieses Chaos an Papier?«, wandte sie sich Tony zu.

Ihre dunkle Stimme erinnerte Tony blitzartig daran, dass eine Rückkehr nach London wahrscheinlich auch das Ende der Beziehung zu Lucille bedeuten würde. Beziehung klang zwar besser, als es war und vielleicht würden sie sich ja auch ab und zu einmal sehen, aber sie würden ihm auf keinen Fall an einer heruntergekommenen italienischen Raststätte gegenübersitzen und mit ihren Beinen seine Beine berühren.

»Es ist etwas faul im Staate Dänemark«, antwortete Tony.

Die Aussage war ziemlich pauschal, aber sie gab ihm Gelegenheit kurz über die Papiere zu schauen, die sein Zeigefinger geordnet hatte.

Steele betrachtete die Szene aus zusammengekniffenen Lidern, die Arme im Nacken verschränkt. Während der ganzen Fahrt waren ihm nur zwei Gedanken durch den Kopf gegangen. Der Erste lautete kurz und bündig: Was will ich noch hier? Und der Zweite: Welche Macht gibt es, die die Gegenseite noch nicht hat? Steele hatte in den letzten Wochen mehr über den Tod seiner Familie herausgefunden, als in der gesamten Zeit, die von ebenso skrupelloser wie intensiver Suche bestimmt war, vorher. Jetzt empfand er eine tiefe Mattigkeit. Nie würde er die Gelegenheit haben, seine Foltergeräte an dem einzigen, eigentlichen Schuldigen anzuwenden, um in den Schreien eines sich windenden Verstümmelten ein ganz persönliches Totenopfer für seine Familie aufsteigen zu lassen. Mehr noch – diese Vorstellungen, die ihn in den letzten Jahren wie ein Außenskelett aufrecht gehalten hatten, erschienen Steele nun selbst abartig und von kindisch-dummer Grausamkeit. Derjenige, der die Rakete abgefeuert hatte, war selbst nur ein Opfer gewesen. Lucille Chaudieus Aussagen hatten daran keinerlei Zweifel gelassen. Und die Männer dahinter, die Befehlsgeber, die Intriganten, die Schreibtischtäter verschwanden im Halbdunkel der Anonymität. Am Ende war dann nur die Spitze eines Füllfederhalters schuld, mit der ein Befehl unterzeichnet wurde oder das Papier, auf dem der Befehl stand, oder der Fahrradkurier, der den Befehl weiterbeförderte … Die Verwicklungen der Gedanken ließen den Rachedurst Steeles ausbluten, bis er nur noch eine absurde Fantasie auf der Bühne persönlicher Vorstellungen war. Aber was blieb dann von Steele?

Ja, was blieb von ihm? Ein Mann, der auf einem wackeligen Plastikstuhl das Gleichgewicht zu halten versuchte.

 

Ein Lieferwagen verlangsamte und fuhr von der Straße auf die Parkfläche des Rasthauses. Instinktiv belauerte Steele den Neuankömmling, bis sich ein älterer Mann aus der Fahrerkabine schälte und auf die Tische, die näher am Eingang der Baracke standen, zuschlurfte. Man kannte ihn, er wurde lautstark begrüßt und umrundete Hände schüttelnd die Gesellschaft, bis er auf einem freien Stuhl Platz nahm. Die Szene wirkte harmlos und vielleicht war sie genau deswegen gefährlich.

Steele nahm die Hände aus dem Nacken und legte sie neben sich auf die Lehnen. Das war seine zweite Frage. Die Elektronik der Hubschrauber, die Collesalvetti angegriffen hatten, ihre Bewaffnung, erschienen derart ausgefeilt und perfektioniert, dass sich bei Steele das Gefühl von Ausgeliefertsein einstellte. Sicherlich, sagte er sich, kann man in einer globalisierten Welt zivile Bauteile aus allen Kontinenten kaufen, um sie schließlich zu einer Waffe zusammenzufügen. Die Bauanweisung für eine Atombombe war im Internet zu finden, der Konkurs der Sowjetunion hatte Kohorten von Experten auf den freien Markt gespült, die aus schierem Überlebenswillen oder auch aus alter ideologischer Verblendung, dem Meistbietenden ihre Kenntnisse zur Verfügung stellten. Wer sagte ihm, dass er nicht in genau diesem Moment von einem Satelliten aus beobachtet wurde?

Steele legte den Kopf in den Nacken und starrte nach oben, als wollte er dem Gegner, der sich dort in der Unendlichkeit verbarg, ins Auge sehen. Graue Schleierwolken bedeckten den Himmel und machten zumindest diese Befürchtung überflüssig. Knurrend setzte sich Steele auf und warf noch einmal einen Blick auf die Umgebung. Sie war wenig erhebend – jenes Italien, von dem die Italiener immer behaupten würden, es existiere nicht. Da gab es eine schmale Landstraße, besagte schäbige Baracke mit defekter Lichtreklame, einiges Plastikgestühl aus dem nächsten Baumarkt und im Hintergrund einige Kombis und Transporter, letztere aufgemotzt wie US-Trucks, als gelte es, jeden Tag die Route 66 entlangzudröhnen.

Tony Tanner tippte auf eines der Papiere auf dem Tisch. Es handelte sich, wie bei allen anderen auch, um die Kopie eines Zeitungsausschnittes.

»Hier wurde vor einigen Jahren der Bürgermeister von Loreta wegen einer ziemlich widerlichen Sexgeschichte abgesägt.«

»Das hatte uns Dorkas schon vor ein paar Tagen gesagt«, antwortete Lucille ungerührt.

»Sicherlich, aber die Umstände kannte er noch nicht so genau …« Tony schwieg pikiert und überflog den Artikel. Jedes Blatt war in der oberen linken Ecke mit einem Datum versehen. Tony erkannte sofort die penible Handschrift von Dorkas.

In diesem Moment klingelte Lucilles Handy. Sie warf einen schnellen Blick auf Steele und nahm den Anruf dann entgegen.

Auch Tonys Blick wandte sich unwillkürlich in Richtung auf den anderen Mann. Er erwartete, dass Steele im nächsten Augenblick explodieren würde. Steele hatte, und es war die einzige Gelegenheit gewesen, bei der er mehr als einen Satz innerhalb einer Stunde geäußert hatte, erklärt, dass eingeschaltete Mobiltelefone als Ortungsmittel eingesetzt werden konnten. Mehr nicht, aber sowohl Tony – der diese Tatsache schon kannte – noch Lucille Chaudieu konnten eine Sekunde im Unklaren darüber sein, was Steele ihnen damit mitteilen wollte.

Steele bekam nicht den erwarteten Wutanfall. Im Gegenteil, er blieb bei seiner Geht mich nichts an-Haltung und wirkte dadurch nur umso bedrohlicher.

Zumindest auf Tony wirkte er so. Lucille hatte sich inzwischen vollständig aus der Gesellschaft ihrer Begleiter abgemeldet, war an einem völlig anderen Ort und konzentrierte sich nur auf ihr Telefonat. In Tonys Ohren klang es seltsam befremdlich, sie in ihrer französischen Muttersprache reden zu hören. Seine eigenen Kenntnisse schienen inzwischen eingerostet zu sein, denn obwohl er, zwar mit schlechtem Gewissen, aber doch aufmerksam, zuhörte, verstand er nicht übermäßig viel. Ohne es zu wollen, ärgerte er sich darüber. Lucille telefonierte mit einer Freundin und hechelte mit ihr zusammen genussvoll die Liste der lebensnotwendigen Informationen über den gemeinsamen Bekanntenkreis durch, so viel konnte sich Tony immerhin zusammenreimen.

Es gab ihm einen Stich ins Herz, Lucille so zu sehen – ihm direkt gegenüber und doch Welten entfernt. Sie hatte einen entspannten Gesichtsausdruck, den er bei ihr noch nie bemerkt hatte. Ihr Blick war nach innen gerichtet, und als sie das Gesicht hob und Tony anschaute, wusste er, dass sie ihn nicht bemerkte und dass ihr Lächeln einer Stimme galt, die er nicht kannte.

Zumindest der Cappuccino war gut und half Tony über seine seelischen Befindlichkeitsstörungen hinweg. Nachdem er die Zeitschriftenartikel zeitlich geordnet und überflogen hatte, wurde ihm langsam klarer, warum der Conte sie auf die Reise zu diesem Ort geschickt hatte. Während er sich nun die Artikel genauer durchlas und versuchte, sich Namen und Einzelheiten einzuprägen, wurde ihm immer deutlicher bewusst, warum diese lästige Reise bisher nichts als eine Aufeinanderfolge unterschwelliger oder offener Reibereien gewesen war.

 

Der Aufenthalt auf Collesalvetti hatte sie in einen Kokon aus Aufmerksamkeit und Fürsorge gesponnen. Dann gab es den Feind, gegen den sie sich zu wenden hatten. Aber nun waren sie mit sich allein gelassen, waren sich nicht darüber im Klaren, wer wann was zu sagen hatte. Es gab nur Steeles Sicherheitsfanatismus, Tonys brütendes Abwarten und Lucilles munteres Desinteresse, das sie ebenso wie den Rest von sich hinter Frauen- und Modezeitschriften verbarg, die sie auf der Rückbank dutzendweise las, nur um ab und zu ihren Begleitern mit honigsüßer Stimme Artikel mit den neuesten Extremerkenntnissen von US-Psychologinnen zum Thema ‘Der Mann, wie man ihn einfängt und wieder los wird’ vorzulesen.

Tony Tanner wusste nicht, wie es um die anderen stand, aber für seine Person war er sich sicher – er hatte sich in den letzten Tagen gehäutet wie eine Schlange. Wieder einmal.

Und nun saß er hier im südlichen Italien an einer billigen Raststätte und bemühte sich, seine blauen Flecke nicht allzu schmerzhaft mit dem Plastikgestühl in Kontakt zu bringen.

Auch Lucille spürte, dass Tony jetzt aus seinem dumpfen Zögern aufgetaucht war. Sie nickte ihm zu und beendete nach einigen Sätzen das Telefonat. Dann hielt sie das Gerät in die Höhe und drückte mit einer weit ausholenden Pantomime auf den Aus-Knopf. Tony Tanner zog den Kopf in den Nacken. Diese Aktion wirkte so provozierend, dass Steeles Kragen gar nicht anders konnte, als zu platzen.

»Abgeschnitten von der weiten Welt«, seufzte Lucille theatralisch und rollte die Augen. »Ich habe das Ding übrigens erst angemacht, als wir hier anhielten, damit das schon mal ganz klar ist.«

»Ich hatte nie was anderes erwartet«, knurrte Steele und ließ sich samt Stuhl in eine normale Sitzposition fallen.

»Also, wie steht’s?«, fragte er Tony aufmunternd.

»Vor 15 Jahren wird von der italienischen Regierung der Bau eines Kernreaktors beschlossen, der zugleich Forschungszwecken dient und wirtschaftlichen Strom produziert. Hauptpunkt ist die Entwicklung einer Technik, den Reaktor mit Meerwasser zu kühlen.«

Tonys Finger löste sich von dem ersten Blatt, übersprang die nächsten drei und landete dann auf einer Balkenüberschrift.

»In den nächsten fünf Jahren begann das übliche Hickhack – die Atomkraftgegner hatten einen neuen Lieblingsplatz für Sitzblockaden und Prügeleien mit der Polizei, die Befürworter aber bestanden darauf, dass Italien in die Steinzeit zurückfallen würde, wenn der Meiler nicht gebaut wird. Es gab endlose Gerichtstermine bis hin zur höchsten Instanz. Die Gegner argumentierten unter anderem mit der Erdbebengefahr. Mmmhh – es scheint so, als hätte man diese Leutchen in die eigene Falle laufen lassen. Erst durften sie eine Weile die Apokalypse heraufbeschwören, dann gab es einen öffentlichen Termin, bei dem man ein 1:4-Modell des Meilers und ein 1:1 Stück der Hauptkuppel auf einem Truppenübungsplatz testete. Hier steht was von größter konventioneller Sprengung, die jemals im Mittelmeerraum stattfand … jedenfalls überlebten die Testobjekte die Belastung. Ich brauche noch einen Cappuccino.«

»Hol ihn dir«, beantwortete Lucille Tonys auffordernden Blick. »Und mir kannst du ein Wasser mitbringen.«

 

Irgendwie hatte sich Tony die Sache anders vorgestellt, aber so war er nun gezwungen, in die Baracke oder besser in die Raststätte zu gehen. Schon an der Tür kam ihm eine Mischung aus Zigarettenrauch und Küchendunst entgegen, die der Wirkung einer rechten Geraden auf die Kinnspitze gleichkam. Im Halbdunkel unterschied Tony einige Gäste, die links eines Mittelganges an zwei langen Tischen saßen. Rechts war eine Theke, über der ein Fernseher hing. Offensichtlich flimmerte gerade eine Spielshow über den Bildschirm. Die Zuschauerquote in der Baracken-Raststätte war mäßig, nur immer dann, wenn eine schrille Fanfare ertönte und eine sehr leicht geschürzte Wasserstoffblondine ins Bild hüpfte, um dem Moderator einen Umschlag zu überreichen, ruckten die Köpfe der Anwesenden in einem bedingten Reflex herum.

Hinter der Theke war nur ein dunkler Lockenschopf erkennbar, der sich beim Nähertreten als zu einem bildhübschen weiblichen Wesen gehörig entpuppte. Die schöne Erscheinung gehörte allerdings nur äußerlich in diese Umgebung, denn ihre Augen waren an dem Bildschirm festgeheftet und unterbrachen keine Sekunde lang die Betrachtung der flimmernden Bilder, auch als Tony seine Bestellung aufgegeben hatte und die Hebel der Kaffeemaschine in Bewegung gesetzt wurden. Das alles fand mit der mechanischen Sicherheit tausendfach geübter Handgriffe statt, eine Vorstellung aus einer geschlossenen Welt, in die lediglich die Bestellungen eindrangen wie Münzen, die einen Automaten in Bewegung setzen. Mit zwei Tassen in den Händen und einer Flasche unter dem Arm balancierte Tony zurück zu seinem Tisch und stellte mit befriedigter Eitelkeit fest, dass Lucille und Steele auf ihn gewartet hatten, ohne selbst einen Blick auf die Unterlagen zu werfen.

»Also, zuerst schafften sie es – wer immer sie auch sein mögen – die Stimmung komplett auf ihre Linie zu drehen«, fuhr Tony fort. »Der Reaktor bedeutete Arbeitsplätze, Einkommen, Kaufkraft, Fortschritt, Industrieansiedlungen, was weiß ich noch alles. Jubel, Jubel. Die Antifraktion wurde teils weggeprügelt. Dann, als alles schon im Bau war, kippte die Stimmung in die andere Richtung. Plötzlich gab es Änderungen am Bauplan. Ein Fluss wurde komplett umgeleitet, riesige Landflächen unter Wasser gesetzt, weil jetzt eine Notkühlanlage mit Süßwasser installiert werden musste. Die Bauern stiegen auf die Barrikaden, die Leute kapierten langsam, was sie sich eingehandelt hatten.«

»Das könnte ein Grund sein, warum man uns in diese gottverlassene Gegend geschickt hat«, unterbrach Steele. »Das war mir bisher nämlich alles andere als deutlich.«

»Stimmt. Kanalisierter Fluss, künstlicher See, miese Stimmung – das passt alles zusammen. Ich meine, das könnte so etwas wie einer dieser Energieknoten sein.« Das war jetzt Lucille. Unfair, fand Tony, denn sie hatte ihm seinen großen Auftritt vorweggenommen.

»So sehe ich das auch«, kommentierte er daher leicht angesäuert und sortierte ein wenig die Unterlagen.

»Es gibt allerdings noch eine bemerkenswerte Sache. Bei der folgenden Kommunalwahl lässt ein unabhängiger Kandidat namens Cecilio Demonti die Kandidaten der etablierten Parteien alt aussehen. Er wird Bürgermeister von Loreta und beginnt sofort damit, den Widerstand zu organisieren. Er nutzt alle juristischen Tricks und bekommt es andererseits hin, die Leute von Loreta friedlich demonstrieren zu lassen. Die Medien haben also keine Chance, die Leute als Chaoten abzustempeln. Es gibt immer wieder Straßenblockaden und so weiter, der Bauplan gerät in Verzug, obwohl ursprünglich schneller gebaut worden war als geplant, um Fakten zu schaffen, nehme ich mal an.«

Jetzt war es Zeit für den Cappuccino.

»Kommen wir zum Ende der Geschichte. Der Bau ist kurz davor eine Ruine zu bleiben, da gerät Demonti in die Schlagzeilen, weil diverse Damen über Sexspielchen mit dem kommunalen Oberhengst berichten. Es gibt Anklagen wegen Nötigung und versuchter Vergewaltigung und das war’s dann auch schon mit Demonti als Bürgermeister. Er muss zurücktreten, ein neuer Bürgermeister wird gewählt, der Reaktor wird weitergebaut und läuft seit einigen Jahren.«

»Schon mal irgendwo gehört, meinst du nicht? Und was ist mit den Anklagen?«, wollte Lucille wissen.

»Immer noch anhängig, soweit ich das hieraus ersehen kann«, antwortete Tony.

Diese Methode, unliebsame Personen unter Zuhilfenahme der Damenwelt in die Bredouille zu bringen, war ihm nur allzu bekannt. Andererseits war es übertrieben, hinter jeder Schmuddelgeschichte eine Weltverschwörung zu wittern.

»Stochern im Dunkeln«, zog Steele das Fazit.

»So was gänzlich Neues ist das ja nicht«, sagte Tony Tanner.

»Ja«, ergänzte Lucille Chaudieu«, und vielleicht gewöhnt man sich sogar mal daran.«

Loreta empfing sie mit der unerfreulichen, feuchten und stickigen Wärme eines gebrauchten Saunalakens. Der Wind wehte von der See her und wickelte sie in die schale Lauheit eines sterbenden Sommers, der sich selbst überlebt hatte, wie in Mumientüchern aus klebrigen Böen.

 

Steele lenkte den Wagen über die breite Küstenstraße, auf der ihnen nur von Zeit zu Zeit ein Lastwagen oder ein privater Pkw entgegenkam. Ansonsten wirkte die Landschaft seltsam ausgestorben, als wäre eine Pestepedemie über das Land hinweggegangen. Auch auf dem Meer war kein Boot zu entdecken, abgesehen von einem weit entfernten Tanker, der sich eilig entfernte, als müsse er fliehen.

Die Wellen liefen in endlosen Reihen gegen eine flache Küste, brachen sich auf schmalen Kiesstränden und rannten gegen vorstehende Felsen. Auf der Landseite der Straße zogen sich Felder hin, unterbrochen von Baumbeständen und grasbewachsenen Hügeln.

»Da ist es«, sagte Steele plötzlich.

Hinter einer Hügelkuppe erschien die Betonkuppel des Reaktors. Sie war von glänzendem Weiß, als hätte sie alles Licht an diesem trüben Tag in sich hineingesaugt. Auf Tony wirkte die Anlage wie ein riesiges Drachenei, das in eine weite Senke gelegt worden war. Stromleitungen schwangen sich an filigranen Mastkonstruktionen entlang und verschwanden hinter einer Kuppe.

Steele schaute in den Rückspiegel, und da sich kein anderes Auto zeigte, verzögerte er die Fahrt, bis der Wagen nur noch dahinschlich. Aber dennoch gelang ihnen kein Blick auf die gesamte Anlage, denn immer schob sich eine Baumgruppe oder eine Böschungskante in das Bild. Für einige Meter war die Stacheldrahtkrone eines Sicherheitszaunes zu erkennen, der parallel zur Straße verlief und dann wieder zurücksprang.

»Fahren wir doch einfach in die Straße rein, wenn ihr so scharf drauf seid, euch das Teil anzuschauen«, schlug Lucille vor. Tony schluckte, Steele zögerte. Die Straße, die Lucille meinte, war eine breite Zufahrt, die zum Haupteingang des Geländes führte.

»Zu auffällig«, entschied Steele dann.

»Ich übernehme das«, ließ sich Tony Tanner hören.

Achselzuckend lenkte Steele in die Straße, deren Breite offensichtlich darauf angelegt war, auch überlangen Sattelschleppern das Wenden zu ermöglichen. Links und rechts waren Böschungen von etwa einem Meter Höhe, daran schloss sich schon der massive Sicherheitszaun an.

»Fällt euch was auf?«, fragte Steele.

»Meine Bandscheiben mögen diesen Boulevard nicht«, antwortete Lucille.

»Das ist Betonuntergrund«, erklärte Steele. »Gegossene Betonplatten mit Dehnungsfugen.«

Sie rollten einige Meter weiter auf das Haupttor zu, ehe sich Tony meldete.

»Was ist so bemerkenswert an der Straße?«

»Dass sie für ganz enorme Gewichte ausgelegt zu sein scheint.«

»Das ist doch nicht weiter verwunderlich. Ich meine, es müssen doch auch mal Schwertransporte in so ein Kraftwerk?«

Steele schüttelte den Kopf. »Natürlich gibt es Maschinen zu ersetzen oder so was. Aber diese Schwertransporte kommen über ganz normale Straßen hierhin, warum sollen also die letzten Kilometer derart massiv ausgebaut werden?«

»Also, mich erinnert diese blöde Straße an die Startbahnen, von denen ich in die große weite Welt abgeflogen bin«, sagte Lucille plötzlich. Sie hatte einen scherzhaften Ton gewählt, aber Steele antwortete nur knapp Eben und sein Tonfall machte deutlich, dass er genau diesen Gedanken gehabt hatte.

Warum hatte er nicht selbst diesen Einfall gehabt?, ärgerte sich Tony Tanner. Die beiden hatten völlig recht. Die Zufahrt bildete eine schnurgerade breite Piste, die direkt auf das Meer zulief, während der Reaktor weit abseits lag. Es gab tatsächlich keinen erkennbaren Grund, warum die Zufahrt mehrere Kilometer lang auf das Haupttor zulief, während beiderseits schon der Zaun das Gelände abtrennte.

»Von hier aus könnte für den Notfall sogar eine Antonow oder eine Superguppy starten. Die Breite der Piste stimmt, die Länge, die Richtung – auf das Meer zu, gegen den Wind, und genügend Platz, um in aller Ruhe Höhe zu gewinnen«, sagte Steele.

»Wäre wohl nur ein wenig auffällig, wenn hier ein Transporter hochsteigen oder landen würde«, wandte Tony ein.

»Warum? Ich sehe hier nirgendwo eine Spur von der Ortschaft!«

Tatsächlich war sowie nicht viel zu sehen. Auf der anderen Seite des Sicherheitszaunes verlief ein schmaler asphaltierter Weg, ansonsten war das Gelände mit kurz geschnittenem Gras bedeckt. Einige Maste mit großen Lampen ragten in die Höhe.

»Ich bin sicher, dass dort auch Kameras sind«, knurrte Steele.

»Nicht nur das, sie haben uns schon erfasst«, ergänzte Tony, der gerade die Bewegung eines mitschwenkenden Kameragehäuses zwischen den Scheinwerfern bemerkt hatte.

»Nicht in die Kamera schauen«, bellte Steele, als könnten im nächsten Moment die Blitzlichter von Schmuddelfotografen aufscheinen und ihr Bild auf eine Titelseite katapultieren. »Fenster geschlossen halten, nicht in die Kameras schauen und die Finger möglichst bei sich behalten. Wir wollen ja niemandem die Arbeit erleichtern.«

Lucille rückte in die Mitte der hinteren Sitzbank. Und Tony fragte sich, ob Steele ganz bewusst einen Wagen mit abgedunkelten Scheiben geliehen hatte, weil er eine solche Situation vorausahnte.

Die Straße endete an einem verschlossenen Gittertor. Daneben versperrte ein Schlagbaum eine schmale Durchfahrt, neben der ein Pförtnerhaus mit verspiegelten Scheiben wachte.

»Iii, die haben Hunde«, rief Lucille und deutete zur Seite, wo zwei Männer in der schwarzen Uniform eines privaten Sicherheitsdienstes am Zaun entlang liefen. Beide führten einen Hund an der Leine. Die weiße Aufschrift Security, die die Männer auf dem Rücken ihrer Bomberjacken trugen, war gänzlich überflüssig. Ihr Anblick und ihr Auftreten sprachen für sich.

»Dobermänner«, erklärte Steele. Die Hunde hatten den Wagen im Blick und steckten die spitzen Schnauzen vor.

»Die Viecher scheinen verteufelt scharf zu sein. Und gut trainiert, sonst würden sie jetzt losbellen.«

»Ich möchte den Kötern jedenfalls nicht begegnen«, machte Tony Tanner aus seinen Gefühlen keinen Hehl.

»Ist wohl auch besser so«, bestätigte Steele.

Auf dem Rücksitz verschränkte Lucille Chaudieu die Arme, als hätte sie ein kalter Luftzug erfasst.

 

Zwei Männer erschienen in der Tür des Pförtnerhauses, traten zum Schlagbaum und schauten mit verschränkten Armen dem langsam heranrollenden Wagen entgegen.

Steele ließ den Wagen mit durchgetretener Kupplung ausrollen und drehte dabei, sodass sie mit der Motorhaube Richtung Küstenstraße standen.

»Dann wollen wir mal unsere Existenz an diesem Ort rechtfertigen«, sagte Tony Tanner und stieg aus. Er lief auf den Schlagbaum zu und versuchte sich gleichzeitig darauf zu konzentrieren, seine Sprachkenntnisse zu unterdrücken. Während es ansonsten sein Ehrgeiz war, eine Sprache möglichst so zu beherrschen, dass er nicht durch den fremden Akzent auffiel, musste er nun in einer Mischung aus Englisch und schlechtem Italienisch radebrechen, die die beiden Wachen zuerst vor ein unlösbares Problem stellten.

Vom Wagen aus beobachteten Steele und Lucille, wie Tony mit Händen und Füßen redete und die Wachen seine Gesten dann ihrerseits mit ausschweifenden Bewegungen beantworteten. Immer wieder deutete sie in die Richtung, in der Loreta lag. Schließlich bedankte sich Tony und ging zum Wagen zurück.

»Ich habe den absolut sprachunkundigen Touristen gegeben«, erklärte er, von seinen eigenen mimischen Fähigkeiten nicht gänzlich unbeeindruckt. »Man hat mir den Weg zur Stadt gezeigt und außerdem habe ich herausgefunden, dass die Pförtner aus der Stadt stammen, während die anderen Wachen von einem Sicherheitsdienst gestellt werden und nach einem festen Plan ausgewechselt werden.«

»So, so«, sagte Steele versonnen. In diesem Moment passierte der Wagen die erwähnten Wachen. Die beiden Männer blieben stehen als Ausrufungszeichen von Missbilligung und Aufmerksamkeit, die Hunde steckten ihre Schnauzen vor.

»Wenn die beiden Pförtner aus Loreta stammen, wenn du weiterhin ihnen gegenüber den radebrechenden Touristen gegeben hast, dann bist du dir doch wohl darüber im Klaren, dass du auch weiterhin keinen geraden Satz auf Italienisch rauskriegen darfst! Das ist eine kleine Stadt, wo jeder jeden kennt«, meldete sich Lucille plötzlich kichernd vom Rücksitz.

Eine derartige Konsequenz hatte Tony Tanner nicht bedacht. »Ich wollte ja keine Reden ans Volk halten«, gab er patzig zurück und fragte sich gleichzeitig, was das Grunzen aus Richtung des Fahrers zu bedeuten haben könnte. Sie erreichten die Küstenstraße und schlugen die Richtung auf Loreta ein. Nach der ersten Kurve, als die Reaktorkuppel hinter ihnen verschwunden war, lenkte Steele den Wagen an den Straßenrand und sie stiegen aus. Wortlos überquerten sie die Straße, fanden einen Weg zum Strand hinunter und standen einige Minuten später auf dem schmalen Streifen aus grobem dunklem Kies. Inzwischen dämmerte es, die hellen Schaumkronen der anrollenden Wellen leuchteten unnatürlich hell.

 

Eine Weile standen sie herum, es schien zwischen ihnen keine Beziehung zu bestehen, als würden sie hier nur auf zufällig auf denselben Bus warten.

»Wir sind also Touristen«, sagte Steele dann und bohrte die Schuhspitze zwischen die Kiesel.

Das war exakt die Frage, die Tony erwartet hatte.

»Als was sollen wir denn sonst auftauchen?«, fragte er zurück. »Als Zeitungsschreiberlinge, die einen Artikel über das Sexleben italienischer Bürgermeister machen wollen oder was? Oder als Geschäftsleute? Das nimmt uns sowieso keiner ab. Was hätte ich denn sonst sagen sollen – wir haben von der Schmutzaffäre des Ex-Bürgermeisters gehört und wollen mal nachschauen? Mal ganz abgesehen davon, ich habe derart herumgestottert, dass die Pförtner alles Mögliche missverstanden haben können. Wenn es darum geht, könnten wir auch als Emissäre des Vatikans durchgehen. Obwohl – na ja, die werden wahrscheinlich ganz gut italienisch sprechen. Es sei denn, sie sind Polen.«

»Warum solle polnische Emissäre des Vatikans nicht Italienisch sprechen?«, fragte Steele.

Tony zuckte die Achseln. Ihm kam die ganze Sache irreal vor, schlimmer noch, sie erschien ihm blöd. Da standen sie nun vor den Mauern einer Stadt und fragten sich, ob sie als Touristen oder als sonst was auftreten sollten. Und spätestens die glitzernden Augen der Wachhunde hatten ihn davon überzeugt, dass solche Fragen nicht überflüssig waren. Nicht, wenn sie nicht auf der Stelle umdrehen wollten.

»Schluss jetzt«, sagte er energisch. »Wir treten als Touristen auf, die eine Reise die Küste entlang machen. Was mich angeht, werde ich einfach die Klappe halten, so gibt es keine Gefahr, dass wir einem der Pförtner begegnen, während ich perfekte italienische Sätze mit tiefschürfendem Inhalt sage. Abgesehen davon, die Leute sprechen hier einen Dialekt, die würden gutes Italienisch nicht mal verstehen.

»Ob wir als Touristen überzeugend sind? Na, ich weiß nicht«, murmelte Lucille. Dann stapfte sie missmutig hinter den beiden Männern her, die ihren Einwand gar nicht zur Kenntnis genommen hatten.

Nach einigen Minuten kamen sie an einem großen See vorbei. Die gerade Uferböschung zeigte, dass er künstlich angelegt worden war.

»Das muss das Reservoir für die Notkühlanlagen sein«, stellte Steele fest. Auf der anderen Seite des Sees ragten einige flache Hallen auf, die einen Teil der Stromleitungen aufnahmen. Hinter dem nächsten Hügel begrüßte sie eine Müllkippe, über der Vogelschwärme mit schwarzen und weißen Schwingen die Luft mit Unruhe erfüllten.

»Jetzt brauchen wir noch einen Vergnügungspark, dann haben wir den Horror dieses Jahrhunderts zusammen«, entfuhr es Tony, als durch die Lüftung der faulige Gestank des Abfallberges in den Wagen drang.

 

Loreta hatte knapp 6.000 Einwohner und bestand aus einer Altstadt und einem Kranz von Neubauten. Die Altstadt ähnelte einer Frau, der die Jahre nichts an Würde geschenkt hatten, ihr aber die Schönheit raubten, die sie in ihrer Jugend, wenn auch nicht besonders reichlich, gehabt haben mochte.

Hingestreckt im Halbkreis einer Bucht drängten sich die alten Viertel, überragt von zwei Kirchturmspitzen, auf ebenem Grund und schoben sich den flacheren Teil des umgebenden Hügels hoch. Die Neubauten waren mit viel Aufwand und gewaltigen Erdbewegungen in die höheren und steileren Teile der Hänge gebaut worden und saßen nun wie ein Betonkranz über der Stadt. Zwischen kastenförmigen Mietskasernen entdeckte Tony am Hang auch Villen, von denen einige einen Zehnseitenbericht in einer Architekturzeitschrift wert gewesen wären.

Er pfiff durch die Zähne.

»Das ist es! Wir sind exzentrische Briten und suchen Material für einen Artikel über moderne italienische Villenarchitektur!«

Ein zweistimmiges Häh quittierte diesen Einfall. Tony tippte mit dem Finger an die Fensterscheibe. Jetzt, wo sie schon am Rand von Loreto waren, ragten die Hügel steil über ihnen auf. Im schwindenden Licht waren nur noch wenige Umrisse auszumachen.

»Diese Villa da oben«, erklärte Tony. »Dieser waagerechte, vorspringende Baukörper, der sich auf diesen senkrechten Pfeiler stützt. Das ist doch interessant.«

»Architekturzeitschrift, nicht schlecht. Irgendwo muss dieser Cecilio Demonti ja wohnen – wenn er denn hier noch wohnt«, antwortete Steele. Lucille fand den Einfall schlicht genial, und sie bewunderte Tonys Bildung mit heißem Herzen, ihre Antwort war jedoch nur eine Variante des Häh, die aus einem, ein wenig in die Richtung des hohen C gesprochenem Pfüh bestand.

 

Die Straße führte direkt zwischen der erste Häuserreihe der Altstadt und der Bucht entlang. Die Lage schien auf einen hervorragenden Naturhafen hinzudeuten.

Loreta schien mit Gästen weder zu rechnen, noch mit ihnen gesegnet zu sein. Es gab offenbar nur ein einziges Hotel. Das Haus mit dem pompösen Namen Savoia lag in der Altstadt, an der Ecke der Hauptstraße mit einer der zahllosen kleinen Gassen, die sich durch die eng stehende Häusermasse drängten. Die blaue Neonschrift über dem Eingang warf einen Schimmer auf die gepflasterte Uferstraße und eine hoch aufragende Fassade, an der neobarocker Schnickschnack um die Fenster herum den Eindruck von Grandeur hervorrufen sollte.

»Na, wie viele Sterne geben wir diesem Haus denn?«, fragte Steele sarkastisch, nachdem er den Wagen angehalten hatte.

»Jedenfalls mehr als diesem Auto, in dem wir sonst übernachten müssten«, antwortete Tony. Er fühlte sich inzwischen so müde, dass er auch mit einem Feldbett in einem Hinterhof vorlieb genommen hätte.

Auch als sie ausstiegen, blieb diese Schläfrigkeit, denn die laue Luft, die nach Kanalisation und brackigem Meerwasser roch, wirkte nicht erfrischend. Der Wind schien die stickige Wärme vom Meer direkt in diese Bucht zu treiben, wo sie sich an den Hängen fing und wie eine fette Henne über der Stadt brütete.

Zum Glück stellte sich das Hotel als ein recht angenehmer Ort heraus. Als Tony Tanner durch das erleuchtete Foyer auf den Schalter zuging, war er wieder in seiner eigenen Welt. Das Gefühl eines weichen Teppichs unter den Ledersohlen gut geputzter Schuhe gab ihm eine Sicherheit wieder, die er schon völlig verloren glaubte. Mit einem geübten Rundblick schätzte er die Umgebung ein. Die roten schweren Plüschsessel, die zu Sitzgruppen zusammengestellt waren, die verspiegelten Säulen und leicht angestaubten Palmen in den riesigen Terracottakübeln waren eindeutige Anzeichen tiefster Provinzialität. Hier hatte eine Person Hand angelegt, deren Geschmack durch die Hotelpaläste der 20er-Jahre geprägt worden war, durch Fotografien aus dieser Hochzeit des elitären Reisens, um genauer zu sein, und die mit einem Namen wie Philipp Starck nichts anzufangen wusste. Für Tony Tanner, dessen empfindliche Hinterseite schon allzu oft unter der totalen Negierung der menschlichen Anatomie, die man modernes Design nennt, gelitten hatte, waren das keine üblen Voraussetzungen.

 

Die Gäste, die sich in den Sesseln flegelten – es handelte sich um genau jene sympathische Art von Riesenfauteuills, in denen man sich flegeln musste, weil sie keine andere Wahl ließen – schienen die Einschätzung zu teilen. Es war nur eine Handvoll meist älterer Herrschaften, die plaudernd beisammensaßen, sich hinter Zeitungen versteckten oder an einem Likör nippten. Zwei Kinder wirkten geradezu exotisch in dieser Umgebung – ein dicklicher Junge, der Tony hinter seinem Manga hervor die Zunge herausstreckte und ein ebenso pummeliges Mädchen, das einer Barbiepuppe die Glieder verrenkte, um sie anschließend in ihrem Krankenhaus, das sie auf einem Sessel aufgebaut hatte, zu verarzten. Ein weißer Köter im Trethupenformat kläffte Tony an und wurde von Frauchen herrisch zurechtgewiesen, als müsste sie eine Meute halb verhungerter Deutscher Doggen in Zaum halten.

Tony war instinktiv zusammengezuckt, was den dicklichen Jungen zu einem verachtungsvollen Grienen bewegt hatte. Tony fühlte in diesem Moment das Bedürfnis, an diesem heranwachsenden Menschenkind einen erzieherischen Auftrag zu erfüllen – was heißen soll, er wollte dem Balg links und rechts eine scheuern. Aber saftig! Dann entschloss er sich spontan, aus der Situation das Beste zu machen.

Also nahm Tony allen Mut zusammen und trat zu der Gruppe. Der Köter, in dem Zustand einer Gruppe von Rekruten, die gerade von einem schlecht gelaunten Feldwebel zusammengebrüllt worden waren, ließ das vorsichtige Streicheln über sich ergehen.

»Was für ein schöner, mutiger Hund«, schleimte Tony in seinem fürchterlichen Will wohl, kann aber nicht-Italienisch. »Er will sein Frauchen beschützen«, setzte er noch eins drauf.

Frauchen war eine hagere Mittfünfzigerin, die auch einen ansonsten aller Boshaftigkeit unverdächtigen Beobachter sofort an ein Stück Trockenfisch erinnert hätte. Sie war sich dieser Tatsache bewusst und kaschierte sie recht geschickt mit einem geschmackvollen hellen Hosenanzug. Andererseits weigerte sie sich, ihr Alter zu akzeptieren, das in dem schmalen Gesicht schon eindeutige Spuren hinterlassen hatte. Daher waren die spitzen, hochhackigen Schuhe, die sie trug, eindeutig zu jugendlich und auch die Farbe, die sich reichlich auf Lippen, Wangen und Lider befand, wirkte wie ein hochtrabendes Reklameschild vor einer wenig überzeugenden Baracke.

Die Dame verzog die Lippen zu einem zuckersüßen Lächeln.

»Toto ist allzu eifrig. Von Ihnen sollte mir wohl keine Gefahr drohen?«

Tony verbeugte sich und nutzte die Gelegenheit, um tief Luft zu holen. Auf eine solche Breitseite an Charme war er nicht gefasst gewesen.

»Man bemüht sich, ein Gentleman zu bleiben – auch wenn es nicht immer leicht fällt«, orakelte er als Antwort und versuchte sich zu erinnern, welche Mundwinkelstellung für ein eindeutig zweideutiges, aber keineswegs unanständiges Lächeln eingenommen werden musste. In dieser Hinsicht war er schon ein wenig aus der Übung gekommen.

»Oh, Sie sind Engländer«, proklamierte die Dame das, was durch Tonys Schauderaussprache inzwischen auch dem Köter deutlich geworden sein musste. »Was führt Sie in dieses gottverlassene Nest?«, fuhr sie, nun mit ihrer dünnen Stimme ihrerseits auf Englisch fort.

Tony, der von Berufs wegen auch etwas von einem Heiratsschwindler an sich hatte, war spätestens in diesem Moment mit dem Psychogramm seiner Gesprächspartnerin fertig. Nicht unvermögende Witwe mit passabler Bildung, fest zementiertem Weltbild und kulturellem Dünkel lautete das Fazit.

»Moderne italienische Villenarchitektur«, antwortete Tony und gab die schon vorbereitete Geschichte zum Besten, nicht ohne anzudeuten, dass er sich freuen würde, Hilfe von einem Ortskundigen zu erhalten.

 

In diesem Moment erreichte von der rechten Seite ein Ton sein Ohr, der seinen Blutdruck in die Höhe trieb. Es war das Knistern, mit dem ein Nylonschenkel über den anderen reibt. Aus den Augenwinkeln erkannte Tony die Quelle dieser aufwühlenden Geräuschkulisse. Er hatte, in seinem Ansturm gegen den Schalter und in seiner Konzentration auf den Köter samt Anhang diese Dame glatt übersehen. Dabei war sie sicherlich keine Erscheinung, der so etwas oft zustieß.

Jetzt sprach sie Tony an und gab ihm die ersehnte Gelegenheit, sie gänzlich in Augenschein zu nehmen.

»Sie haben hier schon eine Expertin bei der Hand. Meine Schwester ist ein wahres Lexikon, was Loreta und seine Bauten angeht – von der Antike bis zum neuesten Sozialbauklotz.«

»Ach bitte doch, Nicci, Du übertreibst mal wieder fürchterlich«, wehrte Frauchen ab. Sie stieß die gespreizte Hand von sich, als käme ein ungerechtfertigstes Kompliment wie ein Monstrum auf sie zu und wurde rot bis an den Ansatz der dunkelblond gefärbten Haare, ein Schauspiel, das Tony allerdings wegen der Schminkschicht nur unvollkommen wahrnehmen konnte.

»Oh, ich bin für jede Hilfe dankbar«, legte er los. »Meine Kenntnisse des Italienischen sind nun leider nicht so optimal …«

Jetzt war nur noch der Dackelblick einzusetzen und Tony Tanner hatte die beiden Damen dort, wo er sie haben wollte. Bei einer spontanen Verabredung zum Abendessen im Hotelrestaurant nämlich.

Frauchen drohte inzwischen ihrem Köter, der sich knurrend Tony Hosenbein näherte, mit dem Finger. Der Köter duckte ab und verschwand zwischen den Troddeln des Sessels, wo er weiterhin ein unzufriedenes Knurren von sich gab. Nicci produzierte noch einmal jenes Geräusch und schlug ein Bein über das andere. Von beiden konnte man dank eines gerade noch als kurz zu bezeichnenden Rocks eine Menge sehen. Tony kam nicht umhin, dieses Fahrgestell als äußerst ansehnlich einzustufen. Dabei war ihm klar, dass sich Nicci ihrer Vorzüge bewusst war und sie gnadenlos einsetzte. In Tonys Hinterkopf begann ein Warnlicht zu blinken. Scharf wie ein Rasiermesser, tackerte die erste vorläufige Beurteilung durch sein Hirn, was Männer angeht ein weißer Hai, aber einer mit Stil.

Nicci war eindeutig die ältere der beiden Schwestern und ebenso eindeutig war sie nicht nur im Vergleich mit ihrer Verwandten eine attraktive Erscheinung. Fülliger als ihre Schwester hatte sie eine Figur, der man die Stunden an schweißtreibenden Übungen anmerkte, die sie aufwandte, um in Form zu bleiben. Ballettübungen schätzte Tony. Mit der Ausnahme von ein wenig Lippenstift verzichtete sie auf jedes Make-up, verbarg keines der Fältchen, die um Augen- und Mundwinkel ihre helle Haut durchzogen. Die silberweißen Haare trug sie extrem kurz geschnitten. Ihre tiefblauen Augen, mit denen sie Tony interessiert musterte, komplettierten den Eindruck einer immer noch attraktiven Frau.

»Oh, Sie sind nicht allein?«, kam es von Frauchen, als sich Lucille und Steele am Eingang des Foyers blicken ließen.

Als Antwort zuckte Tony nur leichthin die Schultern. »Der Fotograf und seine Assistentin. Ich glaube, sie ist Französin. Ich kenne die beiden kaum, sie wurden mir von der Redaktion aufs Auge gedrückt.« Zusammen mit dieser Erklärung produzierte Tony ein entschuldigendes Lächeln.

Jetzt aber musste er schnell sein, bevor Steele oder Lucille am Schalter irgendwas sagten, was im Widerspruch zu Tonys Erklärungen gegenüber den beiden Damen stand. Also verabschiedete er sich, so schnell es ging, und strebte dem Schalter zu. Der Hotelangestellte in dezenter Fantasieuniform nahm bei Tonys Annäherung eine Haltung irgendwo zwischen unaufdringlicher Aufmerksamkeit und freundlichem Abwarten ein. Dafür bekam er von Tony Tanner, dem Experten, einen dicken Pluspunkt. Sein Eindruck bestätigte sich – das Personal gab sich alle Mühe, den Kunden als Gast zu behandeln und das war für Tony mehr wert als hochmodisches Design. Als Selbsttest stellte er sich die Frage, wen er hier guten Gewissens unterbringen würde und kam zu dem Ergebnis, dass dieses Hotel für die hohen Herrschaften wohl doch etwas zu dürftig war, aber für einen Schriftsteller oder Wissenschaftler, der in offiziellem Auftrag zu einem Symposium unterwegs war, stellte dieses Haus geradezu eine Maßanfertigung dar.

 

Lucille, Tony und Steele nahmen ihre Zimmer in der obersten Etage. Dort waren sie unter sich und hatten einen herrlichen Blick auf die Bucht. Auf den legte Steele besonderen Wert (Tony hatte ihm zwischendurch zugeflüstert, dass er die Rolle eines Fotografen zu spielen habe) und setzte sich damit gegen Tony durch, der, zumindest dem Anschein nach, protestierte, weil die oberste Etage nicht mehr per Aufzug zu erreichen war, der in dem darunterliegenden Stockwerk endete.

Als sie sich in dem rappelnden Aufzug befanden, einem Käfig aus verschnörkelten schmiedeeisernen Stäben, der Tony an alte Kriminalfilme oder Theaterrequisiten erinnerte, fiel ihm auf, dass Lucille ihn mal wieder ignorierte. Sie stand Tony gegenüber – neben Steele – und Tony bemerkte mit Unwillen, wie nahe beieinander die beiden waren und dass sie bei jedem Rucken des Aufzugs mit den Schultern gegeneinanderstießen.

Steele entschied sich für ein Eckzimmer, von dessen Tür aus er die Treppe direkt im Blick hatte. Tony belegte das daran anschließende Zimmer, das erste an der Vorderfassade, Lucille wohnte neben ihm. Den Gang hinunter gab es noch einige leere Gästezimmer, dann folgten Personalräume.

»Sehr gut«, kommentierte Steele das deutliche Klacken, mit dem der Aufzug an seine obere Arretierung schlug. Ebenso so sehr gefiel ihm das Knacken der Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Man hatte die Etage vor nicht allzu langer Zeit renoviert, es lag sogar noch ein Geruch von Farbe und Teppichkleber in der Luft, aber das Alter des Bauwerkes ließ sich nicht leugnen. Für Steele bedeutete das Sicherheit, denn kaum jemandem würde es gelingen, in die oberste Etage zu gelangen, ohne durch Geräusche auf sich aufmerksam zu machen.

 

Alle zogen sich in ihre Zimmer zurück, um die Koffer auszupacken. Bedingt durch die Menge, die er in Schränken und Schubladen zu verteilen hatte, brauchte Tony Tanner dazu am längsten. Als er seinen Smoking aufhängte, bestätigte sich Tony hochzufrieden, dass die Mitnahme dieses Ausrüstungsstückes kein Luxus, sondern bittere Notwendigkeit gewesen war. Ja, er gelangte zu der Gewissheit, dass das Mitschleppen jedes einzelnen Gepäckstückes keine Marotte seinerseits, sondern nichts als die Erfüllung einer bitteren Pflicht war, die er trotz aller damit verbundenen Beschwernisse und trotz des aus blödester Unkenntnis sprossenden Spotts seiner Begleiter wacker und männlich auf sich nahm. Tonys Brust schwoll und er blies liebevoll ein Stäublein vom Kragen. Danach meditierte er über den Einstecktüchern. Nach einer Weile kam er zu dem Ergebnis, dass sich die beiden Damen, mit denen er den Abend zubringen würde, von einem Hauch Extravaganz beeindrucken lassen würden und so wählte er ein Tuch von dunkelroter Farbe.

Bevor er unter die Dusche stieg, trat Tony Tanner durch eine Doppeltür auf den Balkon. Er trat etwas zu schwungvoll auf die kleine Fläche, die aus der Fassade ragte, hinaus. Im nächsten Moment überkam ihn die Empfindung, sich auf in der Eigernordwand zu befinden und er tastete nach der Brüstung, während sein Magen Drehtendenzen zeigte.

Erst als er das kühle Schmiedeeisen unter den Handflächen fühlte, verlor sich der Schwindel. Der Balkon befand sich in der Tat in großer Höhe – er befand sich im obersten Stockwerk und die enorme Raumhöhe eines alten Gebäudes tat ein Übriges. Der Effekt wurde verstärkt, weil Tony direkt auf die Bucht blickte, auf deren trägem Wasser sich einige Lichter spiegelten.

Jetzt erst bemerkte Tony, dass Lucille auf dem benachbarten Balkon stand. Sie lehnte auf dem Geländer, die Unterarme aufgestützt und die Hände gefaltet, als wäre sie in Gedanken versunken. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Gesicht versteckte sich hinter dem Vorhang der Haare. Sie sah fremd aus, sodass Tony im ersten Augenblick mit Erschrecken glaubte, dort stände tatsächlich eine Unbekannte.

Er musste ein Geräusch gemacht haben, denn nun hob sie überrascht den Kopf auf. Das Licht aus ihrem Zimmer modellierte ihre Züge, weich und wunderschön, als wäre jeder Lichtstrahl die Hand eines Künstlers, der sein Meisterwerk erschafft.

Tony starrte sie an, als hätte er sie zum ersten Mal gesehen. Ihr Reiz machte sie zu einer Fremden, Unbekannten, ähnlich der Fremdheit, die Tony bei ihrem Telefonat bemerkt hatte. Plötzlich verspürte er Eifersucht – auf ihre Vergangenheit, die er nicht teilen konnte, auf ihre Erinnerungen, die ein Kontinent waren, den er niemals völlig entdecken würde.

Tony wollte etwas sagen, musste aber erst einen Kloß aus seinem Hals räuspern.

»Ich hoffe, ich habe dich nicht erschreckt«, sagte er dann.

Lucille schüttelte nur den Kopf.

»Ist ein bisschen hoch hier, nicht wahr?«, redete, vielmehr schwafelte, Tony weiter. »Nur für schwindelfreie Personen und nichts für Genießer.« Er wollte weiterreden, nur damit sie ihm zuhören musste, ein hilfloser Versuch der Berührung, der Verbindung zu ihr. Aber dann verstummte er, weil er sich so kläglich vorkam.

Er schwieg und schaute sie nur an. Lucille beachtete ihn nicht, sondern wandte den Blick in die Tiefe, auf die Straße, wo der Wagen parkte und das Licht des Neonschriftzuges eine Fläche von feucht schimmerndem Pflaster aus der Dunkelheit sog.

»Du bist so wunderschön«, hörte sich Tony zu seinem eigenen Erstaunen sagen.

Lucille schaute ihn an. Ihre Augen glänzten und über ihre Wagen zog sich ein schimmernder Streifen. Aber vielleicht täuschte sich Tony auch.

»Danke für das Lob des Kenners«, antwortete Lucille. »Als weit gereister Mann kannst du mir dann auch sicherlich sagen, wie viele Kamele ich in Arabien wert wäre. Oder wie viele Rinder in England. Oder sollte ich lieber fragen, was mein Wert in kläffenden Möpsen ausgedrückt wäre.« Ihre dunkle Stimme, die zuerst brüchig war, gewann an Festigkeit und triefte bei dem letzten Satz gerade vor Sarkasmus.

Tony spürte das Prickeln der Kopfhaut, das eine Farbänderung anzeigte.

»Bitte«, sagte er und klang ein wenig flehentlich. »Weswegen sind wir hier? Um uns umzuschauen.« Bevor er weitersprach, beugte sich Tony über die Brüstung und prüfte die Fassade unter ihnen. Soweit er es erkennen konnte, waren alle Fenster geschlossen, sodass ein heimlicher Lauscher nicht zu befürchten war.

»Hör mal«, fuhr er fort, »es geht hier nicht ums Vergnügen, sondern darum, dass uns die Bekanntschaft mit diesen Damen ein paar Tage Aufenthalt in diesem Kaff ersparen können.«

»Du meinst DEINE Bekanntschaft mit den Damen. Denn diese Kategorie wird sich doch wohl nicht mit popeligen Fotoassistentinnen abgeben wollen. Du hättest zur Verstärkung deiner Geschichte vielleicht noch ablassen sollen, dass ich mal als Stewardess gearbeitet habe das ist nämlich auch nichts als eine bessere Kellnerin, mit dem Unterschied, dass so eine Servierertrulla auf dem Boden keine Kotze wegen Turbulenzen wischen muss, wobei du nicht unerwähnt lassen solltest, dass Luftlöcher auch ihre Vorteile haben, weil dann auch den geilsten Arschlöchern die Lust vergeht, der Serviererin an den Hintern zu packen.«

Lucille fauchte es heraus und verschwand in ihrem Zimmer.

Tony Tanner rief sie, aber als einzige Antwort wurde die Balkontüre scheppernd geschlossen. Toll, sagte sich Tony Tanner, Lucille Chaudieu ist eifersüchtig. Nicht schlecht. Verdammter Mist, sagte sich Tony Tanner, Lucille Chaudieu ist eifersüchtig, das ist ein Problem.

Ich sollte ihre Zimmertür eintreten und sie flachlegen, bestätigte er sich dann. Das war genau das, was sie wollte. Frontalattacke, erst einmal die Fingernägel durch meine Visage und dann Zungenkuss bis an die Grenze des Erstickens, anschließend Kamasutra für Fortgeschrittene.

Tony schlug mit der Faust auf das Balkongeländer, bis das Eisen einen dröhnenden Ton hören ließ. Dann ging er unter die Dusche.

 

Es war nicht so, dass sich Tony Tanner auf das Abendessen mit den beiden Schwestern gefreut hätte – abgesehen davon, dass er damit die Hoffnung auf eine gepflegte Unterhaltung, bei der er zugleich Informationen sammeln konnte, verband.

Lucille hatte ihm nun die Stimmung gänzlich verdorben, und Tony brauchte die gesamte Palette seiner psychologischen Kniffe, um sich wieder in die notwendige Laune zu bringen. Er duschte ausführlich, rasierte sich und ohrfeigte sich genussvoll mit seinem Lieblings-Aftershave. Es folgte das Anlegen der schimmernden Rüstung, des Smokings also, und dann die Endabnahme vor dem Spiegel.

Tony Tanner war mit sich nicht gänzlich unzufrieden.

Die positive Lebenseinstellung währte allerdings nur bis zur Annäherung an den Speisesaal. Durch die weit offene Flügeltür erblickte Tony zwei junge Männer, die sich in Jeans und Pullover an einem Tisch flegelten. Innerhalb von Sekundenbruchteilen durchlief Tony Tanner die Stadien von der Erhabenheit zur Lächerlichkeit. Ich bin total overdressed, schoss es ihm durch den Kopf.

Na klar doch, er hätte es wissen müssen, in diesem Kaff achtete man nicht auf die Formen zivilisierten gesellschaftlichen Umgangs, hier war selbst eine schlampig gebundene Krawatte schon Zeichen für eine reaktionäre Lebenseinstellung. Tonys Schritt stockte, sein Weltbild zerbarst zu tausend Scherben, er wäre am liebsten in sein Zimmer zurückgeeilt, um in einer dunklen Ecke über das Elend der Welt und sein geschwundenes Gefühl für die passende Kleidung zu meditieren. Dann kreuzte ein Ober seinen Blick, ein richtiger, echter, wahrer und originaler Ober im Frack. Tonys Stimmung stieg raketenmäßig. Er korrigierte ein wenig die Position seines Einstecktuches und betrat, nun wieder bester Stimmung, den Saal.

Auch hier herrschte die leicht angestaubte, aber gediegene Atmosphäre der 20er oder 30er-Jahre. Tony fühlte sich, als wäre er durch ein Zeitloch gestürzt und auf einem mittelprächtigen Atlantikliner gelandet. Schlanke gusseiserne Säulen unterteilten den großen Saal in mehrere Abteilungen und stützten eine filigrane Dachkonstruktion. Da der Saal als Anbau quer zum eigentlichen Hotel stand, konnte man durch das gläserne Dach auf die rückwärtige Fassade des Savoia schauen. Gegenüber dem Eingang, den man vom Foyer aus erreichte, schloss eine Glaswand den Saal ab. Von dort führte eine Tür, die von gusseisernen Jugendstilarabesken umrahmt war, in einen geräumigen Wintergarten. Von diesem aus führten einige Stufen in einen kleinen, aber sehr gepflegten Außengarten. Zwar bestand er aus wenig mehr als aus einem Springbrunnen, der sich auf einer Rasenfläche erhob, die von einem Kiesweg umrundet wurde, an dem wiederum Bänke standen, hinter denen wiederum Rosenbüsche standen, die wiederum an dichtem Efeu stießen, der wiederum eine Mauer bewucherte und verdeckte. Der Garten war klein, geradezu winzig, hatte aber seinen Charme und wirkte in der engen Bebauung der Altstadt von Loreta wie eine geheimnisvolle Oase aus einem Märchen von Tausend und einer Nacht.

Fortsetzung folgt …