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Romantisches Dinner

So, wie sie hier vor mir sitzt, wie sie sich bewegt, mit mir redet. Alles an ihr liebe ich. Sie ist wunderschön, verführerisch, einzigartig. In ihr kann ich versinken, mit ihren Worten möchte ich schweben.

Es ist unser zehntes gemeinsames Essen. Wir treffen uns seit langer Zeit, um zusammen etwas zu unternehmen, aber heute ist der Anlass ein anderer. Ein romantisches Dinner bei Kerzenschein, denn heute werde ich ihr sagen, dass ich sie liebe. Keine Freundschaft mehr. Nein, Liebe. Ich weiß, dass sie ähnlich empfindet, weiß es aus tiefstem Herzen. Andeutungen hatte es gegeben, immer wieder. Eine leichte Berührung hier, ein gehauchtes Wort dort. Sie liebt mich, das spüre ich.

Sie ist gut gelaunt, fröhlich. Über ihre Begegnungen spricht sie, über alles, was in den letzten Tagen vorgefallen ist. Anekdoten, die sie zum Lachen bringen und mich verträumt lächeln lassen. Wenn sie redet, zeigt sie die Begeisterung eines kleinen Mädchens, das ganz tolle Sachen erlebt hat und sie am liebsten mit aller Welt teilen würde. Ihre Augen leuchten in sattem Gelb, während sie mit einer Hand ihr Glas umschlossen hält und die anderen beiden für ausholende Gesten benutzt. Alles möchte sie mir anschaulich machen, ich soll nicht nur zuhören. Sie möchte, dass ich es miterlebe.

Im Restaurant ist es still, nur die leise Musik aus den Lautsprechern erfüllt den Raum und untermalt ihre Erzählungen. Klassik. Geigen, Oboen, ein Cello. Wundervoll. Zeitweise fühle ich mich als Protagonist in einem kitschigen Liebesfilm, bei dem aus heiterem Himmel Geigenklänge zu hören sind, wenn sich die Liebe ihren Weg bahnt.

Sie lacht. O, wie ich dieses Lachen vergöttere. Die Stimme hell und schneidend, gleich einer Kreissäge mit neuem Sägeblatt. Ich sehe ihre kleinen, messerscharfen Zähne, wie sie im Kerzenschein aufblitzen. Das Gebiss eines poetischen Raubfisches. Ihre dünne Zunge schnellt immer wieder hervor, das gespaltene Ende mit den winzigen Giftdornen versucht eigenmächtig mein Gesicht zu erreichen, nicht wissend, dass es nichts nützen würde.

Wie immer bemerkt sie es nicht. In ihren Geschichten geht sie auf, vergisst, die Schlangenzunge unter Kontrolle zu halten. Aber sie weiß auch, dass es bei mir nicht notwendig ist.

So herrlich grau und feucht zieht sich ihre vernarbte Haut über die spitzen Wangenknochen. Eine Reihe fingernagelgroßer Hörner ragt frech aus der hohen Stirn und hinten wellt sich ihr rabenschwarzes Haar. Einige Strähnen haben sich um die spitzen Ohren geschlungen. Keck, verführerisch – wild.

Nun bemerkt sie meinen verträumten Blick und verstummt. Sie lächelt etwas verlegen, ahnt meine Empfindungen. Noch immer die Augen auf mich gerichtet, gräbt sie ihre Zähne in das Fleisch, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Sie hat sich für den Unterschenkel der jungen Kellnerin entschieden, während ich an diesem Abend Innereien den Vorzug gebe.

»Warum siehst du mich so an?«, fragt sie mich mit einem herausfordernden Blick. Natürlich weiß sie ganz genau, warum ich sie unentwegt betrachte. Ein Spiel, das ihrem Wesen entspricht.

Noch antworte ich nicht, sondern beobachte sie nur weiter, wie sie kleine Fleischstücke herausreißt und sie ohne zu kauen verschlingt. An ihrem rechten Mundwinkel erscheint ein dünner Blutfaden. Langsam strecke ich ihr meine Klaue entgegen und wische über den roten Saft. Da sie nicht zurückweicht, gibt sie mir zu verstehen, dass ich nicht zu schnell handele, dass ich lange genug gewartet habe.

Ihre Augen sind für eine Sekunde geschlossen, während sie meine Berührung genießt. Es ist an der Zeit einen Schritt weiter zu gehen. Um uns herum sitzen die anderen Gäste oder zumindest das, was von ihnen übrig geblieben ist. In Wahrheit verteilen sich die Leute über den gesamten Raum, überall liegen ihre Einzelteile in noch immer dampfendem Blut. Viele davon haben wir zu modernen Kunstwerken umgestaltet und miteinander verbunden.

In der Küche haben wir lediglich ein Massaker angerichtet und es unangetastet hinterlassen. Wie es dort aussieht, interessiert uns nicht. Es ist lediglich ein Ort zum Zubereiten von Speisen. Und genau das haben wir getan. Auf der ausladenden Anrichte liegen die Reste der jungen Kellnerin.

Meine Kralle schneidet tief ihn ihre Wange. Dort, wo die Haut viel zu glatt und ebenmäßig erscheint. Sie quietscht vergnügt, lässt ihren eitrigen Saft ungehindert fließen.

»Jetzt hast du etwas von mir«, sage ich und lächle.

Sie lässt ihre Zunge nach vorne schnellen und liebkost mich, peitscht mich, stößt sie seitlich neben mein Auge in die Höhle und reißt es heraus. Ich lache und freue mich über ihre eindeutige Liebeserklärung.

In ihrem Mund verschwindet der Augapfel, erscheint gleich darauf wieder, umgeben von Bernstein.

»Jetzt habe ich wirklich etwas von dir«, sagt sie frech.

Ich breite meine schwarzen Schwingen aus, stoße einen Pesthauch in die Luft und lasse ein imposantes Gebrüll ertönen. Dann nehme ich eine ihrer Hände und wir verlassen den Tisch.

»Ich liebe dich«, flüstert mein Mund an der rechten Schulter.

»Ich begehre dich«, haucht das Maul an meiner linken Schulter.

»Ich will dich«, sagt mein Schnabel unter der Nase.

»Und ich liebe disss«, zischt meine Angebetete.

Wir verlassen das Restaurant und treten in die Nacht hinaus. Viele Menschen sehen uns, schreien, rennen panisch und völlig orientierungslos durch die Straßen.

»Wollen wir gemeinsam jagen?«

Als Antwort auf meine Frage nickt sie lediglich und streichelt eines meiner Spinnenbeine.

Ja, wir lieben einander.

Copyright © 2010 by Sven Später